Das Leben von Guru Amar Das

II

Als Guru Angad Amar Das gebot, nach dem einige Meilen entfernten Goindwal zu ziehen, legte Er die lange Entfernung täglich zu Fuß zurück, um dem Meister frisches Wasser vom Beas-Fluss zu bringen und Seinen Darshan zu erlangen. Jeder Schritt Seiner täglichen Wanderung war Ihm wie ein Gebet in der liebevollen Erinnerung an den Geliebten Satguru.

Wir sind nur bescheidene Wandermönche und Bettler und Du der Beschützer unserer Ehre. Sei gnädig und gib uns die Almosen Deines Naam, auf dass wir auf immer trunken in Deiner Liebe verbleiben.1

Dhanasari M3

In einer stürmischen Nacht, als Amar Das bei Seinem Meister war, ergab sich eine Lage, durch die die Welt etwas von der großen Liebe eines Ergebenen zu erkennen vermochte. Draußen wehte ein kalter Wind und es regnete in Strömen und war so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Und es war schon spät geworden in dieser Nacht, als der Guru nach Wasser verlangte.

Er rief einmal und dann nochmals, jemand möge Ihm Wasser bringen, doch Er erhielt keine Antwort. Er weckte Seine beiden Söhne und ließ sie Seinen Wunsch wissen. Als sie sich weigerten, zu gehen, bat Amar Das demütig um Erlaubnis, diesen Dienst zu verrichten. In Ergebenheit gehüllt, missachtete er sein Alter und den Regen und suchte seinen Weg durch die dunklen Wälder, bis er den Fluss erreichte. Dort füllte er Seinen Krug mit Wasser. 

Auf dem Rückweg stürzte er in die Grube eines Webers und schlug mit dem Fuß auf einen Pflock. Doch er achtete nicht auf den Schmerz und sorgte Sich nur, ja kein Wasser zu verschütten. 

Durch den Lärm erwachte die Familie des Webers voll Angst vor einem vermeintlichen Dieb. Sie beruhigten sich erst, als eine Frau Amar Das erkannte: 

Es ist nur der arme Waise Amru, der sich wie ein Verrückter benimmt. Er schläft nicht, wenn alle anderen ruhn und sucht stets die Arbeit von zwanzig Männern zu tun; Er holt Wasser vom Fluss und Holz aus den Wäldern – alles nur, um seinen Meister zu erfreuen – aber was ist das schon für ein Guru, dem er da dient!

Er hatte gelernt, schweigsam und ohne jeden üblen Gedanken Geschwätz und Verleumdung zu ertragen, doch den Guru zu beschimpfen, das kam ihm Verrücktheit gleich. Und als er diesen Gedanken zum Ausdruck brachte, verfiel die Frau wirklich dem Wahnsinn – nur um durch die Gnade des Gurus ihre Gesundheit wiederzugewinnen. Amar Das ging nun den Weg nach Khadur vollends zurück und legte den Krug mit Wasser mit liebeerfüllten Augen vor seinen Meister nieder.

O meine Mutter! Ich bin von Freude erfüllt, denn ich habe den Satguru gefunden. Ganz ohne eigene Mühen kam Er so leicht zu mir; und mein Herz ist vom Leid der Freude erfüllt. Als Gott Barmherzigkeit zeigte, wurde mir dieses Glück durch den Guru zuteil.

Rag Ramkali M3, Anand I u. II

Wie sich der Gurumukh über den Meister freute, so fand der Meister gleicherweise an Seinem Schüler Gefallen. Nur wer die Kompetenz des Meisters erkennt, vermag die Früchte völligen Glaubens und ungeteilter Selbsthingabe zu ernten. Als Amar Das diese Kompetenz in Angad erkannt hatte, kümmerte er sich nicht mehr um die Meinung der Welt und das schwankende Gemüt und stürzte sich kopfüber in des Meisters unendliches Meer der Liebe. 

Durch diese völlige Selbsthingabe wurde er wiederum bis zum Überfluss mit dem Wesen des Einen erfüllt, Dem er sich ergeben hatte: 

Amar Das hat einen großen Dienst vollbracht und seine Mühen wurden von Erfolg gekrönt. Was er sagt, wird sich als wahr erweisen, und die Kräfte der Natur stehen ihm nun auf seinen Wink zu Gebote. Amar Das’ tiefster Wunsch wird sich erfüllen.

Und dann wandte Er Sich zu Amar Das und sagte: 

Du bist nicht heimatlos, nein, du wirst stattdessen vielen Menschen eine Heimat geben. Du sollst die Stärke der Schwachen sein; der Beschützer der Schutzlosen; der Erlöser der Verlorenen und der Befreier der Seele.

Mit diesen Worten hatte Guru Angad den Menschen auf feierliche Weise zu verstehen gegeben, dass Guru Amar Das zum dritten Guru bestimmt war.

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Erläuterung: 1) Siehe ‚Das Gebet – Sein Wesen und seine Methode‘ von Kirpal Singh, Seite 92.