Die Begründung für eine keusche Lebensweise II

II

Welcher Weg führt über „Abstoßung und Anziehung“ hinaus?

Wiederum haben wir von Krishna:

Die Sinnesobjekte haben keine Macht über einen, der Enthaltsamkeit übt, nicht aber bei demjenigen, der noch die Neigung für sie hat. Selbst diese Neigung vergeht dem Menschen, wenn er in steter Weisheit nur an den Höchsten denkt.

Ferner sagt er:

Von allem, was ich benennen kann, ist Liebe wahrhaft das Höchste; Liebe und Ergebung, die einen alles sonst vergessen lassen; Liebe vereint den Liebenden mit Mir. Unaussprechliche Freude findet er durch die Liebe zu mir, dem glückseligen Selbst!

Alle irdischen Freuden vergehen, wenn er diese Liebe erkennt.

Ähnlich steht im Granth Sahib geschrieben:

O Satguru, als ich zu deinen Füßen kam, gelangten diese fünf seltsamen Fremden unter meine Kontrolle.

Er war erfreut, und ich wurde mit Seiner Gnade gesegnet, nun können sie sich nicht auflehnen oder ihre Köpfe erheben.

Weiter heißt es:

Die ganze Arbeit hat sich aufgelöst, und der Hunger des Gemüts ist gestillt. Was sonst kann ich von Dir wünschen als Dich? Alles andere ist Elend über Elend. Gewähre Naam, das allen Erfüllung gibt und den Hunger des Gemüts wegnimmt. Ich habe alles aufgegeben und bin ein wahrer Diener des Herrn.

In „Die schöpferische Intuition in Kunst und Dichtung“ legt Jaques Maritain dar, dass die schöpferischen und höheren Antriebe im Menschen nicht von einem instinktiven Drang herrühren, sondern aus einem transzendenten oder geistigen Unterbewusstsein geboren werden:

„Ich verfechte daher die Ansicht, dass alles, was wir bei dieser Streitfrage erörtern, von der Anerkennung des Bestehens eines geistigen Unbewusstseins oder vielmehr Vorher-Bewusstseins abhängt, von dem Plato und die alten Weisen wohl wussten und dessen Geringschätzung zugunsten des Freudschen Unterbewusstseins allein schon ein Zeichen des Stumpfsinns unserer Zeit ist. Es gibt zwei Arten von Unbewusstsein, zwei große Bereiche psychologischer Aktivität, die verschleiert vor dem des Bewusstseins liegen: das Vorbewusstsein des Geistes in seinen lebendigen Fasern und das Unbewusstsein von Fleisch und Blut, von den Instinkten, Neigungen, Komplexen, unterdrückten Vorstellungen und Wünschen, den traumatischen Erinnerungen, und beide bilden eine geschlossene oder selbstständige dynamische Gesamtheit. Ich möchte gerne die erste Art von Unbewusstsein als geistiges – oder Plato zuliebe – als musikalisches Unbewusstsein oder Vorbewusstsein bezeichnen und die zweite Art als automatisches oder taubes Unbewusstsein – taub gegenüber dem Intellekt und außerhalb desselben in eine eigene Welt gefügt; jede besondere Theorie beiseite lassend, können wir auch ganz allgemein von dem Freudschen Unterbewusstsein sprechen.

Diese beiden Arten unbewussten Lebens arbeiten gleichzeitig; ihre besonderen Auswirkungen auf die Bewusstseinstätigkeit vermengen oder vermischen sich im Einzelfall gewöhnlich in einem mehr oder weniger starken Ausmaß; und ich denke, dass das geistige Unbewusstsein niemals – bis auf einige wenige Fälle höchster geistiger Reinigung – ohne die andere Art des Unbewusstseins wirkt, mit dem es nur zu einem geringen Grad vermischt ist. Im wesentlichen sind sie getrennt und ihrer Natur nach vollständig verschieden.“

Einer zieht gen Himmel und zur Erde der andere, einer lebt in der Seele, einer in den Sinnen, seinen Bogen auf alles gerichtet, was gering und niederträchtig ist.

Aus der Feder des großen deutschen Dichters Johann Wolfgang von Goethe stammt sehr ähnlich geschrieben:

Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.

In einem späteren Werk schreibt Goethe über das Aufgeben der niederen Natur, um zu der höchsten zu gelangen:

Im Grenzenlosen sich zu finden, wird gern der einzelne verschwinden, da löst sich aller Überdruss; statt heißem Wünschen, wildem Wollen, statt läst’gem Fordern, strengem Sollen sich aufzugeben ist Genuss.