Der Zweck der Erziehung

Reverend G.J. Christo, Präsident des nördlichen Bezirks der Adventistenkirche des Siebenten Tags in Indien, spricht zur zweiten Gesprächsrunde, indem er die Leere der heutigen Erziehung darstellt und Alternativen vorschlägt.

Herr Präsident und Delegierte!

Nur wer wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand steckt, wenn er mit dem heutigen Zustand vom Gesetz und Ordnung konfrontiert ist, wird bestreiten, dass irgendwo etwas schief gelaufen ist und das Bild der Gesellschaft und Zivilisation in dieser Generation finster ist. Die heute geboren werden, übernehmen als Vermächtnis eine Zeit, in der sich das Verbrechen wie auf Flügeln emporgeschwungen hat. Wenn wir die Statistiken aller Arten von Verbrechen studieren, finden wir, dass die Zahlen höher als jemals zuvor sind und immer noch steigen.

Ist etwas nicht in Ordnung mit unserem gegenwärtigen Erziehungssystem oder unserer häuslichen Umgebung oder vielleicht mit unserer sozialen und politischen Ordnung? Ich möchte behaupten, dass die missliche Lage, in der wir uns heute befinden, das Ergebnis der Vernachlässigung und eines der bedeutendsten Lebensfaktoren ist. Es ist viel Betonung auf die mentale und physische Entwicklung unserer Generation gelegt worden. In einem geringeren Ausmaß wurde bestimmten sozialen Entwicklungen Spielraum geschaffen; aber wenig wurde für die Spirituelle oder moralische Gesundheit des Einzelnen getan. Dies, so behaupte ich, führt zu moralischem Verfall von allem, was uns lieb und teuer ist. Die Menschheit konnte den äußeren Weltraum erobern, versagte aber darin, die Bedeutung ihres Inneren Raumes herauszufinden. Als der Mensch die komplizierten Geheimnisse des Universums zu verstehen begann, hielt er sich für den Herrn seines eigenen Schicksals. Die industrielle Revolution riss den Menschen aus seinen alten Traditionen und schleuderte ihn in eine atheistische, mechanische Welt. Menschen, die im Weltraum kreisten, erklärten, dass ihre Reise in den Weltraum ihren Glauben rechtfertige, dass dort draußen kein Gott sei; und ein ehemaliger christlicher Theologe vertrat die Auffassung, dass, wenn es damals einen Gott gegeben habe, Er nun für tot angesehen werden sollte, da die Menschheit Ihn jetzt wirklich nicht mehr brauche. Einige meinen, dass Gott ein Machwerk der Kirchenfürsten sei, um sich die Massen hörig zu machen.

Erziehung umfasst mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen, wie es in der Schule gelehrt wird. Wahre Erziehung umfasst das gesamte Wesen und die ganze Lebensspanne, die dem einzelnen gegeben wurde. Ich behaupte, dass die Erziehung, die heute unseren Kindern und der Jugend angeboten wird, zu enggefasst ist. Wahre Erziehung lehrt den besten Gebrauch nicht nur von einer, sondern von allen unseren Errungenschaften. So umfasst sie den ganzen Kreis der Verpflichtung uns selbst, der Welt und Gott gegenüber.

Die Charakterbildung ist die wichtigste Aufgabe, die den menschlichen Wesen anvertraut wurde, und niemals zuvor war ihr sorgfältiges Studium so vordringlich wie heute. Niemals wurde von einer vergangenen Generation verlangt, derart schnelle Entscheidungen zu treffen; niemals zuvor wurden junge Männer und Frauen von so großen Gefahren bedroht wie heute.

Was für eine Richtung wird der Erziehung zu einer Zeit wie dieser gegeben? Welches Motiv wird am meisten hervorgehoben? Die Suche nach dem Selbst. Vieles an der Erziehung ist eine Verdrehung des Namens. In wahrer Erziehung finden falscher Ehrgeiz, Machtgier, Missachtung der Rechte und Nöte der Menschheit, die der Fluch unserer Welt sind, einen entgegengesetzten Einfluss. Gottes Lebensplan hat einen Platz für jedes menschliche Wesen. Jeder muss seine Talente bis zum äußersten ausschöpfen, und Redlichkeit in diesem Tun, seien es der Gaben wenige oder viele, macht ihn der Ehre würdig.

E.G. White

Das Zuhause ist die Grundlage allen Wachstums, und es muss auch der Ort für das Spirituelle Wachstum sein. Die Psychologen sagen, dass der Lernvorgang eines Kindes bei seiner Geburt beginnt. Es ist daher für ein Kind unumgänglich, dass es während der Säuglingszeit geeigneten moralischen und Spirituellen Einflüssen ausgesetzt ist. Bei einem so zerrütteten Zuhause, arbeitenden Müttern und Vätern, die ängstlich darauf bedacht sind, mehr als nötig zu arbeiten, um ihre ausgefallenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist die Erziehung des Kindes oft auf ein gelegentliches Brummen von Papa beschränkt. In unserer weltlichen Gesellschaft wurde die Aufsicht über die Spirituelle Entwicklung den Eltern und den religiösen Organisationen, denen die Eltern angehören, überlassen. Die durch öffentliche Mittel unterstützten Schulen konzentrieren sich hauptsächlich auf die mentale und physische Entwicklung. Der Mensch ist eine vierdimensionale Persönlichkeit – physisch, mental, sozial und Spirituell –, und insofern, als Wahre Erziehung die Entwicklung all dieser Fähigkeiten einschließt, tragen auch die Schulen Verantwortung, all diesen Kräften zur Entwicklung zu verhelfen. Oscar Handlin, Geschichtsprofessor an der Harvard-Universität, kam kürzlich zu dem Schluss, dass die Schulen die Erziehung tatsächlich zugrunde richten. In den Siebziger Jahren verurteilen wir mehr Jugendliche zu mehr Schuljahren als jemals zuvor in der Geschichte, so dass die Amerikaner niemals zuvor so dürftig wie heute erzogen wurden. Dies könnte vielleicht auch von der Erziehung in Indien gesagt werden. Es wäre gut für uns, über die Ziele der Erziehung nachzudenken:

1. An erster Stelle steht die Charakterbildung.

Das Ziel der Erziehung sollte darin bestehen, im Menschen die Ähnlichkeit mit seinem Schöpfer wiederherzustellen; ihn zu der Vollkommenheit zurückzubringen, in der er erschaffen wurde. Alles Wahre Wissen wird dazu beitragen, das Wesen zu vervollkommnen. Ein gesunder Charakter ist daran zu erkennen, dass er sich mit dem Wesentlichen und nicht mit äußerer Schau befasst.

2. An zweiter Stelle steht die Entwicklung der Intelligenz. Eine gute moralische Erziehung ist nicht nur dazu gedacht, den Affen oder Tiger in uns zu beseitigen, sondern die durch das Sichgehenlassen und mangelnde Selbstkontrolle geschwächten Gemüter zu stärken. Der Geist muss aufgerüttelt und mit einem allwissenden Schöpfer in Verbindung gebracht werden.

3. die Ausbildung, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wahre Erziehung ist nicht vorrangig dazu da, einen mit der Fähigkeit auszustatten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, das ist erforderlich, aber zu eingeschränkt. Wahre Erziehung ist mehr als eine Vorbereitung auf das jetzige Leben; sie muss sich mit der ganzen, für den Menschen möglichen Lebensspanne befassen. Und dies schließt die Ewigkeit mit ein.

Mehr und mehr Erzieher erkennen, dass unser gegenwärtiges Erziehungssystem den wichtigen Aspekt der Handarbeit vernachlässigt hat. Jerry L. Pettis, ein amerikanisches Kongressmitglied, der kürzlich China besuchte, gab folgenden Kommentar:

Ich war brennend an der Philosophie, die in China über dieses Thema vorherrscht, interessiert. Alle Schüller müssen zwei Jahre auf einem Bauernhof verbringen. Nachdem der Schüler eine dem amerikanischen Gymnasium entsprechende Einrichtung besucht hat, wird er einem Bauernhof oder eine ‚Kommune‘ zugewiesen.

Am Ende der Zweijahresfrist entscheiden die anderen Mitglieder der Kommune, ob er ‚Universitätsmaterial‘ ist und ob er eine weitere Ausbildung bekommen sollte. In einem so großen Land ist es unmöglich, jedermann eine fortgeschrittene Ausbildung anzubieten. Daher muss ein Student, nach der Meinung seiner Genossen, eine ausreichende Erfolgschance einschließlich dem Wunsch nach Erfolg haben, sonst wird ihm nicht die Möglichkeit gegeben… Während die Bauern und die Jugendlichen Seite an Seite arbeiten, werden zahlreiche Gedanken untereinander ausgetauscht, und die Jugend bekommt eine feste Verbindung mit der Wirklichkeit.

4. Schließlich muss der Fortschritt des Wissens auf das Trachten nach Wahrheit hinauslaufen. Das sollte das Endziel aller Erziehung sein. Wahrheit bedeutet, sich ein Wissen über Gott anzueignen und Seine Pläne für unser Leben herauszufinden.

Manch ein heranwachsendes Kind wird durch die Scheinfrömmigkeit, die in der heutigen Erwachsenenwelt zutage tritt, abgestoßen. Das Messen nach zweierlei Maß verwirrt das Kind, und der Gegensatz zwischen Theorie und Praxis ist gleichermaßen verwirrend. Das Wissen um die Heuchelei bricht in der Rebellion gegen die Gesellschaft aus. Jemand hat gesagt, dass Heuchelei zu jeder Zeit schrecklich ist, aber doppelt schlimm, wenn sie ins Gewand der Religion gekleidet ist.

Auffallende Unterschiede zwischen Reichtum und Armut, Völlerei und Hunger, Liebe und Hass – diese Gegensätze wohnen in der menschlichen Brust. Die unliebenswerten Instinkte können besiegt und unterworfen werden, wenn ein einzelner seine Rolle in der Welt in der Beziehung zu Gott und seinem Bruder erkennt. Was die Welt heute braucht, ist nicht mehr Theologie – sie braucht eine Demonstration von Gottes Liebe, die in der Bibel folgendermaßen beschrieben wird:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das ihre, sie lässt sie nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit.

1. Korinther 13

Selbstlose Liebe und Anteilnahme können die Schranken von Vernachlässigung, Verdächtigung und Hass niederbrechen. Selbstlose Liebe kann die Welt in einer Bruderschaft vereinen. Selbstlose Liebe ist das, was das Universum am meisten braucht.