Das Leben von Guru Arjan

II

Während der Zeit Seines Wirkens hielt es Guru Arjan für wesentlich, die heiligen Worte der verschiedenen Meister in einem Band zu sammeln. Er reiste nach Goindwal, um von Mohan (dem Sohn von Amar Das) die Hymnen Seines Vorgängers zu bekommen. Bei Seiner Rückkehr blieb Er in Khadur, wo Angads Sohn Datu zu Ihm kam und um Vergebung dafür bat, dass er ein eifersüchtiger Verleumder des dritten Gurus gewesen war. In demütiger Geisteshaltung bekannte Datu seine frühere Arroganz und selbstische Art und bemerkte auch, dass der Fuß, mit dem er damals den bejahrten Meister von Seinem Sessel gestoßen hatte, ihn immer noch schmerzte. Arjan befreite ihn von dem Schmerz und segnete ihn für seine Reue. Dann kehrte er nach Amritsar zurück, um die heiligen Schriften zusammenzustellen. Mit Hilfe von ein paar Schülern – unter ihnen besonders Bhai Gurdas – stellte er die Hymnen seiner Vorgänger und auch heiliger Männer aus der Zeit Jaidevs (1180–1202) zusammen. Die Werke waren alle in der üblichen Sprache geschrieben und in die Gurumukhi-Schrift übertragen worden: das Punjabi-Alphabet, das von Guru Angad eingeführt wurde. Das vervollständigte Werk enthielt die Schriften von Menschen aller Stände und verschiedener Religionen. Am Schluss dieser heiligen Schriften (die zuerst ‘Pothi Granth’ genannt, aber später als ‘Adi Granth’ oder ‘Guru Granth Sahib’ bekannt wurden) ließ Er einige Seiten leer. Als Er deswegen befragt wurde, erwiderte Arjan, dass die Seiten für den neunten Guru freigelassen worden seien und für einen Vers des zehnten.

Außer in den Schriften verbreiten die Meister Ihre Botschaft der Liebe und Gnade in den Lebensgeschichten jener, deren Aufmerksamkeit immer dem Guru (Gott im Menschen) zugewandt ist – Dem, Der stets in das Höhere Bewusstsein vertieft ist und sieht, dass die Gegebenheiten des Lebens auf Erden vergänglich sind und den Rückwirkungen früherer Handlungen des Einzelnen entsprechen. Jene, die dieses Gewahrsein erlangt haben, gleichen einem überfließenden Quell der Liebe; und dennoch bleiben Sie immer der Gottheit bewusst, ruhig und losgelöst von allem persönlichen Gewinn und Verlust. Vergangenheit und Zukunft sind ihnen wie „ein offenes Buch“, doch sie bleiben bei all Ihrem Inneren Wissen nur bescheidene Diener des Göttlichen Willens.

Obwohl ein solcher Schüler selten ist, sprach Guru Arjan häufig über die Eigenschaften eines Wahren Guru-Sikh; und einmal wurde Er darum gebeten, ein lebendiges Beispiel eines solchen zu zeigen.

So sandte Er den fragenden Schüler nach Gujarat, damit er bei einem anderen Schüler dort verweile. Als er ankam, bemerkte er, dass sein Gastgeber eine Totenbahre vorbereitete. Auf seine Frage, wofür diese bestimmt sei, erhielt er die Antwort:

O, sie wird später von Nutzen sein.

Es vergingen einige Tage, und der Sohn des Gastgebers war im Begriff zu heiraten. Doch inmitten all der Festlichkeiten und ausgelassenen Freuden blieb der Gastgeber ruhig. Als die Zeremonien beendet waren, starb plötzlich sein Sohn. Der Leichnam wurde nach Hause gebracht, und der Gastgeber – nach wie vor ruhig und davon unberührt – brachte die Bahre herbei, an der er gearbeitet hatte. Der Schüler, den er bei sich zu Gast hatte, war verblüfft: „Ihr müsst gewusst haben, dass euer Sohn sterben würde; aber weshalb habt ihr ihm erlaubt zu heiraten?“– „Ja, ich wusste es“, entgegnete der Gastgeber, „aber ich konnte nicht ändern, was zu geschehen hatte.“