II

Der geheimnisvolle Derwisch

Am nächsten Morgen also begab sich der Mann wie stets zum Bazar.

Er hatte in der großen Umfassungsmauer nahe dem Nordeingang eine kleine Werkstatt und Verkaufstelle der Kupferarbeit, die er herstellte.

Alle geringsten Verkäufer und Handwerker des Bazars hatten ihre Werkstätten dort im Norden, wohin auch die armen Käufer kamen.

Diese Nordmauer war deshalb besonders dick, weil die heftigen Stürme von dieser Seite her wehten, und in die Mauerdicke waren die Werkstätten so eingebaut, dass sie wie eine kleine Höhle im Gestein schienen; sie hatten keine Fenster, nur eine schwere Holztür, die mittels eines großen Schlosses verschließbar war, und allein durch diese Tür drang das matte Tageslicht in das Gewölbe.

Der Mann nun, dieser Kupferschmied, kam daher, ein wenig bekümmert weil er am Abend sein Kind würde enttäuschen müssen, und schloss gedankenvoll und umständlich die schwere Tür aus Zedernholz mit seinem großen Schlüssel auf. - Doch als er nun wie immer in seine Werkstatt eintreten wollte, kam ihm aus dem dämmrigen Gewölbe ein Mann entgegen, ein hochgewachsener Derwisch in der dunklen Gewandung seines frommen Ordens.

Er schritt auf den Handwerker zu, der immer weiter zurückwich, und hielt ihm in jeder seiner Hände etwas Blitzendes entgegen.

Nimm dieses,

sagte er

und bringe es deiner Tochter…

Aber der Handwerker rührte sich nicht, stammelte nur erschreckt:

Herr… Herr… wie konntest du in meiner Werkstatt sein? Wie war das möglich, Herr? Am Abend warst du nicht darin, und heute war alles fest verschlossen … wie konnte das geschehen, Herr?

Der Derwisch sagte ruhig und befehlend:

Rede nicht so viel, frage nicht so viel, nimm dieses … es sind die Ohrgehänge für deine Tochter. Nimm sie ..... so nimm sie!

Erschreckt von dem Befehlston der ruhigen Stimme griff der Mann zu, hielt die blitzenden Dinge, als seien sie zehrendes Feuer, wollte noch weiterfragen, schwieg aber als er die Wort vernahm:

Gib die Ohrgehänge deiner Tochter, wie du ihr versprachst, und sage ihr, heute nach dem Azan komme ich und werde ihr Gemahl.

Als der Derwisch das gesagt hatte, war urplötzlich von ihm nichts mehr zu sehen. Dort, wo er gestanden hatte, war leere Luft.

Der Handwerker, bis ins Tiefste seiner Seele erschreckt und entsetzt, verwahrte die Ohrgehänge achtlos in seinem Gürtel, schloss eiligst die Werkstatt wieder zu und lief in nahezu unziemlicher Eile zurück zu seinem Weibe.

Die Frau starrte ihn erschreckt an, als er so unerwartet vor ihr stand, geschah es doch sonst niemals, dass der fleißige Mann vor dem späten Abend heimkam.

Aman, bhodjam, was ist geschehen? Erkranktest du, da du so bleich und angstvoll erscheinst?

Statt der Antwort nahm der Mann die Juwelen aus seinem Gurt, legte sie vor die Frau hin und sagte scheu:

Ich bekam sie von einem Derwisch, aber ich bin gewiss, er war ein Djin, denn er drang durch verschlossene Tore in meine Werkstatt ein. Dieses, sagte er, sei für unsere Tochter und er komme nach dem Azan, ihr Gemahl zu werden. Frau, sage mir, was sollen wir nur tun?

Die Frau hielt, während er so sprach, die Juwelen in der Hand und drehte die Ohrgehänge hin und her.

Nach Art der Frauen, die das Fassbare sehen und nicht, was vielleicht dahinter sich verbirgt, sagte sie mit Verachtung in der Stimme:

Mein Eheherr, du sprichst Torheit. Deiner Tochter, so erfuhr ich von ihr, versprachst du heute schönere Ohrgehänge zu bringen, als die von dem elenden Bey waren. Nun hast du sie, denn sie sind in Wahrheit wunderbar schön, und nun redest du von Djinnen und solcher Torheit!

Nur ein Mann kann so töricht sein. Ich gehe jetzt und bringe dieses schöne Spielzeug unserer Tochter, und was sich nach dein Abendgebetruf begibt, das werden wir zur Zeit des Abends erleben. Du aber, so rate ich dir, gehe zurück zum Bazar und fertige jene Kupferschale, die morgen geholt wird. Allah ismagladih.

Und mit diesem Gottbefohlen begab sie sich hinauf zu ihrer Tochter und sagte in ruhigster Selbstverständlichkeit:

Mein Kind, wie dir dein Vater versprach, hat er dir Ohrgehänge gebracht, die weitaus schöner sind als die verlorenen … sieh her und freue dich!

Die Frau erlabte sich an der Tochter Freudenausbrüchen und sagte ihr nichts davon, dass – o Torheit – sich ihr ein Gemahl nach dem Azan nahen würde.

Wozu dergleichen wiederholen? Es war des Atems nicht wert, den das Aussprechen der Worte verlangte!

So saß das schöne Mädchen den ganzen Tag lang dort und spielte mit den herrlichen Ohrgehängen, die ihr dieses Mal wirklich bis auf die Schultern reichten. Immer wieder putzte sie das spiegelnde Kupferstück blank und betrachtete sich und den glänzenden Schmuck.

Sie wusste auch nicht, dass ihr Vater nochmals zu ungewohnter Stunde aus dem Bazar heimgekehrt war und dass dieses Mal auch die Mutter tief beunruhigt seinem Bericht lauschte.

Der Mann hatte einen Beutel voll von Metallstücken mitgebracht, breitete sie vor der Frau aus und sagte leise:

Du hast mich vorhin verlacht, Weib, als ich dir von Djinnen sprach. Was sagst du jetzt? Sieh her … alles dieses war Kupfer, und nun ist es Gold. Es sind meine Stücke, die für meine Arbeit bestimmt waren, und um sie mir unbrauchbar zu machen, befand sich jener Derwisch in meiner Werkstatt. Denn was soll ich damit tun? Ich bin kein Goldschmied. Was soll ich damit tun?

Die Frau schwieg eine Weile, und wie sie es vorhin mit den Ohrgehängen getan hatte, so drehte sie jetzt die feinen Goldplätten hin und her. Dann sagte sie endlich:

Verkaufen. Können wir es nicht wahrhaft gut brauchen? Da ist das Dach, da sind die Mouscharabieh, da ist so vieles schadhaft. Verkaufen, Mann!

Der Handwerker schüttelte bekümmert den Kopf, sagte bedrückt:

Das geht nicht, Weib. Ich würde des Diebstahls geziehen werden, denn niemals kann ich sagen, woher mir dieses Gold kam. Nein, wir sind verloren, denn ich habe nun auch kein Kupfer mehr, um die Schale zu fertigen … es ist aus, ganz aus!

Und der Mann, zum ersten Male in seinem Leben der Arbeit und der Armut ganz entmutigt, barg den Kopf in den Armen und wiegte sich klagend hin und her.

Die Frau rückte am Boden nahe zu ihm hin und gab ihm Trost und die Kraft, die allein Frauen dem zu geben vermögen, mit dem sie den grauen Alltag und den strahlenden Festtag teilen.

So saßen diese zwei und erwarteten voll Bangen um ihr Kind den Ruf des Abendgebets. Sie vergaßen Essen und Trinken über dieses Warten, wie ihr Kind es tat um der blitzenden Steine willen, und schraken zusammen, als die Stimme des Imams ertönte, die Gläubigen zum Gebet rufend, die Güte und Barmherzigkeit des einzigen Gottes preisend, dessen Prophet Mohamed ist.

Kaum waren die letzten schwingenden Worte des Azan verklungen, als die hohe Gestalt des Derwisches in der niederen Tür stand. Sie hatten ihn nicht kommen hören … da stand er.

Er sagte ruhig und ernst:

Salaam aleikum.

Und ohne zu bedenken, antwortete der Kupferschmied:

Aleikum salaam.

Aber die Frau, dieses Grußes, der besagte:

Friede mit dir, Und mit dir Frieden,

nicht eingedenk, da der Mann dort stand, der einen geschädigt hatte, der ihres Lebens Freund und Gefährte war, sagte heftig, sich vor ihn stellend:

Du hast uns arm gemacht, wer du auch seiest und woher auch deine Macht stamme. Du hast uns arm gemacht und kommst und wünscht hier Frieden? Wie deucht dich das? Ist es gerecht?

Der Derwisch schlug den dunklen Schleier zurück, der von seiner hohen Filzkappe herabhing, und die Frau sah in zwei unergründlich tiefe wunderbar friedvolle Augen.

Der Derwisch fragte erstaunt:

Ich habe euch arm gemacht? Ließ ich nicht als Spur meines Eindringens in das Gewölbe im Bazar Gold zurück, reines Gold? Wie denn arm gemacht?

Langsam kam jetzt der Mann näher, verneigte sich tief vor der hohen Gestalt und sagte leise:

Du magst es nicht verstehen, Herr, und die Wandlung ist dir wohl als ein Geschenk erschienen, aber es ist dieses: Kupfer ist meine Arbeit, nur Kupfer. Ich bin kein Goldschmied, und ich kann dein Gold nicht verkaufen. Sieh, Herr, ich habe einiges davon hier, ich bitte dich, nimm es zurück. Wir sind arm, wenn wir nur Gold und kein Kupfer haben! Herr, du nahmst mir meine Arbeit ... verstehst du jetzt, Herr?

Der Derwisch stand und sah den Mann an, blickte auf die Frau, die in der Erregung vergaß sich zu verschleiern, schaute, als sähe er etwas Wunderbares.

Leise und voller Ehrfurcht sagte er:

Ich danke dir, mein Freund. Du gabst mir mehr als alle Kostbarkeiten der Welt, da du mich lehrtest, dass Gold arm machen kann. Sorge dich nicht. Wenn du morgen zur Arbeit gehst, wird alles wieder Kupfer sein. Vergib mir auch, ich bitte dich, denn ich wusste nicht, dass ich es mit Menschen zu tun habe, die mehr sind als alle, die mir noch begegneten. Und habt keinen Gram und Kummer mehr, was auch geschehe, denn alle Sorgen sind für euch Vergangenheit. Jetzt aber gehe ich zu Eurer Tochter. Lasst nur, ich kenne den Weg ... Allah ismagladih.

Und er ging die schmale Treppe hinauf. Sie standen regungslos, unfähig sich zu rühren und lauschten. Dann erklang ein leichter Aufschrei, und danach Stille, tiefe vollkommene Stille.

Die Frau wandte sich zu ihrem Mann, sagte leise:

Ein Djin? Dieser ein Djin? O du armer Tor! Gesegnet ist unser Haus.

Droben aber das Mädchen war aufgesprungen und hatte voll Schreck gerufen, als die hohe Gestalt urplötzlich in ihrem kleinen Gemach stand.

Der Derwisch hob die Hand, lächelte sehr ernst ein wenig, und ihr Schreck war gestillt. Dann sprach er. Er sprach Worte, die ihr Welt und Leben wandelten, die sie alles vergessen ließen, was vorher gewesen war. Er sagte:

Du Traum auf meiner Stirne, du Kleinod in meinem Herzen, du Durst auf meinen Lippen, komm, dass ich dich beschütze!

Die tiefe ruhige Stimme verbannte alle Angst; die wundervollen Worte ließen das Herz erbeben; die ausgebreiteten Arme, davon die weiten dunklen Ärmel wie Flügel herabhingen, waren Zuflucht. Mit einem kleinen Laut, wie ihn ein junger Vogel flatternd ausstößt, eilte das schöne Mädchen in diese ausgebreiteten Arme. Die dunklen Derwisch-Ärmel schlossen sich um sie.

Die Welt versank, das Leben hielt den Atem an, und glückselig wurde das Mädchen des Mannes Weib.