Die Trennung

Durch Deine Abwesenheit machst du mein Gesicht bleich wie Gold: Tu es nicht. Wenn Du dein Antlitz zurückziehst, ist der Mond durch den Kummer verdunkelt. Du planst die Verfinsterung des Mondes: Tu es nicht. Unsere Lippen werden trocken, wenn Du uns Dürre bringst; warum benetzt Du meine Augen mit Tränen? Tu es nicht. Mein friedloses Auge ist ein Dieb Deiner Schönheit, o Geliebter, Du nimmst Rache an meinem diebischen Blick: Tu es nicht.

Rumi, der plötzlich toll in der Verzückung geworden war, wurde nun durch den Gram der Trennung wie wahnsinnig. Über ein Jahr lang litt Er sehr durch Seines Meisters Abwesenheit.

Von Zeit zu Zeit sandte Er Briefe an Seinen Meister und bat um Seine Rückkehr, aber es nützte nichts. Schließlich sandte Er Seinen Sohn, Sultan Walad, nach Damaskus – wo der Meister lebte –, um zu versuchen, Shamas-i-Tabrez zur Rückkehr zu bewegen.

Bei der Abreise Seines Sohnes sagte Rumi zu ihm:

Geh, o Freund, und bring mir jenen Freund durch Überredung – und anders, wenn du es für richtig hältst. Geh sogleich und komm zurück mit jenem flüchtigen Geliebten. Wenn Er vorschlägt, zu einem anderen Zeitpunkt zu kommen, lass dich nicht verleiten, lass dich nicht täuschen. Bringe diese glänzende Schönheit zu meiner (dunklen) Wohnstatt durch liebevollen Vorwand und sanfte Worte.

Die ehemaligen Schüler von Rumi bereuten auf ihre Weise und versprachen Dschalal-ud-din Rumi, Ihm nicht im Wege zu stehen, sollte der Meister zurückkehren:

Wir bereuen aufrichtig, habt Mitleid mit uns; wenn wir unseren Irrtum wiederholen, mögen wir verflucht sein. Obgleich wir Sünden leichtfertig begingen, gewährt uns Eure Vergebung.

Sultan Walad war in seiner Mission erfolgreich. Nach den Weisungen seines Vaters ging er zu Fuß zurück, während Shamas-i-Tabrez zu Pferde kam. Wer kann Rumis Freude beschreiben, als Er die Rückkehr Seines Meisters sah?

Wieder einmal kreiste Sein Herz um die schöne Form, in der sich Gott in all Seiner Glorie offenbart hatte. Vollständig in den Meister eingetaucht, erklärte Er:

Ich bin so erfüllt von meinem Meister, dass ich meinen Namen vergessen habe. Ob Er in mir ist oder ich in Ihm bin; ich kann es nicht unterscheiden.

Jedoch wurden die Schüler von Dschalal-ud-din wieder eine Beute ihrer alten Krankheit. Wie eine Krebsgeschwulst schwoll sie in ihren Herzen an. Wie konnten sie Shamas-i-Tabrez akzeptieren, Dessen Ansichten nur der Wahrheit entsprachen und nicht der orthodoxen Blindgläubigkeit – und Der ihren geachteten Lehrer zu Seinem Ebenbild geformt hatte? Ihr Übelwollen steigerte sich ins Uferlose, und da verschwand Shamas-i-Tabrez auf mysteriöse Weise.

Einige sagten, er sei ermordet worden – es heißt, dass man Ihm lebend die Haut abgezogen habe – aber Rumi sagte:

Wer wagt zu sagen, dass dieser Unsterbliche gestorben ist? Wer wagt zu sagen, dass die Sonne der Hoffnung untergegangen ist? Seht, ein Gegner der Sonne stieg auf das Dach, schloss seine Augen und erklärte, dass die Sonne untergegangen wäre!

Es heißt, dass Er jeden gütig belohnte, der sagte, dass Shamas noch lebte.

Eines Tages erzählte Ihm ein Reisender, dass er Shamas-i-Tabrez in Damaskus gesehen hätte. Voller Freude nahm Rumi Sein Gewand und schenkte es dem Mann. Ein Freund von Rumi erklärte, dass der Mann gelogen hätte, um Ihm zu gefallen.

Rumi erwiderte:

Hätte ich geglaubt, dass dies wahr wäre, hätte ich mein Leben gegeben, nicht mein Gewand.

Er ging nach Damaskus und fragte von Haus zu Haus nach Shamas-i-Tabrez.

Alle in Damaskus waren überrascht, dass Er, Der für einen so großen Menschen gehalten wurde, nach Einem suchte, von Dem man nichts hielt.

Verzweifelt rief Rumi aus:

Wie lange noch werde ich nach Euch von Tür zu Tür suchen? Wie lange noch werdet Ihr mir von Ecke zu Ecke und von Gasse zu Gasse ausweichen?

Wie auch immer, Rumi sah die gesegnete Form des Meisters nie mehr, und so endete die Geschichte.

Aber im Innern wurde Er zurückgerufen, um Seinen Auftrag zu erfüllen, der Menschheit baet, Initiation, zu geben die erhabenen Mysterien von Shugal-i-Naghma-i-yazdani – den Göttlichen Tonstrom – zu offenbaren.