Das Leben von Guru Ram Das

1534 – 1581

Übersetzung aus englischen Vorlagen durch Schüler Kirpal Singhs

Neun Gurumukh Gurus und Guru Nanak

 

Der Pfeil der Liebe Gottes hat mein Herz durchbohrt. Mein Gemüt windet sich voll Qual und lechzt nach einem Blick des Herrn, wie ein Dürstender nach Wasser verlangt. Nur der Herr kennt den Schmerz der Inneren Qual. Wer mir etwas von meinem Herrn, dem Geliebten, erzählt, der ist mein Wahrer Bruder.

Rag Gand M4

In einem Stadtteil von Lahore lebten fromme und einfache Eheleute – Han Das und Daya Kaur –, die lange um einen Sohn gebeten hatten, aus dem etwas Großes werden sollte. Ihre Gebete fanden Erhörung und im Herbst 1534 wurde ihnen ein Sohn geboren. Er wurde Ram Das oder Diener Gottes genannt, aber gewöhnlich Jetha oder der Erstgeborene gerufen. Wie Nanak vor und andere Heilige nach ihm, hatte er wenig Interesse an den Freuden und Unterhaltungen der Welt. Sein junger Geist war auf der Suche nach Innerer Harmonie und all seine Freude war die Meditation und die Gemeinschaft der Heiligen. Wie der junge Nanak fand auch er daran Gefallen, seinen wenigen Besitz an die Armen und Heiligen zu verteilen. Doch seine nicht auf die Welt gerichteten Neigungen brachten seine Eltern dazu, dass sie ihre Gebete zu bedauern begannen.

O, erfülle die Sehnsucht von Nanaks Kind nach einem Blick des Herrn – so wird dieser Körper voll Friede sein.

Doch als dann dieses Gebet aus Jethas Herz schließlich erhört wurde, fand kein anderer Wunsch mehr Eingang in Sein Gemüt. Jetha Ji wurde von einer Gruppe von heiligen Männern gesegnet, als er ihnen selbstlos diente – und diese Segenswünsche trugen alsbald Frucht. Er traf ein paar Männer, die ihm vom Großen Lebendigen Meister Guru Amar Das erzählten. Und Jetha Ji verschwendete keine Zeit, eilte in die Gegenwart Dessen, Dem er sein Leben hingeben sollte – und als er Ihn sah, sprach Herz zu Herz und Auge zu Auge; bald wurde er auf den Pfad von Naam gestellt.

O Nanak, Ruhm, Ruhm dem Satguru; denn die Verbindung mit Ihm lässt Schmerz und Leid vergehen.

Rag Gauri M4

Freudig gebe ich mich Ihm zum Opfer hin.1

Guru Ram Das

Der Gott, Der für die ganze Welt der Herr der Gerechtigkeit ist, weil Er die Menschen durch ihre Handlungen gebunden hält, wird zum Herrn der Gnade, wenn Er als Satguru erscheint und die verlorenen Seelen wieder mit jener Kraft verbindet, durch Die sie zur Einheit des Lebens zurückfinden und somit das sich sonst endlos drehende Rad der Seelenwanderung zum Stillstand bringen können. Wer immer an einen solchen Meister denkt, der wird von Ehrfurcht ergriffen. Und wenn auch die Liebe des Satgurus ein reiner Gnadenerweis sein mag – auf keine Weise zu begleichen – so wird doch jener, dessen Herz durch sie berührt wurde, nur noch wünschen, Ihm zu dienen und in Seine Gegenwart vertieft zu bleiben. 

Und selbst er, der dazu bestimmt war, diese Heiligste Arbeit weiterzuführen, faltete seine Hände und verbeugte sich voll tiefer Dankbarkeit: 

Wer außer dem Satguru hätte einen Sünder wie mich zu erretten vermocht? 

Und in seinem Herzen bewahrte er auf immer ein stilles Gebet der Dankbarkeit.

O Gott, mache uns zum Diener Deiner Diener, gewähre, dass das Licht Deiner Heiligen auf uns scheint, solange uns der Lebensatem beseelt.

Kalyan M4

Jetha Ji wurde mit Amar Das Tochter Bibi Bhani verheiratet, und um beim Meister zu bleiben, hielt er sich nicht an die Sitte, zur eigenen Familie zurückzukehren. Dieser sanfte Diener der Menschen, dessen Liebe viele Schüler inspirierte und der dazu bestimmt war, für noch viel mehr zu einem Hort der Zuflucht zu werden, brachte seiner Familie nur Schande ein. Als die Brüder Jethas jedoch von den niedrigen Pflichten erfuhren, die er für Amar Das erfüllte, tadelten sie ihn. Sie erinnerten ihn daran, dass er ein Khatri und kein Dienstbote sei – und auf keinen Fall der Diener seines Schwiegervaters. 

Aber Jetha Ji konnte in Amar Das nicht den Schwiegervater sehen. Für ihn war Er der Offenbarte Gott. Er hatte ihn aus niedriger Stellung erhoben und als Sein Eigen angenommen. 

Wie kann ich anders handeln? Was kann ich mir anderes wünschen, als der Sklave eines solchen Menschen zu sein?

Aber Jethas Antworten erzürnten seine Brüder nur umso mehr; und sie beschwerten sich beim Meister Selbst. Er hieß sie jedoch gnädig willkommen und ließ Sich von ihrer Feindseligkeit nicht erschüttern. 

Ich habe ihm keine ungehörige Arbeit aufgebürdet, sondern seine Arbeit in dieser Welt beendet und ihn mit der Kraft der Wahren Herrschaft beschützt. Er ist die Wahrhaftige Verkörperung von Hingabe und Rechtschaffenheit, und wenn er nicht in eure Familie geboren worden wäre, wärt ihr alle der Verdammnis unterworfen. 

Ich bin nur ein nutzloser Sklave, auf dem Markt gekauft. Selbst wenn Du mich auf den Thron setzen würdest, bliebe ich doch nur Dein Sklave. O, hilf mir Geringem mit Deiner Kraft, Deinen Namen zu wiederholen.

Gauri M4

Auf Geheiß des Meisters verließ Jetha Goindwal und begann mit dem Bau einer neuen Stadt – die zuerst Ramdaspur hieß, aber später zu Amritsar wurde – und legte auch mehrere Badeteiche an. Mit dem einzigen Ziel der Selbstübergabe wirkte er unermüdlich im Dienste des Meisters. Obgleich er wegen seines aufopfernden Dienstes oftmals verspottet wurde, machte ihm das nichts aus, da er jeden Gedanken an sich selbst aufgegeben hatte. Ob die Welt ihn rühmte oder verdammte, sein Gemüt blieb unbeeinflusst in der Art eines Gebetes in die ständige Erinnerung an den Herrn vertieft. Durch diesen unerschütterlichen Glauben wurde der Schleier der Trennung beseitigt und seltsame und bezaubernde Wunder öffneten sich vor seinem Inneren Blick. Und als ihm die Höchste Vision zuteil wurde, beugte er sein Haupt in demütiger Verehrung und Ehrfurcht vor dem Geliebten Meister nieder – denn er sah, dass er und Gott Eins waren.

Als ich das Meer des Körpers aufwühlte, kam ein seltsames Wunder ans Licht: Gott lebte im Meister und Nanak konnte keinen Unterschied finden.

Gurbani M4

Jetha Ji – nun wieder Ram Das genannt – hatte Sich ganz nach dem Bilde des Meisters geformt; und Er wurde damit beauftragt, das Spirituelle Werk fortzuführen. Damit nun daran kein Zweifel bestand, gebot Amar Das Seinen beiden Söhnen Mohan und Mohri, sich vor dem Guru zu verneigen. Der Ältere der beiden war sehr stolz und weigerte sich, die Füße eines Dieners zu berühren; aber Mohri sah in Ihm das gleiche Licht wie in seinem Vater und verneigte sich voller Ehrerbietung. 

Ram Das selbst war zu bescheiden für so etwas und konnte das kaum ertragen. 

O Herr, ich bin nur ein armer Schüler und wünsche nur, das auch zu bleiben. Viel besser wäre es, wenn Mohri das Heilige Werk fortführen könnte.

Aber der Göttliche Befehl war erlassen und der Diener auf den Thron erhoben.

Ram Das fuhr fort, die Stadt weiterzubauen, wie es der Meister gewünscht hatte; und auch den berühmten Teich namens Amritsar, nach dem die Stadt schließlich benannt wurde. Mit der Zeit sollte sie ein großes Handelszentrum und eine Quelle des Lebenserwerbes für die Sikhs werden.

Während Ram Das Leben begann die Gnade des Meisters auf Sri Chand, Guru Nanaks Sohn, einzuwirken, der das Leben eines Entsagenden geführt hatte, und ihn zurück auf den Pfad zu bringen. Er war so stolz, dass er jede Begegnung mit Angad oder Amar Das vermieden hatte, aber die Härten des Lebens hatten ihn Demut gelehrt; und so verließ er nun seine Dschungelklause, um dem Lebenden Meister seine Ehrerbietung zu erweisen. Ram Das aber schien es, als ob Er dem Sohn des Großen Guru Nanak Ehrerbietung erweisen sollte. Und als sie sich dann begegneten, verneigte sich ein jeder vor dem anderen – und Sri Chand wurde erneut für einen Augenblick von Stolz überwältigt: 

Warum trägst du deinen Bart so lang? Ahmst du nur meinen Vater nach?

Nein, 

antwortete der Meister.

Ich habe ihn nur wachsen lassen, um mit ihm die Füße von Nanaks Sohn zu waschen. 

Sri Chand war überrascht und beugte sich erneut vor dem Meister nieder und erwies Ihm all die Ehre, die Ihm als Nachfolger seines Vaters zustand.

Ram Das Selbst hatte drei Söhne: Prithi Chand, Mahadev und Arjan – und als die rechte Zeit kam, wurde ihre Hingabe geprüft. Ram Das wurde von einem Cousin zur Hochzeit seines Sohnes eingeladen. Da die Hochzeit in Lahore sein sollte und der Guru in Amritsar sehr viel zu tun hatte, antwortete Er, dass als Stellvertreter einer Seiner Söhne kommen würde. Zunächst fragte Er Seinen ältesten Sohn Prithi Chand. Er bat ihn, zu der Hochzeit zu gehen und etwa 15 Tage in Lahore zu bleiben. Prithi Chand fürchtete, dass sich seine Abwesenheit nachteilig auf die Spirituelle Nachfolge auswirken könne, die er so sehr begehrte. Daher entzog er sich dem Ansinnen mit fadenscheinigen Ausreden. Und Mahadev befand sich wie gewöhnlich in einem Zustand Spiritueller Berauschung und hatte keine Neigung für weltliche Dinge. Schließlich wandte Sich Ram Das an Arjan. Für ihn war die Gegenwart des Meisters so kostbar wie das Leben selbst – aber noch wichtiger war ihm der Wunsch des Meisters – daher reiste er nach Lahore. Die Hochzeit ging zu Ende, die Tage verstrichen, aber Arjan erhielt keine Botschaft vom Meister. Aus der Sehnsucht des Herzens schrieb er dieses Gedicht, das er dem Meister sandte:

Mein Gemüt verlangt so schmerzlich nach Deinem Darshan, wie sich der Regenvogel nach Regen sehnt. Doch mein Durst bleibt ungestillt – ich finde keinen Frieden; so lebe ich ohne den Darshan des Geliebten.

Ram Das schlief gerade, als der Bote kam. Und Prithi Chand sagte, er würde dem Meister die Botschaft übergeben, wenn dieser erwachte. Aber als der Bote gegangen war, verbarg Prithi den Zettel in seinem Mantel. So verstrich die Zeit und Arjan blieb noch länger ohne Nachricht vom Guru.

Doch der Meister kennt die Herzen aller – ob nah oder fern. Er hört die stillen Gebete des einen und durchschaut den Betrug des anderen. Doch geheimnisvoll sind Seine Wege, und es liegt allein an Ihm, ob Er uns Sein Wissen kundtut oder nicht. 

So schrieb Arjan, der noch im Feuer der Trennung brannte, ein weiteres Gedicht:

Gerühmt sei der Ort, wo Du wohnst – Dein Antlitz ist so schön, und wenn ich es sehe, beginnt der Innere Ton von selbst zu erklingen.

Doch Pithi fing den Brief wieder ab; und Arjan schrieb einen dritten Vers:

Die Trennung von Minuten dehnte sich Zeitaltern gleich – o Geliebter, wann kommt der Augenblick, der mich Dich wieder sehen lässt? Ich kann nicht schlafen und die Nächte wollen nicht enden ohne Ihn, Der mein Herr ist.

Diesmal versah Arjan den Brief mit einer 3 und gebot, ihn nur dem Guru zu übergeben. Als ihn der Meister las, fragte Er Seinen ältesten Sohn, wo die ersten beiden Briefe seien. Prithi Chand schwor dreimal, dass er nichts von ihnen wisse; aber Ram Das befahl, seine Kleidung zu durchsuchen – und man fand die Briefe in seinem Mantel. Inzwischen war Arjan nach Amritsar zurückgerufen worden. Ram Das verkündete nun, dass der, der den vierten Vers dieses Gedichtes schreiben könne, für die Spirituelle Nachfolge bereit sei. 

Arjan schrieb folgende Zeilen:

Durch ein erhabenes Schicksal begegnete ich Ihm: Ich fand den immerwährenden Herrn im Hause (des Körpers): Ich wünsche nur mehr Ihm zu dienen und niemals wieder einen Augenblick von Ihm getrennt zu sein. O Herr, ich bin Dein Diener.

Hoch erfreut über die Hingabe Seines Sohnes, erfüllte Ram Das ihn mit Seinem Lebensimpuls – so sehr, dass sie ineinander aufgingen und aus zweien Einer wurde. Während andere ihre eigenen Ziele verfolgen, konnte Arjan die Grenzen der Worte Seines Gurus nicht überschreiten. Er hatte Sein Gemüt dem Satguru übergeben, und um dieses vollkommenen Gehorsams und dieser vollkommenen Hingabe willen bestimmte Ram Das Ihn zu Seinem Nachfolger. Prithi Chand wurde jedoch umso gehässiger. Man hatte ihn für seinen Betrug nicht nur öffentlich bloßgestellt, sondern seinem jüngeren Bruder auch die Stellung gegeben, die er rechtmäßig als seine empfand. Er schwor, dass er den Sitz des Gurus an sich reißen werde und verfluchte seinen Vater und Arjan, bis man ihm befahl, die Gegenwart des Meisters zu verlassen.

Als Ram Das irdische Mission zu Ende ging, kehrte Er nach Goindwal zurück, wo Er die ersten Tage des Dienstes für Seinen Meister verbracht hatte. Er bat den Sangat, gemäß der Botschaft zu leben, die ihnen Guru Nanak gegeben hatte, gebot Arjan, die Arbeit in Amritsar zu vollenden, und verließ die Welt, um zu den Lotosfüßen des Herrn im Innern Zuflucht zu finden.

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Erläuterung: 1) Von Kirpal Singh zitiert in ‚Joyfully I Surrender‘, Sat Sandesh, Februar 1972, englischsprachige Ausgabe, Seite 6.