Die Mystik der Karmeliter

von Vimla S. Bhagat

Karmel bedeutet Gartenhaus. Es ist eine Hügelkette in Palästina. Die Überlieferung bedeutet uns, dass sie einst bis auf die Höhen mit Obstbäumen in Gärten bepflanzt war, wie es der Name andeutet, und ihre Fruchtbarkeit war sprichwörtlich. Es geschah auf dem Gipfel von Karmel, dass Elias, einer der größten Propheten, bekleidet mit einem groben Gewand aus Kamelhaaren und gegürtet mit einem Lederriemen, eine entscheidende Streitfrage löste – die Streitfrage der Verehrung von Jehova (der hebräische Name für Gott) und Baal (die Bezeichnung eines übernatürlichen Wesens, das man sich als Fruchtbarkeitsgott dachte).

Die Karmeliter bildeten einen Orden von Bettelmönchen. Römisch-katholischen Ursprungs, sollen sie angeblich Nachkommen einer Gemeinschaft von Eremiten sein, die von Elias begründet wurde. Historisch gesehen, wurde der Orden ungefähr in der Mitte des 12. Jahrhunderts gegründet, der den Mönchen ein Eremitenleben vorschrieb, das hauptsächlich dem Gebet und frommen Werken gewidmet war, während sie in Hütten oder Klosterzellen lebten. Infolge der Bedrängung durch die Sarazenen zogen die Karmeliter in Richtung Westen nach Spanien, Frankreich und England. Im Laufe der Zeit teilten sie sich in 

  • unbeschuhte Karmeliter (die Barfüßigen oder die nur Sandalen trugen), die in Häusern lebten, die von der Heiligen Theresia, St. Johannes vom Kreuz und anderen errichtet wurden, und

  • beschuhte Brüder. Durch ihre weit verbreiteten Missionsstationen und Zufluchtsorte für Spirituelles Leben, haben sie einen beachtlichen Beitrag zur Theologie der Mystik geleistet.

In Spanien gewann die Karmeliterbewegung an Bedeutung unter dem Impuls der Heiligen Theresia (1512–1582) und St. Johannes vom Kreuz (1542–1591), beide katholische Heilige und Mystiker von sehr hohem Rang. Theresia wurde in Avila geboren und wurde, aufgrund Ihrer engen Beziehung zum himmlischen Bräutigam als Theresia von Jesus bekannt. Es mag erstaunlich scheinen, dass Mira Bai, eine Rajput-Prinzessin des Rathore Häuptlings Ratna Singh, und Frau des zukünftigen Erben von Mewar, Ergebene der Göttin Durga, der Familiengottheit, zur gleichen Zeit auf dem indischen Schauplatz erschien (1504). Sie konnte sich als Ergebene von Krishna nicht mit dem neuen Kult befreunden und infolge Ihrer Weigerung, den strengen Mewar-Traditionen genau zu folgen, zog Sie sich Verfolgung, schlechte Behandlung und Inhaftierung zu. Obwohl Sie im frühen Alter von 20 Jahren durch einen Todesfall Ihren Mann verlor, sang Sie in Ihrer treuen Liebe zu Krishna: Mira ist stets in Verzückung mit dem Ewigen Herrn als Ihrem Gemahl; weder wird Er sterben, noch wird Sie unter dem Schmerz der Trennung leiden. Dies nur, um den gemeinsamen Wesenszug zwischen den beiden Heiligen aufzuzeigen, von denen die eine im Westen, und die andere im Osten zur gleichen Zeit lebten.

Theresia trat mit 22 Jahren in das Karmeliterkloster ein. Sie widmete sich mit Herz und Seele einem Leben beständigen Gebets und war sich der Gegenwart des Lebendigen Gottes allezeit bewusst. Wenn Sie von Ihrer Jugendzeit sprach, sagte Sie:

Während ich in der Welt versunken war, hatte ich dennoch den Mut zu beten, und ließ niemals von Seiner Gegenwart ab. Wenn ich krank war, war ich gesund in Gott, bat demütig um Seine Gnade und versuchte Gott mit der Welt in Einklang zu bringen, einer Welt der Eitelkeit, die sie war.

Ihre Gebete haben die ganze Intensität ihres Wesens in sich, wenn Sie mit Gott spricht:

O endlose Güte Gottes, ich scheine Dich und mich in Beziehung zueinander zu sehen. Du erträgst solche, die Dich nicht ertragen wollen. Was für ein guter Freund bist Du! Du tröstest und hältst aus, und wartest sogar, um uns Dir ähnlich zu machen, und bist von Dir aus geduldig mit dem Zustand, in dem wir uns befinden. Und für einen Augenblick der Reue vergisst Du unsere Beleidigungen gegen Dich […] O Leben aller Leben, Du schlägst keinen, der auf Dich vertraut und Deine Freundschaft sucht; ja, Du erhältst die Kraft des Körperlichts und lässt die Seele leben.

Es war durch ununterbrochenes Inneres Gebet eine Art Freundschaft mit Gott, dass Sie alle Ihre Sünden ausmerze, wie Sie uns sagt:

Gebet ist eine Notwendigkeit und umso notwendiger für jene, die Gott nicht dienen. Solche, die beten, befreit Gott selbst von all ihren Leiden. Gebet ist die Tür, durch die die großen Gnadenströme fließen, vorausgesetzt, dass die Seelen bereit sind, aufzunehmen, und einsam und rein werden,  indem sie jegliches Vertrauen auf sich selbst ausrotten und es gänzlich auf Gott setzen.

Eine erstaunliche Spirituelle Wandlung überkam Sie im Jahre 1554, als Sie in tiefer Versunkenheit in der Kapelle auf den gekreuzigten Christus schaute. Von da an erlebte Sie nicht selten übernatürliche Besuche. Aber da sie diese Erlebnisse nicht mit Ihrem Verstand ordnen konnte, nahm Sie Zuflucht zur Selbstzüchtigung durch Geißelung und Tragen eines härenen Gewandes (wie die Sufis im Osten). Lange Stunden war Sie in Tränen aufgelöst in großer Bedrängnis, Verwirrung und Verzweiflung, und rief:

O mein Gott, was hat eine Seele zu erleiden, weil sie die Freiheit verloren hat, die sie besaß, als sie noch Herrin ihrer selbst war. Was für Qualen hat sie zu erdulden. Ich wundere mich, wie ich all diese Qualen ertragen konnte. 

Das einzige, warum sie betete und was Sie von Gott erbat, war die Gnade, Ihn nie zu verlassen, sondern bereit und entschlossen für alles Gute zu sein, und dies kam jenen zu, die ihr Gewissen rein hielten. Liebe war ein Hauptthema Ihrem Leben. Ein wenig Liebe tröstete die Seele, beschäftigte das Herz, während Tränen die Wangen herunterliefen.

Gottes Gaben kommen ohne Verdient unsererseits. Und je mehr wir unsere Armut bekennen, desto reicher werden wir an Demut. Ein auf Demut begründetes Gebet ist eine kostbare Perle. Man muss zugeben, dass man nichts in sich selbst besitzt und die Großmütigkeit des Herrn bekennen. Habe die Kraft zu dienen und bemühe dich, nicht undankbar zu sein […] meine Fähigkeiten sind sehr gering. Wenn ich etwas Rechtes sage, sei der Herr dafür gelobt, und wenn ich etwas Falsches sage, ist das meine Sache, und ich muss es als solche eingestehen.

Nun kommen wir zu Ihrem großen Landsmann und ergebenen Freund – St. Johannes vom Kreuz (1542–1591), ein Doktor der Römisch-katholischen Kirche und ein Heiliger Mystiker.

Wie Kabir (1440–1518) wurde Er in der Familie eines Webers aufgezogen und indessen ein Karmeliter-Mönch. Eng verbunden mit Therese, befasste Er sich mit der Aufgabe, den Orden, dem Er angehörte, zu reformieren und in Zusammenarbeit mit Ihr, tat Er für die Mönche, was Sie für die Nonnen tat. Er ist einer der hervorragendsten religiösen Dichter Spaniens und ein anerkannter Führer unter den spanischen Mystikern. Obwohl gleichermaßen gemieden von protestantischen Geistlichen mit geringem Glauben an Mystik, als auch von ergebenen Katholiken, die einem Leben von Riten und Ritualen verbunden waren, hielt Er sich von beiden frei und folgte dem Weg der Selbsterleuchtung und der Stille, der dem zarten, kleinen Manne voller Demut die reichste Ernte über alle Vorstellung hinaus einbrachte. Aber die wütenden Mitbrüder Seines Ordens häuften unverdienten Hass auf Ihn und hielten Ihn gefangen in dem Kloster von Toledo, der alten Hauptstadt Spaniens.

St. Johannes glaubte ebenfalls an den geheimnisvollen Pfad des mystischen Gebets. Als ein Meister spanischer Dichtkunst strömten Ihm die Verse aus den Tiefen Seines Geistes in spontanem Fluss, entsprungen aus der Göttlichen Ekstase. Er scheint unwiderstehlich aus sich selbst emporgehoben zu sein, wenn Er von der Seele und der Reise der Seele zum Gemach des Bräutigams singt.  Steinmauern bilden kein Gefängnis für einen, dessen Seele jenseits von Zeit und Raum in das Zeit- und Raumlose zu fliegen weiß.

Die Mehrheit der Menschheit konnte die mystischen Erfahrungen nicht anerkennen, die Er in neuen Bereichen und Weideflächen in einem anderen Zustand gewonnen hatte, in einer Welt, die so verschieden war von derjenigen, die die Menschen kennen und mit der sie vertraut sind. In der Tat hat ein Dichter kaum eine Möglichkeit, mit der Er außersinnliche Erfahrungen in die Sprache der Sinneswelt übertragen kann. St. Johannes ist wie ein großer Segler durch das unaufgezeichnete Meer der menschlichen Seele gefahren, Er reist bis an den Rand des Lebens, unternahm dann den tödlichen Sprung in den raumlosen Raum, um nach der verlorenen Perle von unschätzbarem Wert zu suchen, wie Er es uns sagt:

Wie ich hoch und höher stieg, schwand stets mehr des Lichtes Fülle, und in finsterer Dunkels Hülle wurde mir der schwerste Sieg. Doch zum Liebesziele wagte blind und dunkel ich den Zug, nahm so hoch, so hoch den Flug, dass ich endlich es erjagte.

Wenn man nicht das Wahre Wesen der Mystik kennt, kann man nicht die Bedeutung eines Dichters der Mystik erfassen, noch die Essenz Seines Wesens, wie sie sich in der schwerfälligen Sprache offenbart, die dazu benutzt wird, das Unaussprechliche auszudrücken. Meistens ist man geneigt, dies alles für einen Ausdruck intensiver Gefühle und zarter Stimmungen zu halten, die durch eine überreizte Vorstellung und das erhitzte Gehirn des Dichters zustande kamen.

In den Worten von M.C. D'arey heißt es:

Der Weg ist schwierig, überaus schwierig, um alle, außer den tapfersten Liebenden, abzuschrecken. Man muss alles opfern, was einem an Sinnesfreuden am liebsten ist, und durch eine dunkle Nacht gehen, in der wir zu leben haben, ohne ihre Hilfe und ohne Trost. Wenn das vollbracht ist, müssen wir das Vorrecht, auf unsere eigene Art zu denken und zu wollen opfern, und uns in eine noch dunklere Nacht begeben, in der wir uns selbst aller Stützen berauben, die uns vertraut sind und uns selbstgenügsam machen. Dies ist eine Art des Todes, der alles, was wir sind, zu nichts macht. Aber der Wahre Mystiker sagt uns, wenn alles überwunden wurde, wird unsere Seele mit einer neuen Gegenwart erfüllt werden; unsere unentdeckte Seele wird die Verbindung mit der Göttlichen Liebe erhalten und ein neuer Kreislauf von Liebe wird beginnen, indes die Seele ruhig die unbeschreibliche Liebe empfängt, die ihr zuteil wird. Diese Erfahrung ist unendlich weit entfernt von dem heißen Sinnesleben, oder auch von dem Teilhaben an erhabener menschlicher Liebe.

Bei diesem Sterbevorgang verweist St. Johannes auf das Sehnen, um den Funken zu erhaschen, und den duftenden Wein zu kosten. Und was erlangt Er? Die Musik ohne Töne, die Einsamkeit, die voller Laute ist. Die Ungeduld Seiner Sehnsucht ist wundervoll beschrieben in folgenden Zeilen:

Wenn von Dir getrennt ich bin, welch ein Leben kann ich leben? Nichts ich fühl, als Todespeinen ärger als ich je sie sah. Mitleid hab ich mit mir selbst; denn so heftig ist mein Leiden, dass ich sterbe, weil ich nicht sterbe. Wann darf ich mich, Gott, Dir vereinen? Wann sag ich wohl, fern von Verderben: ‚Nun leb ich! Denn nichts lässt mich sterben!‘

Vom Heiligen Wort spricht Er folgendermaßen:

Im Anfang war das Wort von Gott umschlossen, in Ihm nur hat Es Wonnen, endlos, genossen.

Das Wort, Es selbst war Gott, Der Anfang war; Es weilte in dem Anfang, des Anfangs bar. Gott Selber war der Anfang, anfangslos; das Wort, als Sohn entstand Es aus Seinem Schoß.

Schließlich kommt Johannes vom Kreuz zu dem Ende Seines Gesanges, worin Gott-Mensch und Mensch-Gott Eins werden:

Er wolle, verhieß Er, gleich ihnen werden und zwischen ihnen weilen, wandeln auf Erden. Gott würde dann zum Menschen, der Mensch Ihm gleich; Gott würde Trinkgenosse im Menschenreich. Er würde ständig weilen an Erdenstätte, bis alle Zeit ihr Ende gefunden hätte. In Ewigem Wohlklang werden Sie sich genießen und sich, wie Haupt und Glieder zusammenschließen.

Dergestalt kommt die mystische Vereinigung zwischen Braut und Bräutigam zustande.