Die Begründung für eine keusche Lebensweise II

IV

So mache sich denn auf und folge ihr ins Innere, wer’s vermag, und lasse das mit Augen Gesehene draußen und drehe sich nicht um nach der Pracht der Leiber wie einst. Denn wenn man Schönheit an Leibern erblickt, so darf man ja nicht sich ihr nähern, man muss erkennen, dass sie nur Abbild, Abdruck, Schatten ist, und fliehen zu jenem, von dem sie das Abbild ist [...].

„ So lasst uns fliehen in die geliebte Heimat“

– so könnte man mit mehr Recht mahnen:

[...] So meißle auch du fort, was unnütz, und richte, was krumm ist, das Dunkle säubere und mach es hell, und lass nicht ab, an deinem Bild zu handwerken, bis dir hervorstrahlt der göttliche Glanz der Tugend, bis du die Zucht erblickest, thronend auf ihrem heilig-reinen Postament. Bist du das geworden und hast es erschaut, bist du rein und nichts hemmt dich auf diesem Wege, eins zu werden, und keine fremde Beimischung hast du mehr in deinem Innern, sondern bist ganz und gar reines, wahres Licht. Man muss nämlich das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich machen, wenn man sich auf die Schau richtet; kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft; so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist. Es werde also einer zuerst ganz gottähnlich und ganz schön, wer Gott und das Schöne schauen will.

Plotin