Das Leben von Guru Gobind Singh

III

Wer das Spiel der Liebe spielen will, möge hervortreten mit seinem Haupt auf den Händen als eine Opfergabe.

Guru Gobind Singh

Von leidvollen Umständen dieser Zeit bewegt, gelobte Gobind Rai, eine Gemeinschaft zu gründen, deren Ziel es sei, die soziale Hierarchie und jeden Götzendienst abzuschaffen und für die angeborenen Grundrechte aller Menschen zu kämpfen. 

Im Jahre 1699 in Anandpur machte Er den ersten Schritt zu diesem Ziel. Mit einem Leuchten in den Augen und einem blanken Schwert in der Hand trat Er vor eine große Versammlung. So stand Er vor den Menschen und rief: 

Ich schaue nach Wahren Schülern aus. Ich suche jene, die bereit sind, ihr Haupt für das Höchste Ziel zu opfern!

Lang herrschte eine tiefe Stille voller Furcht und Zögern; doch schließlich trat ein Sikh namens Daya Ram hervor. Der Guru brachte ihn in ein Zelt und kehrte nach ein paar Augenblicken mit bluttriefendem Schwert auf die Plattform zurück. Erneut fragte Er, ob es noch welche gäbe, die danach verlangten, Seine Schüler zu werden. Viele empörten sich und rannten davon, doch nach kurzer Zeit traten noch einer und noch einer hervor, bis schließlich fünf ihr Leben geopfert hatten. Als keiner mehr vortrat, wurde gezeigt, dass das Blut von einer Ziege war; und man führte die fünf Schüler aus dem Zelt. 

Er hat ihnen nicht das Leben genommen, sondern ihnen Sein eigenes Licht gegeben,

und sie zu den Fünf Geliebten ernannt. Er gab ihnen süßes, geladenes Wasser, das Er mit Seinem Dolch umgerührt hatte, aus Seinen eigenen Händen zu trinken. Dann ließ Er sie ausrufen: 

Die Reinen sind Gottes Eigen und Gott führt sie zum Sieg!

Dann bat Er sie wiederum, Ihn zu taufen, und zeigte dadurch, dass der Guru der Schüler und der Wahre Schüler der Guru ist.1 Zu dieser Zeit änderte der Guru Seinen Namen von Gobind Rai in Gobind Singh – Gobind, der Löwe – und hieß Seine Fünf Geliebten, das gleiche zu tun. Dies führte folglich dazu, dass alle Sikhs das Wort Singh ihrem Namen beifügten.

Schon nach kurzer Zeit hatten sich Tausende initiieren und in Seine Gemeinde aufnehmen lassen. Jene, die Seinem Weg wirklich folgten, legten alle Gedanken ab, die die Menschen voneinander trennen und entwickelten stattdessen ihren Glauben in den Guru und die Bereitschaft, den Glauben aller Menschen zu verteidigen: 

Unter meinen Sikhs (Schülern) soll es keinen Unterschied zwischen Hindus und Moslems geben, zwischen Berührbaren und Unberührbaren oder zwischen Hoch und Niedrig. Alle sollen wie eine Familie der Menschen unter der Vaterschaft Gottes sein.

Doch sowie der Traum des Gurus Wirklichkeit wurde, fühlten sich die Anführer der Hindus wieder von Seiner Macht bedroht. Mit der erbetenen Unterstützung des Herrschers zogen sie ein zweites Mal gegen Ihn ins Feld. Als sie angriffen, wurden sie erst mit Kanonenfeuer empfangen, dann von Seinen Soldaten, angeführt von den Fünf Geliebten. Als der Meister Selbst auf das Schlachtfeld ritt, bezwang Er den General der feindlichen Armee, wodurch Er den Sieg errang. 

Aber darauf folgten weitere Angriffe, die nur von kurzen Friedenszeiten unterbrochen wurden, sodass sich die Schlacht von Anandpur über viele Jahre hinzog. Ungeachtet der großen Verluste an Menschenleben durch die Kämpfe und Entbehrungen, war Gobind Singh doch in der Lage – durch Seine Zuversicht und Siegesgewissheit – eine hohe Moral unter Seinen Ergebenen aufrechtzuerhalten. Trotz der Bedrohung durch die Kämpfe übten sie die Spirituellen Sadhans (Übungen) aus und bewahrten den Inneren Frieden. 

Während dieser Tage brachte man einen Sikh vor den Meister, den man anklagte, nicht nur den verwundeten Sikhs, sondern auch den Feinden geholfen zu haben. 

Den Schüler berührte diese Anklage nicht: 

Meister, ich sehe das gleiche Licht in allen Menschen – ob sie nun auf der einen oder der anderen Seite stehen –, das ich im Guru erblicke. Wie kann ich da etwas anderes tun?

Weit davon entfernt, diese Haltung zu verurteilen, umarmte ihn Gobind und ermutigte ihn in seiner selbstlosen und Spirituellen Liebe.

Die Gefechte dauerten unter schweren Härten für die Sikhs an; schließlich wurde die Belastung unerträglich: Der Winter war zu kalt, die Entbehrungen zu groß und die Rationen zu gering. So wandten sich die Männer an den Guru und baten Ihn um die Erlaubnis, Ihn zu verlassen. 

Wer es mir schriftlich gibt, der kann gehen,

gab Er zur Antwort. Vierzig Männer taten dies. Die Zeit verging und die Entbehrungen nahmen kein Ende. Wieder baten Ihn Seine Schüler um Hilfe; und als ihnen der Feind freien Abzug von Anandpur zusicherte, bedrängten sie den Meister, diese Gelegenheit zu ergreifen. Gobind Singh durchschaute das betrügerische Versprechen und lehnte ab; doch nach wiederholten Bitten gab Er schließlich nach. Kaum hatten sie die Festung verlassen, wurden sie vom Feind angegriffen und zerstreut.

Geliebter Herr, bitte höre auf die Klage Deines Dieners. Wenn Du nicht nahe bist, gleicht unser schönes Heim einem Schlangennest, und gutes Essen und Trinken sind wie ein Strick um den Hals.

Wenn Du Dein Gesicht abwendest, leiden wir wie Tiere auf der Schlachtbank. Mit Dir sind wir glücklich, trotz aller Härten und Sorgen; doch von Dir getrennt, ist alle Bequemlichkeit der Hölle gleich.

Gobind Singh, Sabad Hazar

Der Guru Selbst wurde während dieser Angriffe – bis auf Seine zwei älteren Söhne – von Seiner Familie getrennt. In Chamkaur traf Er Seine Mutter wieder und fand ein wenig später auch die anderen Familienmitglieder. Doch die schweren Zeiten hatten noch kein Ende. Ein Diener betrog Ihn und tötete Seine zwei jüngeren Söhne. Durch diesen Schock starb auch Seine Mutter. Dann folgte eine Schlacht, bei der auch Seine anderen Söhne den Tod fanden. Da sie nun ohne Kinder waren, fragte Ihn Seine Frau, wie lange das so weitergehen solle, wie Er noch kämpfen könne, wo nun alle Kinder tot seien? 

Darauf antwortete der Guru: 

Für die Häupter dieser Söhne (der Anhänger), habe ich die vier geopfert.

Als die Kämpfer Chamkaur erreichten und nur mehr geringe Hoffnung auf einen Sieg blieb, war der Guru bereit, an der Seite Seiner ergebenen Schüler im Kampf zu sterben. Aber die Schüler wollten dem Guru dieses Schicksal nicht zugestehen und erinnerten Ihn an Sein Eid: Wenn fünf oder mehr Ergebene beisammen seien, dann wäre Er als ihr Diener zugegen. Er würde ihre Wünsche, ihre Worte als Gebot annehmen. Daher geboten sie Ihm nun, zu fliehen, solange es sicher sei. Tief bewegt umarmte sie der Meister mit tränenerfüllten Augen – denn Er war durch Sein Wort gebunden.

Gobind Singh zog nach Jathpura und schrieb dort einen Brief an den Herrscher – das Zafarnama, Botschaft des Sieges. Unerschrocken warf Er Aurangzeb feiges und unreligiöses Handeln vor und rechtfertigte Seinen Kampf gegen ihn:

Als die Lage ganz verzweifelt und hoffnungslos wurde, verlieh sie mir das Recht, das Schwert zu ziehen.

Falls Aurangzeb den Frieden wünsche, 

so fuhr Er fort, 

dann solle er ein Treffen mit Ihm vereinbaren; wenn er das nicht wolle, würde er vernichtet.

Durch die Gnade Gottes werde ich die Feinde der Religion besiegen. Du verlässt dich auf deinen Reichtum und deine Streitmacht, doch ich vertraue auf Gottes Macht; wenn du Gott zum Freund hast, vermag dich kein Feind zu besiegen. Wenn man bei einem mächtigen Tiger Zuflucht gefunden hat, was braucht man sich dann noch vor einer Ziege, einem Büffel oder vor einem Reh zu fürchten?

Zuletzt warnte der Guru Aurangzeb davor, sich von seiner herrscherlichen Macht blenden zu lassen:

Obwohl du auf dem Thron des Herrschers sitzt, sind deine Rechtsprechung, dein Verhalten und deine Achtung für die Religion doch recht befremdlich. Versprechen, die man gibt, um sie nicht zu halten, verletzen den, der sie gibt.2 Sei kein Narr, diese Welt währt nur ein paar Tage. Sieh, wie sie jeden Augenblick von Menschen verlassen wird.

Aber bevor Er die Antwort des Herrschers empfangen konnte, hatte Gobind noch eine Schlacht zu schlagen. Da Seine Streitmacht begrenzt war und Er keine Hilfe bekam, suchte Er in einem Wald im Zentrum der Einöde von Malwa Zuflucht. Hierher kehrten auch die vierzig Männer zurück, die Ihn in Anandpur verlassen hatten, und baten Ihn um Vergebung. Sie kämpften tapfer und brachten den feindlichen Truppen schwere Verluste bei, wurden aber schließlich von der enormen Überwacht der moslemischen Truppen besiegt und hauchten ihr Lebens aus. Mit der Gewissheit, dass der Guru unter den Toten sei, verließen die Moghuls die Einöde. Aber Gobind Singh erreichte das Schlachtfeld erst später, und Seine Augen füllten sich mit Tränen, als Er die verstümmelten Toten erblickte.

Auch Sein Schüler Mahan Singh lag in den letzten Zügen seines irdischen Daseins. 

Der Guru beugte Sich zu ihm nieder und strich über sein Gesicht:

Mahan Singh, du hast tapfer für die Heilige Sache gekämpft. Es sei dir gewährt, wonach immer es dich verlangt.

Mahan Singh öffnete die Augen und vertiefte sich intensiv in den kraftvollen und Göttlichen Anblick des Meisters. 

Da ich den Darshan des Gurus in der letzten Stunde meines Lebens habe, bleibt mir nur noch ein Wunsch, der mein Herz mit Sorge erfüllt. O Herr, vergebt bitte mir und meinen Kameraden, dass wir Euch in Anandpur verlassen haben. Zerreißt den Vertrag, den wir unterzeichnet haben, und macht uns wieder zu Euren Schülern.

Das Schreiben habt ihr verfasst, nicht ich,

antwortete der Guru. 

Der Schüler mag den Meister verlassen, doch der Meister kann den Schüler nicht verlassen.

Doch um Mahan Singh zufrieden zustellen, zerriss Er den Vertrag und hieß ihn, eine weitere Gunst zu erbitten. 

Da ich das bekommen habe, bleibt mir nichts zu wünschen übrig.

Mit diesen Worten verließ er seinen Körper, um die 39 anderen Soldaten zu begleiten – um in der Zukunft von allen Sikhs verehrt zu werden und durch die Gnade des Gurus von Gott gesegnet zu sein.

Gobind Singh zog von dort nach Talwandi Sahib, wo Er eine Antwort von Aurangzeb erhielt, der Ihn an den herrscherlichen Hof einlud. Doch bevor Er dort ankam, starb der Herrscher. Sodann reiste Er nach Agra, wo Er den nachfolgenden Herrscher, Bahadur Shah, traf. Der Meister zog mit ihm nach Süden und schlug Sein Lager in der Nähe des Heerlagers auf. In Nanded wurde der Guru von zwei pathanischen Mördern angegriffen und von ihren Dolchen schwer verletzt. Die Wunden wurden genäht und heilten zwar vorübergehend. Doch als Er einen starken Bogen spannen wollte, brachen sie nach ein paar Tagen wieder auf und bluteten stark. Diesmal wollten sie sich nicht wieder schließen, und der Guru wurde zusehends schwächer. 

Der Guru fühlte Sein Ende nahen, rief die Schüler an Seine Seite und entbot ihnen die Abschiedsworte: 

Die Menschen fürchten den Tod über alles; doch ich habe ihm stets offen ins Gesicht geblickt. Das sollte auch jeder von euch, der mein Schüler sein will. Trauert nicht um mich: Ich begrüße den Tod wie eine Liebende, die eilt, um den Geliebten zu umarmen.

Er hielt ein paar Minuten schweigend inne und blickte Seine Kinder mit königlichen Augen an. 

Wie der Regen die Saat sprießen lässt, so sollen euch meine Khalsas, meine Worte nähren und Frucht bringen. Durch das Heilige Wort – den Shabd – könnt ihr die Verbindung mit dem Herrn aufrechterhalten. Möge euch Gott beschützen.

Vor dem Morgengrauen des 7. Oktober 1708 verließ der Meister Seinen Körper. – Doch ein anderer Bericht besagt, dass der Guru nicht hier starb, sondern Sich an einen kleinen Ort zurückzog, wo Er den Armen und Hungrigen helfen und Sich in Seinen letzten Tagen auf Erden dem Dienst an Gott und der Menschheit widmen konnte.

Ich habe alles verlassen und trete nun vor Deine Tür, o Gott. Da Du meine Hand einmal ergriffen hast, willst Du mich nun nicht zu Deinem Eigen machen, mich, Gobind, Deinen ergebenen Diener?

Gobind Singh, Ram Avatar

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Erläuterung: 1) Siehe 'Die Nacht ist ein Dschungel', von Kirpal Singh, Seite 302. 2) Das bezieht sich auf das Versprechen in Anandpur, wo er den Schülern von Gobind zugesichert hatte, ihre Festung ungefährdet verlassen zu können. Es heißt, dass Aurangzeb dies gegenüber Gobind Singh mit einem Eid auf den Koran besiegelt haben soll.