Das Leben von Guru Angad

I

Angad wurde in Ferozepur im Distrikt Punjab als Sohn eines armen Händlers geboren. Seine Eltern gaben ihm den Namen Lehna, der bedeutet: ein Guthaben, das einer hat, doch durch die Gnade von Guru Nanak wurde er „Angad“ oder „ein Glied von Ihm Selbst“.

Aufgrund von Lehnas ergebenem Dienen ernannte Ihn Nanak zu Seinem Nachfolger. Dasselbe Licht offenbart sich in Ihm. Seine Lebensweise ist dieselbe. Der Körper allein hat sich gewandelt. Durch Ihn waltet Nanak selbst als Guru.

Ramkali Var, Satta Balwand

Lehna war viele Jahre der Göttin Durga (ein Aspekt der göttlichen Mutter) ergeben. In seinem eifrigen Verlangen nach Innerer Erkenntnis wachte er nächtelang im inständigen Gebet zu ihr. Wahre Gebete können nicht lange unerhört bleiben, und eines Nachts vernahm er die hingebungsvolle Weise aus dem Mund von Bhai Jodha – einem Schüler von Guru Nanak. Göttliche Seligkeit ergriff sein ganzes Wesen, und bei Tagesanbruch fand er seinen Weg zu diesem inspirierten Ergebenen. Bhai Jodha ließ ihn wissen, dass es die Hymnen des großen Lebenden Meisters Guru Nanak waren. Als er die Worte „Guru Nanak“ hörte, bewegte das etwas Ungewöhnliches und Geheimnisvolles in seinem Herzen, und der Wunsch, diesem Großen Heiligen zu begegnen, ließ ihn nicht mehr los.

Die Tage gingen dahin und Lehna konnte sich nicht von dem Verlangen freimachen, Meister Nanak zu sehen. Als die Zeit für die jährliche Pilgerfahrt nach Jawalmukhi herankam, brachte Lehna seinen Wunsch zum Ausdruck, auf dem Weg Guru Nanak zu begegnen, um dadurch sowohl den Segen der Göttin zu erlangen als auch die Begegnung mit einem Heiligen zu haben. Alle stimmten dem doppelten Lohn, den man dadurch erlangen konnte, zu, und so ritt Lehna davon, um den Darshan des Meisters zu erhalten. Unterwegs traf er einen alten Mann, von dem er hörte, dass er ebenfalls den Guru sehen wollte und ihn, Lehna, dorthin führen könne. Voller Freude ritt Lehna hinter dem alten Mann her, der zu Fuß weiterging. Als sie an das Tor kamen, wo Nanak wohnte, trennten sich die beiden, und Lehna wurde bald darauf in das Zimmer des Meisters gebracht. Als er eintrat, fand er denselben alten Mann, der ihn dorthin geleitet hatte und warf sich Ihm zu Füßen. Lehna brachte seine Scham zum Ausdruck, dass er geritten war, während der Meister zu Fuß ging; doch Nanak lächelte nur: „Wie konntest du wissen?“ Vielleicht folgte dem ein Schweigen, wer vermag es zu sagen? Ein Schweigen, das von einer unbeschreiblichen Freude erfüllt war. Doch wie es auch immer gewesen ist, in ihm lag die Antwort auf den immer währenden Schrei eines Herzens. „Dein Name ist also Lehna? Du bist letztlich für deinen ‘lehna‘ (das, was dir zusteht) gekommen; ich habe auf dich gewartet.“

Würden hunderte Monde zugleich aufgehen und tausende Sonnen ihre Leuchtkraft verbreiten, ließe all dieses Licht den Menschen dennoch im Dunkel ohne das Wohlwollen des Gurus.

Var Asa M2

Obwohl er den Meister physisch verließ, um zu seinen Mitpilgern zurückzukehren, konnte dies Lehna doch nicht die Freude, die er zu Seinen Füßen empfunden hatte, schmälern. Als er in seinem Lager angekommen war, riss er die Glöckchen ab, die er als Teil seiner Verehrung für die Göttin trug und erklärte, dass all seine Pilgerfahrten jetzt zu Ende seien. Die Segnungen, nach denen er seit langem gesucht hatte, erhielt er nun durch einen Blick des Heiligen Nanak.

Auf Nanaks Geheiß kehrte Lehna nach Hause zurück, um dort alles in Ordnung zu bringen. Er erzählte seiner Frau von dem Heiligen in Kartarpur und der Göttlichen Trunkenheit, die Er ausstrahlte. Lehna besorgte sich eine neue Kleidung, und mit einer großen Menge Salz für des Meisters Langar (freie Küche) auf den Schultern trat er seine Rückkehr nach Kartarpur an. Als er dort ankam, traf er mit Nanaks Frau Sulakhni zusammen, die ihm riet, er solle sich nun ausruhen. Lehna Ji jedoch suchte nicht Ruhe für seinen Körper, sondern für sein Herz, das nach einem Blick des Meisters verlangte. So entschuldigte er sich und eilte auf die Felder, wo der Geliebte arbeitete. Als sich Lehna Ji Nanak näherte, sah er drei große Bündel Heu und hörte, wie die Arbeiter darüber klagten, dass von ihnen erwartet würde, sie einzubringen. Selbst Nanaks Sohn tat diese Arbeit höchst ungern, weil die Bündel schwer waren und der Schlamm von ihnen heruntertropfte. Stattdessen schlugen sie vor, am Morgen für diesen Zweck nach einem Arbeiter zu sehen. Als Lehna diese Worte hörte, bedurfte es keiner weiteren Rede. Er erwies dem Meister seine demütige Ehrerbietung und warf sich dann ungeachtet der menschlichen Leistungsfähigkeit alle drei Bündel über die Schulter, indem er ausrief: „Ich bin der Arbeiter, den ihr sucht!“ Nur mit Hilfe der Göttlichen Gnade trug er sie von den Feldern zu dem Lagerplatz beim Haus des Meisters. Als sie ihn vorübergehen sah, machte Sulakhni dem Guru Vorhaltungen, dass er den Gast – der noch von der Reise müde sein müsse – eine so schwere Arbeit machen ließ. Außerdem wurde nicht nur seiner physischen Bequemlichkeit keinerlei Achtung geschenkt, sondern auch seine neue seidene Kleidung war voller Flecken und durch den Schmutz ruiniert. Doch Lehna entgegnete: „Für mich ist das kein Schlamm, sondern Safran.“ (d.h. das Teuerste.)

O Nanak, gehorche dem, Der selbst Gott gehorcht hat. Der Herr wird durch die Gnade des Meisters gefunden.

So groß war Lehnas Hingabe, dass er sich abmühte, ohne auf sich selbst zu achten. Durch diese Art der Liebe kam es, dass sich seine Seele rasch mit Der des Meisters vereinte. Ehe sich die Hingabe verzehrt, wird sie Innen und außen geprüft; und indem das, was sich im Innern ereignet, in den Herzen des Liebenden und des Geliebten verschlossen bleibt, wird alles, was im Äußeren geschieht, allgemein bekannt. Eines Nachts, als sich zu später Stunde die meisten Menschen zur Ruhe begeben hatten und es ihnen bei Sturm und Kälte widerstrebt hätte, noch einmal aufzustehen, weckte Nanak Seine Söhne und hieß sie, zu dieser Stunde eine Mauer, die Sein Haus umgab, zu reparieren. Sie dachten, ihr Vater habe Seinen Verstand verloren, und lehnten es ab, diese Arbeit zu tun; stattdessen schlugen sie vor, damit bis zum anderen Morgen zu warten, wo ‘Sevadars‘ (freiwillige Helfer) gefunden werden könnten. Aber Nanak stimmte dem nicht zu und wollte, dass die Schüler diese Arbeit zu eben dieser Stunde tun sollten. Sein Verlangen erreichte viele Ohren, aber es kam keine entsprechende Reaktion, bis Lehna davon hörte. Eine ganze Reihe nannten ihn einen Toren, dass er einem solch seltsamen Ansinnen nachkam, aber Lehna nahm einzig die Freude der Ergebenheit wahr und vollbrachte die Arbeit als stummer Diener.

Immer wieder kam es zu solch eigenartigen Situationen, welche die Tiefe der Liebe und des Glaubens Seines Ergebenen zeigten und die persönlichen Beweggründe Seiner Anhänger enthüllten. Als Guru Nanak eine Schale in den Schlamm warf und sie seinen ältesten Sohn, Shri Chand, herauszuholen hieß, erwiderte Shri Chand: „Ich bin dein Sohn und Du bist ein Großer Heiliger. Du hast viele Diener, weshalb soll ich sie herausholen?“ Guru Nanak schaute gerade Bhai Lehna an, als dieser in den Schlamm sprang, um die Schale herauszuholen.

Über diesen Vorfall sagte Nanak später:

Wenn einer wirklich dem Meister ergeben ist, muss er den kleinsten Wink von Ihm als Befehl verstehen und danach handeln. Man muss selbst bereit sein, hinzugehen und im Schmutz zu baden.

Tat er nicht physischen Dienst beim Guru, so setzte Lehna seine Zeit für spirituelle Praktiken ein. Auf Geheiß Seines Meisters kehrte er einmal in seine Heimatstadt Khadur zurück und war in seinem Trennungsschmerz den ganzen Tag in die Innere Freude des Heiligen Naam vertieft.

Keiner besaß seine hingebungsvolle Begeisterung, und obwohl er bereits die Achtung seiner Mitschüler wie auch vieler anderer erworben hatte, schien es, als sei er blind dafür – vertieft in das Einssein der Göttlichen Liebe. Nanak, sehr bewegt durch Seinen geliebten Schüler, sagte Seiner Frau, dass Shri Chand und Lahkmi Das ihre Söhne seien, der Seine aber Lehna. Ungeachtet all dessen stand eine weitere Prüfung noch bevor.

Als eines Tages ein Yogi zum Meister kam, war er sehr beeindruckt von der Anzahl der Schüler, die Er hatte. Nanak antwortete, dass es in Wirklichkeit nicht immer so sei, wie es den Anschein hat, und Er tatsächlich sehr wenige Wahre Schüler habe. Am nächsten Tag wollte ihm Nanak die Richtigkeit der Dinge zeigen. Als die Sonne aufging, erschien Nanak vor dem Sangat nicht mit dem einfachen Ackergerät, sondern mit einem Messer im Gürtel, Jagdhunden an Seiner Seite und einem Schimmer von Irrsinn in den Augen. Der Meister musste geisteskrank geworden sein, und viele Seiner Anhänger ergriffen unverzüglich die Flucht. Jene aber, die geblieben waren, gingen mit dem Guru in den Dschungel. Doch bald waren alle außer einer ganz kleinen Anzahl gegangen; sei es aufgrund seines merkwürdigen Verhaltens oder wegen der Jagdneigung, die sie, während sie so dahingingen, auf dem ganzen Weg feststellten. Als schließlich nur noch der beobachtende Yogi, Lehna und zwei andere Schüler übrigblieben, stolperten sie über eine alte Leiche. Sie war seit langem voller Würmer und gab einen faulen Geruch von sich; doch nachdem sie entdeckt war, verlangte der Meister: „Wer den Wunsch hat, bei mir zu bleiben, möge diesen Leichnam essen!“ Zwei Schüler standen starr vor Entsetzen da und liefen dann weg. Doch Lehna näherte sich dem toten Körper und beugte sich nieder, um von ihm zu essen. Plötzlich verwandelte er sich in Parshad. Da er nun eine wohlschmeckende und gesegnete Speise war, bot er sie in tiefer Liebe und Demut dem Meister an. Die Maske des Irrsinns löste sich im Gesicht des Meisters, und Er stand in einer erhabenen Glorie da.

Mit dem Ausdruck einer Freude, die Ihm nur selten widerfuhr, begann Nanak zu sprechen, und der Ton Seiner Worte rührte wie Musik an Lehnas Herz:

Du hast grenzenlose Ergebung bewiesen, und zwischen dir und mir besteht nun kein Unterschied mehr. Keiner meiner Sikhs hat einen solchen Glauben und eine solche Ergebenheit gezeigt wie du. Du bist wahrlich ‘Angad’– ein Teil meiner selbst.

Bald kam die Zeit, da Nanak die irdische Ebene verlassen sollte, und Er gab bekannt, dass ‘Angad’ Sein spiritueller Nachfolger sei.

Während Seine Söhne Shri Chand und Lakhmi Das eifersüchtig wurden, ist ein Ergebener nur im Dienst seines Geliebten glücklich und fragt nicht danach, was die Welt über ihn denkt, noch sorgt er sich um ihren Reichtum und ihre Macht.

So verbrachte Angad, im Schmerz der Trennung, sechs Monate in Abgeschiedenheit und nahezu ununterbrochener Meditation, und Er sah niemand als eine Frau, die Ihn täglich mit einem Glas Milch versorgte.

Stirb vor deinem teuren Geliebten. Nach Ihm noch auf der Welt zu sein macht das Leben zum Fluch. Reiße den Kopf ab, der sich nicht dem Herrn beugt. Nanak, verbrenne den erbärmlichen Körper, der nicht den Schmerz der Trennung fühlt.

Sri Rag Ki Var M2

Doch die Zeit Seiner Zurückgezogenheit ging zu Ende, da andere Seelen nach dem Darshan des Lebenden Meisters verlangten. Angeführt von Bhai Budha, kamen sie zu Ihm, um Seine Gnade zu erbitten. Mit der seltenen Liebe eines Meisters nahm Er sie alle als Seine Kinder an, und es begann nun Sein Werk im Dienst der Menschheit. Und dennoch, während eine Periode ununterbrochener Meditation so zu Ende gehen mag, bleibt die Liebe des Ergebenen für Seinen Meister bestehen. Wenn Er gefragt wurde, weshalb Er, Der doch Eins mit dem Guru geworden war, so viel Schmerz über den physischen Tod des Meisters erleide, zeigte sich ein großer Ernst in Seinem Gesicht:

Ja, ich weiß …, es ist richtig. Der Meister ist immer bei mir, aber der Initiierte als Menschensohn empfindet großes Leid.