I

Das Geschenk des Bey

Da war ein Mädchen von großer Schönheit, Tochter eines armen Mannes. Ein kleines Häuschen hatten sie, und ihre Armut war so groß, dass der Vater nicht einmal Geld genug hatte, um die Holzgitter, die Mouscharabieh, an den Fenstern des Raumes, den seine Tochter bewohnte, auszubessern. So waren die Öffnungen größer, als solche Gitter sie sonst besitzen, und durch eine dieser Öffnungen konnte ein gegenüber wohnender reicher Bey das Mädchen erspähen.

Er verliebte sich sogleich heftig in ihre strahlende Schönheit und verlor keine Zeit, seine Mutter zu beauftragen, das Mädchen von ihren Eltern ihm zum Weibe zu fordern.

Gehe hinüber, Mutter,

sagte er,

bringe diese Ohrgehänge als Brautgeschenk und mache es so aus, dass die Hochzeit bald stattfinde.

Die Mutter war entsetzt über die Wahl des Sohnes und sagte mahnend:

Mein Sohn, du solltest so etwas nicht tun! Die Reichen sollen zusammenbleiben und die Armen auch. Da ist die Tochter des reichen Fehim Bey, die, mein Sohn, wäre das Weib für dich.

Der Bey wurde sehr ungehalten und sagte in strengerem Tone:

Tue, was ich dir sage, Mutter, und halte dich und mich nicht mit solch nutzlosen Reden auf.

Was sollte die Mutter tun? Hat sie doch die Pflicht, dem Sohne zu gehorchen, wenn ihr Ehemann verstarb.

So ging die reiche Frau über die Straße und erbat von der Ehefrau des Armen die Tochter zur Frau ihres Sohnes, gab auch das Brautgeschenk, wie ihr aufgetragen, ab. Welche Freude im Hause des armen Mannes!

Wie eifrig lief die Mutter die schmale Stiege hinauf in ihrer Tochter Zimmer, begann aufgeregt zu reden vom reichen Bey, von der herrlichen Zukunft, die der Tochter winke, und ließ die blitzenden Edelsteine der Ohrgehänge vor des Mädchens Augen hin und her tanzen.

Für mich sind sie? Diese wunderbaren Ohrgehänge sind für mich? O Mutter, gib sie mir, gib sie mir schnell!

Nichts hatte sie gehört vom Bey, von der Heirat, von der Zukunft... nichts, gar nichts! Sie nahm nur das Blitzen der Edelsteine wahr und das unglaubliche Wunder, dass sie ihr gehören sollten.

Sind die Löcher in meinen Ohren noch offen, Mutter? Hilf mir doch diese Herrlichkeit anlegen … es tut nichts, wenn es auch zuerst schmerzt. O Mutter, sieh nur, sie reichen mir fast bis zur Schulter … ach, wie bin ich so glücklich! Ist mir doch, als habest du ein Stück ganz blankes Kupfer, Mutter, darin könnte ich mich vielleicht sehen … willst du es mir bringen? Oder nein, warte, ich komme mit dir es suchen!

Und eilig trippelte sie die steile Stiege hinunter, fand jenes Stück Kupfer und tat von nun nichts anderes mehr, als sich zu spiegeln, die Ohrgehänge blitzen zu lassen, sich von rechts nach links und wieder anders herum zu drehen und von Morgen bis Abend mit den Ohrgehängen zu spielen.

Keiner ihrer Gedanken ging zum Geber der blitzenden Dinger hin, und niemals sagte sie sich, dass ein Mann nur schenke, wenn er für die Gabe etwas zu erhalten hoffe.

Zeit verging, und die Mutter des Bey hatte noch nicht den Tag für die Hochzeit festgesetzt, wohl aber schaffte sie täglich an dem, was ihr am Herzen lag; sie war eine kluge und viel erfahrene Frau, die wusste, dass von einem Manne fast alles zu erreichen ist, wenn man ihm eine einzige Forderung immer und immer unermüdlich wiederholt.

So sagte sie nicht einmal am Tage, nein, so oft sie ihres Sohnes ansichtig wurde:

Mein Sohn, du tust nicht gut, das arme Mädchen von gegenüber zu ehelichen. Die Reichen sollen zusammenbleiben und die Armen auch. Da ist die Tochter des reichen Fehim Bey. Die, mein Sohn wäre das Weib für dich.

Und es kam ein Tag, da vermochte der Bey die wortgleiche Wiederholung im stets gleichen Ton nicht mehr zu ertragen. Er hielt sich die Ohren zu und schrie verzweifelt:

Mutter, hast du mich dafür geboren, mich in den Irrsinn zu treiben?! So lasse es denn sein, wie du es erdacht hast … hole … mir diese Fehim-Tochter oder irgendeine andere, nur, um der Barmherzigkeit Allahs willen, sage nicht immer die gleichen Worte … ich beschwöre dich!

Glücklich und zufrieden stimmte die Mutter zu und wollte eben den Raum verlassen, als der Sohn sie zurückrief und wie nebensächlich sagte:

Wenn du drüben die Heirat absagst, Mutter, so vergiss nicht, die Ohrgehänge zurückzuholen.

War er doch reich und somit geiziger und kleinlicher Gesinnung.

So kam es, dass dem schönen Mädchen die Ohrgehänge fortgenommen wurden. Welch ein Schmerz war das! Nicht ein Gedanke ging auch jetzt zu dem Bey, zum Verlust der glänzenden Zukunft … nein, nur um die Ohrgehänge, um dieses schöne blitzende Spielzeug, darum weinte das Mädchen.

Als der Vater um Sonnenuntergang vom Bazar heimkam, hörte er schon beim Eintritt das Schluchzen des Mädchens, und er fragte voll Sorge und Bangen, was dem Kinde sei?

Er liebte seine Tochter über alles und ertrug es nicht, dass ihr irgendetwas Kummer bereite.

Seine Frau berichtete ihm betrübt und eilig, was geschehen war, und wie die Tochter nicht an den Bey dachte, so geschah es dem Vater auch … ihm war nur darum zu tun, sein Kind zu trösten.

So kam er in ihre Kammer, nahm sie in den Arm und sagte irgendetwas, das sie trösten könnte.

Weine nicht, mein geliebtes Kind, weine nicht, denn du wirst dein schönes Spielzeug nur eine Nacht lang entbehren. Wenn ich in der Frühe wieder in die Werkstatt im Bazar gehe, treffe ich einen Mann und der gibt mir für dich viel, viel schönere Ohrgehänge, als diese waren, die ein Elender dir nicht gönnte. So sei nun zufrieden, schlafe ein und träume von den herrlichen Dingen, die dich mit dem morgigen Tage erwarten.

Das Mädchen schmiegte sich an den Vater, lächelte getröstet, glaubte ihm jedes Wort und schlief ermüdet vom Weinen allsogleich ein.

Seiner Frau, die ihn befragte, wie er denn das Kind so schnell habe beruhigen können, sagte der Mann:

Ich weiß es selbst nicht, was ich ihr erzählt habe, aber sie glaubt mir, dass sie morgen schönere Schmuckstücke erhält als die, die sie besaß.

Die Frau machte ihm einige leichte Vorwürfe, dass es Unrecht sei, das Kind so zu belügen, er aber zuckte nur die Schultern und murmelte:

Allah bilir.

Und mit diesem

Gott weiß es

gab er es auf, noch weiter über seine eigenen Worte nachzudenken.

Wie oft aber geschieht doch dergleichen! Wie oft sagt ein Mensch Dinge, die aus ihm gesprochen werden von einer Macht, die er nicht kennt und die seine Zunge, seinen Atem benutzt, um das mitzuteilen, was sie bekannt geben will!

Weiß das nicht auch der, der Märchen erzählt und sich geheim verwundert über das, was seine Lippen sprechen?

Maschallah … wir sind von Wundern umgeben und wissen es nicht!