Kapitel I

Der Mensch

Der Mensch sucht nach dem Glück, aber er findet keine Gemütsruhe. Selbst wenn er seine Ziele erreicht, bleibt er unbefriedigt. Deshalb nimmt seine Suche nach Frieden und Glück nie ein Ende. Der Heilige Augustinus sagt, Gott habe uns die Sinne gegeben, um sie recht zu gebrauchen, wir aber missbrauchen sie dadurch, dass wir uns sinnlichen Vergnügungen hingeben; wohingegen die Glückseligkeit, nach der wir streben sollten, nur in den Heiligen Schriften aufgezeigt bleibt.

Der Mensch ist ein beseeltes Wesen, mit Körper, Gemüt und Intellekt ausgestattet. Er sorgt gut für seinen Körper, damit es ihm in häuslichen, sozialen und politischen Dingen wohl ergehe. Intellektuell hat er überdurchschnittliche Fortschritte erzielt. Die Erde, die Meere, den Weltraum hat er erfolgreich erforscht; er hat auch Atombomben hergestellt. Eine einzige kann Millionen Wesen vernichten. Bei all seinen Leistungen ist es seltsam genug, dass er nichts weiß über die Hauptenergiequelle, über die Seele, sein Wahres Selbst, von welcher sein Körper und sein Gemüt ihre Kraft erhalten. Er fühlt sich so sehr als Körper, dass er nicht fähig ist, seine Seele vom Körper zu unterscheiden. Tatsächlich weiß er nicht, dass sein Wahres Selbst etwas vom Körper Getrenntes ist. Haben wir jemals über diese Antriebskraft in uns nachgedacht? Konnten wir den Bewohner dieses Körperhauses erkennen?

Die Seele ist ein Bewusstes Wesen. So wie jedes Wesen seinen grundlegenden Ursprung hat, hat die Seele letztlich eine Quelle, die Überseele, das Unermessliche Meer des Allbewusstseins. Das gesamte Universum ist Seine Offenbarung. Durch die ständige Verbindung mit den Sinnen fühlt sich die Seele eins mit dem Körper. So weiß der Mensch nicht, dass er Wahres Glück nur dann haben kann, wenn er fähig ist, sein Selbst den äußeren Hüllen zu entziehen. Die Verstrickung mit Körper und Gemüt ist so groß, dass er immer unglücklich und ruhelos bleibt. Da die Seele bewusst ist, der Körper aber materiell, ohne Bewusstsein, können die beiden nicht gut zusammen existieren.

Wir geben vor, religiös zu sein durch das Lesen Heiliger Schriften, ohne dass wir deren wirklichen Sinn erfassen, und durch Darbringung herkömmlicher Gebete an den Stätten der Gottverehrung. Alles aber, was wir erbitten, ist nur körperliche Gesundheit und weltlicher Reichtum. Wir trachten also nach materiellem Wohlergehen, nicht nach Gottverwirklichung. Die meisten von uns bringen Gott nur deshalb Gebete dar, damit sich unsere weltlichen Sehnsüchte erfüllen mögen. Wir suchen Gottes Segnungen nur darum, weil wir körperliche und intellektuelle Riesen werden möchten. So ist Gott nur ein Mittel, um Vergängliches in der Welt zu erlangen. Demnach erhalten wir immer nur das, wonach wir verlangen: die materielle Welt – nicht Gott.

Gott zu erkennen bedingt, dass wir uns zuerst selbst erkennen. Seit undenklichen Zeiten versuchten viele, Gott philosophisch zu erklären. Er aber bleibt wie immer unerklärbar. 

Gott kann weder durch den Körper, den Verstand noch durch die Sinne erkannt werden. Er kann nur durch die Seele erlebt werden. Solange wir uns nicht selbst erkennen, kann keine Rede davon sein, Gott zu erkennen. Deshalb ist der erste Schritt in diese Richtung die Selbsterkenntnis, die der Gotterkenntnis vorausgeht. Erkenne dich selbst!, war immer der Ruf der Heiligen und Weisen gewesen. Guru Nanak wurde einmal von einem Moslem-Heiligen gefragt, welches Sein Glaube sei. Er antwortete, dass Er niemals einen Anspruch darauf erhebe, ein Hindu oder Moslem im üblichen Sinne zu sein. Er erklärte, dass Sein Körper aus fünf Elementen zusammengesetzt sei und dass die Gotteskraft in Ihm pulsiere.

Hazur Baba Sawan Singh wurde einmal gefragt, zu welcher Religion Er gehöre, Er erwiderte: 

Wenn Gott ein Hindu ist, bin ich ein Hindu, ist Er ein Sikh, bin ich ein Sikh, ist Er ein Moslem, dann bin auch ich einer und wenn Er ein Christ ist, bin ich ein Christ.

Alle Religionen sind durch Menschen geschaffen worden. Gott hat niemandem den Stempel seiner Religion aufgedrückt. Um die das Universum Überwachende Kraft erfahren zu können, ist es unumgänglich und wesentlich sich selbst zu erkennen, wie Christus sagte. 

Auch Guru Nanak hat gesagt: 

Solange man sich nicht selbst analysiert, ist es nicht möglich, die Täuschung abzulegen und die Wirklichkeit zu erkennen. Wenn euer drittes Auge nicht geöffnet ist, könnt ihr Gott nicht erkennen.

Das Thema dieses Vortrages ist, wie verschiedene Heilige das Geheimnis des Lebens gelöst haben. Sicher gibt es nur Eine Wahrheit, man kann Sie aber auf verschiedene Weise darstellen. So ist unser Vorbild stets die Wahrheit. Hören wir, was Soami Ji zu diesem Thema sagt: 

Verbinde deine Seele mit Naam.

Uns wird geraten, unsere Seele mit dem Wort zu verbinden. Das besagt, dass unsere Aufmerksamkeit gegenwärtig mit anderen Dingen als dem Wort verbunden ist. Was bedeutet Aufmerksamkeit? Es ist die Bewusstheit, ein Zustand des Wachseins oder Gewahrseins. Wir können es Aufmerksamkeit nennen, Geist oder Seele. Es ist dieser Lebensstrom, Der aus unserem Selbst, unserer Seele fließt, welcher als treibende Kraft in uns wirkt. Soami Ji regt an, diesen Strom mit dem Wort zu verbinden. Wo ist nun der Ursprung dieses Stromes? Er ist am Sitz der Seele, zwischen den beiden Augenbrauen. Was geschieht in der Todesstunde? Das Leben zieht sich zurück und steigt von den Füßen an aufwärts zum Augenhintergrund. Die hinter den Augen konzentrierte Kraft ist unser Wirkliches Selbst. Nachdem diese Kraft sich zurückgezogen hat, ist der Körper ohne jede Bedeutung. Dies ist die wichtigste, jedoch meist übergangene Tatsache.

Um diese Sache weiter zu erforschen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Seele ein vom Körper getrenntes Wesen ist. 

Wir müssen lernen und üben, die Seelenströme von den unteren Zentren des Körpers zum Augenbrennpunkt zurückzuziehen. Dieser Vorgang gleicht jenem, der sich im Augenblick des Todes vollzieht. Wir müssen uns über das Körperbewusstsein erheben. Die theoretische Kenntnis dieses Vorgangs reicht nicht aus. Weit wichtiger ist die Praxis. Ein Gramm Praxis ist mehr wert als Tonnen von Theorien.

Wir müssen also unsere Seele mit dem Wort verbinden. Lasst uns nun überlegen, was das Wort, Naam besagt. Es hat zwei Bedeutungen: die eine ist die Bezeichnung von etwas; die andere ist jene grundlegende Kraft, auf die sich die Bezeichnung bezieht. 

Zum Beispiel ist Wasser an sich ein Ding, aber es hat viele Namen, wie water, aqua, H2O, usw. Ganz ähnlich ist es mit der Wahrheit; Sie ist Eine, aber die Weisen haben Sie auf viele Arten beschrieben. 

Guru Nanak sagt:

Ich möchte mich selbst allen Deinen Namen zum Opfer bringen, o Gott.

Guru Gobind Singh, der zehnte Sikh-Guru, sammelte Hunderte von Gottbezeichnungen in Seinem Werk Jaab Sahib. Diese Namen sind Ergänzungen zu allen jenen, die bereits in den verschiedenen Heiligen Schriften erwähnt werden. Trotz Hunderter von Namen bleibt Gott der Eine. 

Ähnlich ist es mit den verschiedenen Religionen, deren Ziel nur eines ist.