Das Leben von Guru Amar Das 

I

Gott steckte die Seele in die Höhle des Körpers, dem Er mit Seinem Atem Leben gab, wie einem Musikinstrument. Er öffnete die neun Tore des Körpers, doch das zehnte verschloss und verbarg Er. Wenn man durch den Guru Glauben erlangt, dann wird das Geheimnis des zehnten Tores enthüllt. Zahlreich sind die Formen Gottes; und aller Reichtum entspringt Seinem Namen und wir vermögen Seine Grenzen niemals zu finden. Nanak sagt: Als der Geliebte Herr die Seele in die Höhle des Körpers verwies, blies Er ihm mit Seinem Atem Leben ein wie ein Musikinstrument.

Rag Ramkali M3

Amar Das wurde im heutigen Distrikt von Amritsar geboren und verdiente seinen Lebensunterhalt als Bauer und Händler. Er verehrte Gott als hingebungsvoller Vaishnavit – Ergebener von Vishnu; und seine Innere Suche war sehr lang und schwierig. Er pilgerte jedes Jahr zum Ganges, um in dessen heiligen Wassern zu baden; und Er fastete auch oft und regelmäßig. Trotz all seiner Sehnsucht konnte er sich jedoch nicht über die äußeren Übungen erheben. Er erntete zwar die Früchte seiner guten Taten; doch sein Herz war von Kummer erfüllt: denn seine Handlungen waren nicht von Ichheit frei, und dadurch blieb ihm die Vision Gottes verwehrt, nach der es ihn so sehr verlangte.

Ohne unermesslich gutes Geschick vermag man Naam nicht zu erlangen. Ich war es so leid, die äußeren Übungen zu verrichten.1

Guru Amar Das

Später einmal verglich er alle Handlungen auf der Sinnesebene mit der Arbeit eines Mannes, der sich von früh bis spät abmüht, doch keinen Lohn erhält und müde und unglücklich heimkehrt; doch nun plagt er sich selbst noch auf dieser Ebene – unfähig, das rastlos wandernde Gemüt zu beruhigen und sich mit dem Herrn im Innern zu verbinden.

Auch als die Jahre verstrichen, fand seine rastlose Suche nach Wahrheit kein Ende; der Schmerz des Verlangens steigerte sich vielmehr und ließ ihn oft keinen Schlaf finden. Er schien in einem unerträglichen Zustand zu leben; doch wenn ihn Menschen aufsuchten und ihm rieten, seine Suche doch aufzugeben, antwortete er:

Bitte sagt so etwas nicht, denn selbst in diesem Schmerz liegt eine Süße.

Die Kobra der Trennung schlich sich in mein Gemüt und kein Mantra vermag sie zu bezwingen. Ohne den Anblick des Herrn ist mir kein Schlaf vergönnt; ohne Naam ist alles nur Elend.2

Guru Amar Das

Aus der Tiefe seines Herzens heraus wusste er, dass das menschliche Leben ohne den Anblick des Herrn sinnlos verstrich; doch dieses höchste Geschick konnte sich nur durch die Gnade eines Kompetenten Gurus erfüllen – Der Selbst Gott erkannt hatte.

Der Schrei eines Herzens verhallte nicht ungehört. Gott hört die Gebete jener, die Ihn suchen – doch Seine Wege sind seltsam und wunderbar und der Mensch vermag sie nicht zu begreifen. Und so offenbarte sich Amar Das, der mehr als siebzig Jahre seines Lebens in hingebungsvollem Gebet verbracht hatte, die Göttliche Gnade erst, als er durch die lange, lange Suche fast völlig erschöpft war.

Als er eines Tages von einem Bad im Ganges zurückkehrte, traf er einen jungen Asketen. Durch ihr frommes Wesen fühlten sie sich zueinander hingezogen und freundeten sich sogleich an. Sie gingen zu Amar Das’ Hütte, wo sie gemeinsam aßen und über den Weg zu Gott sprachen. Sie unterhielten sich voll Liebe und Begeisterung, bis der Asket schließlich Amar Das fragte, welcher Guru ihm solche Weisheit und Frömmigkeit übertragen habe.

Er gab zur Antwort: 

Ich habe keinen Guru.

Der Asket war entsetzt. Er verfluchte sich, weil er Nahrung aus der Hand eines Nichtinitiierten zu sich genommen hatte. Er glaubte, dass er durch dieses Unglück alle Segnungen verloren habe, die er durch die Bäder im heiligen Ganges erlangt hatte; und so entfernte er sich unverzüglich aus der Gegenwart des alten Mannes.

Der Schmerz, der Amar Das nun bis in die Wurzeln seines Seins durchdrang, war einer tiefen alten Wunde gleich, die auf einmal wieder aufbrach. In dieser Nacht fand er keinen Schlaf – das Feuer des Gebets in seinem Herzen wurde so stark, dass es ihm nicht länger erlaubte, für seinen Körper zu sorgen. Er war alt und hatte wohl nicht mehr lange zu leben und so konnte er nun keine Ruhe mehr finden, bis er eine gültige Antwort auf den Ruf seiner Seele gefunden hatte.

O Wolken, wenn ihr regnet, dann in Strömen; doch warum sollte es regnen, wo die Regenzeit längst vorbei ist?

Guru Amar Das

Diese Nacht mag ihm wie tausend Jahre der Trennung erschienen sein, doch sie endete nicht ohne glückliche Vorankündigung eines äußerst guten Schicksals. Vor Anbruch der Dämmerung hörte er ein Lied, dessen Frieden die Stille der Natur durchdrang: Es war Guru Nanaks Jap Ji – das Morgengebet der Sikhs, das als ein Lied, als Bhajan, gesungen wird –, das von der Größe Gottes und der Seiner erwählten Diener kündete und von Guru Angads Tochter gesungen wurde, die in Amar Das’ eigene Familie eingeheiratet hatte. Durch sie fand nun Amar Das den Lebenden Meister.

Der Wahre Eine hört den Ruf eines jedes Herzens; und aus der Fülle Seiner Gnade schickt Er uns Trost. Er gebietet den Wolken, und es regnet in Fülle herab.

Guru Amar Das

Bei seiner Suche nach Gott und einem Vollendeten Heiligen hatte er unermüdlich nahezu alle Wege erkundet, die zu Ihm führen sollten. Als er dann zu den Füßen des Lebenden Meisters kam, widmete er sich seinem Dienst mit der gleichen Begeisterung. Den Tag verbrachte er mit körperlichem Dienst im Werk des Meisters, und die Nacht war gänzlich für die Meditation bestimmt. Um dabei den Schlaf abzuwehren, band er sein Haar an einen Pflock in der Wand. Durch die Gnade des Gurus wurden ihm die Inneren Schätze der Gottheit offenbart und sein Gemüt von unendlichem Frieden erfüllt, den ihm die immerwährende Musik von Naam verlieh.

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Erläuterung:  1) Zitiert von Kirpal Singh in 'It is a Noble Search', engl. Sat Sandesh, Jan. 1971, Seite 13. 2) Englisches Sat Sandesh, Januar 1971, Seite 13.