III

Die Anklage beim Kadi

Von da an war ihr alles gewandelt.

Den Tag gab es nicht mehr, galt er doch nur dem traumgleichen sehnsuchtsvollen Erwarten des Abends. Glitzernden Schmuck gab es nicht mehr, nichts als nur das Lauschen auf den Ruf zum Abend-Azan. Klangen dann die letzten Worte, tönte das langgezogene

Allah… huh… Allah… hih…

dann erwachte das Mädchen zum Leben, und dann stand der Derwisch wieder dort, obgleich ihn niemand kommen hörte.

Die dunklen Derwisch-Ärmel, diese weichen Flügel des Entschwebens zum Glück, breiteten sich aus, und die tiefe Stimme sprach die wundergleichen Worte. Wenn aber der Morgen-Azan gerufen wurde, war der Mann fort, wie ein Traum, wie ein Schatten. Und halbes Vergessen senkte sich auf des Mädchens Lider.

All dieses aber war Kismet, war unentrinnbar, so schien es den Eltern.

Was war zu tun gegen ein solches Geschehen? Man ergab sich in dass Unvermeidliche und wartete mit Geduld, was weiter geschehen würde, zumal auch für den Kupferschmied das Gewerbe blühte und die Aufträge sich häuften. Kein lästiges Gold verirrte sich mehr in seine Werkstatt, und es ging ihm so gut wie noch nie, konnte er sich doch auch immer wieder davon überzeugen, dass sein Kind blühte unter der Flut des Glücks gleich einer Blume unter der Fülle des Lichtes und dem Tau.

So war im Hause des Armen alles friedevoll und gut… nicht so in dem des Reichen, denn der Bey verging nahezu vor Eifersucht.

Seine Mutter hatte Vorsorge getragen, dass er rechtzeitig davon erfuhr, wie allabendlich ein Derwisch das Haus des Handwerkers beträte, um es erst im Morgengrauen zu verlassen, denn sie konnte ihre Freude kaum verbergen an dieser Entwicklung.

Doch war sie nicht auf den Ausbruch wilder Leidenschaft gefasst, der ihr wie ein Schimum entgegenbrauste.

Der Bey schrie wutverzerrt:

Solche Schande soll unserem Viertel widerfahren und wir sollen uns nicht dagegen wehren? Ach diese Elende! So schön zu sein und so verdorben bis ins Herz! Doch warte, du sollst es noch bereuen, du Verlorene, ich werde dich beim Kadi verklagen, und wir werden sehen, was dir geschieht … Elende, Ehrvergessene, Verworfene!,

und schluchzte die letzten Worte hervor, den Kopf in den Armen verbergend, sich wiegend vor Schmerz und Wut.

Erschreckt sah und hörte ihm die Mutter zu, ging dann leise fort, denn es war unziemlich mit anzusehen und zu hören, wie ein Mann die gebotene Fassung verlor.

Wenige Tage danach sagte das Mädchen halblaut und beschämt zu dem Derwisch:

Herr, mein Vater ließ mich wissen, dass eine Klage gegen mich läuft beim Kadi und dass ich gezwungen sein werde, morgen vor ihm zu erscheinen. Die Anschuldigungen wollte der Vater mir nicht nennen, sagte aber, sie seien schmachvoll. Bin ich nun der Schande preisgegeben, Herr?

Der Derwisch lachte leise, sagte heiter:

Du preisgegeben? Weißt du nicht, dass du beschützt bist? Warte ein wenig, lass mich nachdenken.

Sie schwieg und sah vertrauend zu ihm auf. Was auch konnte ihr geschehen, wenn er sie beschützte?

Der Derwisch nahm aus seinem Gürtel das Schreibgerät, das schmal wie eines Schwertes Scheide darin steckte; ein jeder weiß, wie solch Schreibgerät beschaffen ist, gefertigt je nach des Besitzers Stand und Mitteln aus Messing, Silber oder Gold, flach und breit, darin das Schreibrohr und das Pergament sich befinden, zusammen mit dem scharfen Messer, das Papier zu schneiden; gleich einer Krönung an einem Ende dann das Behältnis für den Tintensaft, eingesogen von Seidenfäden.

Der Derwisch schnitt einen kleinen Streifen des Papiers ab, schrieb einige Worte darauf, es haltend mit der Linken, faltete das winzige Stück zu einem Streifen zusammen, reichte ihn dem Mädchen, sagte:

Wenn du morgen zum Kadi gebracht wirst, so reiche dieses aus dem Vorhang der Sänfte heraus dem Diener am Eingang, und nichts wird dir geschehen.

Das Mädchen sah ihn erstaunt an, fragte:

Herr, wovon sprichst du? Eine Sänfte und der Vorhang an ihrem Fenster? Wie käme denn ich dazu, o Herr?

Der Derwisch lachte wieder sein leises, sein unwiderstehlich frohes Lachen, nahm die vor ihm stehende zierliche Lieblichkeit in die Arme, wiegte sie wie ein Kind hin und her.

Ich vergaß, vergib mir, du Schönste der Schönen, dir zu sagen, dass dich eine Sänfte abholen wird und dich zum Kadi tragen … bist du zufrieden? Auch eine Dienerin wird dich geleiten, du Kleinod!

Sie sah ihn beunruhigt an, fragte zweifelnd:

Wie kann das denn sein, o Herr? Du, ein Derwisch, besitzlos und arm wie wir, du willst eine Sänfte senden mit einer Dienerin? O, mir fällt ein, auch jene Ohrgehänge waren von dir. Wie kann das alles sein, Herr?

Deutliche Angst klang in der jungen Stimme, aber der Derwisch konnte nur wieder lachen und leise mahnen:

Niemals fragen, mein Kleinod, nur glauben, nie fragen! Vermagst du es dennoch nicht, wie ich hoffte, so sage es mir … kannst du nicht glauben?

Sie sah eine ganze Weile lang schweigend zu ihm auf, der sie vielfach überragte, blickte tief in seine dunklen Augen, bis ein Leuchten auf ihrem schönen Gesicht entstand und sie hauchleise sagte:

Ich kann es, Herr! Ich werde niemals mehr fragen, dir in allem glauben und tun, was du befiehlst.

Der Mann beugte sich herab, küsste sie auf die Stirn und sagte kaum vernehmbar:

Allah Kerim … und wie er barmherzig ist, so bist du wahr und rein, gleich deinem Vater, der das Gold missachtet. Wer bin ich, der diese Gnade verdiente? Allahu Akbar!

Am nächsten Morgen erschien dann, wie angekündigt, eine Dienerin, die wortlos das Mädchen in einen Mantel und langen Schleier hüllte, ebenso wortlos es hinunter geleitete, wo eine Sänfte stand; die beiden Träger sahen ehrfurchtsvoll zur Seite, wie es sich gebührt, wenn Frauen kommen, und dann setzte sich die Sänfte in Bewegung.

Kurz danach stand sie still, und das Mädchen hob, wie ihr anbefohlen worden war, ein weniges den Vorhang an der Seite ihres Fensters, sah den Türhüter herbeikommen, sich der Tür der Sänfte nähern, um sie, zu öffnen, wobei er grob und laut rief:

Komm heraus du Elende, die sich erkühnt, in einer Sänfte zu erscheinen … Schamlose, komm!

Doch die Träger standen vor der Tür, wiesen schweigend zum Fenster hin, unter dessen Vorhang eine Hand einen fein zusammengefalteten Zettel heraushielt.

Der Türhüter rief in seiner groben Art wiederum einige Schimpfworte, doch einer der Träger flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf der Gröbling verstummte, mit scheuen Fingern den Zettel in Empfang nahm und sich eilends entfernte.

Die Träger, die Dienerin, das Mädchen, sie alle warteten schweigend; es dauerte nicht lange, da kam ein kleiner fetter Mann dahergewatschelt, verneigte sich tief vor der geschlossenen Sänfte, murmelte kaum vernehmbar:

Wer du auch seiest, o Herrin, niemals gab es gegen dich eine Anklage, niemals! Lege auch für deinen armen Diener ein Wort ein, und ziehe deines Weges in Frieden, o Herrin.

Der kleine Mann trat zurück, die Dienerin sprach zum ersten Male und flüsterte:

Es war der Kadi, o Herrin.

Die Sänfte wurde gehoben und brachte das schöne Mädchen, das zum ersten Male in ihrem jungen Leben „Herrin“ genannt worden war, zurück in das ärmliche Holzhäuschen der Eltern.

Aber sie hatte geschworen zu glauben und so fragte sie nichts, als der Derwisch wieder bei ihr war, berichtete auch nichts.

Es schien, als betrachte er sie einige Male forschend, doch wurde sein Ausdruck immer befreiter und freudiger, je länger ihr Schweigen anhielt. Unmittelbar bevor er sie verließ aber sagte sie scheu:

Ich hätte eine Bitte an dich, Herr. Wann immer etwas ist, das ein wenig Mut verlangt oder den allerstärksten Glauben, willst du dann die wunderbaren Worte sagen, die ersten, die du zu mir sprachst? Höre ich sie, gibt es nichts, das mir schwer würde, was immer es auch sei.

Der Derwisch neigte sich tief zu ihr, und seine Augen glänzten wie Sterne in der Sommernacht. Leise, so leise je der Windhauch, der die Rose streift, sprach er in ihr wartendes Antlitz hinein:

Du Traum auf meiner Stirne, du Kleinod in meinem Herzen, du Durst auf meinen Lippen komm, dass ich dich beschütze … sie neigte sich sehr tief und küsste ihm die Hände.

Er verließ sie.