Die Wahre Wirklichkeit

VII

Man mag einen palastartigen Bau errichten, aber was ist das? – Ein Haus auf Sand gebaut. Was immer ihr für eure Bequemlichkeit zusammentragt und in Blindheit als das eure betrachtet, ist alles Täuschung.

Wir leben in einem Zustand ununterbrochenen Wechsels. In diesem sich verändernden Panorama des Lebens ändern auch wir uns jeden Augenblick. Darum können wir die wandelbare Natur des physischen Ichs und der Welt um uns herum nicht richtig einschätzen. Wir denken, dass wir beständig in dieser Welt zu leben haben. So bauen wir große und hohe Häuser mit tiefen Fundamenten, damit sie lange erhalten bleiben. Sie mögen uns überdauern, aber sie können nicht ewig bestehen. Wie in einer großen Herberge mögen unsere Söhne und Enkel gleich uns eine Weile darin wohnen, bis sie ebenfalls dahinscheiden. Selbst diese massiven, stattlichen Häuser sind nicht von Dauer. Im Laufe der Zeit verfallen sie zu Schutt. Sehen wir nicht ringsum viele Ruinen als Überreste vergangener Pracht? Eine wirklich Erwachte Seele kümmern weder Hütten noch Paläste, die Ihr lediglich Unterkünfte für die Nacht sind – die einen mögen für die Reichen, die anderen für die Armen sein.

Es ist richtig gesagt worden, dass leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt. Weshalb? Weil der Pfad zu Gott für die geistlich Armen ist, nicht für jene mit aufgeblasenem Ego. Ein Reicher ist andererseits zu sehr in die Welt verstrickt. Und darüberhinaus hat er eine schwere Bürde von Karmas zu tragen.

Ein Tier, das mit einer drückenden Last auf dem Rücken im Morast steckengeblieben ist, kann nicht ohne Mühe herausgezogen werden. Was macht man in einem solchen Fall? Zuerst muss man seine Last erleichtern und es dann aus dem Sumpf herausziehen. Genau das ist es, was ein Guru tut. In Seiner Gnade und Barmherzigkeit hebt Er die Seelenströme für einen Augenblick vom Körper, dem zu entfliehen ihnen nicht möglich ist, empor und öffnet den Weg nach oben, um einen kleinen Beweis der Gotteskraft in uns zu geben.

Darin liegt die Größe eines Vollendeten Meisters:

Was nutzt es, Zuflucht bei einem Jagat-Guru (Weltlehrer) zu suchen, wenn Er nicht unsere Karmas abwickeln kann? In der Gegenwart eines Löwen können die Schakale nicht nahe kommen und ihr Geheul beginnen.

Ein Heiliger, Der Selbst alle karmischen Bereiche überschritten hat, weiß, wie unsere Karmas abzuwickeln sind. Besonders bei der Initiation ist Er es, Der uns durch Seine Kraft hochzieht und einen Blick ins Innere gewährt. Diese Erfahrung kann nicht durch die so genannten Lehrer der Welt gegeben werden, wie gebildet sie auch sein mögen. Aber ein Guru vermag es auch ohne Bildung, wenn Er ein Guru im wahren Sinne des Wortes, ein Fackelträger, ist. Es kommt darauf an, eine wirkliche innere Erfahrung zu geben.

Durch die Gnade des Gurus beginnt man sich selbst zu verstehen.

Und dies erreicht man, wenn man sich über den Körper und die körperlichen Sinne erhebt. Es gibt einen Weg, der über den Körper hinausführt. Somit seid ihr der, welcher sich des Körpers bedient, und nicht sein Sklave. Hinter euch ist ein gewaltiges Kraftreservoir, das Gott genannt wird. Wir müssen Gott erkennen, Gott verstehen und Gott erfahren. Dies ist der Sinn und Zweck unserer Geburt – den Willen und die Wege Gottes zu erkennen.

Wir alle sind damit beschäftigt, Reichtum anzuhäufen, und sind stolz darauf. Doch wenn wir aus der Welt scheiden, bleiben unsere ganzen Habseligkeiten zurück. Was nehmen wir mit uns, wenn wir gehen? Nicht den Reichtum, nicht die unrechtmäßig erworbenen Einkünfte, sondern die traurige Erinnerung an die üblen Wege und unmenschliche Handlungsweise, mit denen wir unsere Schätze angesammelt haben. Die Gier nach Besitz ist das größte Übel. Ein Blinder betrachtet sein Hab und Gut als sein Eigentum. Ein erwachter Mensch tut das nicht. Wir leben, es ist traurig genug, im Bereich von mein und dein:

Man mag goldene Paläste bauen und inmitten von Gold leben, doch am Ende geht nichts davon mit, die prachtvollen Paläste und das glitzernde Gold, alles wird zurückgelassen.

Es bedeutet nicht, dass wir keinen Reichtum erwerben und keinen Besitz haben sollten. Daran ist nichts Unrechtes. Alles, dessen es bedarf, ist, diese Dinge auf ehrliche Art und Weise zu erwerben. Außerdem sollten wir Gott dankbar sein, der uns dazu verholfen hat. Sie sollten besser als Seine Gaben betrachtet und als solche verwendet werden, frei von aller Selbstsucht:

Wir müssen im Gemach unseres Herzens an Gott denken; an Gott, durch Dessen Gnade wir im Tempel unseres Körpers glücklich leben.

Erlaubt mir zu sagen, dass die Priesterschaft selbst bei ihren religiösen Amtshandlungen bestimmte Interessen hat. Sie macht ein Geschäft daraus. Sie bringt für andere und im Namen anderer Gebete dar, um davon ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für einen kleinen Betrag verkaufen sie Ablässe. Sie haben einen leichten Weg des Geldverdienens gefunden. Dies alles ist eine Art Beruf, so wie jeder andere Beruf. Aber Spiritualität ist etwas ganz anderes und ein Erbgut der Heiligen.

Guru Nanak vermittelt nun, indem er sich an Sein Gemüt wendet, eine unumstößliche Wahrheit von außerordentlicher Bedeutung:

Höre, du Tor eines unwissenden Gemüts, was du bekommst, ist von oben bestimmt.

Der Aufruf geht jetzt direkt an das Gemüt. Es ist der Hauptfaktor im Drama des Lebens. Jede Tat hat eine Rückwirkung. Der unsichtbare Finger Gottes bewegt sich in Übereinstimmung mit unseren Handlungen. Was wir säen, das müssen wir ernten. Können wir diesem Netzwerk entkommen? Ja, wir können es. Wenn wir ein allsehendes Auge entwickeln, werden wir der Seher und hören auf, der Handelnde zu sein. Im Heiligen Licht Gottes bleibt nichts, das uns verblenden könnte.

Darum diese Mahnung an das Gemüt:

O Gemüt, du lebst im Licht Gottes, wieso erkennst du deinen Ursprung nicht?

Dies ist ein qualvoller Schrei des Herzens. Weshalb? Weil wir die ganze Zeit mit der Welt und den weltlichen Dingen beschäftigt sind. Wir halten nie auch nur für einen Augenblick inne, um an unser eigenes Selbst zu denken. Wir können unsere Seele unmöglich retten, ohne ein Bewusster Mitarbeiter des Göttlichen Plans zu werden. Dies ist das höchste Gut des Lebens, und die Meister haben großes Gewicht darauf gelegt.

Nanak beschließt nun Sein Lied mit folgenden Worten:

Gott, unser Herr, ist das Höchste Wesen, und wir müssen mit Ihm Verbindung aufnehmen. Unser Gemüt und der Körper sind beide von Ihm; wir leben, sterben und werden Seinetwegen wiedergeboren.

Die größte Wahrheit in Gottes Universum ist Gott. Die höchste Notwendigkeit für das Menschengeschlecht ist, Gott zu erkennen. Und die erhabenste Absicht Gottes ist, Sich dem Menschen zu offenbaren. Wiederum offenbart Sich Gott durch einen Gottmenschen.

Der Gottmensch lädt uns mit lautem Ruf in Seines Vaters Haus:

Ich tue nichts von mir selber. Ich rufe sie nach dem Willen meines Vaters.

Guru Arjan sagt ebenfalls:

Der dich in die Welt sandte, ruft dich zurück; komme erleichtert und freudig mit mir.

So sind wir in die Welt geschickt worden, unser Wahres Selbst zu finden und dann das Selbst des Selbst. Dies ist der alleinige Zweck des Göttlichen Plans. Es ist in der Tat ein Geschäft, das Geschäft mit Naam oder dem Heiligen Wort. Wie kann dies zustande kommen? Durch Satsang und die Suche nach Sat (der Wahrheit). Für Satsang müssen wir den Sat Purush finden, das heißt Einen, Der die Personifizierte Wahrheit ist. Nachdem ein Gottmensch gefunden wurde, haben wir liebevollen Glauben an Ihn zu entwickeln und gewissenhaft zu befolgen, was Er sagt. Er verlangt von uns ein sauberes Leben der Reinheit und Keuschheit. Dann gibt Er Unterweisung und Führung und befähigt uns, eine praktische Erfahrung von Gott in uns zu erlangen. Die Wahrheit steht über allem, aber noch höher die wahre Lebensweise. Wir müssen unser Leben nach dem Vorbild des Gottmenschen gestalten.

Ohne dies kann nichts erreicht werden. Es heißt darum:

Wer wirklich für die Wahrheit lebt, ist mein wahrer Schüler; ein solcher ist mein Herrgott, und auf einen solchen Schüler bin ich stolz.

Wir müssen dem Fleisch um des Geistes willen entsagen. Wir müssen die Welt zugunsten des Wortes aufgeben. Doch was sehen wir? Weinend kommen wir und wehklagend gehen wir. Sind wir nicht Kinder Gottes? Wogt nicht von Kopf bis Fuß die Gotteskraft in uns? Leben und sterben wir nicht nach Seinem Willen? Sein Wille ist fürwahr in die Form unseres Seins eingewirkt. Dann ist es umso nötiger, dass wir in Seinem Lebenslicht zu leben lernen. Bloßes Hören reicht nicht aus. Handelt danach, und übt es jeden Tag. Lasst uns Gott in unserem täglichen Leben praktizieren und für immer frei und glücklich sein.