Kirpal Singh

Im Gedenken an Hazur

Die Gesellschaft eines Wahren Meisters wirkt erhebend auf die Seele. Wenn ihr einen kraftstrotzenden Ringer seht, wünscht ihr euch natürlich stark zu sein; desgleichen werdet ihr, wenn ihr das Glück habt, bei einem Meister zu sitzen, eingehüllt in liebevolle Gedanken, emporgehoben durch die Schwingung der geladenen Atmosphäre, die Ihn umgibt, mehr als durch jahrelange asketische Übungen.

Maulana Rumi sagt:

Wenn ihr das Glück habt, nur einen viertel Tag lang mit gesammelten Gedanken zu Füßen eines Menschen, der Gott verwirklicht hat, zu sitzen, werdet ihr davon einen Lebensimpuls ableiten, den ihr selbst durch hundert Jahre wunschloser Anbetung des Herrn nicht erlangt.

Wenn irgendwo ein Feuer brennt, nehmt ein wenig davon und erlangt so den Vorteil der Wärme. Die geladene Kraft, die ihr an einem solchen Ort bekommt, könnt ihr durch das Lesen von Büchern nicht bekommen. Sie sollte dann von Tag zu Tag vergrößert werden.

Diejenigen, die zu Füßen Hazurs (Baba Sawan Singh Ji) saßen, waren äußerst begünstigt. Nur dadurch, dass sie in Seiner Gegenwart saßen und die Essenz des Lebens sahen, erfuhren sie Höchste Wonne. Wie können sie das je vergessen? Man kann sagen, es verhält sich in etwas so wie mit dem Chakorvogel1, der den Mond anstarrt und seine Augen nicht abwendet, bis, indem er sich nach rückwärts beugt, sein Schnabel auf der Erde ruht. Da er so verliebt ist, wie wäre seine Verfassung, wenn der Mond verschwände? Dies ist ein Beispiel, sich jener zu erinnern, die gleich Motten, sich der liebevollen Gesellschaft des Meisters erfreuten. Jemandem, der sich solcher Segnung erfreute, genügt diese Anspielung, um den Herzenszustand jener wieder zu erwecken, die so glücklich waren, einen kurzen Blick von Hazur zu bekommen. Sogar heute noch wird den Menschen durch seine Gnade geholfen.

Welches war Seine Lehre? Es war die gleiche die schon seit Urzeiten besteht. Wann immer die Menschen diese Lehre vergessen, kommen Meister, um sie wieder zu beleben. Heute ist die Welt wieder voll von gequälten Herzen, aber so ein Bedarf ist, da wird auch die Versorgung kommen; das ist das Gesetz der Natur. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen.

Für die Gelehrten und die Ungelehrten ist der Gegenstand der Spiritualität der gleiche. Alle müssen die Sinne, das Gemüt und den Intellekt beruhigen und dann die Wahrheit erkennen. Mit so vielen Worten, wie sie ein Mensch auf  Grund seines Wortschatzes beherrscht, wird er ausdrücken, was Gott ist und verschiedene Beispiele geben. Wie kann man erfahren, wann die Welt erschaffen wurde, und wie und wer sie erschuf? Die Antwort, die man erhält, ist, das Gott sie erschuf. Wann und wie kann nur erfahren werden, wenn man zu Ihm geht und Ihn fragt, denn Er ist der Schöpfer.

Wenn wir Ihn erreichen, werden weder unsere Sinne bei uns sein, noch das Gemüt, der Intellekt oder der Körper. Großes Wissen wird sich vor uns auftun und es wird keine Notwendigkeit für irgendwelche Fragen geben. So gab unser Hazur immer die Antwort:

Auf, Bruder, warum nicht die Antwort von Ihm erfragen, der diese Welt erschuf?

Es ist eine sehr einfache Lösung. Alle Meister haben ähnliche Antworten gegeben. Kabir Sahib sagt:

Als der Gaukler sein Kunststück vollbracht hatte, kam ein jeder, sich das Spiel anzusehen.

Gott überwacht die gesamte Zeit und den gesamten Raum. Wenn wir all diese sehen möchten, müssen wir uns zu Seiner Höhe erheben.

Ein Moslem-Prophet, Hafiz Sahib, sagt:

O Herz, erhebe dich über das Körperbewusstsein und geh hinüber in das Jenseits; dann wirst du fähig sein, das zu sehen, was dein eigentliches Leben ist.

Kabir Sahib sagte einst zu einigen gelehrten Leuten, die gekommen waren, um über diesen besonderen Gegenstand zu diskutieren:

Eure Ansicht und die meine können niemals übereinstimmen. Ich sage, was ich gesehen habe und ihr sagt, was ihr auf dem Papier gelesen habt.

Was ein Mensch sieht, ist sehr plastisch. Was sollte also ein Mensch tun, wenn er mit der Wahrheit in  Berührung kommen möchte? Er sollte die Verbindung mit irgendeinem Meister aufrechterhalten, der schon mit der Wahrheit verbunden ist.

Auch in der Gita sagte Lord Krishna, dass, wenn ihr auf der Suche nach der Wahrheit seid, dann geht zu einem solchen Meister, der Eins mit der Gottheit im Innern ist. Außerdem sagt Er, dass, wenn ihr mit völliger Aufrichtigkeit und voller Demut zu einem Menschen, der Gott verwirklicht hat, geht, so fragt ihn alles, was ihr mögt, und wenn ihr befriedigt seid, betretet Seinen Pfad und arbeitet dafür. Ihr solltet euch auch daran erinnern, dass kein Wahrer Meister irgendjemandem Seinen Willen aufdrängt, aber Er entwickelt besseres Verständnis bei dem Betreffenden, bis der Gegenstand etwas Anziehungskraft hat.

Auf diesem Pfad ist ein keusches Leben sehr wichtig. Wie lange wird ein Haus stehen, wenn es kein Fundament hat? Für die Spiritualität ist es äußerst wichtig, wachsam zu sein. Die Veden sagen, dass aus vierzig Tropfen geklärter Butter ein Tropfen Blut erzeugt wird, und aus vierzig Tropfen Blut ein Tropfen Knochenmark und wieder aus vierzig Tropfen Knochenmark ein Tropfen Samen. Nun seht, was für eine wertvolle Sache es ist. Je mehr einer sie bewahrt, desto mehr Leben wird er haben. Je mehr Befriedigung einer sucht, desto näher wird er dem Tode rücken, denn eine Befriedigung der Leidenschaft wird mehrere Tage des Schadens zur Folge haben. Was geschieht nun jenen Menschen, die Tag und Nacht in der Leidenschaft verbringen? Ihre Herzen, Gemüter und physischen Körper sind krank. Wenn die Krankheit auf der Welt im Zunehmen begriffen ist, so geschieht es deshalb. Menschen meines Alters können bezeugen, dass, als wir klein waren und ein Kind in einer  Familie geboren wurde, die Eltern sagten, jemand habe es gebracht, wenn ein kleines Kind sie fragte: Wo ist es hergekommen? Die Reinheit der Eltern war so groß, dass wir in Unschuld lebten. Ihr mögt darüber lachen, aber was war das für eine Reinheit des Lebens! Wenn ihr heute ein kleines Kind fragt, so wird es euch alles über diese Angelegenheit erzählen. Wir sind dafür verantwortlich, weil unser ganzes Leben schmutzig ist. Deshalb trete ich immer dafür ein, dass unser Leben rein sein soll, in Gedanke, Wort und Tat. Ihr mögt dagegen Einspruch erheben und sagen: Wie ist das mit dem Familienleben? Gerade gestern bekam ich einen Brief von einem Amerikaner, welcher schreibt: Nun sind wir Mann und Frau in der Seele – sie sind Lebensgefährten. Heirat bedeutet, einen Lebensgefährten zu nehmen, der in  Wohl und Wehe bei uns ist, und beide sollten Gott verwirklichen. Eheliches Leben ist kein Hindernis für die Spiritualität, wenn es entsprechend den Schriften geführt wird.

Kinder zu haben ist eine Pflicht, aber nur wenn ihr ein Kind wollt, solltet ihr euch verbinden. Wir aber stehen unter dem Eindruck, dass Familienleben ein Leben des Sichgehenlassens ist; das ist falsch. Fast alle Meister die kamen, führten ein Familienleben – aber ihr Leben war ausgewogen und kontrolliert.

Ich erinnere mich, einmal, als ich in Lahore war, dass Hazur von einem Mann, der Ihn zu sehen wünschte, einen Brief erhielt, und so rief der Meister mich und sagte:

Kirpal Singh, geh du und besuche ihn.

Dieser Mann lebte am Stadtrand und als ich ankam, sagte er:

Hat Hazur dich geschickt? Und ich erwiderte, dass Er das hätte.

Er sagte dann sehr ruhig:

Ich möchte dir sagen, dass ich erst bei Guru Ram Das Ji (dem vierten Guru der Sikhs) war.

Ich erzähle euch das mit des Mannes eigenen Worten.

Dann kam ich wieder zu der Zeit des zehnten Gurus, Guru Gobind Singh. Bis jetzt bin ich noch nicht in meine Heimat zurückgekehrt. Deshalb möchte ich Hazur bitten, dass, wen immer Er initiiert, Er ihm die vollständige Initiation in das Licht- und Tonprinzip von Naam geben möge, und nicht nur Simran, so dass der Schüler hart arbeiten sollte und dadurch seine Erlösung erlangt und so den Lauf von Leben und Tod abkürzt.

So erhält man durch große Gnade eine menschliche Form, und durch noch größere Gnade kommt man zu dem Wahren Meister, der euch die vollständige Initiation gibt. Macht den besten Gebrauch davon – warum wollt ihr wieder und wieder auf diese Erde kommen?

Heute sitzen wir im Gedenken an Baba Sawan Singh Ji zusammen. Ein Jahr ist vergangen, seit wir zuletzt zusammensaßen. Denkt über dieses Jahr nach und findet heraus, wo ihr damals gestanden seid und wo ihr jetzt steht. Seid ihr in eurem Leben fortgeschritten oder zurückgefallen? Wenn ihr fortgeschritten seid, dann gratuliere ich euch; wenn ihr zurückgefallen seid, dann versucht eure Lehre wieder aufzufrischen. Je mehr ihr nach Seinen Worten lebt, desto näher werdet ihr Ihm kommen. Er sagte einmal, wie eine Heilung bewirkt werden könne, wenn ihr eine Medizin nehmt und sie in einen Küchenschrank einschließt.

Die Verbindung mit dem Licht und Tonprinzip von Naam ist das Brot und Wasser des Lebens. Gebt eurem physischen Körper kein Brot, wenn ihr eurer Seele kein Brot gebt.

Am 4. Oktober 1947 wurde Hazur physisch krank. Er sandte nach mir am Morgen des 12. Oktober und sagte mir:

Alle anderen Aufgaben habe ich an verschiedene Menschen verteilt, aber die Aufgabe der Initiation habe ich noch an niemanden vergeben. diese übertrage ich dir, so dass das Spirituelle Werk gedeihen möge.

Dies sind seine eigenen Worte und das Werk gedeiht. Jeder Mensch, der von irgendwoher Hilfe erhalten kann, soll sie nehmen. diese Lehre ist eine Innere. Ich habe Liebe für alle und ich möchte, dass der Name meines Meisters mehr und mehr bekannt wird, und dass Sein Werk fortdauert.

(aus Sat Sandesh 4, 1970)


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Fußnote: 1) Indisches rotbeiniges Rebhuhn, von dem gesagt wird, es sei in den Mond verliebt.