Das Leben von Guru Angad

II

Nicht der ist blind, der keine Augen im Kopf hat. O Nanak, blind ist, wer nicht den Willen Gottes sieht.

Var Ramkali M2

Guru AngadSo wie es Nanak und jene, die Ihm folgten, gehalten haben, lehrte auch Angad Seine Schüler, nur den Einen Gott anzubeten, Der Sich in Form von Licht und Sphärenmusik offenbarte. Er ließ sie wissen, dass der Mensch zwar Anspruch auf einen großen spirituellen Reichtum habe, aber dennoch blindlings an die vergänglichen und nichtssagenden Freuden der Welt gebunden sei. Andere wieder waren in strenge Bußübungen, intellektuelle Streitgespräche oder äußere Hingebung vertieft; aber Gott, Der im Innern ist, kann nicht durch diese äußeren Mittel gefunden werden.

Er lehrte, dass der Mensch zuerst ein ethisches Leben der Liebe, Reinheit, Bescheidenheit und Ehrenhaftigkeit führen solle. Er müsse sich selbst und seine Familie ernähren und anderen, die in Not sind, mit Geld, das er durch eigene Arbeit verdient hat, helfen. Ein einfaches, reines Leben zu führen und keinem zu schaden waren seine grundlegenden Anweisungen; des Weiteren müsse man, solange man in der Welt lebt, das vorherrschende Verlangen entwickeln, Gott zu erkennen. Als idealer Lehrer strahlte Angad das vollkommene Beispiel eines Wahren Lebens und hoher Denkart aus.

Zahllose Menschen kamen täglich zu Ihm, und für alle zeigte Er Geduld und Verständnis – auch für solche, die Ihn nicht verstanden oder deren Glaubensansichten von denen Seines Pfades abwichen. Er vermied immer Streitfragen, die lediglich intellektueller Schaustellung dienten, doch es traten oft Menschen an Ihn heran, die nur gekommen waren, um mit Ihm zu disputieren. Einmal kam ein Yogi zu Ihm, der Seine Lehren in Frage stellte und hinzufügte, Angad solle sich dem Weg von Gorakh zuwenden, wodurch ihm Reichtum, übernatürliche Kräfte und ein langes Leben sicher wären. Angad entgegnete, dass nichts von diesen Dingen Inneren Frieden geben könne. Sie seien die Ursache von Stolz und Neid und führten aus dem Grund nicht zur Freiheit, sondern zu Bindung.

Des Weiteren ließ Er den Yogi wissen, dass Er durch die Gnade Guru Nanaks das gewaltige Meer des Lebens überquert habe und Ihn nicht für einen Augenblick Reichtum, irgendwelche Kräfte oder die Attraktionen der Welt verlocken könnten. Wenn einer die innere spirituelle Glückseligkeit erfahre, bleibe sein Geist stetig. Führe er dann das Leben eines Familienvaters, bleibe er von der Welt unberührt.

Der Yogi vernahm die Botschaft nur oberflächlich, sagte aber, dass er mit der Antwort des Meisters zufrieden sei; so zufrieden in der Tat, dass er Ihm jeden Wunsch, den Er hätte, erfüllen würde.

Angad antwortete, dass Er bereits alles, was Er wünschte, erhalten habe und deshalb diese Gabe von keinem Nutzen sei. Doch der Yogi fuhr fort, Ihn zu drängen, und schließlich erwiderte Angad, Er wünsche sich die Gabe der Demut. Durch diese Antwort war der Yogi aufs Äußerste überrascht und bekannte, dass er das nicht geben könne, da er sie selbst nicht habe.

Daraufhin schloß er seine Augen und betete, dass er die Gabe der Demut erhalten möge. Bei einem Gebet, so heißt es, habe ihn eine innere Stimme an Guru Angad, den Meister der Zeit, verwiesen; doch unfähig, sich selbst so zu demütigen, ging der Yogi seinen eigenen Weg.

Auch Humayun, der Sohn von Babar, kam einmal zu Angad.

Humayun regierte für einige Jahre, doch verlor sein Reich im Kampf gegen einen afghanischen Soldaten namens Sher Khan. Nun war er ein Flüchtling, und in äußerster Verzweiflung suchte er die Segnungen des Gurus, damit er seinen Thron wiederbekommen möge. Doch Angad, der Kinder sehr gerne mochte, spielte gerade mit einigen, als Humayun kam. So verging die Zeit, ohne dass ihm Aufmerksamkeit geschenkt wurde, was Humayun zu ärgern begann. Er legte seine Hand an den Griff seines Schwertes, doch obwohl er so fest wie möglich daran zog, konnte er es nicht aus der Scheide bekommen. Der Guru sah auf und lächelte: ”Tapferer Humayun, wo war dein Schwert, als du gegen Sher Khan kämpftest? Von ihm geschlagen, willst du es bei einem armen Fakir gebrauchen.” Humayun war beschämt; er neigte sich zu des Gurus Füßen und bat um Vergebung. Daraufhin erhielt er den Segen des Meisters, Der ihn jedoch wissen ließ, dass einige Jahre vergehen würden, ehe er sein Reich wiederbekäme.

Und so war es: Humayun verbrachte viele Jahre im einsamen Exil, ehe er in der Lage war, Truppen aufzustellen und auf seinen Thron zurückzukehren.

Nanak warf den Ruhm dieser Welt ins Feuer. Durch ihn haben die Menschen das Heilige Naam vergessen.

Var Malar M2

Wo immer sich Größe offenbart, scheinen sich auch Kleinlichkeit und Eifersucht zu zeigen. In Khadur Sahib lebte ein boshafter Yogi, der den Guru zum Ziel seiner Missbilligung machte. Er hatte sich Härten unterzogen, die ihm gewisse Kräfte verliehen, die aber eher dazu beitrugen, sein Ego aufzublähen und seine Sicht der Wahrheit zu verdunkeln, als ihm auf dem spirituellen Pfad zu helfen. Und als dann die Menschen begannen, dem Lebenden Meister zu folgen, wandten sie sich von diesem Yogi ab, wodurch sein Geschäft beeinträchtigt und sein Stolz verletzt wurde. Als nun eine lange Periode der Dürre kam, ergriff er die Gelegenheit, Angad zu vertreiben. Er versammelte die Dorfbewohner um sich und sagte ihnen, dass der Meister die Dürre verursacht habe und Angad nicht der Wahre Guru sei, als den sie Ihn verehrten; denn sonst würde Er ihnen Regen senden! Wenn Angad aber aus diesem Gebiet vertrieben würde, versprach der Mönch, werde er selbst für Regen sorgen.

Angst ergriff die Herzen der armen Dorfbewohner, denn selbst während der Monsunzeit hatten sie keinen Regen. Und wenn es an Getreide mangelte, wovon sollten sie dann leben? Sie gingen zum Meister und flehten Ihn um Regen an. In Seinem unfehlbaren Gleichmut hieß er sie, ihr Vertrauen in Gottes Willen zu setzen:

Er weiß, was uns mangelt und was wir brauchen, und Er wird es uns geben; darum sollten wir um nichts bitten.

Trotz all der Kraft und Liebe, die ihnen Seine Gegenwart gewährte, trotz all dem Frieden und der Gewissheit, die sie aus Seinen Worten empfanden, fühlten sie sich unfähig, danach zu handeln, wenn sie sich von Ihm entfernten. Furcht hatte ihre Herzen befallen, und sie suchten Sicherheit in dem Versprechen des Mönchs: sie jagten Angad aus dem Dorf. Er wurde von einem Ort zum anderen getrieben und musste auf Seinem Weg Schmähungen über Sich ergehen lassen. Doch da der Geist völlig im Göttlichen verankert war, erduldete Angad gleichmütig die Qual, bis Er schließlich in einem kleinen Dorf im Dschungel Obdach fand, wo Ihn die Leute mit Ehrfurcht willkommen hießen und wo es Ihm möglich war, viele Stunden der Meditation zu widmen.

Die Zeit, für die der Regen zugesagt worden war, ging vorbei, und entgegen allen Beschwörungen des Mönchs kam er nicht.

Doch in der Zwischenzeit kehrte Amar Das, Angads ergebenster Schüler, zurück. Als er hörte, was sich ereignet hatte, fragte er die Leute, ob sie gänzlich den Verstand verloren hätten und was für Toren sie seien, den Göttlichen Schutz zu vertreiben, in der Hoffnung, ihn durch einen unwürdigen Mönch zu erhalten.

Als die Leute erkannten, was sie getan hatten, verfluchten sie ihre Unwissenheit; denn nicht nur der Regen kam nicht, sondern sie hatten den Wahren Guru verraten.

Amar Das bemerkte dann, dass überall dort, wo sie den Yogi hinzögen, im Überfluss Regen fallen werde. Da begannen sie den armen Yogi durch ihre Felder zu ziehen1, und Amar Das’ Worte erwiesen sich als wahr: wohin auch der Yogi gezogen wurde, dort fiel Regen.

Damit zufrieden, dass Gerechtigkeit geübt war, machten sich die Leute auf die Suche nach dem Meister. Als sie Ihn gefunden hatten, trat Amar Das vor Ihn hin, aber der Guru wandte ihm den Rücken zu. So ging Amar Das auf die andere Seite, doch der Guru drehte Sich wieder um. Amar Das fragte, weshalb der Guru ungehalten sei, und Er antwortete:

Ich gab dir die Kraft nicht, um Wunder zu tun, sondern damit du sie in dir bewahrst.

Weshalb hast du das getan?

Ausgeglichenheit, Versöhnlichkeit und Selbstbeherrschung sind die Eigenschaften eines Schülers. Ihr müsst also das Unerträgliche ertragen und das Leidvolle erdulden. Eure Ausdauer muss wie das Erdreich sein; wie ein Berg eure Standhaftigkeit in Freude und Leid. Und Vergebung muss gleich einem Strom aus euren Herzen kommen. Somit tut allen Gutes, ungeachtet ihrer Taten, und seid immer bescheiden, denn der Bescheidene wird erhöht.

Amar Das nahm diese Worte tief in seinem Herzen auf und wurde das lebendige Beispiel dieser Tugenden.

Als Angad Sein irdisches Ende nahen sah, gab Er Seinen Schülern entsprechende Weisungen. Er sagte ihnen, dass Meister in die Welt kommen, um den Reichtum der Gottheit zu verteilen, und wenn Ihre Aufgabe erfüllt ist, folgen Sie freudig dem Willen des Herrn und kehren zu dem Ort immer währenden Friedens zurück.

Er hatte Seine Schüler – einschließlich Seiner Söhne – der Prüfung unterzogen, aber nur Seinen geliebten Diener Amar Das der reinen Aufgaben des Gurus für wert befunden.

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Erläuterung: 1) Die Geschichte scheint darauf hinzuweisen, dass einer, der sich der Mission eines Wahren Heiligen entgegenstellt, die Naturkräfte selbst gegen sich aufbringt. Als Devadutta versuchte, sich gegen seinen Meister, Gautama Buddha, aufzulehnen, starb er eines erbärmlichen Todes. Ähnlich war es bei Judas zur Zeit des Todes von Christus, oder bei Chandu, der für die Hinrichtung von Guru Arjan verantwortlich war. Die Natur mag ihr Missfallen entweder in unpersönlichen Mitteln zeigen, wie verheerenden Stürmen, solchen, die dem Tod Christi oder dem Teg Bahadurs folgten, oder es kann durch die Hand eines Menschen vollzogen werden. Aber wenn die Hände eines Meisters Gerechtigkeit üben, sind sie sich dessen bewusst, was sie tun, und werden nicht impulsiv durch die Kräfte der Natur veranlasst. Und durch ihr Wesen schwächen die Heiligen ihre Gerechtigkeit mit Erbarmen und Vergebung ab, wie Christus oder Mansur, die für die Segnungen ihrer „Feinde“ beteten (aber wir gewöhnlichen Menschen, die nur das Geschehen dieser Welt sehen, sind der erwiesenen Gnade gegenüber blind).