Das Leben von Guru Nanak

IV

Unter den Edlen gibt es Niedrige; und unter den Niedrigen findest du die Reinen. Meide die Niedrigen (im Geiste) und sei der Staub unter den Füßen der Reinen.

Guru Nanak

Nanak begann Seine Reise im Punjab, dann wandte Er Sich nach Osten, wo Er an den Pilgerorten der Hindus predigte, vor allem in Hardwar, Benares und Patna. Er folgte dem Lauf des Ganges nach Assam und Bengalen. Als Er die Ortschaft Saidpur – heute Eminabad im Punjab – erreichte, sah Er einen armen Zimmermann fleißig arbeiten. 

Lalo,

fragte ihn der Meister, 

was machst du da?

– Ich bessere gerade etwas aus,

erwiderte der Zimmermann ohne aufzusehen. 

Komm mit mir. Ich will dir eine bessere Arbeit geben. Du sollst dein Herz ausbessern, damit es den Herrn umfassen kann.

Als er aufblickte, sah er die Heilige Gestalt von Nanak vor sich und fiel ganz unwillkürlich zu Seinen Füßen nieder. Die bloße Berührung und ein Blick waren genug, um sein einfaches Herz umzuformen und einen ergebenen Schüler aus ihm zu machen. Nanak war von Lalos Ergebenheit und Einfachheit so bewegt, dass Er mehrere Tage bei ihm blieb.

Schnell machte die Nachricht die Runde, dass bei Lalo ein Heiliger Mann zu Gast sei. Viele kamen, um Seinen Göttlichen Rat zu suchen. Doch als Ihn Malik Bhago, ein hoher Armee-Offizier, zu einer religiösen Feier einlud und der Meister die Einladung ausschlug, begann man verleumderische Geschichten über Nanak zu verbreiten.

Bhago selbst suchte Nanak auf und verlangte eine Erklärung, warum Er die Einladung zu seiner Feier abgelehnt und stattdessen das Mahl mit einem Zimmermann niederer Kaste geteilt habe? Doch der Guru, Der alle Gedanken an Kasten, außer den an die eine ‚Kaste Gottes‘ zurückgewiesen hatte, antwortete: 

Wer Gott liebt und sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdient, kann heilig genannt werden. Lalos Mahl ist nur einfach, doch ehrlich verdient und im Gedenken Gottes bereitet – solch eine Nahrung ist rein und gibt Frieden. Doch dein Reichtum, o Bhago, wurde durch die Qualen der Armen angehäuft; und wenn man davon isst, wird das Gemüt unruhig und üblen Leidenschaften zugeneigt. Lalos Essen ist honigsüß, doch deinem Mahl haftet der Geruch von Blut an.

Dann nahm Nanak einen Laib von Maliks Brot in die eine und einen Laib von Lalos Brot in die andere Hand. Als Er Lalos Laib zusammenpresste, fielen Tropfen Milch zu Boden; doch als Er Maliks Laib presste, floss Blut heraus.1 Es wird gesagt, dass Bhago darauf seine Vergangenheit bereute und die Vergebung des Gurus erflehte und von da an ein gottergebenes Leben zu führen suchte.

Trotz des tiefen Schmerzes Seines Schülers Lalo verließ Nanak Saidpur, da Ihn der Göttliche Wille rief. Auf dem Weg nach Tulamba begegnete Er einem Sajjan – was soviel wie wahrer Freund bedeutet –, der so tat, als sei er ein reicher Mann im Dienste Gottes, der müden Wanderern Gastfreundschaft bot. Doch wenn diese schliefen, raubte er sie aus und schnitt ihnen die Kehle durch.

Als Nanak und Mardana an ihm vorbeigingen, hielt er sie fälschlich für reiche Reisende und bot ihnen Unterkunft in seinem Haus und wies ihnen einen Platz zum Schlafen, als es dunkel wurde. Nanak willigte ein, doch da Er die Absicht Seines Gastgebers durchschaute, bat Er, erst eine Hymne singen zu dürfen.

Sehet den leuchtenden Glanz der Bronze – doch wenn man sie reibt, werden die Hände schwarz; und Wasser vermag diesen Schmutz nicht zu entfernen. Ein Wahrer Freund2 bleibt immer an deiner Seite und ist bereit, für deine Taten einzustehen. Geschmückte Tempel, doch im Innern leer, sind nur eine Maske, um die Welt zu täuschen. Auch ein prächtiges Haus kann den Betrachter blenden, doch schließlich muss das alles vergehen. An den Pilgerorten kann man weiße Reiher sehen, still, wie ins Gebet vertieft: Doch Ungeachtet dieses Augenscheins warten sie nur darauf, andere Lebewesen zu verzehren. Wer kann sie da als weiß (schuldlos) benennen? Auch dieser Körper ist einem Baum gleich, dessen Frucht vergeudet wird, denn die Menschen sehen und verstehen nicht. Ein Blinder wandert mit seiner Last einen langen, bergigen Weg hinan; ohne Licht der Augen, das ihm keiner geben kann – wie vermag er sich da zu erheben und ans Ende seiner Reise zu gelangen? Welchen Sinn haben alle Klugheit, Tugend und Verdienst? O Nanak, einzig die Vertieftheit in Naam vermag dich von den Fesseln zu befreien.

Guru Nanak, Rag Suhi M1

Als er diese Worte hörte, war er zutiefst betroffen. In der Heiligen Gegenwart Nanaks fing er von Kopf bis Fuß zu zittern an, als ihm das volle Gewicht seiner Sünden bewusst wurde. Seine Tränen ergossen sich wie Wasser über die Füße des Meisters – die er fest umklammert hielt, als er seine Sünden reuevoll beweinte. Seine Täuschung und sein Verrat waren aufgedeckt, doch gleichzeitig empfand er, wie ihm große Liebe und Vergebung zuteil wurde. Er erhob sein Haupt, faltete die Hände und beichtete all seine Übeltaten. Nanak gebot ihm, im Namen Gottes seinen Reichtum den Armen und Gottesfürchtigen zu übergeben. 

Verlasse die üblen Wege, die du beschritten hast, und gib dich dem Dienst an Gott und der Menschheit hin.

In der Gegenwart eines Heiligen ist das Leben voller Wunder; doch das größte von ihnen ist der Lebensfunke, der die Göttliche Liebe in uns entzündet. Und durch die Gnade des Meisters wurde diese Wundertat in Sajjan bewirkt. Er verteilte nicht nur seinen unrecht erworbenen Reichtum, sondern zerstörte auch den Palast, in dem er zahllose Menschen ermordet hatte, und erbaute sich statt dessen eine kleine Hütte am selben Ort. Er errichtete des Weiteren ein Haus, das der Meditation und dem Gebet gewidmet war und der erste Gurudwara – Sikh-Tempel – werden sollte. Doch als allerhöchstes wurde Sajjan mit dem Reichtum von Naam beschenkt.

Nanak setzte Seine Reise fort und erreichte schließlich Hardwar, einen heiligen Ort der Hindus. Dort, wie auch an anderen Orten, an die Er noch kommen sollte, fand Er Menschen, die nach Gott suchten und sich um Rechtschaffenheit mühten und doch Irrwegen folgten. Er kam mit der Fülle Seines Mitleids, um sie aus ihrem spirituellen Schlaf zu erwecken. 

Als der Tag gerade anbrach, betrat Er die Ufer des Ganges und stieß auf ein paar Pilger, die der aufgehenden Sonne ein Wasseropfer darbrachten. Er befragte sie über die Bedeutung dieser Handlung und sie sagten, dass sie dieses heilige Wasser ihren Vorfahren im Land der Sonne opferten. Nanak ging nun ans Ufer hinunter und begann, Wasser nach Westen zu schütten. Und da wiederum befragten Ihn die Pilger über die Bedeutung Seines Opfers. 

Ich bewässere meine Felder im Punjab.

Die Pilger brachen in höhnisches Gelächter aus. 

Dein Wasser fällt doch wieder in den Ganges zurück. Wie kann es da Deine Felder in einem weitentfernten Land erreichen?

Der Meister antwortete ihnen: 

Ihr behauptet, euer Wasser könne das Land der Toten erreichen – warum bin ich töricht, wenn ich glaube, dass das meine irgendeinen Ort dieser Welt erreicht?

Diese Worte ließen sie verstummen. Der Guru ging nun wieder aufs trockene Land zurück und gab den Pilgern Seine Unterweisung: 

Alle Opfer an Wasser, Nahrung oder Geld können eure verstorbenen Ahnen nicht erreichen. Vielmehr bleiben sie in den Händen jener Priester, denen sie ihr übergebt. Lasst euch nicht durch falschen Rat verführen und folgt nicht blindlings irgendwelchen Worten. Jeder von uns erntet die Früchte seines Handelns – wie eure hingeschiedenen Ahnen, so auch ihr. Wer ein Leben hoher Moral und Selbstbeherrschung führt, dem wird hier und danach Glück zuteil.

Später am Tag, als Er notgedrungen Feuerholz suchte, überschritt Er die Linie, die ein Brahmane um seine Kochstelle gezogen hatte. Man betrachtete das als schamlosen Frevel, und der Brahmane war außer sich. Er schrie den Meister an, weil Er seinen heiligen Bereich betreten und dadurch seine Nahrung beschmutzt habe. 

Deine Küche ist bereits verunreinigt,

erwiderte ihm der Guru, 

welchen Sinn haben da deine Begrenzungslinien? Ein übles Gemüt ist voller Schmutz wie ein Straßenkehrer und grausam wie ein Schlächter. Verleumdung beschmutzt und Ärger macht uns zu Narren.3 In wem diese Übel wohnen, der ist von niederer Kaste. Nur wer ein reines Herz und einen edlen Charakter hat und im liebevollen Gedenken Gottes lebt, dessen Berührung ist wirklich rein.

Von Hardwar reiste der Guru nach Gorakhmata – das nach Seinem Besuch in Nanakmata umbenannt wurde – und weiter nach Benares, Patna, Ayodhya, Gawa und dann nach Assam und Bengalen. Von dort ging Er nach Puna, wo Er dem gottberauschten Vaishnava, Chaitanya – der uns durch seinen Ruf Hari Bole bekannt ist – und Seinen engsten Schülern begegnete. Sie verbrachten manche Tage zusammen und sangen zum Ruhm Gottes, bevor Nanak sie wieder verließ.

Doch Mardana war von den Anstrengungen des Reisens so sehr erschöpft, dass er Nanak bat, nun in den Punjab zurückzukehren. Sein Wunsch wurde ihm erfüllt, doch erst trafen sie sich mit Sheikh Ibrahim – dem zwölften in der Nachfolge Farids, einem berühmten Sufi-Meister. Der große Sheikh beugte sich demütig nieder, als er Nanak traf, und die Worte Du bist Allah strömten unaufhörlich von seinen Lippen. 

Nanak antwortete ihm: 

O Farid! Allah ist das einzige Ziel meines Lebens. Allah ist der Innerste Kern meines Wesens.

Ibrahim reichte Nanak Farids Schriften, die später in die Heiligen Schriften der Sikhs aufgenommen wurden. Nanak gründete hier auch die Stadt Kartapur – wörtlich: Die Wohnstatt des Herrn und Schöpfers – wo Er ein Haus baute und Sich mit Seiner Familie niederließ. Aber Seine Rast war nur kurz, da die verworrene Lage der Welt Seiner Hilfe bedurfte. So machte Er Sich wieder auf den Weg, um den Weisungen des Herrn nachzukommen. Und dieses Mal war der Süden Sein Ziel, bis nach Ceylon – Sri Lanka – hinab.

Diese Reisen führten Nanak in unbekannte Länder, wo Er Menschen traf, die die unterschiedlichsten geistigen Wege verfolgten und verschiedene Kräfte besaßen. Obwohl wiederholt vor großen Gefahren gewarnt, achtete Er nicht darauf. Wohin immer Ihn das Sehnen der Liebe und Hingabe rief oder wo das Leid der Menschen der Erleichterung bedurfte, dorthin ging Er als Botschafter des Göttlichen Willens, ohne durch den geringsten Gedanken an Sich Selbst behindert zu sein: 

Er hat mich gesandt, so wird Er für mich sorgen.

Er sah Menschen, die durch ihre eigenen Kräfte oder weltliche Schönheit oder Reichtum oder durch selbstische Motive geblendet waren. Doch Er blieb stets voll Gleichmut. Und immer wieder verblasste das schwache Leuchten der vergänglichen Verlockungen vor der Sonne des Göttlichen; und alle Wunder des Yoga und der Magie wurden in ihrem Lichte zu Nichts.

Gegen Ende dieser Reise traf Nanak einen reichen Bankier namens Dhuni Chand. Dhuni Chand lud Nanak ein, einem Ritual beizuwohnen, mit dem er seinem verstorbenen Vater huldigte. Doch Nanak riet stets von solchen Dingen ab, da sie zu einem Lebensunterhalt der Priester geworden waren, doch keine der erwarteten Segnungen nach sich zogen. Die Nacht darauf hatte Dhuni Chand eine Vision, die die Worte des Gurus bestätigte. Danach suchte er die enge Gemeinschaft mit dem Guru und lauschte Seinen Worten voller Aufmerksamkeit. Eines Tages ging er zu Nanak und bat Ihn – vielleicht mit einer Spur von Stolz über seinen ungeheuren Reichtum – eine Gabe anzunehmen. Darauf reichte ihm der Meister eine dünne Nadel und sagte: 

Gib mir bitte diese Nadel zurück, wenn wir uns im Jenseits begegnen.

– Wie könnte ich das? Wer kann irgendetwas mit sich nehmen, wenn er stirbt?

Was nützt dir also dein Reichtum, wenn du keinen Pfennig davon mit dir nehmen kannst?

Dhuni Chand machten diese Worte benommen; er hatte sein ganzes Leben damit verbracht, Reichtum anzuhäufen, und einmal gewonnen, hatte er ihn von Tag zu Tag vermehrt.

Der Name des Herrn – Der in dir ist – ist das einzige Gut, das dir hier und danach von Nutzen ist,

fuhr Nanak fort. 

Der Guru kann dir ein Kapital geben – ein Spirituelles Guthaben – mit dem du beginnen und das du von Tag zu Tag vermehren kannst. Der Schüler braucht nur die Anweisungen des Meisters zu befolgen, und er wird das Wahre Gut des Lebens gewinnen, das immer bei ihm bleiben wird.

Kurz danach wurde Dhuni Chand in die Mysterien des Panch Shabd – des fünf-fältigen Tones – initiiert. Er bemühte sich sehr, die Göttliche Gabe zu entwickeln und verteilte seinen Reichtum im Dienst der Heiligen an die Armen, Hungrigen und Gottesfürchtigen.

Nach diesen langen Reisen lenkte Nanak Seine Schritte wieder in den Punjab zurück. Seine Schwester Nanaki erfuhr in der Meditation von Seiner Heimkehr und verließ ihr Haus in Sultanpur, um Ihm in Talwandi zu begegnen. Sie war die erste, die Ihn kommen sah, doch sie hielt sich respektvoll zurück, als Ihm andere zur Begrüßung entgegeneilten. Metha Kalu war der erste, der Ihn empfing – und das Herz des Vaters, der seinen Sohn wiedersah, war von Freude erfüllt. Nanak beugte Sich zuerst tief zu den Füßen Seines Vaters und dann zu denen Seiner Mutter nieder. Nanaki trat erst vor, als man sie rief – und dann nicht, um ihren Bruder, sondern um ihren von Herzen geliebten Guru zu begrüßen. Sie beugte sich nieder, um Seine Füße zu berühren, aber Nanak erlaubte es nicht. Er hob sie hoch und umfing sie mit einer liebevollen Umarmung.

Die Botschaft von der Ankunft des Gurus verbreitete sich schnell, und viele kamen, um Seinen Darshan zu empfangen und Seine Heiligen Worte zu vernehmen. 

Obwohl die Abneigung der früheren Jahre verschwunden war, konnte der Gedanke an die Göttlichkeit seines Sohnes keinen Einlass in Mehta Kalus Herzen finden. So fuhr er also fort, seinen Sohn auf die zukünftige Verantwortung hinzuweisen: Hatte Er denn nicht genug gereist? War Er denn nun nicht bereit, die Verantwortung für den Haushalt zu übernehmen? Und war es nicht das gute Recht der Eltern, Ansprüche an ihr Kind zu stellen? Das waren einige der vielen Fragen, die Mehta Kalu an Nanak richtete, als er mit Ihm und seiner Frau Tripta allein war.

Nanak entgegnete: 

Ich bin nur ein armer Diener des Herrn. Mein einziger Besitz ist, einfach nach Seinem Willen zu leben.

Dann saß Er ein paar Augenblicke still da und blickte tief in ihre Augen. Seine Augen waren von einem Licht entflammt; und als Er nun sprach, hörten die Eltern nicht länger die Stimme ihres Sohnes, sondern die eines vergöttlichten Menschen, Dessen Worte ihnen Trost und Klarheit brachten. 

Es gibt einen Gott, Der Seine Schöpfung als bewusster Geist – Naam – durchdringt. Er ist das Licht, Das überall erstrahlt und tief in unserem Selbst gefunden werden kann. Jene, die sich Ihm zuwenden, finden Göttliche Glückseligkeit. Alle anderen wandern verloren dahin, in die Qualen der Welt verstrickt. Vom Schleier des Egoismus verhüllt, rennt der Mensch blindlings den Sinnesfreuden und üblen Wünschen nach, obwohl sie ihm keine Erfüllung bringen. Durch die Verbindung mit Naam kommt das Gemüt zu Ruhe, und der Schleier der Dunkelheit reißt entzwei. Nur dann finden wir Frieden im Innern.

Die letzten Tage Seines Lebens verbrachte der Guru bei Seiner Familie in Kartapur. Er arbeitete dort als Bauer, um Sich und die Seinen zu versorgen, und Er gab auch vielen Schülern das tägliche Brot auf Seinem Hof. Durch die reichlichen Ernten konnte man auch daran gehen, einen Langar – Gemeinschaftsküche – zu errichten. Jeder, der kam, erhielt dort eine kostenlose Mahlzeit, ungeachtet seiner Kaste, Religion oder Stellung. Der Langar wurde von den späteren Sikh-Meistern weitergeführt, und selbst heute noch wird der Brauch der kostenlosen Essensverteilung beachtet.

Die Schüler Nanaks erhoben sich jeden Morgen früh zur Meditation und zum Gebet, wonach der Meister oft einen Vortrag hielt. Und ohne je zu fehlen, kam da ein gewisser Knabe, setzte sich zur Meditation und folgte danach dem Satsang des Meisters mit großer Aufmerksamkeit. Bald rief ihn Nanak zu Sich und fragte ihn, warum er nicht im Bett liege, wie die anderen Kinder seines Alters. 

Der Knabe sagte, dass er Zuflucht vor dem Tode suche: 

Einmal schaute ich meiner Mutter beim Feuermachen zu. Die kleinen Hölzer brannten zuerst; und da kam mir in den Sinn, dass mich der Tod eines Tages genauso leicht und unbemerkt überwältigen könnte. Dann kam Barbar und brannte unsere Felder nieder. Ich hatte Angst und rannte zu meinem Vater, aber er konnte nichts tun. Wenn mich nicht einmal mein Vater vor dem König beschützen kann, wer soll mich dann vor dem Tod schützen? So suchte ich also den Schutz eines Heiligen.

Nanak freute Sich sehr über die Antwort des Knaben. Obwohl so jung, besaß er die Weisheit eines alten Mannes – eines Buddha – und von da an war er als Bhai Buddha bekannt.

Bhai Budbha erreichte ein hohes Alter und entwickelte die Gabe Guru Nanaks – das Heilige Naam – zu voller Blüte. Er weihte sein Leben dem Dienst der fünf Meister nach Nanak und vollzog für jeden von Ihnen ein Ritual, dass Ihren Aufstieg zum Spirituellen Thron zum Ausdruck brachte. Es gibt viele Berichte, die von der Liebe und Achtung zeugen, die ihm die Meister erwiesen; doch als der ergebene Schüler, der er war, überschritt er niemals die Grenze, die ihm die Demut gebot. Als er schließlich auf dem Totenbett lag, eilte Guru Har Gobind – der sechste Guru – an seine Seite. Bhai Buddha war tief bewegt vor Freude über die Gegenwart des Meisters in der Todesstunde. Und der Meister Selbst beugte Sich vor ihm nieder und bat ihn um einen letzten Rat. 

Doch der alte Weise antwortete: 

Du leuchtest wie die Sonne, und ich bin nichts als ein armes Glühwürmchen. Hilf mir mit Deiner Gabe, über das unendliche Meer des Lebens zu schwimmen.

– Du bittest um das, was dir bereits gewährt wurde,

sagte Har Gobind und legte Seine Hand auf Bhai Buddhas Stirn, wonach sich dessen Seele für immer ins Reich des Unveränderlichen Einen zurückzog.

So viele kamen zu den Füßen des Meisters, und obschon Seine große Liebe auf jeden gleich erstrahlte, konnte sie der einzelne nur im Maße seiner Empfänglichkeit aufnehmen. Manche sahen in Guru Nanak nur einen Menschen und erhielten nichts. Andere hielten Ihn sogar für einen Atheisten und hielten sich von Ihm fern. Andere sahen in Ihm Gott auf  Erden im menschlichen Gewand. Selbst Seine Schüler erkannten Ihn nur soweit, als Er Sich ihnen Selbst offenbarte. 

Guru Nanak erklärte, dass es drei verschiedene Arten von Ergebenen gibt. Und als Ihn ein Schüler namens Bhai Ajitha darüber befragte, versprach ihm Guru Nanak, dass Er ihm diese drei Arten von Ergebenen zeigen würde. Eines Nachts brachte ihn Guru Nanak zu einem bestimmten Haus; und als sie der Eigentümer draußen stehen sah und als gottesfürchtige Männer erkannte, wünschte er, sie zu bewirten. Die Familie war sehr arm und so gaben ihnen jeder einen Teil des eigenen Essens, und dann kehrten sie in ihr Haus zurück. Nanak und Ajitha verbrachten die Nacht vor dem Haus in Meditation und sagten den Leuten am Morgen, dass sie nun wieder fortgingen. 

Sie sagten: 

Brüder, ihr geht wieder? Dann geht. Wer hat euch gebeten, zu kommen?

Als sie gingen, sagte Nanak zu Ajitha: 

Dieser Mann ist ein wenig zur Schülerschaft erwacht. Solch ein Mensch wird zuhören und ist zu körperlichem wie auch finanziellem Dienst bereit, doch er wird dort bleiben, wo er ist (in seiner Spirituellen Entwicklung).

Nun führte Nanak Ajitha zu einem anderen Haus, wo er die zweite Art von Ergebenen sehen konnte: jene, die unter dem Schutz des Meisters leben. Als sie das Haus betraten, empfing und bewirtete man sie mit großer Liebe und Ehrerbietung. Sie baten den Meister, ihnen den Weg zur Kontrolle des Gemüts  und zur Befreiung von der Gefangenschaft der Welt aufzuzeigen. Der Meister sprach mit ihnen die ganze Nacht über den Weg zu Gott; und sie hörten Ihm aufmerksam zu. Als die Sonne aufging, sagte ihnen der Meister, dass für Ihn nun die Zeit zum Aufbruch gekommen sei; und sie machten eilends etwas zu essen und gaben es Ihm mit auf den Weg. Sie baten Ihn um Seine Gnade und baldige Rückkehr zu ihrem Haus. Als sie gegangen waren, erklärte Nanak Ajitha, dass diese Familie zu jenen gehöre, die unter dem Schutz des Meisters lebten. Solche Menschen brauchen nicht spirituell fortgeschritten zu sein, doch sie können auf ihre Zukunft hoffen.

Nach ein paar Tagen brachte Nanak Ajitha schließlich zu einem dritten Haus, um ihm jene Art von Ergebenen zu zeigen, die die Essenz der Wahrheit vom Guru empfangen hatten. Die Familie bestand aus den Eheleuten, zwei Söhnen und einer Tochter – und sie waren alle von Liebe zum Guru erfüllt.

Als der Meister eintrat, erwies man Ihm großen Respekt und Verehrung. Die Frau ging sogleich in die Küche, um das Mahl zu bereiten: doch Ihr Sohn, der ihr nacheilte, glitt auf dem Boden aus, stürzte hin und starb. Die Mutter war natürlich bestürzt, aber sie dachte an das karmische Gesetz und nahm das Geschehen als eine Rückwirkung vergangenen Handelns hin und richtete ihre Gedanken auf den Großen Heiligen, Der zu Besuch gekommen war. Damit durch den Vorfall keine Unruhe entstünde, während der Heilige bei ihnen war, brachte sie den Körper in einen anderen Raum und legte ihn unter eine Decke. Sie wollte ihrem Mann erst nach dem Abschied vom Meister davon berichten. Währenddessen widerfuhr dem jüngeren Sohn, der seinen Vater begleitet hatte, dasselbe Schicksal – er stürzte zu Boden und starb. Auch sein Vater legte ihn auf ein Bett in einem anderen Zimmer und verbarg ihn unter einer Decke. Als sie sich nun zum Essen niedersetzten, nahm Guru Nanak die Tochter auf den Schoß und fragte sie, wo ihre Brüder seien. 

Sie antwortete: 

Sie sind im Schoße des Gurus. Ob im Leben oder im Tod, wir sind alle in Seinem Schoß.

Guru Nanak wollte nun etwas essen, aber Er konnte nichts hinunterschlucken. 

Das Essen will nicht durch meine Kehle,

sagte Er Sich. 

Sie haben mich durch ihre völlige Hingabe an den Guru gebunden.

Er wandte Sich an den Vater und ließ ihn wissen, dass Er seine Söhne gerne sehen würde. Die Eheleute waren bestürzt, doch als der Meister auf Seinen Wunsch bestand, rief der Vater schließlich seine Söhne. Sogleich kamen die Söhne aus ihren Räumen und berichteten von ihrem wundersamen Schlaf, den sie im Schoße des Gurus verbracht hatten. 

Nun wandte Sich Guru Nanak an Ajitha: 

Das sind jene Menschen, die sich der Gegenwart des Gurus im wahrsten Sinne erfreuen.

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Erläuterungen: 1) Guru Nanak erklärte einmal: Ich kenne kein anderes Wunder als das von Naam. Weil Er das sagte, behaupten manche modernen Historiker, dass alle Wunder, die man Ihm zuschreibt, mit Seinen eigenen Worten nicht zu vereinen sind. Deshalb werten sie diese als Erfindungen übereifriger Sikh-Historiker ab – von denen es unglücklicherweise allzu viele gibt. Doch die Gottverwirklichten Menschen kennen die Höheren Gesetze der Natur, von denen manche jenen Menschen, die nur die althergebrachten Naturgesetze anerkennen, als wundersam erscheinen mögen. Wenn Heilige überhaupt Wunder vollbringen, dann nur, wenn Ihre Seele durch die Kraft von Naam mit der Überseele Gott verbunden ist. Darüber hinaus gebrauchen die Heiligen diese übernatürlichen Kräfte nicht für persönliche Zwecke – wie es wohl manche Yogis und auch andere tun – wie: auf sich aufmerksam machen, Anhänger um sich sammeln oder aus anderen Gründen. Doch Sie können in seltenen Fällen Wunder bewirken: um eines bestimmten Schülers willen oder um das Herz eines Menschen Gott zuzuwenden oder aus anderen Gründen, die wir nicht kennen. Doch wirken Sie in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und nicht, indem Sie Ihre eigenen Kräfte missbrauchen. Gewöhnliche Menschen mögen Sie für Ihre Wunder rühmen, doch Sie Selbst betrachten diese Wunder wie alle anderen Dinge der Welt – als vorübergehende Erscheinungen im Äußeren. Deshalb vermeiden Sie es nicht nur, Wunder zu bewirken, sondern legen auch Ihren Schülern, die noch auf dem Weg sind, nahe, diese um jeden Preis zu vermeiden, da sie voller Gefahren sind. Des Weiteren wird mit einem Wunder eine Rechnung eröffnet, die einen Ausgleich erfordert, wie es die Naturgesetze gebieten. Wer auch immer bei einem Wahren Heiligen weilt, wird von dem großen Leid, dass Er auf Sich nimmt, um die karmische Last Seiner Kinder zu erleichtern, schmerzlich bewegt. Er opfert Sein eigenes Wohlergehen um ihretwillen, wenn Er durch ihr Leid oder ihre Liebe und Ergebenheit ergriffen wird. 2) Das Wort Sajjan bedeutet wahrer Freund. 3) Strenggläubige Hindus zogen Linien um ihre Kochstellen, die niemand übertreten durfte, weil sie glaubten, dass Menschen niedrigerer Kaste die Atmosphäre ihrer Küche und die darin bereitete Nahrung beschmutzen würden.