Der Töpfermeister von Amritsar

Einst lebte in der schönen Stadt Amritsar ein Töpfer-Meister. Jeder nannte ihn Ananda, weil er immer einen so glücklichen Ausdruck in seinen Augen hatte. Er fertigte die bestgeformten Töpferwaren im ganzen Land. Jede Vase, jeder Krug oder Teller von ihm waren von seltener Güte und Feinheit und entzückten alle, die sie sahen. Die Kunden kamen von weit her, um seine kostbaren Erzeugnisse zu kaufen. Viele wollten die Kunst der Töpferei unter seinen geübten Augen und Händen erlernen. Er hatte jedoch nur Raum für sieben Schüler.

Einmal hatte dieser Töpfer-Meister fünf weniger angenehme Schüler, deren Namen Kama1, Krodha2, Lobha3, Moha4 und Ahankar5 waren. Jeden Morgen gab Ananda seinen Schülern die Übung im Modellieren, dann wandte er sich seiner Drehscheibe und seiner Meisterarbeit zu. Bald fingen diese fünf Schüler an, ihre Arbeit zu vernachlässigen. Sie murrten, schwatzten und tratschten untätig.

Wie kann ich erfahren, ob Ananda ein wirklicher Lehr-Meister ist?

fragte Kama.

Wenn er nicht bei einem Töpfer-Meister gelernt hat, kann er auch nicht als Töpfer-Meister qualifiziert sein.

– In gewissen Gegenden habe ich ihn sogar einen Betrüger und Abtrünnigen nennen hören,

warf Krodha  ein. 

Ungeachtet der Tatsachen über Anandas Lehr-Meister,

murrte Moha,

kann ich meine Finger nicht halten, wie er mich anwies. Außerdem, was schadet es seiner Tonmasse, wenn ich Kaffee trinke oder Eier und Fleisch esse? Ich sage euch, Kollegen, er verlangt zu viel!

– Wieso,

schrie Lobha unwillig,

ich kann es nicht einsehen, ich versteh’ es nicht!

– Mir kommt er vor wie ein Ernährungsfanatiker,

sprach Ahankar,

ich möchte essen, was mir schmeckt und trotzdem schöne Töpferware fertigen.“

– Stellt euch nur Anandas Strenge vor,

rief Kama,

mit der er mir sagte, ich solle bestimmte Namen stundenlang wiederholen, um meinen Formen Anmut zu geben. Und nun, nach sechs Wochen, hat sich noch nichts ereignet; nichts ist geschehen. Ich sage euch, nichts geschieht! Töpferwaren werden fertig, ja, aber nichts Anmutiges. Immer schüttelt Ananda den Kopf, wenn er sich meine Töpfe ansieht!

Vielleicht solltest du Tänzerinnen formen … und dich dann in sie verlieben!

warf Moha ein.

Oder, sagt Ananda, dass ihr Erfolge sehen wollt oder eure Freiheit!

tobte Krodha

Während diese fünf erregten Schüler ihre kostbare Zeit und Kraft durch nutzloses Murren vergeudeten, waren zwei andere Schüler ruhig am Modellieren.

Vivek6, taub von Geburt, hatte ein scharfes Auge. Er verehrte seinen Töpfer-Meister, beobachtete Ananda ganz genau, machte die gleichen Bewegungen und erreichte bald gute Ergebnisse. Daraufhin gab Ananda Vivek höhere Weisungen.

Vairag7, stumm von Geburt, hatte flinke Hände. Die Energie, die andere in eitlem Geschwätz vergeudeten, verwandte er auf seine Formen. Er handhabte alles mit sorgfältigem Griff. Seines Meisters Worte akzeptierte er als absolutes Gesetz. Das machte Ananda wirklich glücklich, denn er wusste, dass Vairag den Geist eines Fachmannes hatte.

Ananda lobte die Arbeit dieser beiden Schüler und sie verließen als Töpfer-Meister die Töpferei in Amritsar, um eigene Werkstätten einzurichten, während die anderen fortfuhren, sich über die Lehrweise ihres Meisters zu beklagen.

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So wie die beiden weisen Schüler in dieser Geschichte müssen auch wir zum Töpfermeister werden, indem wir uns auf die Suche machen und einen Botschafter / Vertreter der Wahrheit finden, der das tatsächlich lebt, was Kirpal einst Seinen Schülern aufgetragen hat, nämlich: Ambassadors of Truth – also eben Botschafter / Vertreter der Wahrheit – zu werden.

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Erklärung der Namen: 1) Kama =sinnliche Leidenschaft; 2) Krodha =Zorn, Hass und Böswilligkeit; 3) Lobha = Habgier; 4) Moha = weltliches Verhaftetsein; 5) Ahankar = Ichsucht, Eitelkeit; 6) Vivek = Unterscheidung(svermögen), Urteilskraft. Siehe auch ‚Anurag Sagar von Kabir in der Übersetzung von Bhai Jamal – Teil II, 1. Am Anfang: ,Die Offenbarung der sechzehn Shabdas‘ sowie die dazugehörigen Veranschaulichungen: ‚Die Offenbarung der sechzehn Shabdas‘ und ‚Die Namen der sechzehn Shabdas: Vierter Shabda – Vivek‘. 7) Vairag = geistige Loslösung von der Welt.