Die Wahre Wirklichkeit

II

Lasst uns einen Augenblick über die Art und Weise, in der wir auf die Welt kommen, nachdenken. Können wir sagen, wie dieser Körper ins Dasein kam? Alles, was geboren wird, entwickelt sich entsprechend Seiner Gattung. Was ist es, das den Samen im Körper Substanz, Form und Gestalt verleiht? Es gibt eine Kraft, Die das vermag. Wir müssen diese Kraft erkennen und mit Ihr in Verbindung kommen. Dies können wir nur in der menschlichen Gestalt. Darum ergeht Ihr Aufruf, der Aufruf der Erleuchteten, an Ihre eigenen körperlichen Sinne:

O meine Augen, Gott hat das Licht des Lebens hinter euch gelegt; nun ist es eure Pflicht, nichts anderes als dieses Gotteslicht zu sehen. O meine Ohren, Gott hat hinter euch der Himmlischen Harmonie (Satbani) Raum gegeben; darum ist es für euch unerlässlich, dass ihr Einzig die Stimme Gottes hört.

Die Alten sprechen von Sat Bani als der Musik der Sphären. Diese Musik erklingt ewig. Gottes Stimme hallt in allen Zeitaltern wider und kündet von den Wahren Einen. Obwohl die Sphärenmusik immer ertönt, sind wir uns ihrer nicht bewusst. Wie eine bewusste Verbindung mit ihr erhalten, ist die nächste Frage.

Die Schriften sagen uns:

Das Wort des Meister wohnt der gesamten Schöpfung inne, es geht von Gott aus, und Gott selbst offenbart Es (in der Gestalt des Gottmenschen), wo immer Er will.

Wiederum heißt es:

Wer auch immer mit Ihm Verbindung erhält, gelangt sicher hinüber und erwirbt das Ewige Leben.

Nach dem Aufruf, welchen die Erleuchteten Menschen an Sich Selbst richten, heißt es weiter:

O mein Gaumen, du hast endlos die Freuden der Zunge genossen und warst doch nie gesättigt.

Die köstlichste und erlesenste Sache der Welt ist die Götterspeise von Naam oder dem Heiligen Wort. Die Heiligen sagen uns, dass wir Gefallen daran finden sollten, dieses Elixier des Lebens zu nehmen, anstatt fortwährend den Sinnesfreuden nachzujagen. Wir sind überflutet mit Eindrücken aller Art, die wir vom Erdenleben aufgenommen haben, und führen deshalb nur ein oberflächliches Leben an der Außenseite unseres Seins, weit entfernt von seinem Innersten. Selbst im Traumland werden wir von weltlichen Dingen verfolgt. Warum ist das so? Einfach darum, weil wir nie Gelegenheit hatten, innen anzuklopfen; und wir haben nie gewusst, was wir sind und wer wir sind. Wir lieben die Welt aufgrund unserer Liebe für den Körper und die körperlichen Bedürfnisse. Wir haben nie erkannt, dass die Schönheit des Körpers der Seele in ihm zu verdanken ist, In dem Augenblick, wo die Lebensströme zurückgezogen werden, wird der Körper ein Häufchen Staub und verliert seinen ganzen Reiz.

Solange die Seele im Körper wohnt, bleibt er in gutem Zustand. In dem Moment, wo die Seele den Körper verlässt, wird weltlicher Besitz wertlos.

So sehen wir, dass die Welt und weltliche Reichtümer ihren Zauber nur dann behalten, wenn wir im Körper leben. Die Erleuchteten Seelen suchen uns auf so vielerlei Weise die ewigen Wahrheiten nahe zu bringen. Sie kommen weder, um irgendeine gesellschaftliche Ordnung oder religiöse Gemeinschaft zu gründen, noch um eine solche aufzulösen. Sie sind lediglich bemüht, uns das Leben in seiner rechten Perspektive zu zeigen. Sie heißen uns, in sozialer und religiöser Hinsicht zu bleiben, wo wir sind, doch nicht ständig auf der Sinnesebene zu verweilen. Die Sinne lenken in die falsche Richtung, und wir werden im Allgemeinen zu Sklaven der Sinne. Erleuchtete Seelen lassen uns die wirklichen Werte des Lebens wissen und wollen, dass wir den ganzen Vorteil aus der menschlichen Geburt ziehen, die einen Platz auf der obersten Sprosse der Leiter einnimmt. Trotz all unseres großartigen Fortschritts in Wissenschaft und Technik sind wir weit vom Glück entfernt.

Ein Moslem-Heiliger sagt in diesem Zusammenhang:

Es gibt nur ein Ziel und einen Zweck aller Bildung, und das ist, sich selbst zu erkennen. Du berechnest aller Dinge Wert und Preis, aber welch ein Jammer, du kennst nicht deine eigene Bedeutung, deinen eigenen Wert!

Wir sind sehr klug, wissen eine Menge über unser physisches Sein und wie wir uns gesund und munter halten. Im Bereich des Verstandes haben wir ebenfalls gewaltige Fortschritte gemacht. Wir sind eifrig dabei, die interplanetarischen Systeme zu erforschen. Doch das Wissen von der Wirklichkeit ist eine ganz andere Sache; wir waren nie bestrebt, sie eingehend zu untersuchen, noch kennen wir die Mittel dazu. Die Schriften können uns in dieser Angelegenheit nicht helfen. Aber ein Erwachter Mensch kann uns, selbst wenn Er nicht gelehrt ist, Einblick in sie verschaffen. Und wenn die Erwachte Seele Wissen besitzt, dient es Ihr als eine weitere Zierde, denn Sie kann uns die Wahrheit auf so vielerlei Art und Weise darlegen, wie es ein spiritueller Akademiker tun würde.

Bulleh Shah, ein Gottsucher, ging zu Shah Inayat, einem persischen Heiligen bäuerlichen Standes, und fragte Ihn, wie man Gott finden könne. Shah Inayat war gerade damit beschäftigt, Pflanzen umzusetzen.

Der Heilige antwortete:

Mein Freund, du brauchst lediglich die Richtung deiner Aufmerksamkeit von der einen Seite auf die andere zu verlegen –

von der Welt zu Gott.

Wenn wir wirklich Gott suchen, müssen wir es so halten. Gott ist die Substanz der Welt. Die Wissenschaft von der Seele und von Gott ist nicht so schwierig, wie wir denken oder wie sie unsere Priester gemacht haben. In jedem Bereich erfahrbaren Wissens müssen wir nach bestimmten Hypothesen arbeiten, doch bei der Gotterkenntnis haben wir mit der Selbstanalyse zu beginnen. Wir müssen den stofflichen Körper von der nichtstofflichen Seele unterscheiden, und dies geschieht, wenn man die Seelenströme am Augenbrennpunkt konzentriert. Es ist sowohl einfach als auch natürlich, uralt und ebenso der heutigen Zeit angepasst. In dieser wissenschaftlichen Epoche wird es wissenschaftlich dargelegt. Die Heiligen gehen mit der Zeit und müssen sich in der geläufigen Sprache verständlich machen. Wir leben bereits zugleich in den physischen, astralen und kausalen Welten. Aber bedauerlicherweise sind wir uns allein unserer physischen Existenz bewusst. Doch wir haben die Möglichkeit in uns, ebenso gut in die astralen und kausalen Welten und darüber hinaus zu gelangen, wenn wir es wollen.

Wir möchten in diesem Leben das Rätsel des Universums lösen, gehen aber den falschen Weg. Die Entwickelten Seelen kommen immer wieder, um unser wahnwitziges Trachten in der Welt in die umgekehrte Richtung zu lenken. Doch wir schenken ihnen kaum Beachtung, und noch viel weniger suchen wir Sie zu verstehen.

Der gesegnete Lord Krishna sagte zu seinem Kriegerschüler und Freund Arjuna, nachdem er ihn belehrt hatte:

Hast du gehört, was ich gesagt habe? Ist meine Rede tief in dein Herz gedrungen? Wie weit bist du der Täuschung der Welt entronnen? Sieh selbst, wo du nun stehst.

Im gegenwärtigen Zeitalter (Kali Yuga) gibt es keinen Mangel an Weisen und Sehern.

Wir haben den Psalm von Guru Nanak vor uns:

In diesem Gaukelspiel der Welt ist allein der glücklich, der das Elixier von Naam trinkt; und die Übrigen, die sich in den Fesseln der Wünsche befinden, begehen üble Taten und tragen eine schwere Last mit sich.

Diese Welt, sagt Guru Nanak, ist ein Kunststück des großen Zauberers. Alles ist eine magische Schau ohne jede Wirklichkeit. Wir leben in einer großen Täuschung, wo die Dinge nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Dieses Blendwerk beginnt bei unserem Körper. Wir betrachten ihn als ein und alles der menschlichen Existenz. Wir denken nie für einen Augenblick daran, dass es eine Antriebskraft hinter uns gibt. Wenn Sich diese Kraft einmal vom Körper zurückzieht, hört das ganze Spiel auf. Wir alle fallen auf dieses hohle Schauspiel herein.

Kabir sagt uns:

Wenn ein Gaukler seine Kunststücke zeigt, kommen die Leute, die Darbietung anzusehen.

Wir laufen alle samt und sonders hinter diesem Spiel der Welt her. Wir treiben mit dem Strom der Zeit, einige lachend, andere weinend. Wenn ein Kind geboren wird, sind die Menschen glücklich und feiern fröhlich seine Ankunft; sie wissen nicht, dass eine Seele gefangen und in Ketten gelegt wurde.

Wiederum sagt Kabir:

Eine an den Körper gebundene Seele kann niemals glücklich sein.

Wenn man lernt, das Körperbewusstsein zu übersteigen, beginnt man zu erkennen, was Befreiung ist. Hier könnte die Frage aufkommen, warum Gott zum Possentreiber wurde? Doch diese Frage sollte man besser an Einen richten, Der den Streich gespielt hat. Er wollte es, und so kam es. Er wollte, dass aus dem Einen vieles würde.

Nanak erklärt:

Aus dem Einen flossen Myriaden Ströme und brachten die ganze Schöpfung in ihren vielen Formen und Farben hervor.

Wir fragen, warum sich die Schöpfung auf der Sinnesebene befindet. Nur wenn wir fähig werden, uns mit dem Willen des Schöpfers eng zu verbinden, können wir wissen, warum Er es so wollte. Es mag auch hinzugefügt werden, dass alle derartigen Fragen ein Ende haben, wenn diese Stufe erreicht ist. Auf der Verstandesebene können wir nicht sagen, ob die Saat oder der Baum zuerst da war. Der Verstand reicht nicht aus, die Frage zu beantworten. Wenn man das Geheimnis hinter der Schöpfung unbedingt erkennen will, muss man sich über Körper, Gemüt und Verstand erheben.