Die Lösung des Mysterium des Todes

von Vimla Bhagat

Der Tod ist kein Problem, das man lösen muss, sondern ein Mysterium, in das man eintreten muss.

Marcel

Wir leben in einer Welt, die vor Problemen strotzt. Jedermann hat seine Probleme der einen oder anderen Art, mögen sie persönlich und privat, oder von sozialer und öffentlicher Art sein: wirtschaftlich, politisch, rassisch und religiös. 

Das Gebiet der Probleme ist von Natur aus weit und mannigfach sogar, denn jeder einzelne hat Probleme bei jedem Schritt, von der Wiege bis zur Bahre, was das Leben selbst zu einer Kette von Problemen macht. Ein Einzelwesen ohne Probleme wird selbst zu einem Problem für die Familie und die Ärzte – ein pathologischer Fall, der aufgrund seiner Abweichung diagnostiziert und behandelt werden muss.

In einer Welt der Probleme lebend, haben wir kaum jemals Zeit, zu verstehen, was der Begriff Problem beinhaltet. Er meint etwas, das schwer zu verstehen ist. Für den Mathematiker ist das Problem ein Satz, mit dem etwas getan werden muss. Für die Logiker ist es eine Frage, die in einen Vernunftschluss einbezogen  ist, und für den Physiker bedeutet es eine Untersuchung, die von einer gewissen Vermutung ausgeht und weiterer Erforschung bedarf. Demnach ist das Wesen des Problems eine Aufgabe, die aus einer Annahme oder Vermutung heraus bearbeitet werden muss, ohne Hinweis auf einen Wahrheitsgehalt, und wir versuchen, zu der erforderlichen Lösung zu gelangen. All dies ist ein Spiel menschlichen Scharfsinns, eine intellektuelle Gaukelei, die vielleicht den Verstand schärft durch Gedankenvorgänge in einem erhitzten Gehirn, ohne aber an eine Wahrheit zu gelangen, die für alle Zeiten gültig wäre.

Alle unsere selbst erzeugten Probleme, mit denen wir unlöslich verknüpft sind, gehören zu der Erscheinungswelt außerhalb von uns und wir lösen sie zum größten Teil unpersönlich, ohne dass wir uns persönlich damit befassen. Das Lebensprinzip, das geheimnisvoll lebendige Wesen in uns, das den Körper, das Gemüt und den Verstand belebt, strömt viel tiefer in uns und wird durch all unsere äußere Betriebsamkeit nicht berührt. Das Sein ist ganz getrennt vom Haben. Das Sein und Nicht-Sein sind keine Probleme des Gemüts und des Verstandes, und können als solche auch nicht auf der menschlichen Ebene gelöst werden. Der Zustand des Nicht-Seins, was in der gewöhnlichen Umgangssprache als Tod bekannt ist, erfolgt durch das Zurückziehen des Seins in uns. Der Tod, vor dem wir so fürchterliche Angst haben, ist in sich selbst ein großes Geheimnis, und wie alle anderen Mysterien, ist es stets Verborgenes, Unerklärliches und Verwirrendes, aufgrund des Göttlichen Elementes, das bei dem Vorgang mitspielt. Obwohl wir unwissentlich an den Mysterien des Lebens Anteil haben, können wir sie doch nicht lösen, wie wir z.B. ein geometrisches Problem lösen.

Um den unmittelbaren Kern eines Mysteriums zu erfassen, muss man, anstatt als stiller und hilfloser Betrachter passiv zuzuschauen und das Unvermeidliche dumpf hinzunehmen, wenn es kommt, sich aktiv und kopfüber hineinstürzen, und das Ergebnis vorwegnehmen. Dieses erfordert einen Mut und Elan höchsten Grades. Bevor man nicht zu Lebzeiten und bewusst durch das geheimnisvolle Tal der Todesschatten gelangt, kann man nicht das Geheimnis des Todes lösen. Um zu Wahrer Erkenntnis der Wirklichkeit am Grunde des Mysteriums zu gelangen, hat man das Mysterium zu übersteigen und muss sich in seine tiefsten Tiefen stürzen.

Wahres Wissen oder das Wissen der Wahrheit ist eine Tätigkeit der Seele, unabhängig von den Sinnen.

Diejenigen, die in die Mysterien des Jenseits eingeweiht sind, haben durch solche Erfahrungen zu gehen, die jenen des Todes verwandt sind,

sagt der Heilige Augustinus. Und diese Erfahrung, so schwer sie scheinen mag, ist eine einfache und sichere Möglichkeit, wenn man die rettende Lebensschnur ergreift, die so gnädig durch die Vorsehung im menschlichen Organismus gewährt wird, in Form des Lichtes des Lebens – des hörbaren Lebensstromes, in dem wir, ohne es zu wissen, leben, uns bewegen und unser Wahres Sein haben. Es ist eine transzendente Erfahrung des Todes im Leben, gerade hier und jetzt von: Der Tod ist verschlungen in den Sieg, wie Paulus ausrief. So kann das Mysterium des Todes, obwohl es nicht gelöst werden kann, erschlossen werden, indem man in den Bereich des Todes gleitet durch ein punktförmiges Fenster – kleiner als ein Senfkorn (Chandogya Upanishade 3:1) oder durch ein Nadelöhr, wie Jesus es ausdrückt, und wenn man dann den uralten Pfad beschreitet, der sich weit ins Unbekannte und Unerforschliche erstreckt. (Brihadaranyaka Upanishade 4,4+8) und alsdann die Geheimnisse von Yama (dem Herrn des Todes) erforscht, wie Prinz Nachiketas es tat (Katha Upanishade).

Um das Wahre Leben zu finden, muss man das falsche der Welt aufgeben und sich an den Todes-Weg halten, der zur Ewigkeit führt. Dies ist der mystische Tod, durch den diejenigen, die das Licht der Weisheit suchen, unerschrocken hindurchschreiten müssen. Ohne das gibt es keinen Weg für echte Wahrheitssucher.

Henri Bergson sagt:

Der sicherste Weg zur Wahrheit ist der durch Wahrnehmung, Intuition und Überlegung bis zu einem gewissen Punkt, und schließlich, indem man einen tödlichen Sprung tut.

(aus ‚Sat Sandesh‘ 12, 1969)