Vater unser

Jesus Christus betete:

Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen; denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Die Anhänger von Mahatma Buddha glauben nicht an Gebete, aber wenn ihre Religion genau untersucht wird, wird sich herausstellen, dass auch sie die Realität hinter dem Gebet akzeptiert haben. Wenn sie sich morgens und abends nach dem Baden und Reinigen hinsetzen, senden sie gute Wünsche der folgenden Art aus: ,Ich wünsche das Gute des ganzen Universums. Mögen alle Lebewesen, ob unten oder oben, ob links oder rechts, gedeihen. Mögen alle Lebewesen im Himmel, auf der Erde, in den Unterwelten und in der Hölle Frieden und Wohlwollen haben.ʽ Sie bitten um nichts, sondern senden einfach ihre guten Wünsche für das Wohl und Wohlergehen des gesamten Universums aus, und das Wohl aller wird gewünscht. Echtes Gebet besteht darin, das Wohl aller zu wünschen. Auch Hindus beten. Es gibt Gebete in den Veden, welche um physische und alltägliche Notwendigkeiten bitten. Eines davon ist:

O Erhalter, Herr der Pfade, wir haben Dich durch unsere Gebete an unseren Chariot1 angespannt, damit wir Erfolg und Erlösung erlangen können. Lass uns jenen Reichtum zuteil werden, nach dem sich die Menschen sehnen. Gewähre uns die Gesellschaft des mutigen, des menschenfreundlichen und des barmherzigen Nahrungsspenders.

O mächtige Gottheit, öffne den Weg, damit wir Nahrung erhalten mögen, damit wir unsere Feinde vernichten können, damit wir unsere Wünsche erfüllen können. O weise Gottheit, durchbohre die Herzen der Gierigen mit deiner Rüstung und mache sie uns untertan.

Rig Veda, Mandal 6, Sukt 53

In ihrem täglichen Ritual beten die Hindus wie folgt: –

Brahm (der Herr), welcher das Auge des gesamten Universums und der (wohlwollende) Gönner aller ist, und welcher rein und frei von weltlichen Makeln ist, steht vor uns. Mögen wir ihn hundert Jahre lang sehen. Mögen wir einhundert Jahre für ihn leben. Mögen wir ihn hundert Jahre lang hören. Mögen wir seine Herrlichkeiten besingen und durch seine Barmherzigkeit hundert Jahre frei sein, und möge dieser Zustand über hundert Jahre andauern.

Das Gayatri Mantra ist nichts anderes als ein Gebet.

Die Muslime beten:

Gott ist Einer. Gott ist losgelöst von allem. Er hat niemanden geboren. Aus niemandem ist Er geboren. Er hat nicht seinesgleichen. Zeige uns den richtigen Pfad.

In ähnlicher Weise beten auch die Jains. In all diesen Gebeten werden wir an das Ideal erinnert und an unser letztendliches Ziel, nämlich den Herrn zu verwirklichen. Im Vedanta besteht das Gebet darin, das große Gebet (maha vakyas) zu hören und darüber zu meditieren und zu kontemplieren.

Hafiz Sahib betet zu seinem Meister in der Ekstase seiner Hingabe:

O Meister, ich bin arm, während Du der Helfer der Armen bist. Ich bin schon sehr lange von meinem ursprünglichen Zuhause getrennt. Habe Mitleid mit meinem Zustand und bringe mich zurück in die ursprüngliche Heimat. Deine Absicht war es, das Wunder Deiner wunderbaren Schönheit zu zeigen; im Übrigen, in all seiner Pracht und seinem Reichtum, welche Notwendigkeit hatte Sultan Mahmud für die Zöpfe von (seinem Sklaven) Aiyaz? 2

O Meister! Ich bin arm, und Du bist der Helfer. Ich bin seit vielen Jahren von meiner ursprünglichen Heimat getrennt. Erbarme dich und nimm mich mit in die ursprüngliche Heimat. Ich fühle mich zu Dir hingezogen wegen Deiner unvergleichlichen Schönheit; ohne Dich bin ich nichts. Das ist der Grund, warum Sultan Mahmud so freundlich zu seinem Sklaven (Aiyaz) war.

Hafiz sagt weiter:

Ich habe nur den Wunsch, an Deiner Tür zu dienen; o Herr, erbarme Dich Deines Sklaven, und schenke ihm einen freundlichen Blick.

Shamas-i-Tabrez betet zum Meister:

O Meister, indem Du den Wein der Heimatlosigkeit ausschenkst, der zum Unbeschreiblichen führt, hast Du die Reisenden zu Weinschenken3 gemacht (sie zu Adepten gewandelt). Schließe meine Fehler-findenden Augen und gib die Inneren Augen, welche die Wirklichkeit sehen können.

Er sagt wieder:

Du bist wie der Kaukasus für den Adler; Du bist wie das Licht für die Motte; öffne den Brunnen des Leben spendenden Elixiers um mich herum und erschaffe die alten Legenden neu. Berausche mich mit dem Wein der Liebe und stelle mein wanderndes und ungläubiges Gemüt in Deinen Dienst. Betrete für eine Weile die Moschee meines Herzens, komm und schmücke diese bescheidene Behausung.

O Herr und Meister! So wie das Kaukasus-Gebirge die Heimat des Königsadlers4 ist, (so) bist Du der Ruheplatz des Vogels meiner Seele. Wäre ich eine Motte, wärst Du die Kerze, in deren Flamme ich mich opfern würde. O Barmherziger, ergieße Dein Elixier überall um mich herum, damit die Geschichten über den Nektarsee, den Regen oder das Wasser des Lebens und den Brunnen des lebensspendenden Wassers wahr werden. Gib mir die Berauschung der Liebe, und zügele den unbändigen Intellekt im Dienste des Herrn. Mein letztes Gebet ist, dass Du in der Moschee meines Leibes5 erscheinst, damit meine bescheidene Hütte sich geehrt fühlen und rein werden möge.

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Fußnote:

1) Triumphwagen, Streitwagen.

2) Es gibt viele Geschichten über die Liebe, die Scheich Mahmud und Aiyaz füreinander empfunden haben sollen.

Es wird berichtet, dass Mahmud als gläubiger Moslem innerlich mit seiner Zuneigung für Aiyaz rang. Als Mahmud eines Nachts befürchtete, seine Gefühle nicht länger beherrschen zu können, bat er Aiyaz, sich seine Zöpfe abzuschneiden.

So hatte er wenigstens diese und er bewahrte sie auf, wie jemand, der die Locken seiner Geliebten als Schatz aufbewahrt.

3) Sinnbildlich: Mundschenke, Welche den Wein von Naam ausschenken.

4) Gemeint ist der Steinadler – nicht zu verwechseln mit dem mythologischen kaukasischen Adler, der auf Zeus' Geheiß jeden Tag ein Stück der Leber von Prometheus fraß, weil letzterer den Menschen das Feuer gebracht hatte.

5) Alle erwachten Seelen betrachten den menschlichen Körper als den Wahren Tempel Gottes.