IV

Die Hochzeit des Bey

Der Bey drüben in dem großen Hause war wieder voll des wildesten Zornes.

So gibt es keine Gerechtigkeit mehr bei uns?

schrie er und rannte vor seiner Mutter hin und her in dem weiten Gemach, wo sie geruhsam saß.

Eine Verlorene, eine Schändliche lässt man ungestraft wieder heimkehren? O, Mutter, ich beschwöre dich, du, die Frauen versteht und weißt, wie sie fühlen und denken, sage mir; was gibt es, das eine Frau am tiefsten trifft und demütigt? Erdachtest du es, so werden wir es an dieser Schlechten dort drüben zur Tat werden lassen. Sprich, Mutter!

Die kluge Frau überlegte nicht lange, zumal sie immer noch nicht am Ziel ihrer Wünsche angelangt war. Sie sagte:

Mein Sohn, da du mich fragst; nichts trifft eine Frau tiefer, beugt sie schwerer nieder, als wenn sie eine andere an dem Ehrenplatz sieht, der ihr zugedacht war, und zudem dieser anderen dann noch Ehrfurcht erweisen muss.

Das alles wurde ganz ruhig gesprochen, und darum machte es Eindruck auf den zornigen Mann.

Er blieb, vor der Mutter stehen, sagte gedankenvoll, wie suchend und fragend:

Du meinst, so ich es richtig verstehe, den Ehrenplatz des Brautthrones und das Verneigen vor der Braut … ist es so?

Die Mutter neigte bejahend den Kopf, sagte ernst:

So ist es, mein Sohn. Wenn diese sich vor deiner Braut verneigen müsste, das wäre grausame Bitternis für sie.

Ein spähender Blick flog zu dem Sohn hin, doch dieser hatte den Haken schon geschluckt.

Ein guter Gedanke, Mutter! So richte denn die Hochzeit mit dieser Fehim-Tochter, die du mir aussuchtest, und lasse in Kürze alles bereit sein. Vor allem aber vergiss nicht diese Elende von drüben einzuladen. Nur das vergiss nicht und achte gut darauf ob sie sich gebührend verhält!

Die Mutter lächelte verstohlen, sagte das übliche

Du befiehlst, mein Sohn!

und dachte sich dabei das Gleiche, was unzählige Frauen denken, wenn sie diese altehrwürdigen Worte sprechen, nämlich:

du befiehlst, wie du glaubst, und in Wahrheit tust du nur, was ich will.

Es ist dies der geheime Ausgleich.

Wenige Tage später sagte das Mädchen:

Herr, man hat mich für morgen eingeladen zur Hochzeit des Bey im Hause gegenüber. Befiehlst du, dass ich gehe?

Der Derwisch sah seine schöne Geliebte gedankenvoll an, fragte leise:

Ist es der gleiche Bey, der dich ehemals zum Weibe begehrte?

Das Mädchen nickte nur.

Das ist gut,

sagte er,

und du sollst gehen. Ich sende dir dieselbe Dienerin wie damals und Kleider mit ihr. Schön sollst du sein, strahlen sollst du dort, du Kleinod in meinem Herzen, wie du mir strahlst und, mich Tag und Nacht durchglühst …

Dann zog er aus seinem breiten Gurt ein Tesbieh hervor, eine jener Ketten, deren Kugeln man durch die Finger gleiten lässt, wenn man sich der Betrachtung ergibt, und an das Gebet denkt. Sie bestehen aus Holz, aus Bernstein oder Edelsteinen, je nach des Besitzers Vermögen, doch hat, wie man weiß, jeder Moslim einen solchen Rosenkranz.

Dieses Tesbieh aber bestand aus großen schimmernden Perlen.

Nimm es, mein Kleinod,

sagte der Derwisch,

und bringe es drüben der Braut. Wenn du vor der Braut stehst, dann zerreiße die Schnur, die die Perlen hält, sage einige Worte guter Wünsche und gehe deiner Wege. Du verstehst mich?

Sie lächelte.

Ich verstehe dich, Herr, und gehorche.

Leise sagte er, wie seine Stimme immer leise war:

Traum meiner Tage, Lebewohl.

Und wie er gesagt hatte, kam die schweigsame Dienerin am nächsten Tage zur Mittagsstunde, brachte noch zwei weitere Sklavinnen mit, die große Körbe trugen, und Diener dazu, welche einen Teppich schleppten. Das Mädchen, ganz durchdrungen von Glück und dem Gehorsam der glaubenden Liebe, stand und ließ sich schmücken und kleiden, als sei sie ein Opferbaum, achtete auch allen Schmucks nicht, sie, die einstmals ihre Tage damit verbrachte, mit einem Ohrgehänge zu tändeln.

Dann wurde ihr ein Schleier übergeworfen, der sie ganz einhüllte und von unzähligen kleinen Splittern der Edelsteine glänzte und glitzerte wie Spinnweb im Tau bei Mondeslicht.

Als sie die schmale Stiege hinabgegangen war, sah sie, dass die Diener von ihrer bescheidenen niederen Haustür, über die Straße fort, bis hin zum hohen Tore des reichen Hauses einen langen weichen Teppich gebreitet hatten, auf dessen Grund unzählige kunstvoll gebildete Blumen zu blühen schienen.

Für eines Herzschlags Länge zauderte sie, das schöne Gebilde zu betreten; da flüsterte neben ihr die Stimme der schweigsamen Dienerin:

Es wurde befohlen, dass dein Fuß nicht den Staub der Straße berühre, o Herrin …

Ein heißes Rot huschte über das schöne Antlitz des Mädchens, und es war ihr, als höre sie eine tiefe leise Stimme sagen:

Komm, dass ich dich beschütze …

Mit dieser Stimme in Ohr und Herz schritt sie auf das Haus des Feindes zu und wusste nicht einmal, dass ihr tiefe Demütigung zugedacht worden war.

Von den drei Dienerinnen gefolgt, betrat sie das Gemach, in dem die Braut, jene Fehim-Tochter, auf ihrem kostbaren Brautthron saß, umhüllt von Pracht und glitzernd von Juwelen. Der hohe Raum war angefüllt mit Frauen, die alle der Braut ihre Ehrfurcht erwiesen hatten und ihr Geschenke gebracht.

Das schöne Mädchen schritt durch sie hindurch, als sähe sie niemand und nichts, wie es auch wirklich war.

Die Frauen aber wichen zur Seite, betroffen von so viel Jugend, Schönheit und Pracht, und schauten schweigend ihrem Schreiten zu. Sie trat vor den Brautthron, und wie ihr befohlen worden, zog sie das Tesbieh aus Perlen unter ihrem Schleier hervor, stand vor der Braut und sagte:

Herrin, deine Tage mögen voll Ehre und Freude sein bis in weite Ferne, wie es dir der heutige Tag ist, und jedes Leid zerreiße vor dir, wie ich diese Seidenschnur zerreiße.

Damit zerriss sie die Perlenschnur, und die Perlen rollten nach allen Seiten auseinander. Die Frauen stürzten sich darauf wie Hühner auf die Futterkörner, und das Mädchen wandte sich ab, den Raum zu verlassen. Niemand hielt sie zurück.

Sie langte in ihrer stillen Kammer wieder an und schmiegte sich in die Enge ein wie in das Glück. Hier klang seine Stimme, hier war er bei ihr, auch wenn er sie verlassen hatte.

Alle Pracht, die von den Dienerinnen wieder fortgenommen wurde, galt ihr nichts, nur seine Nähe, seine Liebkosungen, seine Stimme.

An diesem Abend achtete der Bey nicht des ihm angetrauten Weibes, nur dessen, was ihm vom Kommen und Gehen des schönen Mädchens berichtet wurde, deren Pracht und Herrlichkeit und den von ihr verstreuten Perlen.

Er hielt deren einige in der Hand, schaute sie prüfend an und erklärte:

Sie sind die schönsten, die ich jemals sah! Eine von ihnen würde zum Kauf eines Pferdes genügen, wie es auch der Padischah nicht edler besitzt. Ah, diese Schändliche! Ist sie das Eigentum eines Räubers und Schänders geworden, eines Derwisch auch, der ohne Weib und Reichtum leben sollte? Ah, die Schlechte! Nun aber ist meine Geduld erschöpft, und ich werde sie verklagen, wo es noch Gerechtigkeit geben sollte … beim Padischah!