Das Königreich Gottes

II

Wir müssen den Körper auf jeden Fall zurücklassen. Wann, das weiß niemand. Es liegt kein Zeitpunkt fest, den wir kennen. Je früher wir das Rätsel des Lebens lösen, desto besser; denn wer weiß, wann die Zeit für uns kommt, den Körper zu verlassen? Jeder von uns muss ihn verlassen. Ich versichere euch, das ist kein Schreckgespenst. Gewiss ist es eine Veränderung, aber es ist kein großes Unglück. Lasst euch sagen, dass es nur zum Besseren ist, wenn wir wissen, wie man den Körper verlässt.

Über diese Dinge lesen wir in der religiösen Literatur unser ganzes Leben lang, haben uns aber nicht darum gekümmert, weil wir bis jetzt nichts über ihre tiefere Bedeutung wussten. Unsere Religionsgemeinschaften lehren uns lediglich, bestimmte Rituale, Zeremonien zu beachten, täglich Loblieder zu singen, Gebete darzubringen und gewisse Lebensformen anzunehmen. Das sind zweifellos die Anfangsschritte. Wir können sie nicht unberücksichtigt lassen. Aber sie sind nur dazu gedacht, der Spiritualität den Weg zu bahnen, und sind nicht die Spiritualität im eigentlichen Sinne.

Was ist dann Spiritualität? – Sich selbst zu erkennen, zu wissen, wer man ist und was man ist. Seid ihr die 1,60 m oder 1,80 m große physische Gestalt aus Fleisch und Knochen oder etwas anderes? Gewiss seid ihr nicht der Körper noch die Sinne oder die Lebensenergien, die alle zusammen den äußeren Menschen ausmachen. Ihr seid der Bewohner des Körpers. Ihr habt die Sinne und Lebensenergien als Hilfen für euer physisches Dasein. Die Zeit kommt, wo ihr den Körper und alles Übrige aufgeben müsst. Ihr müsst den Inneren Menschen erkennen, der ihr in Wirklichkeit seid. Wenn ihr nicht den Inneren Menschen erkennt, seid ihr verloren.

Deshalb wurde immer betont:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.

und

– Als letzter Feind wird der Tod vernichtet.

Wie können wir den allmächtigen Tod besiegen? Dadurch, dass wir während des Lebens lernen, willentlich über den Körper hinauszugelangen. Alle Meister bekräftigen das.

Was ist der Tod? Er ist lediglich das Verlassen des Körpers. Wenn ihr wisst, wie man sich über das Körperbewusstsein erhebt, ist natürlich der Stachel des Todes genommen, und alle Furcht vor dem Tod hat ein Ende.

Die Heiligen Bücher der Sikhs sagen:

Wenn ihr Angst vor dem Tod habt, begebt euch zu den Füßen eines Meisters. Er wird euch sagen, wie man während des Lebens stirbt. Er wird euch eine Erfahrung vom Tod im Leben geben.

Jeder möchte weiterleben. Guru Amar Das, der dritte Meister der Sikhs, sagt uns:

Jeder hat Angst, den Namen des Todes zu hören. Warum? Erstens wissen wir nicht, wie man stirbt; zweitens wissen wir nicht, wohin wir nach dem Tod gehen sollen; und drittens wissen wir nicht, dass wir selbst den Körper verlassen müssen. Diese drei Dinge schrecken uns und sind die Ursache dafür, dass wir vor dem Sterben Angst haben.

Gott gab uns verschiedene Körperhüllen – die physische, astrale, kausale und die überkausale. Wir stellen fest, dass der Makrokosmos im Mikrokosmos ist, sich also in einem Miniaturausmaß im Körper befindet. Zur Zeit setzen wir uns so sehr mit dem Körper gleich, dass wir uns nicht von ihm unterscheiden können. Wir verbringen unser Leben in den Sinnesfreuden und wollen nie verstehen, was es heißt, während des Lebens zu sterben.

In unseren Gotteshäusern sollte dies das wichtigste Thema der Lehre sein, aber es wird nicht einmal berührt. Es wird uns nur gesagt, bestimmte Riten und Rituale, gewisse Bräuche, dieses und jenes zu beachten, damit wir erlöst würden.

Aber trotz alledem stehen wir noch immer dort, wo wir vorher waren. Wenn wir große Gelehrsamkeit erworben haben, werden wir sie auch nach dem Tod behalten? Wenn nicht, bleiben wir dann genauso unwissend wie im Leben. Der Tod allein bedeutet nicht, in den Himmel zu kommen. Er macht keine Götter aus uns.

Was sollten wir daher tun, um den Tod zu besiegen?

Guru Amar Das sagt uns:

Setzt euch zu den Füßen einer Meister-Seele, durch Deren Güte ihr erfahren könnt, wie man über den Körper gelangt.

Falls ihr gelernt habt, euch nach Belieben über den Körper zu erheben, werdet ihr zum Bewussten Mitarbeiter des Göttlichen Plans. Wenn ihr im Leben zu sterben wisst, wenn ihr so viel versteht, werdet ihr Ewiges Leben haben.

Das also sagen unsere Schriften – dies ist der Weg, den Tod zu überwinden. Wenn wir das wissen, sind wir auf ihn vorbereitet. Ich weiß, dass ich Philadelphia verlassen muss, ich bin darauf eingestellt und jeden Augenblick bereit zu gehen.

Während des letzten Krieges bekam ein indischer Luftwaffenpilot den Befehl, er müsse nach sechs Stunden Vorbereitungszeit an die Front. In großem Schrecken kam er zu mir und sagte:

Bitte, erklärt mir, wie man stirbt.

Er war von Panik ergriffen, weil er nicht auf den Tod gefasst war.

Ich will damit sagen, dass keine Gefahr besteht, wenn wir vorgesorgt haben. Vorgewarnt heißt im Voraus gewappnet sein. Schließlich müssen wir den Körper eines Tages verlassen. Wenn uns der Tod überkommt, können wir dann, zu der Stunde, noch etwas tun? Wenn ihr auf ihn vorbereitet seid, gibt es keine Furcht, keine Panik.

Ich will euch einen Vorfall erzählen, der sich 1919 in Indien zutrug.

Einer meiner Freunde war in Peshawar. Damals ging gerade eine Grippewelle über das Land. Ich besuchte ihn. Er las in einem Buch über Yoga. Als ich ihn fragte, was er mache, sagte er, dass er das Buch lese um den Yoga-Pfad zu finden, weil der Tod alle Leute dahinraffe.

Ich möchte auch etwas über das Leben nach dem Tod lernen und lese deshalb ein Buch über Yoga,

fügte er hinzu.

Da fragte ich ihn:

Ist es jetzt nicht zu spät dafür? Wie kannst du anfangen, einen Brunnen zu graben, wenn du bereits verdurstest?

Eine Woche nach dieser Unterhaltung besuchte ich ihn wieder. Es war Sonntag, und er lag auf seinem Sterbebett. Meine Worte hatten sich bewahrheitet. Es war tatsächlich zu spät gewesen.

Das ist die wichtigste Sache im Leben, die wichtigste Aufgabe, aber wir haben sie ausnahmslos übergangen.

Trachtet als Erstes danach,

sagen die Meister, und wir haben uns nicht einmal an letzter Stelle darum gekümmert. Wir haben einfach die große Bedeutung, die alle Schriften dieser Aufgabe beimessen, nicht beachtet.

Ein östlicher Heiliger hat gesagt:

Jeder muss zur Zeit des Todes sterben, aber du, mein Freund, lerne zu sterben, während du lebst.

Wenn ihr auf diese Weise vorbereitet seid, kann euch der Tod jederzeit treffen, und ihr seid darauf gefasst. Wenn ihr einmal die Inneren Ebenen durchschritten habt, wisst ihr, wo ihr nach dem Verlassen des Körpers hingehen müsst.

Maulana Rumi sagt:

Nun, hab keine Angst vor dem Tod, denn er ist nicht das Ende des Lebens, und du hast mehr Körper als nur den physischen.

Gegenwärtig sind wir durch diesen Körper und die Sinnesorgane tätig. Wir glauben, dass das äußere Leben die einzige Wirklichkeit ist. Wenn wir lernen, den physischen Körper abzulegen und im Astralkörper mit Hilfe der astralen Sinnesorgane zu wirken, kommen wir mit der Astralwelt genauso in Verbindung, wie wir es jetzt mit der physischen sind. Warum sollte einer, der auf diese Weise hinübergehen kann, vor dem Tod Angst haben?

Ich spreche nicht von Wundern. Es ist eine Sache der Praxis, die so wie jede andere Wissenschaft erlernt werden kann. Und ich denke, es ist keinesfalls ein sehr schwieriges Gebiet. Warum? Wenn man andere Dinge studiert, muss man mit einer Hypothese beginnen und sich dann zur Lösung hinarbeiten. Dagegen ist dieser Weg, bei dem euch ein Adept eine Ersthand-Erfahrung vom Übersteigen des physischen Bewusstseins gibt, ein unmittelbarer. Wer die Wahren Meister sind, welche Fähigkeiten und Kompetenz Sie haben und wie wir die Wahren von den falschen unterscheiden können, wird in meinem nächsten Vortrag besprochen.

Doch kehren wir zu unserem heutigen Thema zurück. Alles, was ich sage, stimmt mit dem überein, was die Schriften erklären.

Rumi verkündet:

Fürchtet euch nicht, denn ihr habt noch einen anderen Körper, um darin zu leben.

Und wieder hebt Er mit großem Nachdruck hervor:

Sieh, armer Freund, stirb, während du lebst, wenn du den wahren Vorteil des menschlichen Lebens haben willst.

Auch das finden wir in den Heiligen Schriften.

Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Damit meine ich nicht, dass ihr der Welt den Rücken kehren, in die Wildnis gehen und das Leben eines Einsiedlers führen sollt.

Gott hat euch den physischen Körper gegeben. Erhaltet ihn. Er ist der Tempel Gottes. Sorgt für den Unterhalt eurer Familie. Erfüllt eure Pflichten. Gott wohnt in jedermanns Herz. Aufgrund eures vergangenen Karmas, das ihr nicht kennt, sind andere Menschen als Familienangehörige mit euch in Verbindung gekommen. Gott brachte euch zusammen. Haltet eure Beziehungen aufrecht. Dient einander in Liebe. Tut alles, was ihr könnt in dieser Hinsicht. Das ist ein wesentlicher Schritt.

Verdient euren Lebensunterhalt durch ehrliche Mittel, im Schweiße eures Angesichts. Dies gehört ebenfalls dazu. Ihr müsst euren physischen Körper erhalten. Er ist der Tempel Gottes, in dem ihr Ihn entdecken könnt – in der Tat ein seltener Vorzug.

Die Meister sagen:

Ihr habt den Verstand. Entwickelt ihn, werdet intellektuelle Riesen. Aber ihr seid Seele. Ihr müsst auch über euer Selbst Bescheid wissen.

Sie sagen lediglich, dass ihr einen Teil von den 24 Stunden des Tages der Suche nach eurem eigenen Selbst widmen solltet. Die größte Suche des Menschen ist der Mensch. Forscht nach euch selbst. Erst wenn ihr euch selbst erkennt, könnt ihr das Überselbst erkennen.

Gibt es außer Gott eine andere Wirklichkeit, die wir verstehen können, die mit dem Namen Gott und so vielen anderen Namen bezeichnet wird? Genau genommen sind wir keine echten Theisten. Weshalb?

Wenn wir über Gott sprechen, tun wir es vom Hörensagen oder aus unserer Kenntnis der Schriften. Wir haben keine Ersthand-Erfahrung davon.

Solange wir nicht selbst sehen und erfahren; ehe wir nicht eine Erfahrung aus erster Hand von uns selbst haben und mit der Wahrheit in Verbindung kommen, bevor nicht unser Inneres Auge geöffnet ist und wir das Licht Gottes in uns sehen, können wir nicht überzeugt sein. Wir mögen die Schriften lesen. Wir mögen einem Meister begegnen und Seine weisen Worte zu diesem Thema hören, doch werden wir nicht tatsächlich überzeugt sein. Wir akzeptieren vielleicht, was gesagt wird, und machen es zur Grundlage unserer Gottsuche. Aber bis wir nicht Gott in uns selbst sehen und erfahren, können wir nie völlig sicher sein und somit Wahre Theisten werden.

Aber wer kann Gott erkennen? Unser wirkliches Selbst kann es. Selbsterkenntnis geht der Gotterkenntnis voraus. Wie können wir Gott sehen, wenn wir uns selbst nicht erkennen?

Das ist der Grund, warum so viel Wert auf Selbsterkenntnis gelegt wird. Seit Anbeginn der Welt haben die Meister in allen Schriften immer wieder eingeschärft: Erkenne dich selbst. Bis wir nicht den Wassertropfen kennen, können wir das Meer nicht erkennen. Mag sein, wir erlangen nicht das volle Wissen, aber wir werden eine Vorstellung davon bekommen, was das Meer ist.

Es ist die Seele, die Gott erkennen kann, nicht der Verstand, nicht der physische Körper oder die Sinnesorgane. Gott ist ein Meer, ein endloses Meer aller Bewusstheit. Unsere Seele ist ein Tropfen aus diesem Meer. Wir sind bewusste Wesen, bewusste Geschöpfe. Ehe wir nicht uns selbst erkennen, können wir Gott nicht erkennen. Gott wird nur erkannt, wenn wir uns durch einen Prozess der Selbstanalyse erkennen, wenn wir wissen, wer wir sind und was wir sind.

Kabir sagt:

Lerne hundertmal am Tag willentlich zu sterben. Überschreite das Körperbewusstsein, und trete in das Reich Gottes ein.

Das ist ein rechter Weg.

Alle Meister haben diesen Punkt hervorgehoben, aber wir haben ihn gänzlich ignoriert. Wir glauben, durch das Beachten der äußeren Bräuche, Rituale und Zeremonien Gott erreichen zu können. Das sind zweifellos hilfreiche Faktoren, aber der Wahre Weg, der zu Gott führt, ist Selbsterkenntnis. Nur dann werden wir Ihn erkennen.

Ich will euch ein konkretes Beispiel geben. In Lahore lebte ein Mann, der Gott immer laut im Munde führte, er lobte Seine Großmut, Seine Liebe und Seine Unendlichkeit. Aber er hatte keine praktische Erfahrung von Gott, und was er lehrte, beruhte auf bloßem Hörensagen aus den Schriften. Dann kam die Teilung des Landes in Indien und Pakistan, die für das Volk großes Leid mit sich brachte.

Er verlor seinen gesamten Besitz, und viele seiner Verwandten kamen um. Als er mir in Delhi wieder begegnete, fragte er mich, ob es nach alledem wirklich einen Gott gebe. Und wie viele von uns sind wie er?

Wenn uns das Unglück trifft, beginnen wir die Existenz Gottes in Frage zu stellen.

Hatten wir aber eine Ersthand-Erfahrung von Gott, wie können wir dann an Seiner Existenz zweifeln? Ihr seht, wie wichtig es ist, eine praktische Erfahrung der Wirklichkeit zu haben, und diese könnt ihr nur durch Selbstanalyse erhalten, indem ihr euer wirkliches Selbst erkennt. Solange das nicht der Fall ist, könnt ihr das Reich Gottes weder sehen noch es betreten.

Wieder und wieder erhebt sich die Frage:

Wie können wir das Selbst erkennen?

Ihr habt den Unterschied gesehen zwischen dem Glauben, der sich auf eine Ersthand-Erfahrung gründet, und dem, der vom Hörensagen kommt. Sehen heißt glauben. Direkte Wahrnehmung ist weit besser als abgeleitetes Wissen.

Deshalb sagen die Schriften:

Selig sind, die sehen. Ihr habt Augen, und sehet nicht.

Alle Schriften sagen, dass es ein Reich Gottes gibt und dass es in euch liegt. Ihr könnt es betreten und das Licht Gottes sehen, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt.

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man kann es nur erreichen, wenn man sich einwärts wendet und Innen anklopft,

wie Emerson sagt.

Aber wie gelangt man nach Innen? Diese Erfahrung werdet ihr, wie ich des Öfteren gesagt habe, zu den Füßen eines Meisters haben – eines Adepten dieser Wissenschaft. Er gibt euch bei der Initiation eine Erfahrung, die ihr durch tägliche Übung entwickeln könnt. Ihr lernt dann, wie man den Körper verlässt. Bis nicht euer Inneres Auge geöffnet ist, könnt ihr nicht sehen und überzeugt sein.

Wahrlich, wir haben Augen und sehen nicht.

Guru Nanak sagt:

Nicht der ist blind, der keine Augen im Kopf hat, sondern der, dessen Inneres Auge nicht geöffnet ist, um das Licht Gottes im Innern zu sehen.

Wie viele von uns gibt es, die nicht blind sind? Wir haben vom Licht Gottes gehört. Haben wir Es jemals gesehen? Können wir das Licht Gottes sehen, und wenn ja, wie?

Ich beziehe mich abermals auf die Schriften. Die meisten Zitate sind der Bibel entnommen, da ihr mit ihr am besten vertraut seid. Lasst mich aber sagen, dass Christus zum Osten gehörte, wo die Menschen in geistigen Dingen mehr bewandert sind. Wenn ihr die Schriften mit den Augen eines östlichen Menschen sehen lernt, kommt ihr der Wahrheit näher. Ich meine damit nicht, dass der Westen in irgendeiner Weise anders geartet ist als der Osten oder sich von ihm unterscheidet. Was ich sagen will ist, dass die Ausdrucksweise der Heiligen Schrift eine östliche ist.

Wir lesen darin:

Es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehest.

Einäugig? Wir haben doch zwei Augen. Was meint Christus? Er sagt weiter:

[…] denn dass du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen.

Als ich auf dem Weg von Chicago nach Washington war, kamen im Flugzeug einige Kinder zu mir und wollten Autogramme haben, die ich ihnen gab. Auch eine alte Dame kam und sagte:

Würden Sie bitte etwas für mich niederschreiben und mir Ihr Autogramm geben?

Ich schrieb einfach diese Worte:

Es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehest,

und unterzeichnete es.

Sie las es und fragte sich, was es bedeuten könnte. Ihr Sohn war ein Bischof. Er reiste im selben Flugzeug. Sie brachte es ihm und fragte, ob er es erklären könne.

Er las es mit der Bemerkung:

Es ist natürlich aus der Bibel.

Aber auch er konnte den Sinn nicht verstehen. Praktisches Wissen ist etwas anderes. Von den Leuten zu verlangen, gewisse Regeln und Vorschriften, Rituale und Zeremonien einzuhalten, ist nicht das Gleiche. Der Bischof fragte einen meiner Begleiter, ob er mich sprechen könne. Er war selbstverständlich willkommen und kam zu mir.

Die Worte, die ich zitiert habe, sind aus den Heiligen Schriften. So sage ich damit nichts Neues. Sie stehen nicht nur in der Bibel, sondern in allen anderen Schriften, von denen ihr wahrscheinlich nur sehr wenige kennt. Wenn ihr aufgeschlossen und an diesem Thema interessiert seid, würde ich euch vorschlagen, dass ihr ein vergleichendes Studium der verschiedenen Religionen aufnehmt, um die Wahrheit, nicht aber Fehler in ihnen zu finden; denn dann habt ihr keinen Nutzen davon. Der Geier kreist zwar hoch am Himmel, aber sein Blick ist doch auf das Aas gerichtet. Wenn ihr beginnt, nach Mängeln zu suchen, werdet ihr sie überall finden können, dabei aber die Wahrheit verfehlen.

Kabir, ein Großer Heiliger des Ostens, sagt:

Nicht die Schriften sind fehlerhaft, sondern jene, die sie nicht verstehen.

Christus tut kund:

Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein.

Das Einfältige oder Einzelauge – im Osten wird es das Dritte Auge oder das verborgene Auge genannt – ist in jedem von uns, auch im Blinden, der das äußere Sehvermögen nicht hat Aber das einfältige Auge ist geschlossen. Wir müssen es öffnen. Wenn es geöffnet wurde, seht ihr das Licht Gottes, das bereits in euch ist. Ihr müsst Es nicht erst hervorbringen.

Manche Menschen machen sich einfach Vorstellungen. Sie zünden eine Kerze an, betrachten sie und stellen sie sich im Innern vor. Ihr braucht euch keine solchen Vorstellungen machen, wenn ihr diesen Tempel Gottes betretet – den menschlichen Körper. Ihr werdet das Licht des Himmels Innen sehen. Es ist bereits dort. Ihr sollt euch keine Bilder machen, nichts vorwegnehmen oder vortäuschen.

Dies sind konkrete Tatsachen, die von denen erlebt werden, die in den Körpertempel, wie ihr ihn habt, eintreten. Der Unterschied ist, dass ihr ein äußerliches Leben führt und nie erfahren habt, wie man sich nach Innen wendet und Innen anklopft.

Es ist, wie Jesus sagt:

Ist aber dein Auge ein Schalk, so wird dein ganzer Leib finster sein.

Das Licht ist da. Es war immer da. Aber sehen wir Es? Haben wir je die ernste Warnung beachtet:

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Das bedeutet nicht, dass ihr das Licht hervorbringen müsst. Es existiert bereits, ihr müsst dafür sorgen, dass Es sich nicht verdunkelt. Wie kann sich das Licht verdunkeln? Schon dadurch, dass man Es nicht beachtet, ständig mit äußeren Dingen beschäftigt ist, das Innere Leben vernachlässigt. Wenn ihr euch von der äußeren Welt abwenden könntet, würdet ihr das Licht Gottes hier und jetzt sehen.

Gott ist überall. Das Licht Gottes ist überall. Die ganze Welt ist aus Licht geschaffen, aber nur für jene, deren Inneres Auge geöffnet ist.

Wie öffnet man dieses Auge? Das ist eine praktische Frage. Diese Dinge werden außer von Christus auch von anderen erklärt. Tulsi Das und Guru Nanak sagen, dass uns nur ein Wahrer Meister auf den Weg zu Gott stellen kann. Was kann Er uns geben? Er öffnet unser Inneres Auge. Er befähigt uns, das Licht Gottes zu sehen.

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Das lesen wir im Lukas-Evangelium. Aber wie findet man dieses Licht?

Im Osten lehrt man, dass es in diesem Leben zwei Wege gibt: der eine, Piray Marg genannt, ist ein sehr schöner Weg, der andere Sharey Marg, ist zu Anfang sehr dunkel und eng. Wenn ihr den Weg der Welt geht, seid ihr verloren und erreicht nichts. Aber wenn ihr den anderen Weg geht – den Weg des Geistes in euch, kann es sein, dass ihr im Dunkel beginnen müsst; aber am Ende gelangt ihr in das Reich Gottes.

Die Evangelien sagen es sehr einfach:

Der Weg ist schmal.

Wenn er sich öffnet, werdet ihr Welten über Welten in euch finden.

In diesem Leben gibt es also zwei Wege. Der eine führt uns in die äußere Welt, weg vom Reich Gottes; der andere geht nach innen, ins Reich Gottes. Der eine führt zum Tod, der andere zum Leben.

Darum heißt es auch:

Gehet ein durch die enge Pforte.

Das findet ihr bei Matthäus.

Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und wenige sind ihrer, die ihn finden.

Es sind wenige, die den zweiten Weg aufnehmen. So mahnt Jesus:

Ringet darnach, dass ihr durch die enge Pforte eingehet; denn viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht tun können.

Wiederum:

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Das ist nun der Weg, um ins Reich Gottes in eurem Innern zu gelangen. Und es ist der Weg, das Innere Auge zu öffnen.

Gegenwärtig seht ihr durch zwei Augen. Wie kann man das Einzelauge haben? Es ist eine Sache der Praxis, die ihr zu den Füßen eines Kompetenten Meisters lernen müsst. Er kann euch befähigen, diese Erfahrung von Innen zu bekommen, indem Er euch einleitend emporhebt.

Die Evangelien vergleichen es mit dem Anzünden einer Kerze:

Wenn nun dein Leib ganz Licht ist, dass er kein Teil von Finsternis hat, so wird er ganz Licht sein, wie wenn ein Licht mit hellem Blitz dich erleuchtet.

Damit könnt ihr die Bedeutung der in den Kirchen aufgestellten brennenden Kerzen verstehen; sie sind ein Symbol für das Licht im Innern. Der Meister macht es euch möglich, das Wahre Licht zu sehen. Darum hören wir von Früheren Meistern, dass Sie die Blinden heilen konnten – physische Blindheit vielleicht in manchen Fällen, aber zum größten Teil Spirituelle Blindheit, nämlich die Unfähigkeit, das Licht Gottes zu sehen.

Jesus sagt weiter:

Selig sind eure Augen, dass sie sehen und eure Ohren, dass sie hören.

Wir haben Augen und sehen nicht und haben Ohren und hören nicht.

Das sagen euch die Schriften. Es gibt das Innere Auge, das geöffnet werden muss, um das Licht Gottes zu sehen, dazu das Innere Ohr, um die Stimme Gottes zu hören, die durch die ganze Schöpfung hindurch erklingt.

Das Thema dieser Ansprache war: Wo ist das Reich Gottes, und wo sieht man das Licht Gottes; wie kann man das Reich Gottes betreten und wie das Licht Gottes sehen? Alles findet ihr in euch, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt. Solange ihr dieses irdische Leben der Sinne führt, seid ihr mit dem Körper identifiziert. Ihr wisst nicht, wie man das Körperbewusstsein überschreitet, um das Innere Auge und das Innere Ohr zu öffnen. Ihr könnt das Reich Gottes oder das Licht des Himmels nicht sehen und die Stimme Gottes nicht hören. All dies könnt ihr lernen, wenn ihr zu den Füßen eines Kompetenten Lebenden Meisters sitzt.

Aber Christus warnt uns:

Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.

Heute ist die Welt so voll von falschen Meistern, dass die Menschen schon genug haben, wenn sie nur das Wort 'Meister' hören. Manche Menschen sind bereit, alles zu opfern – ihr Geld, ihren Besitz – , einzig um das Licht Gottes zu sehen. Sie werden mit Hoffnungen und Versprechungen abgespeist, und dann sagt man ihnen, dass sie für den Weg noch nicht geeignet seien. Zuletzt stellen sie fest, dass diese so genannten 'Meister' wie sie selbst auf materiellen Reichtum aus sind; sie führen das gleiche Sinnesleben wie sie auch. Das ruft natürlich Empörung hervor und man sagt, alles über die Meister sei bloßes Possenspiel. Es ist nur ein Fehlschluss, zu dem sie durch ihre traurigen Erfahrungen gekommen sind.

Alle Gaben der Natur sind frei. Die Spiritualität ist auch eine Gabe Gottes, nicht des Menschen. Weshalb sollte sie verkauft werden? Sie ist keine käufliche Ware. Wissen muss frei gegeben werden. Müssen wir für die Sonne zahlen, die uns allen gleichermaßen scheint? Warum sollten wir dann für das Wissen von Gott bezahlen? Es ist ein Geschenk Gottes, und es muss kostenlos und großzügig verteilt werden. So wird kein Wahrer Meister etwas dafür annehmen. Er gibt unentgeltlich.

Einmal schrieben einige Leute aus Amerika an meinen Meister in Indien:

Wir haben genügend weltlichen Besitz. Wir werden Euch diesen Reichtum geben. Wollt Ihr uns dafür gütigerweise den Reichtum der Spiritualität bewilligen?

Was schrieb Er zurück? Er antwortete:

Spiritualität ist Gottes Gabe und all Seine Gaben sind frei. Auch diese wird umsonst gegeben. Ich will dafür keinerlei materielle Reichtümer.

Was kümmern einen spirituell reichen Menschen weltliche Schätze? Aber viele der sogenannten Meister haben eine Quelle des Profits daraus gemacht. Ich hatte Gelegenheit, mit einigen von ihnen zusammenzukommen. Manche gestehen ihre Schuld ein, fügen aber hinzu, dass sie leben müssen und das Leben Geld kostet. Aber es ist trotzdem Sünde. Ihr werdet finden, dass es auf der ganzen Welt Oberhäupter verschiedener religiöser Richtungen gibt, von denen wir annehmen, dass sie Gott erreicht haben. Ob sie Gott wirklich erreicht haben oder nicht, ist eine andere Frage. Aber nehmen wir an, alle religiösen Führer hätten Gott erreicht. Wenn dem so wäre, warum können sie dann nicht miteinander befreundet sein? Zwei, die Wein lieben, zwei Zechbrüder, können in der Kneipe beisammensitzen, aber zwei, die sich als Gottesmänner ausgeben, können nicht einmal des anderen Anblick ertragen.

Die Menschheit ist unwissend und wird deshalb von so genannten Gottesmännern ausgenutzt. Wir müssen lernen, das Echte vom Falschen zu unterscheiden, und einen Wahren Meister finden. Er wird uns eine Ersthand-Erfahrung der Inneren Wirklichkeit geben.

Wie Shamas-i-Tabrez, ein Moslem-Mystiker, sagt:

Wir sollten imstande sein, Gott mit unseren eigenen Augen zu sehen. Wir sollten fähig sein, die Stimme Gottes mit unseren eigenen Ohren zu hören.

Der Meister sollte uns das Licht Gottes sichtbar und die Stimme Gottes hörbar machen. Und Er täte das alles aus Liebe und nicht des Geldes wegen. Das sagen alle Schriften und geben alle Wahren Meister.