Gurumukh und Manmukh

I

Die Veden und Schriften aller Religionen haben die spirituell Großen, welche von Zeit zu Zeit in die Welt kamen, gerühmt. Manche sind sogar so weit gegangen, die Stellung des Gurus höher einzuschätzen als die Gottes. Dies ist nur eine Ausdrucksweise, denn wer kann über Gott stehen? Der Begriff Guru ist nicht neu. Er ist so alt wie die Schöpfung selbst. Wann immer praktisch erfahrene Lehrer des Para Vidya, der Wissenschaft des Jenseits, in die Welt kommen, geben Sie den Menschen das richtige Verstehen und die rechte Führung. Sobald diese Lehrer die Welt verlassen, setzt Verfall ein.

Guru Nanak wurde einmal gefragt, wer Sein Meister sei.

Er antwortete:

Shabd ist der Wahre Guru und Surat der Schüler.

womit Er meinte, dass der Tonstrom Sein Lehrer sei und Seine Aufmerksamkeit der Schüler. Was ist dieser Tonstrom? Gott ist wortlos und namenlos. Er ist absolut in Sich Selbst. Wenn sich der Absolute Gott offenbart, ist Er Die zum Ausdruck kommende Gotteskraft. Diese Kraft wurde als Shabd oder Naam beschrieben. Die Kraft Gottes in Ihrer Fülle wird Shabd oder Tonstrom genannt. Christus sprach von Ihr als dem Wort.

Ähnliche Fragen wurden auch Kabir gestellt.

Wo wohnt Euer Guru und wo der Schüler? In welcher Beziehung stehen sie zueinander?

Er sagte einfach:

Mein Gott wohnt in mir, im Gaggan (Himmel), und auch der Schüler weilt darin. Wird der Surat (die Aufmerksamkeit) mit Shabd verbunden, kann es danach keine Trennung mehr geben.

Was bedeutet das? Wenn wir sagen, der Guru weilt im Gaggan, heißt dies, dass Er der Bewohner des Körpers ist und nicht der Körper selbst. Diese menschliche Gestalt ist folglich ein wundervolles Haus, in dem wir – die Gotteskraft und der Geist im Menschen – leben. Wer ein so wunderbares Haus geschaffen hat, muss ein Meisterarchitekt sein. Wir wollen dieses Haus kurz in Augenschein nehmen. Es hat verschiedene Ausgänge – Augen, Ohren, Nasenlöcher, Mund und die zwei unteren Öffnungen. Trotz dieser können wir nicht aus dem Haus (Körper) weglaufen. Alles spielt sich nach einem gewissen Rhythmus und einer bestimmten Ordnung ab. Der hinausgegangene Atem kann nicht lange draußen bleiben. Es gibt eine Kraft, die ihn zurückdrängt, und wir leben, indem der Atem ein- und ausgeht. Die Schönheit dieses Hauses bleibt so lange erhalten, wie die Kraft in ihm ist. Der Mensch ist Mensch, solange der Vater im Menschen ist.

Es heißt:

Der Körper lebt, dieweil die Gotteskraft in ihm ist. Wenn Diese ihn verlässt, wird er zu einem Häufchen Staub.

Wir leben im Körper, sind aber nicht der Körper; dennoch sind wir nicht frei, ihm zu entfliehen. Es gibt etwas, das uns im Körper gefangen hält und die Verbindung mit ihm überwacht. Wenn dieses Etwas den Körper aufgibt, müssen wir ihn verlassen. Es ist diese Kraft, welche die verschiedenen Ebenen und Unterebenen der Schöpfung kontrolliert und erhält. All die zahllosen Regionen sind in rhythmischer Bewegung, ohne dass sie zusammenstoßen. Zieht sich diese Kraft zurück, kommt es zur Auflösung und danach zur großen Auflösung. Wie vorher gesagt, wird diese Kraft in der Heiligen-Terminologie die Sich zum Ausdruck bringende oder die wirkende Gotteskraft genannt.

Es ist diese Kraft, welche Naam oder Shabd genannt wird:

O Nanak, die ganze Schöpfung ist durch Naam entstanden; man kann sich nur dann damit verbinden, wenn Er es will.

Wiederum heißt es:

Sie allein erlangen es, auf deren Stirn des Vaters Name geschrieben steht. Das Universum kommt durch das Wort ins Sein und vergeht, wenn es sich zurückzieht; und durch das Wort wird es erneut ins Leben gerufen.

Wir müssen nun Mittel und Wege finden, um uns mit dieser Kraft im Innern zu verbinden. Das ist nur an dem Punkt möglich, wohin sich die Seelenströme zur Zeit des Todes zurückziehen; wir müssen den Sitz der Seele im Körper herausfinden. Ihr habt vielleicht schon einen Menschen sterben sehen. Der Todesprozess beginnt, wenn die unteren Chakras (Ganglien) nachgeben, weil sich die Seelenströme von dort zurückziehen. Dieser Vorgang beginnt unten und setzt sich weiter fort, bis das Kehlzentrum erfasst ist. Dann drehen sich die Augäpfel nach oben. Das geschieht, wenn die Ströme im Augenbrennpunkt gesammelt sind. Von hier aus überwacht die Seele den Körper, in dem sie sich befindet. Es ist der Gaggan, wo die Gotteskraft mit der Seele zusammenlebt; und wenn die Seele und die Gotteskraft Eins werden, leben Sie für immer und ewig. Dies nennt man die Vereinigung des Schülers mit dem Meister. Guru Gobind Singh sagt uns über die Gotteskraft:

Von Anfang bis Ende bleibt die Gotteskraft bei uns; betrachtet Sie als unseren Guru.

Diese Kraft in uns ist das Bindeglied zwischen dem stofflichen Körper und der nichtstofflichen Seele, die ihrem Wesen nach völlig verschieden sind.

Die Gotteskraft durchdringt alles und wohnt jedem von uns inne:

Mein Herr thront in allem, und es gibt keinen Ort, an dem Er nicht ist. In der Tat gesegnet ist der Menschliche Pol, von Dem aus Sie in vollem Glanz erstrahlt.

Wir alle leben durch diese Kraft, aber wir sind uns Ihrer nicht bewusst. Die Gotteskraft ist im Meister offenbar. Wir verehren den Menschlichen Pol, über Den diese Kraft wirkt. Wer also kann uns mit Ihr verbinden? Die Gotteskraft ist vollkommen in Sich Selbst und hat nichts Verwandtes im irdischen Sinne des Wortes. Wer kann diese Aufgabe durchführen? Kein anderer als der im Menschen offenbarte Gott. Es ist der Erleuchtete Menschliche Pol, Der imstande ist, uns mit dem Licht Gottes zu verbinden. Ein Guru beansprucht nie irgendeine Vollkommenheit für Sich. Er sagt immer, dass die Verbindung durch die Gotteskraft zustande kommt, nicht durch Ihn.

Er lebt in Seinem Willen und hat keinen eigenen:

[…] nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!

Ferner sagt Kabir, indem Er von Sich Selbst spricht:

Kabir ist nicht mehr als ein Hund seines Meisters und wird Mutia genannt. Wohin immer er an der Leine geführt wird, dahin geht er.