Das Leben von Guru Gobind Singh

I

Auf dem Berge Hemkunt, hoch droben im Himalaya, legte ich mir strenge Buße auf, versank in tiefste Meditation, bis ich schließlich erkannte, dass Gott in mir ist und ich in Ihm bin.

Nun wies Gott mich an, in diesem Kali Yuga geboren zu werden. Da ich an die Füße (das Licht von Naam) des Herrn gebunden war, hatte ich kein Verlangen danach; doch Er ermahnte mich und sandte mich mit Seinem Gebot:

Nun geh’! Ich mache dich zu meinem  Sohn, um die Menschenkinder zu führen, sie von ihrer Torheit zu befreien und die Wahre Religion zu verkünden: Verehret Gott und allein Gott.

Ich neigte mein Haupt und sprach voller Demut mit gefalteten Händen:

O Herr, Deine Religion soll obsiegen, wenn Du hilfst, sie zu verbreiten!

Gott sandte mich für diese Aufgabe; und so wurde ich in diese Welt geboren.

Wie Er zu mir sprach, so rede ich nun zu euch und werde diese Wahrheit furchtlos verkünden – ohne jede Feindschaft – allen Menschenherzen.

Wer immer mich als Gott benennt, fällt den Tiefen der Hölle anheim, denn ich bin nur Sein niedrigster Diener – zweifelt nicht daran! Ich bin der Sklave des Allmächtigen Herrn und wurde geboren, um die Wunder Seiner Schöpfung zu erblicken.

Aus dem Bachitar Natak, Vers 1–33

Im Winter 1666, in den Stunden des Gebets, wurde Mata Gujari ein Sohn geboren. Die Kunde verbreitete sich schnell und löste große Freude unter den Anhängern der Göttlichen Gurus aus – denn alle wussten, dass dies das Kind war, von dem Guru Har Gobind prophezeit hatte: 

Ein Großer Heiliger und Krieger wird geboren, Der die Menschen von der Unterdrückung befreit.

Weit vor den Toren der belebten Stadt Patna empfing ein frommer Fakir diese Botschaft durch Göttliche Erkenntnis. Statt nach Mekka beugte er sich nun nach Osten nieder, wo Patna lag, legte diese Vision seinen Anhängern dar und machte sich sogleich auf die Reise, um den neugeborenen Erretter zu sehen. Ganz erschöpft und ausgezehrt durch das Fasten und die beschwerliche Reise, gelangte er schließlich in die Gegenwart des Kindes. Er beugte sich voller Verehrung und legte zwei Gefäße zu den Füßen des Heiligen Knaben nieder, Der sie in die Hände nahm. 

Der Fakir lächelte erleichtert und erklärte dann: 

Eines der Gefäße gehörte einem Hindu, das andere einem Moslem. Hätte Er nun eines von den beiden aufgehoben, hätte Er Sich nur mit jenen Menschen verbunden gefühlt. Doch da Er beide nahm, hat Er gezeigt, dass Er für die ganze Menschheit gekommen ist.

Schon sehr früh begann das Kind Seinem Großvater Guru Har Gobind zu gleichen, nach dem Es benannt war. Kaum hatte Gobind Rai, wie Er genannt wurde – nach anderen Aufzeichnungen rief man Ihn Gobind Das –, zu laufen begonnen, zeigte Er eine bemerkenswerte Stärke. Nicht lange danach kamen die ersten Zeichen Seines militärischen Genies zum Vorschein. Sein Charakter war von Mut und Selbstgewissheit geprägt, obwohl Ihn auch die Heiligen Tugenden der Demut und des Mitgefühls zierten. Er hatte die Aufgaben eines Heiligen und auch die eines Avatars zu erfüllen: die Menschen auf den Pfad der Liebe zu führen, andererseits Heuchelei zu entlarven und Rechtschaffenheit zu bewahren.

Man unterwies Ihn im Gebrauch von Waffen; und Er hatte Freude daran, Seine Gefährten in kleine Gefechte zu verwickeln. Doch wenn Er allein war, saß Er lange Stunden in Meditation oder erfreute Sich der natürlichen Schönheit am Ufer des Ganges. 

Auch hier wurde mancher Yogi, der mit gekreuzten Beinen dasaß, zum Ziel der Streiche des jungen Gobind. Er schlich Sich hinter sie und bespritzte sie mit Wasser. Als sie dann flüchteten, neckte sie das Kind mit der Bemerkung, dass sie wohl doch nicht so losgelöst von der Welt seien, wie sie es gerne wären. 

Auf dem Übungsfeld war der liebste Zeitvertreib von Gobind Rai ein kleines Spielzeugkatapult; und nach kurzer Zeit machten die Wasserträgerinnen Bekanntschaft mit Seiner Kunst. Jedoch eines Tages verfehlte Er den irdenen Topf auf dem Haupt einer Moslem-Frau und traf sie stattdessen an der Stirn. Sie eilte zur Mutter des Jungen und drohte ihr, den Fall vor den Hof des Königs zu bringen. Sein Fanatismus war unter Aurangzebs Herrschaft schon lange der Schrecken aller nicht-moslemischen Inder, und Mata Gujari machte da keine Ausnahme. Schließlich konnte sie die aufgebrachte Frau mit einer Gabe von Süßigkeiten beruhigen und versuchte ihren Sohn zu Rede zu stellen. 

Doch die flinken Beine von Gobind brachten Ihn in Sicherheit, und Seine Mutter konnte Ihm nur nachrufen: 

In dieser Zeit so einen Unsinn anzustellen – hast Du keine Angst vor dem Herrscher?

Gobind blickte ihr keck ins Gesicht und erwiderte: 

Ich fürchte keinen außer Gott!