‚Unser Meister‘ Rumi

Ein Maulvi (Schullehrer) konnte ein Maulana (Spiritueller Lehrer; buchstäblich ‚unser Meister‘) werden, nur durch die Gnade von Shamas-i-Tabrez.

Es heißt, dass Shamas-i-Tabrez die Innere Schau an Tausende gegeben hätte, die von Geburt an blind waren.

An Rumi, Seinen Großen Schüler, übertrug Er diesen Mantel der Meisterschaft, so dass die Wissenschaft der Spiritualität weiterblühen konnte.

Mit der ganzen Gnade Seines Meisters kehrte Dschalal-ud-din Rumi nach Konya zurück, um diese Arbeit weiterzuführen, jenen, die im Dunkel waren, die Schau weiterzugeben.

Damals war Er bekannt für seine ungewöhnlichen, ekstatischen Wege. Die Innere Seligkeit überflutete Ihn wie eine wogende See, und die Liebe floss aus Seinen Augen. In der Ekstase Seiner Hingabe tanzte Er, und aus den Tiefen Seines Herzens quollen Lieder der Liebe hervor. Ein solches Verhalten wurde von den orthodoxen Moslems verachtet.

Nichtsdestoweniger wurden Lied und Tanz bedeutungsvoll im Kreis der Derwische, die sich um Maulana Rumi versammelten, und so wurden sie bekannt als die Tanzenden Derwische.

Nach der Begleitung von Rohrflöte und Trommel tanzten die Derwische ihre Drehtänze manchmal die ganze Nacht hindurch, während Rumi aus dem Stegreif Seine Reden hielt.

Es wird gesagt, dass Maulana Rumi selbst tagelang ohne Unterbrechung tanzen konnte. Zu solchen Zeiten war Er vom äußeren Bewusstsein abgeschnitten und hatte gänzliche Vereinigung mit dem Inneren Ton und Licht. Dann unterhielt Er Sich mit Seinem Meister und den Meistern früherer Zeiten.1

Solange ein Kompetenter Meister blieb, wurde die äußere Musik nur als ein Mittel für die Innere gebraucht.

Die Heiligen Menschen tanzen und drehen Sich auf dem (Spirituellen) Feld … In Ihrem Innern schlagen die Musikanten das Tamburin … Man muss dazu die Spirituellen Ohren haben, nicht die Ohren des Körpers.

Es gab in der Tat einen äußeren und einen Inneren Kreis von Schülern. Jenen des Inneren Kreises wurden neben der Selbstprüfung auch die Inneren Übungen von Simran und Bhajan gegeben, welche sie in der Stille üben sollten. Außerdem führte Rumi den Propheten Mohammed an, Der sagte, dass der Weg des Islams nicht der Weg des einsiedlerischen Mönchtums sei. Was gebraucht wurde, war der Weg für den Familienvater.

All die Wechselfälle des Lebens, sagte Er, sind die Mittel dafür, sich selbst zu läutern und die Innere Geduld zu lernen, die für das Spirituelle Leben so nötig ist.

Wenn jemand diesen Weg nicht gehen konnte, sollte er wenigstens den Weg des Mönchtums aufnehmen, so dass es nicht ganz verloren ginge. Maulana Rumi hatte eine Frau und zwei Söhne und verdiente Sich Seinen Lebensunterhalt.

Seine Anhänger kamen aus allen Glaubensrichtung und Lebensstellungen, da Seine Lehren für alle waren. Die Meister sehen und teilen Sich durch das Herz mit, nicht durch äußere Formen.

Rumi erzählt, dass Er einmal zu einer Menge gesprochen habe, in der eine Gruppe von Nicht-Moslems anwesend war. Mitten in seiner Rede fingen sie an zu weinen und fielen in Ekstase.

Er wurde gefragt, wie Leute, die nichts über den Moslem-Glauben wussten, solche Dinge verstehen konnten. Rumi antwortete, dass jeder um die Einheit Gottes wisse, Der der Schöpfer und Erhalter ist, ganz gleich, welches seine Religion sei. Seine Worte, die von dem Einen Gott kamen, waren mit der Universalen Ekstase vermischt, und sie erweckten in diesen Leuten den Spürsinn für ihren Geliebten und die Suche nach Ihm.

Einmal wurde ein jüdischer Schüler von seinen jüdischen Brüdern gefragt, warum er zu einem mohammedanischen Scheich ginge.

Er erwiderte:

Warum? Weil Er der König David dieses Zeitalters ist.

Die mongolischen Soldaten liebten ebenso die Lehren Rumis, und es wird gesagt, dass als die Mongolen in Konya einfielen und die Stadtwälle niederrissen, sie die Stadt selbst nicht zerstört haben aus Rücksicht auf den Großen Maulana, Der dort lebte. Der persische Sultan und der Gouverneur von Rum, Muin-al-din, und sein Minister wurden alle Schüler des Meisters, und wahrscheinlich durfte Er aus diesem Grund mit Seinen unorthodoxen Lehren unter der ständigen Feindseligkeit der orthodoxen Moslems fortlehren.

Viele von Rumis Reden sind an Muin-al-din persönlich gerichtet, dem Er Lektionen über Demut und Wahre Liebe gab. Unter dieser Führung wurde der weltliche Führer seinem Spirituellen Führer immer ergebener.

Maulana Rumi hatte während Seines Lebens zwei Gurumukh- Schüler.

Der erste war ein ungebildeter Goldschmied namens Salah al-din Zakrob. Es wird erzählt, dass Rumi, während Er in einem Seiner ekstatischen Zustände war, in den Straßen von Konya tanzte, wobei Er an dem Geschäft von Zakrob vorbeikam. Zakrob hämmerte gerade Silber und dachte ebenfalls an Gott. So erfüllte der Klang seines Hammers Rumi mit Berauschung, und Er begann, um den Laden herumzutanzen. In Ehrerbietung für den Meister fuhr Zakrob fort, das Silber zu hämmern. Auf diese Weise vergeudete er zwar viele Silberstücke, gewann aber viel mehr. Er wurde ein Schüler von Maulana Rumi und gab all seine Ergebenheit dem Meister und an die Inneren Übungen. Dieser wiederum gab ihm Sein Herz.

Ich entdeckte einen Schatz im Laden eines Blattgoldmachers. Welch eine Form, welch ein Wert, welch eine Schönheit, welch eine Gnade!

Maulana ließ ihm große Gunst zuteil werden und machte ihn zu Seinem engen Gefährten. Die Leute wunderten sich, was Er an diesem ungebildeten Mann fand.

Zakrob stellte es so dar:

Sie sind verärgert, dass Maulana mich für Seine Gunst erwählt hat, aber sie wissen nicht, dass ich nur ein Spiegel bin. Der Spiegel reflektiert sich nicht selbst – aber den, der in ihn hineinschaut; warum sollte Er dann nicht Sich Selbst sehen wollen?

Maulana Rumi Selbst sagte:

Gewiss ist Salah al-din das Ebenbild jenes Reinen; reibt euch die Augen und erblickt das Ebenbild des Herzens.

Als Maulana Rumi Zakrob zu Seinem Gehilfen machte, um die Unterweisungen an die Anhänger des Derwischs zu geben, traten wieder dieselben Gefühle der Eifersucht auf, wie die, welche durch das Kommen von Shamas-i-Tabrez entstanden waren, und viel Propaganda wurde gegen Zakrob gemacht. Es ist in der Tat bedauernswert, dass eine solch kleinliche Gesinnung solche großen Bewegungen bedroht hat. Rumi hatte praktisch die Unruhestifter auszuschließen, ehe sie nachgaben.

Für neun Jahre, bis zum Tod von Zakrob, ließ Maulana Rumi Seinem geliebten Schüler Seine besondere Liebe zuteil werden.

Danach schenkte Gott Rumi einen anderen Gurumukh-Schüler in der Form von Hisam al-din Chalapi, der später Sein Nachfolger wurde und als Meister der Mevlevi Derwische – die Gemeinschaft der Tanzenden Derwische – bekannt wurde.

Wie wir gesehen haben, kannte die Liebe Maulana Rumis keine Grenzen, wenn Er jemanden gefunden hatte, der sich vollständig in Gott auslöschen konnte. Er war in der Tat eine lebendige Opfergabe der Liebe. Als Er feststellte, dass Sein Schüler Chalapi so geworden war, schenkte Er ihm alles, was Er hatte, physisch und spirituell. Sein eigenes Haus wurde leer, weil Er alles, was Er hatte, Chalapi gab.

Einmal sandte der Amir von Rum 70 000 Dirhams an den Meister. Der Meister gab es sofort an Hisam Chalapi weiter.

Sultan Walad, Rumis Sohn, beschwerte sich bei seinem Vater, dass, nachdem Er alles an Hisam Chalapi weggegeben hatte, nichts mehr in ihrem eigenen Haus verblieb. Um mit Nachdruck seinem Sohn gegenüber die seltene Größe von einem, der alles seinem Meister übergeben hatte, zu betonen, sagte Maulana:

Wenn, meiner Ansicht nach, eine Million Heilige verhungern würden und ich hätte einen Laib Brot, dann würde ich diesen Laib Chalapi geben.

Als Chalapi herausfand, dass die Schüler des Meisters mit besonderer Vorliebe Ilahi Nama von Hakim Sanai und Mantiqatu’ tayr von Attar studierten, ging er zum Meister, um Ihn zu bitten, ob Er solch eine Arbeit schreiben könne, damit die Schüler keine anderen Gedichte zu studieren brauchten.

Maulana Rumi entnahm daraufhin sofort einen Teil Seines großen Werkes, dem Masnavi, indem Er sagte, dass Gott Ihm bereits die Wünsche Seiner Brüder angekündigt habe.

Und Er las ihnen aus dem Fragment vor, welches begann:

Höre aus dem Klang der Flöte, welche Geschichte sie erzählt, in der die traurige Klage der Trennung hervorbricht.

Danach sandte Maulana Rumi jede Nacht nach Hisam Chalapi und diktierte ihm die Gottinspirierten Verse des Masnavi.

Chalapi schrieb sie nieder und trug sie dann mit seiner schönen Stimme vor. Manchmal arbeiteten sie die Nacht hindurch, ohne sich um die Zeit zu kümmern. Maulana Rumi nannte das Masnavi das Buch von Hisam und nannte Sich in aller Bescheidenheit eine Flöte an den Lippen von Hisam al-din, welche die klagende Musik, die er machte, ausströmen ließ.

Dieses inspirierte literarische Werk Maulana Rumis wurde als ein erhabener Berggipfel bezeichnet; die vielen anderen Dichter vor und nach seiner Zeit nur als Vorgebirge im Vergleich dazu. Unter den westlichen Gelehrten, die das Original gründlich erforscht haben, wird es als eines der größten mystischen Werke aller Zeiten angesehen.

Zwölf Jahre lang waren Hisam Chalapi und Maulana Rumi Spirituell Liebender und Geliebter.

Dann neigte sich im Jahre 1273, nach 23-jährigem Spirituellen Dienst, die irdische Mission Maulana Rumis dem Ende zu. Er übertrug den Spirituellen Mantel an Seinen lieben Hisam al-din, der das Werk Gottes fortsetzte. 

Als Seine Schüler den Meister auf dem Sterbebett sahen, beteten sie aus tiefstem Herzen um Seine Genesung. Mit Gelassenheit stand der Meister auf und sagte, während Er tief in ihre Augen sah:

Die Genesung, um die ihr betet, ist für euch. Für so viele Jahre war dieser Körper zwischen Gott und der Seele gewesen, und während meiner Arbeitsstunden konnte ich nur wenig Zeit finden, um mich über den Körper zu erheben. Nun wird endlich dieser Körper abgelegt, und ich kehre zu Gott zurück. So betet bitte nicht um mein weiteres Verweilen.

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Erläuterung: 1) Die heutigen Derwische drehen sich für gewöhnlich zur äußeren Musik der Flöte tanzend im Kreis, um sich in eine Art Trance zu versetzen. Dies gilt in der Türkei als Touristenattraktion, da dies die einzige Möglichkeit für die Derwische ist, ihrer Traditation zu folgen. Maulana Rumi war gottberauscht vom Inneren Klang der Flöte, welcher in Bhanwar Gupha hörbar ist und die Seele zurück in ihre Wahre Heimat ruft.