Dharma

von Vimla S. Bhagat

Der Begriff Dharma (in Pali: Dhamma) ist einer jener hohen termini technici, die man schwer übersetzen kann. Mit seinen verschiedenen Bedeutungen, die von dem Ort, der Zeit und den Umständen der Leute, die es benutzen, abhängen, hat es einen Sinn so weit wie das Universum  bekommen. Für die Hindus schließt es Riten der vedischen Zeit und die Überlieferung in Form der Dharma Shastras und Dharma Sutras der späteren Gesetzgeber wie Manu und Yajnavalkya ein. Die Jains betrachten es als das universale Gesetz des Nichtverletzens, ewig rein und immer das gleiche, das auf dem humanen Prinzip der ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ in all seinen Formen basiert. Die Buddhisten nehmen es als eine Selbstdisziplin, die auf der  Lehre der Rechtschaffenheit begründet ist, denn Buddha setzte wirklich das Rad des kosmischen Gesetzes der Rechtschaffenheit in Bewegung, das zum Nirwana führte (ein sublimer Zustand des bewussten Ruhens im Allbewusstsein).  ‚Liebe‘ ist das zentrale Thema in den Lehren Jesu.

Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte […] Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Islam bedeutet, wie der Name anzeigt, ‚Friede‘, geboren aus dem Glauben an die Einheit Gottes – Friede mit Gott durch vollständige Ergebenheit und Unterwerfung unter Seinen Willen und Friede mit den Menschen als Kinder eines Gottes, Der die ganze Menschheit vereinte. Nanak legte große Betonung auf die Wahre Lebensweise.

Die Wahrheit ist höher als alles andere, aber noch höher ist die Wahre Lebensweise.

Das bedeutet, wahrhaftig nach dem Willen Gottes zu leben, Der bereits in die Urform unseres Seins eingewirkt ist.

Dharma ist dergestalt eine Zusammenfassung von rituellen Tätigkeiten und ethischen Verpflichtungen einerseits, als auch gleicherweise von Idealen und höheren Werten des Lebens, wie sie von Zeit zu Zeit für das Wohlergehen der Menschheit ersonnen werden in Bezug auf die verschiedenen Wege und Stufen des Lebens. Es ist ein sozio-religiöses Gesetzwerk moralischen Verhaltens, das dem Menschen hilft, sich Frieden, Kraft, Fülle und Glück hier auf Erden und im Jenseits zu sichern. In seinem allumfassenden Aspekt ist es das Gesetz des Lebens, das Gesetz, welches das menschliche Leben bis zur Fülle bereichert, indem es dieses vollkommen macht, wie unser ‚Himmlischer Vater vollkommen ist‘, und indem es nach der vollständigen Umwandlung des Menschen zu Gott (Sat-Chit-Anand oder Allgegenwart, Allbewusstsein und Seligkeit) strebt.

Von daher gesehen wird es völlig klar, dass wirkliches Dharma nicht irgendetwas Statisches, Fixiertes und Starres ist, das festgelegt ist und unter seinem eigenen toten Gewicht hinwegrostet. Es ist im Gegenteil im wesentlichen eine dynamische Kraft und feurige Energie, die von Zeitalter zu Zeitalter und Raum zu Raum fortdauert, die sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft erhält, allgemein und unter besonderen Umständen, das ganze Leben hindurch. Es ist der große verbindende Faktor und die Kontrollierende Kraft, welche die verschiedenen, widerstreitenden Elemente im Menschen und in der Gesellschaft zusammenhält und mit Energie versorgt, ganz zu schweigen von den Tieren und Vögeln unten und den Sternen und Göttern oben. Keiner kann ohne diese Kraft leben.

Die Entwicklung des äußeren Dharma

Um zum Ursprung des äußeren Dharma zu kommen, müssen wir in die prähistorische Vergangenheit zurückgehen. Mit dem ersten Aufflackern des Erwachens im Menschen erhob sich in ihm ein Verlangen, Grundsätze zu entwickeln, die die menschliche Existenz freundlich und würdig und letztlich auch gewinnbringend gestalten würden. Es war ein Teil des Naturinstinktes der Selbsterhaltung und des Überlebens der menschlichen Rasse.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die ursprünglich verschwommene Idee zu etwas, was als ‚Varn Ashram Dharma‘ bekannt wurde, welches bestimmte Pflichten und Verpflichtungen für verschiedene Klassen und Menschen in der sozialen Ordnung (die ursprünglich entsprechend der Varna oder Farbe unterteilt war) festsetzte und auch für die verschiedenen Ashramas oder Stufen im Leben des einzelnen. So diente es einem zweifachen Zweck: der Verbesserung und Läuterung sowohl der Gesellschaft als gleichzeitig auch der des einzelnen Menschen.

Um die Vorherrschaft ihrer Stellung zu bewahren und um die Gewinne ihrer Eroberung zu behalten, betrachteten sich die frühen arischen Eroberer Indiens als höhere Wesen, als die Bevorzugten der Götter. Warum sonst würden ihnen die Götter neues Land mitgeben? Dies ist der Grund, weshalb sie dem blauen Blut in ihren Adern und der hellen Gesichtsfarbe, die sie besaßen, große Wichtigkeit beimaßen, indem sie sich selbst gleich ihren Zeitgenossen, den Israeliten, als auserwähltes Volk betrachteten, das in ein Land geführt worden war, das von Milch und Honig überfloss. So kam Varna Dharma oder eine soziale Ordnung auf der Hautfarbe begründet durch die hellhäutigen Arier in das Sein, die so ihre Oberherrschaft über die dunkelhäutigen Eingeborenen ausübten. Heiraten und Vermischungen zwischen den beiden Gruppen waren verboten, um so die Reinheit ihres Blutes unversehrt zu halten und so auch die Grundlagen zu bewahren, auf denen sie ihren Anspruch auf Oberhoheit begründeten.

Im Laufe der Zeit wurde die Starrheit des strengen arischen Varna Dharma gemildert, und die Farbenschranke begann allmählich unter dem Druck der Umstände nachzugeben mit dem Ergebnis, dass all die aus dem Norden kommenden Hellhäutigen in den Hauptstrom der neuen Gesellschaft eingeschmolzen wurden und eine einheitliche Verhaltensweise des Lebens für beide Klassen angenommen wurde.

Um der wachsenden Not der zusammengesetzten neuen sozialen Ordnung, die aus der Fusion der Rassen entstanden war, zu begegnen, wurde es als notwendig empfunden, eine Art Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft zu entwerfen, so dass jede ihrer natürlichen Abteilungen innerhalb ihres Kompetenzbereiches ihre Arbeit nutzbringend und wirksam aufnehmen konnte. Die Arbeit wurde in vier Abteilungen eingeteilt:

  1. Das Wissen um die Heilige Lehre (Brahm Vidya), das Lehren und das Amtieren als Priester sowohl bei weltlichen, als auch bei religiösen Zeremonien;

  2. das Regieren und die Verteidigung des Landes, verbunden mit einem besonderen Wissen in den Disziplinen der Rajniti (Staatskunst) und der militärischen Strategie (Shaser Vidya);

  3. das Entwickeln der Wirtschaft des Landes, was den Handel und das Gewerbe, den Ackerbau und die Industrie usw. einschloss und das Hervorbringen und die Verteilung des Wohlstandes regelte (Arthashastra).

Auf diese Weise wurde die Masse der Leute eingeteilt in:

  1. Brahmanen,
  2. Kshatriyas und
  3. Vaishyas,

Jene Menschen, die nicht auf eine vernünftige Weise in das obige Schema eingestuft werden konnten, wurden als Arbeiter und Diener der oberen drei Klassen beschäftigt und bildeten eine eigene Klasse von Dienenden oder Sudras. Jede dieser Klassen hatte ihre eigenen Verhaltensvorschriften oder ihr Klassendharma (Svadharm).

Innerhalb dieser breiten Grundlage der Aufteilung des Varna Dharma entwickelte sich das komplexe Jati-vayatha oder Kastensystem auf der Grundlage der Handwerkerzünfte: der Schmiede, der Zimmerleute, der Töpfer usw. Diese Tätigkeiten wurden erblich, und die Kinder dienten als Lehrlinge bei ihren Vätern und brachten es so natürlich sehr weit. Jede dieser Zünfte schuf sich ihr eigenes Dharma oder stellte grundlegende Regeln für das Verhalten ihres Handwerkerstandes oder Berufes und die Beziehungen innerhalb der Familie und Verwandtschaft auf.

Unten in der Skala der sozialen Ordnung kam das Individuum, der einzelne in der Gesellschaft, der sein eigenes Svadharm oder seine persönlichen Pflichten (Ashramas genannt) in den verschiedenen Perioden seines Lebens hatte. Es wurde von ihm erwartet, vier solcher Stufen zu durchlaufen mit dem endgültigen Ziel, ein unteilbares Ganzes, ein integrierter Mensch, zu werden. Diese Stufen oder Ashramas waren:

  1. Brahmacharya, die Stufe eines keuschen Schülers, der in einer Gurukul (Gemeinschaft von Schülern zusammen mit einem Lehrer) lebte.

  2. Grehastha, die  Stufe eines Hausvaters, der seine Kinder innerhalb einer heiligen Ehe großzog, seine Familie erhielt und nicht nur seinen Familienmitgliedern, sondern auch Personen der anderen Stufen; Schülern, Entsagenden usw., diente, denn auch diese hingen, was ihren Lebensunterhalt betraf, von ihm ab. Dieser Grehastha Ashram oder die Stufe des Hausvaters bildete den Angelpunkt, um den sich das gesamte wirtschaftliche Leben der Gesellschaft als Ganzes drehte.

  3. Varnprastha, eine Periode des Zurückziehens von der Welt, wobei der Hausvater seine Familie und Freunde und alle seine weltlichen Bindungen und Besitztümer verließ, um sich in die Abgeschiedenheit eines Waldes oder einer Höhle zurückzuziehen. Hier verbrachte er seine Zeit mit Meditation über das Selbst und Gott und verwirklichte das, was er als Brahmchari gelernt hatte.

  4. Als letzte von allen kam die Stufe des Sanyas Ashram, auf der der einzelne, indem er allem entsagte, von Ort zu Ort wanderte und das Wissen, das er durch persönliche Erfahrung auf der Suche nach Wahrheit erworben hatte, verbreitete.

Nun, da er ein Wahrer Sanyasin war, teilte er seine Wahrheit und sein Wissen mit anderen. Auf diese Art sollte jeder einzelne sein Leben auf Erden beenden, indem er freudig und bewusst seine Pflicht gegenüber sich selbst und der Gesellschaft erfüllte. Das Leben eines solchen wurde von der Geburt bis zum Tode im Dharma gelebt.

Das esoterische oder Innere Dharma

Dharma,

sagt Nanak,

ist geboren aus der Gnade Gottes und ist der sprichwörtliche Bulle (in der Hindu-Mythologie), der  harmonisch die Schöpfung trägt.

Etymologisch betrachtet ist der Ausdruck Dharma aus dem Sanskrit-Wortstamm  ‚dhr‘ abgeleitet, der die Bedeutung von tragen, unterstützen, erhalten und bewahren hat. Im metaphysischen Sinn ist Dharma das kosmische Gesetz, welches das Universum stützt, kontrolliert und aufrecht erhält; und im physischen Sinne arbeitet es zum allgemeinen Wohle jeder individuellen Seele, indem es sie auf dem Pfad der Moral zur Befreiung oder Freiheit vom endlosen Zyklus der Geburten und Tode führt. Dies sind nur zwei Aspekte derselben Lebens- oder Geistkraft Gottes, die sowohl im einzelnen wie auch in der Natur wirkt. Samuel Taylor Coleridge hat dieser großen Wahrheit mit folgenden Worten Ausdruck gegeben:

O! Das eine Leben in und um uns, welches aller Bewegung begegnet und seine Seele wird; ein Licht im Ton, eine tongleiche Kraft im Licht, der Rhythmus in allen Gedanken und in der Freude allerorten.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist Dharma recht verschieden von den institutionalisierten religiösen und sozialen Bekenntnissen und Glaubensrichtungen, die auf Gefühlen, Empfindungen und Schlussfolgerungen basieren, und steht weit darüber. Das äußere Dharma dient einem sehr nützlichen Zweck, was nicht geleugnet werden kann. Es hält die verschiedenen sozialen Ordnungen davon ab, in die Korruption abzugleiten, zeigt die elementaren, aber notwendigen Schritte auf dem Gottespfad auf und versorgt uns mit einer Grundlage für das Leben des Geistes.

Der Geist und die Kraft Gottes ist das Dharma Gottes. Gott in Seinem eigenen Dharma schuf den Menschen nach Seinem eigenen Bilde und stattete ihn mit Seinem eigenen Lebensodem aus. Das gesamte Universum ist nur eine Manifestation des Willens Gottes, und es arbeitet unaufhörlich daran, Seine Absicht und Seinen Plan zu erfüllen. Die verschiedenen Religionen sind die Ergebnisse der menschlichen Bemühungen, das Geheimnis des Lebensprinzips in allem, was existiert, herauszufinden. Die Begründer all der Religionen hatten, jeweils in verschiedenen Graden, einen Einblick in diese geheimnisvolle Kraft und zeichneten Ihre Erfahrungen zu unserer Führung auf. Solange Sie lebten, gaben sie einzelnen Seelen einen direkten Kontakt mit der rettenden Lebensschnur im Innern (dem Dharma Gottes oder dem Heiligen Wort).

Die religiösen Dogmen und Lehren, die in den heiligen Schriften enthalten sind, sind oft ausgearbeitete Kommentare über die Wahrheiten, die Gott den Weisen und Sehern offenbarte, die ihrerseits wieder ihren engen Gefährten und Schülern eine praktische Demonstration von Evam Brahm (dies ist Brahm) gaben. Gott ist Geist und kann nur im Geiste angebetet werden. Das Selbst im Menschen ist ebenfalls vom Geiste Gottes. In Gott und in Seinem Dharma innerhalb und außerhalb von uns leben wir, bewegen wir uns und haben unser eigentliches Sein.

Dharma, geboren aus der Gnade Gottes, ist seinem Wesen nach göttlich, während die Religionen oder das äußere Dharma nur Ausläufer sind, herausgewachsen aus dem großen, Wünsche gewährenden Baum (Kalp Briksh) des wirklichen Dharma. Sie wurden um den einen oder anderen Aspekt des Ewigen Dharma gebildet und sind nur unvollkommene Versuche, das Unbegrenzbare in der Sprache der Menschen zu begrenzen. Das Wort des Wortlosen kann nicht in Worten ausgedrückt werden. Sein Gesetz ist ungeschrieben und Seine Sprache ungesprochen. Dies ist transzendentes Dharma, wobei es jedoch gleichzeitig alldurchdringend ist. Der Göttliche Grund, durch das Dharma gegeben, ist der einzige sichere Grund, auf dem unser Leben aufgebaut und fruchtbringend werden kann, so dass wir wahrhaftig ein Dharma Putra (Sohn des Dharma) und ein Dharma Atma (eine Seele, in der Farbe des Dharma gefärbt) werden können. Es geschieht nur durch das Erlangen der zweiten Geburt, der Geburt aus dem Geist (Do-Janma), dass jemand wahrhaftig von Gott erschaffen wird.

Das Dharma Gottes wohnt nicht nur dem Leben inne – es ist das Leben. Sein und Werden sind nur zwei verschiedene Zustände der einen Wirklichkeit. Der Geist und die Kraft Gottes können genauso wenig von Gott getrennt werden, wie die Strahlen der Sonne von der Sonne getrennt werden können. Die Sonne mag zeitweilig von Wolken verdunkelt werden, aber sie kann nicht für immer verborgen bleiben; und die Wolken müssen den Silbersaum an ihren Rändern widerspiegeln.

Dieses transzendente Dharma ist der ursprüngliche Ausdruck Gottes in der Form von Ton und Licht (der hörbare Lebensstrom). Weil es das älteste von allem ist, da die Zeit selbst ihm ihren Ursprung verdankt, ist es als Puratan Dharma bekannt. Das Yuga Dharma oder Dharma des Zeitalters kommt für eine Zeit in das Sein und besteht nur für den besonderen Zeitzyklus, zu dem es gehört. Wiederum wird das transzendente Dharma, da es wesensmäßig rein und ewig ist, immer das gleiche ohne Veränderung, Sanatan Dharma genannt, was das Ewige und Unveränderliche in der Natur bedeutet. Und eng, mit diesem verbunden ist Manav Dharma, durch welches wir zur Führung der Menschen durch einen Menschen Lichtblicke von oben bekamen, wie es durch die Propheten der verschiedenen Religionen gelehrt wird. Manav Dharma fußt auf dem einen oder anderen Attribut der Gottheit, so dass der durchschnittliche Mensch in Frieden und Eintracht leben und ein geistig gesundes, harmonisches Leben führen kann, bis zu einer Zeit, da ein in Gott ruhender Heiliger oder Vollendeter Meister, Der in der Wahrheit wurzelt (Sant Satguru), auf den Plan tritt, um ein praktisches Betreten des Inneren Pfades zu lehren.

Manav Dharma selbst hat zwei Phasen entsprechend der zweifachen Natur des Menschen, die aus dem gefühlsmäßigen Selbst und dem verstandesmäßigen Selbst besteht, wobei jedes um die Oberherrschaft ringt. Der Mensch ist in Beziehung zur Gesellschaft eine Einheit, aber seine Beziehung zu Gott besteht nur durch sein Göttliches Zentrum. Der erste Teil des Manav Dharma versucht das Tier im Menschen zu vermenschlichen, und der zweite Teil versucht das Menschliche in ihm zu vergöttlichen. Der erste Teil des Prozesses besteht aus den moralischen Vorschriften, wie sie in allen heiligen Schriften gefunden werden. Diese werden manchmal in verneinender Form gegeben, wie Moses das in den Zehn Geboten tat, mit dem Nachdruck auf: ‚Du sollst dies oder jenes nicht tun.‘ Manchmal in bejahender Form, wie Christus es bei Seinen Seligpreisungen tat. Patanjali, der namhafte Autor der Yoga-Sutras, zollte beiden Methoden in seiner Erklärung des Ashtang Yoga die gleiche Aufmerksamkeit, indem er Yamas (Verbote) auf der einen Seite und Niyamas (Gebote) auf der anderen Seite getrennt aufstellte. Nach dem erfolgreichen Durchschreiten dieser strengen Disziplinen wird man fähig, den Höheren Pfad, den Pfad gottwärts – das transzendente Dharma – in Angriff zu nehmen.

Keine Religion steht höher als die Wahrheit, und wenn sie verstanden und praktiziert wird, kann man das Reich Gottes unmittelbar hier auf Erden haben. Alles, was praktiziert werden muss, ist die Gegenwart des Lebendigen Gottes im Inneren.

Das Reich Gottes kommt nicht durch äußerliche Gebärden, denn siehe, das Reich Gottes liegt inwendig in euch.

Und wenn dies einmal im Heiligen Berge Gottes – dem Berg der Verklärung im Körper – erkannt und erfahren worden ist, wird der gesamte Blick nach außen verändert. Die nämliche Welt, die jetzt von Unvollkommenheiten und Widersprüchen voll zu sein scheint, wird, eingehüllt von einem Göttlichen Mantel, als die wahrhaftige Wohnstatt Gottes erscheinen, in der Er wohnt.

Das Innere, wahrgenommene Wissen bedarf keines weiteren Beweises. Sehen heißt glauben, und Glaube bringt Überzeugung hervor (erwachtes Bewusstsein) und Überzeugung dann Glauben (Zuversicht und Vertrauen, gegründet auf persönliche Autorität), den keine weltlichen Stürme erschüttern können.

Wahres Wissen ist eine Tätigkeit der Seele, unabhängig von den Sinnen.

Die Wirklichkeit oder das wirkliche Leben wird gänzlich nur gesehen, wenn man sich über das Bewusstsein des Körpers und des ganzen körperlichen Beiwerks erhebt. Das Erfahren der Wahrheit oder Wahren Dharmas kommt nur, wenn die Sinne unter Kontrolle sind, das Gemüt ruhig ist und der Intellekt nicht schwankt,

sagen die Heiligen Texte. Auf eine dichterische Weise sagt Milton:

Die Göttliche Philosophie ist musikalisch wie Apollos Laute und ein beständiges Fest von nektargleicher Süße.

Das ist das Wissen wirklichen Dharmas von seinen Wurzeln her. Ein anderer Dichter, Wordsworth, spricht so davon:

Es ist ein immer aktives Prinzip, jedoch von Sinnen und Wahrnehmung getrennt.

Es ist eine direkte Erfahrung des Wissens von Gott. Wenn man es erfährt, erkennt man und nichts bleibt zu erkennen übrig,

bestätigen die Upanishaden.

Wer auch immer sich selbst gefunden hat, kann niemals wieder irgendetwas in der Welt verlieren. Wer den Menschen in sich selbst begriffen hat, versteht die ganze Menschheit.

Stefan Zweig

All dies und vieles mehr geschieht leicht im Inneren Bereich, wenn man durch das Überschreiten des Menschlichen in sich ein wahrhaftig lebendiger Geist wird, denn in Wahrheit ist es der Geist, der allein gottwärts fortschreitet.

Es geschieht durch das Wirken Gottes, dass man dem Dharma (dem Willen Gottes) näher kommt,

sagt Nanak.

Bevor ich schließe, mag es angebracht sein, Dharma in Beziehung zu Karma zu betrachten, einem anderen, äußerst subtilen Ausdruck. Durch die zwingende Kraft der Handlungen, die wir in der entfernten, längst vergessenen Vergangenheit in Bewegung gesetzt haben, werden wir in der lebenden Gegenwart beeinflusst. Das Gesetz des Karmas – ‚Wie du säst, so wirst du ernten‘ – ist unerbittlich in seinem Verfahren und hält jedes Geschöpf in seinem eisernen Griff. Das Rad des Lebens bleibt durch die ihm innewohnende karmische Schwungkraft in beständiger Bewegung, und unter seinem Einfluss werden einige hoch und andere niedrig geboren, manche reich und andere arm; und jeder hat seine Bestimmung zu erfüllen, was sie auch immer sein mag. Aber weder die Geburt noch die Kaste, noch die Beschäftigung bestimmen den Inneren Wert des Menschen. Dieser wird dem Menschen gegeben, damit er fähig ist, sich über das magnetische Feld des Karmas zu erheben und sich mit dem Dharma, der befreienden Kraft Gottes, zu verbinden. So, wie das Karma die Jiva oder die verkörperte Seele bindet, so wird sie durch das Dharma befreit.

Erkennt die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch frei machen,

lautet das kosmische Gesetz des transzendenten Dharmas.

Den Wahren Gott wahrlich zu erkennen,

ist das wirkliche und Wahre Dharma, der Gipfel der Vollkommenheit und das Ziel des Lebens.

Und die Höchste Religion ausüben heißt, sich zu universaler Bruderschaft zu erheben, ja auf immer alle Kreatur als seinesgleichen zu betrachten,

bestätigt Nanak.

Dharma ist Wahrheit, und Wahrheit ist Dharma:  Dharma wohnt der Wahrheit inne, und die Wahrheit wirkt durch das Dharma. Wenn man Dharma richtig praktiziert, während man auf dem Erdenplan lebt, wird man ein Jivan-Mukat oder ein selbsterfülltes und selbsterleuchtetes Wesen, auf ewig frei.