Maharaj Ji, der Erhabene

Erinnerungen von Kira Redeen

Der Morgen und der Abend sind Darshanzeiten im Sawan Ashram.

Die Menge beginnt sich schon vorher zu versammeln. Sie meditieren und warten vor dem Haus des Meisters Kirpal Singh Ji. Wenn der Satguru heraustritt, ändert sich jedermanns Gesichtsausdruck. Man sieht, dass dies die liebenden Kinder sind, die wieder mit ihrem geliebten Vater zusammensitzen.

Die indischen Schüler gehen zu unserem Meister mit der ganzen Familie, zu Paaren oder einzeln, um Ihn zu sprechen. Jeder bringt sein Problem, sei es weltlich oder spirituell, zu den Füßen des Meisters.

Nachdem der Meister sich um jeden gekümmert hat, geht Er zum Säulengang Seines Hauses. Oft lädt Er Schüler aus dem Westen ein, Ihm dorthin zu folgen. Die Inder bleiben draußen, und man kann sie in ihrer melodischen, uns fremden Sprache sprechen hören. Ein Wort jedoch hört man ohne Unterbrechung in einem begeisterten Unterton: Maharaj Ji, Maharaj Ji, Maharaj Ji, und man weiß, über Wen sie sprechen.

Wir hörten, dass kurz vor unserer Ankunft eine kleine, alte Frau, die im Ashram wohnt, sich dem Meister bei einem der Darshans genähert und gesagt hätte, dass sie Innen nichts sähe. Als man sie fragte, ob sie das Tagebuch führen würde, sagte sie, dass sie nicht lesen odere schreiben könne, dass sie aber eine Kerze habe. Der Meister sagte, wie berichtet wurde:

Warum braucht ihr diese ganzen äußeren Symbole wie Kerzen und Blumen? Geht nach Innen, und dann seht selbst.

Diese Bemerkung machte auf sie offenbar wenig Eindruck oder wurde falsch verstanden, denn ein paar Tage später sagte sie beim Darshan, dass sie den Meister innen in all Seiner Herrlichkeiten gesehen habe. Zufrieden fragte ihr Satguru sie, was sie getan habe. Ich stellte Blumen und Kerzen um das Tagebuchblatt, und Ihr erschient mir, sagte sie.

Später sagte der Meister zu uns:

Das einfache Volk kommt soviel schneller dahin als die Pandits, die Gebildeten und die Intellektuellen. Ihr fragt mich, warum sehen manche Schüler viel Licht und andere sehr wenig? Das Ego ist im Wege, sage ich euch; nicht bevor ihr Bewusste Mitarbeiter am Göttlichen Plan werdet, wird das Ego vollständig verschwinden.

Ein Pandit,

fuhr unser Satguru Ji fort,

denkt sich dies und das aus und erarbeitet sich einen Plan, wie man es machen könne. Aber wenn es soweit ist, ihn zu verwirklichen, kommt er zu mir gelaufen, um zu hören, ob der tatsächlich verlässlich ist. Er weiß es nicht. Lernen hilft euch also nichts, wie ihr seht.

Pandits, Architekten, Beamte, Millionäre und Almosenempfänger, eine Prinzessin aus dem Punjab und die Schwester von Premierminister Nehru, Madame Pandit, alle waren dort und huldigten dem Meister.

Sie kommen alle wegen einer Sache,

erklärte unser Guru,

wegen des Brotes und des Wassers des Lebens.

Jedem einzelnen einschließlich den westlichen Schülern, gab der Meister Seine Liebe in gleichem Maß, da es nur ein Maß der Liebe für jeden gibt – das höchste. Sie ist immer und ohne Unterbrechung da.

Liebe strömt vom Meister in einem endlosen Strom. Es macht nichts, wenn ihr deswegen kommt oder in welchen Umständen ihr euch befindet. Seid versichert, der Fluss ist beständig. Es macht nichts, wie der Meister sich körperlich fühlt, ob Er beschäftigt ist oder nicht; die Quelle der Göttlichen Liebe ist so groß, dass genug für jeden da ist. Ihr könnt den Meister nicht erschöpfen, sagte Gyani Ji.

Manchmal kam Gyani Ji nach dem Darshan in unser Zimmer im Ashram, um festzustellen, ob wir alles verstanden hätten, was der Meister uns gesagt hatte. Wir saßen gewöhnlich im Kreis durcheinander, der Mond schaute durch das geöffnete Fenster, das Wasser von des Meisters Quelle tropfte ruhig im Badezimmer, eine rosa Eidechse saß bewegungslos an der weißen Wand, und ein grauer Frosch hüpfte ungestört in die Mitte des Teppichs. Wir saßen da und sprachen über das, was der Meister beim Darshan gesagt hatte:

Wenn ihr jemanden liebt, beachtet ihr die Zeit nicht. Sitzt so bei der Meditation mit dem einen, Den ihr liebt. Aufmerksam! Alleine! Wollt ihr noch jemanden dort? Nein?? Und was tut ihr? Euer Körper sitzt da, und ihr, ihr seid nicht da. Gott allein sollte in eurem Herzen auf den Thron gesetzt werden. In der Meditation stellt ihr fest, wie viele andere Menschen und Dinge ihr auch auf den Thron gesetzt habt. Ihr müsst jeden und alles im Augenblick des Todes zurücklassen. Ich bin der einzige, der euer Begleiter bis ans Ende sein wird. Ich bin bereits in euch. Ihr werdet in die Richtung gezogen, wo die Liebe ist. Ihr glaubt, mich zu lieben, aber die Wahrheit ist, dass ich euch zuerst liebte. Eure Liebe ist eine Erwiderung meiner Liebe. So liebt alleine Gott und liebt um Seinetwegen alle anderen.

Liebe kennt dienen und opfern,

sagte unser Satguru. Er zeigte uns das reichlich bei unserem Besuch im Manav Kendra.

Anfangs waren wir in des Meisters Gästehaus in der Rajpur-Straße, und der Meister war zum vierzehn Meilen entfernten Manav Kendra gefahren. In unserer Einsamkeit baten wir um Erlaubnis, zu Ihm zu kommen. Wir wussten nicht, dass unser geliebter Meister vor hatte, am selben Abend bei uns in Seinem Haus in der Rajpur-Straße zu sein. Wollt ihr das? fragte Er uns liebevoll. Gut, dann kommt sofort ein Wagen und holt euch ab. Der Meister blieb im Manav Kendra, und wir schickten uns an, dorthin zu ziehen. Räume wurden uns in dem noch unfertigen Hospital zugewiesen. Auf Anordnung des Meisters wurde folgendes für uns getan:

Da es bis dahin noch keinen Strom im Hospital gab, zog ein Elektriker eine Leitung vom Hauptkabel  zu unseren Räumen, Bauschutt wurde entfernt, ein Installateur wurde herbeigerufen, um das Badezimmer und den Ausguss brauchbar zu machen und um die Hauptwasserleitung zu öffnen. Unser Koch Ram Ji wurde zum Manav Kendra gebracht, außerdem seine Frau und das Baby: der Kühlschrank wurde von Dehra Dun herbeigeschafft; der Ofen umgestellt; eine Wagenladung Nahrung kam an; vier Holzbetten kamen an; Decken, Kissen, Wolldecken, Steppdecken; alles wurde zum Manav Kendra gebracht. Kleine Teppiche wurden hereingebracht, eine Couch, zwei Sessel kamen mit dem Lastwagen; ein Klimagerät; ein Ventilator und ein Esszimmer kam irgendwo her. Selbst die Toiletten wurden mit sofortiger Hilfe des Zimmermanns nach westlicher Art hergerichtet.

Am nächsten Morgen, als wir gesegnet meditierten, hörten wir des Meisters Schritte und Seinen Stock auf dem zementierten Boden unseres Säulenganges. Wir eilten nach draußen, und da stand Er, strahlend und lächelnd. Ich kam wegen eures Darshans, sagte Er. Später standen wir zu des Meisters Füßen in Seinem Bungalow im Manav Kendra und bildeten einen Halbkreis um Ihn. Er neigte Sich etwas in Seinem Stuhl vor und schaute uns liebevoll an.

Herr, fragte Ihn jemand, wie bringt Ihr es fertig, uns zu lieben? Wir sind so unvollkommen. 

Ihr seid wie ein Stein, 

antwortete Maharaj Ji, 

und ich meißle daraus das kostbare Etwas, das in ihm ist. Seid im Leben wie ein Kompass. Seid immer auf den Norden ausgerichtet. In der Welt schwankt ihr nach hier und dort ohne Ziel. Seid allezeit auf Gott ausgerichtet. Gebt acht auf eure Gedanken. Prüft eure Träume. Seht ihr dort den Meister?

Im Laufe des Gesprächs fiel die Sonne auf eine Seite von des Meisters Stirn und zum ersten Mal sah ich plötzlich Gottes eigene Handschrift dort – das Zeichen Om. Es war so hervorragend, so hervorstechend, so dick, dass ein Schatten davon auf die andere Seite der Stirn fiel. Ich schaute darauf und konnte meinen Blick nicht davon wenden. Es ist eine Sache, über die physischen Zeichen, die jeder Heilige hat, zu sprechen, es ist aber etwas anderes, wenn man sie selbst sieht. Als wir zurück zu unserem Hospital gingen, schaute ich auf jedermanns Stirn, und jede, verglichen mit der des Meisters, glich einem flachen indischen Chapati.

Zurück im Hospital, wartete das Mittagessen bereits auf uns. Ein edel aussehender Sikh mit einem kastanienbraunen Turban gesellte sich zu uns. Er war auf dem Weg nach Kaschmir und unterbrach seine Fahrt für ein paar Tage in Manav Kendra, um dem Satguru zu huldigen. Er hielt sich im Raum neben dem unseren mit David Teed, dem Gruppenbeauftragten aus Dallas, und Ed Handley aus Toronto, auf.

Dieser Herr erzählte uns die Geschichte von seinem Bruder, der drei Söhne und eine Tochter hatte. Die Tochter starb, und die leidgeplagten Eltern baten Meister Kirpal Singh, sofort zu kommen.

Bitte, 

flehte der Vater, als der Meister ankam, 

bitte; Maharaj Ji, nehmt das Leben von irgendeinem meiner Söhne, aber gebt mir meine Tochter zurück. 

Der Meister tat es jedoch nicht und bestieg Seinen Wagen, um nach Delhi zu fahren. Auf halbem Weg ordnete der Meister an, Ihn zu der betrübten Familie zurückzufahren.

Wieder zurück, legte Maharaj Ji Seine Finger auf die  Stirn des toten Mädchens, drückte ihr beiden Augen, und siehe da, sie war wieder am Leben. Der Meister nahm nicht das Leben eines der drei Söhne. Der Mann war am Ende seiner Erzählung.

Der Meister hat Macht über Leben und Tod in Seinen Händen, bemerkten wir. Und bestimmt liegen in Seinen Händen unser Schicksal und unsere Rettung. 

Ich möchte den Heiligen sprechen, sprach mich ein Mann einmal an,

erzählte uns Maharaj Ji. 

Ich fragte ihn: Über was möchten Sie mit dem Heiligen sprechen? Der Mann antwortete überrascht: Seid Ihr der Heilige? Aber Ihr seht ja wie ein Mensch aus? Ein Heiliger ist zuerst ein Mensch, erklärte ich ihm.

Unser Meister hat eine Menge menschlicher Züge. Er lacht gerne, obwohl es beinahe ein geräuschloses Lachen ist, das man mehr sieht als hört.

Gelegentlich, bewegt durch unsere menschliche Erbärmlichkeit, ist der Meister so voller Mitglied, dass sich Seine Augen mit Tränen füllen, die dann langsam an Seinen Wangen herunterlaufen.

Wenn Tai Ji darauf besteht, dass der Meister seine Kleidung wechselt, weil sie zerknittert ist und Flecken darauf sind, sagt Er gewöhnlich: 

Die Leute kommen nicht, um meine Kleidung zu sehen. Sie kommen, um mich zu sehen. 

Und Er wechselt sie nicht.

Der Meisters Sinn für Humor ist sehr fein. Wir kauften ein kleines Spielzeug für Ram Jis kleine Tochter. Wir gaben das Geschenk unserem Meister, damit Er es Ram Ji mit Seinem Segen gäbe. Fragt der Meister:  

Ist das für mich? 

Nein, Herr, es ist für Ram Ji.

Der Meister schaute auf ein Spielzeughund aus Gummi, drückte ihn sanft, so dass er pfiff, und sagte: Ich möchte auch ein Spielzeug haben. Ich bin auch ein Kind – Gottes, fügte Er lächelnd hinzu. Einmal kam eine sehr liebe Seele, Guru Parshad, der Leiter der Radhasoami-Gruppe in Agra, nach Delhi, um unseren Meister zu huldigen. Der Guru war zehn Meilen gegangen und kam staubbedeckt herein. Er war ein kleiner Mann. Ein alter, gelber Turban zierte seinen Kopf. In seinem lieben, alten Gesicht mit den freundlichen Augen stand Demut in jeder Falte. Nahe dem Meister, halb sitzend, halb von der Couch rutschend, berichtete er, dass er einmal zu seiner Gemeinde zurückkehrte und etwas süßen Parshad von Maharaj Ji mitgebracht hätte. Sie aßen ihn mit Dankbarkeit und fragten ihn:  Nun haben wir dieses süße Parshad gegessen, könnten wird dich auch essen, Guru Parshad? Dem Meister gefiel die Geschichte, und Er scheute die Mühe nicht, sie uns zu übersetzen.

Ein letzter, persönlicher Darshan wird jedem abreisenden Schüler gegeben. Jetzt waren wir an der Reihe. Des Meisters silberne, blaue Augen ruhten mit so einer Liebe und mitfühlendem Verstehen auf uns, dass wir in Segen gebadet waren.

Maharaj Ji, was ist, wenn ein Schüler für immer ein Schüler bleiben will, so dass er in der Heiligen Gegenwart seines Geliebten bleiben kann, geborgen, sicher und glücklich für immer?

Ihr werdet ein Meister, 

antwortete Maharaj Ji,

sobald ihr ein Wahrer Gurmukh werdet, erkennt ihr, dass ihr und der Meister eins seid.

Die Worte eines indischen Schülers, der in Rajpur lebt, kamen mir sofort in den Sinn:

Wenn ihr euch hinauf erhebt,

sagte er, 

werdet ihr des Meisters Körper aus Licht gemacht sehen. Ihr werdet euch aus Seinem Körper als Licht kommen sehen. Ihr und euer Meister seid eins, werdet ihr dann erkennen.

Wir gingen in der Dunkelheit des Abends. Als wir auf den Rücksitzen eines Wagens auf die Abreise warteten, kam Maharaj Ji zum Fenster, schaute uns an. Auge zu Auge, berührte unsere Hände mit Seinen Heiligen Händen und sagte warm:

Gott segne euch.