Die Nacht ist ein Dschungel

II

Heute ist Basakhi, und damit sollte unser neues Leben beginnen. Alle Uneinigkeit sollte aus unseren Herzen entfernt werden. Ein Mann fragte mich einmal, warum kein Meister gesagte habe: 'Richtet eure Aufmerksamkeit auf mich', stattdessen: Richtet eure Aufmerksamkeit auf Ihn. Ich erklärte ihm, dass man die Anweisungen richtig verstehen müsse.

Lord Krishna sagte:

Richte deine Aufmerksamkeit auf meine Wahre Form.

Die Methode bleibt die gleiche, ungeachtet dessen, wo sich die Kraft manifestiert. Elektrizität wird einmal wärmen und ein anderes Mal kühlen. Avatare und Heilige sind Offenbarungen oder verschiedene Aspekte desselben Herrn. Missverstehen und Engherzigkeit rufen Trennung unter Brüdern hervor, aber die Berauschung Gottes ist ein und dieselbe. Wir alle verehren das Lebendige Licht, ganz gleich, welcher Religion wir angehören.

Einige Christen kamen zum Propheten Mohammed und baten Ihn um einen Platz, wo sie eine Kirche bauen könnten, und was tat Er? Er gab ihnen die halbe Moschee als Kirche! Würde heutzutage irgendjemand so etwas Wunderbares tun? Denkt sorgfältig über sein Handeln nach und was es bedeutet. Sind wir darauf vorbereitet, in die Fußstapfen unserer Älteren zu treten?

Guru Har Gobind, der sechste Sikh-Guru, baute sowohl Moscheen und Tempel als auch Gurdawaras Seite an Seite, wo immer es erforderlich war. In Amritsar wurde von Hazrat Mian Mir, einem Moslem-Heiligen, auf die besondere Bitte von Guru Arjan der Grundstein für den berühmten goldenen Sikh-Tempel gelegt. Sich über das Körperbewusstsein zu erheben bedeutet, sich über die Täuschung zu erheben. Dann erkennt man, dass es tatsächlich keine Unterschiede gibt, seien sie religiöser, sektiererischer oder anderer Art. Dies ist wahrlich das Letzte Ziel. Äußere Dinge sind nur helfende Faktoren, die einen dorthin bringen; und der Mensch als Gemeinschaftswesen muss in einer Gemeinschaft leben, denn sonst beginnt der Verfall mit seinem Zerstörungsprozess.

In Lahore rief einmal ein Atheist Menschen aus verschiedenen Religionen zusammen, um die Frage zu erörtern: Ist Religion notwendig? Jeder der religiösen Oberhäupter sprach ausführlich, um die Notwendigkeit der verschiedenen Bräuche, Rituale usw. zu beweisen. Ich war auch dabei und saß in der ersten Reihe. Dann erhob sich der Atheist, um seinen Beweis zu erbringen, warum Religion nicht notwendig sei, indem er verschiedene Beispiele anführte. In dem Zusammenhang stellte er fest, dass es bei einer Heirat nur die Aufgabe des Priesters, Pandits oder Mullahs sei, vor einer Gruppe von Zeugen seine Hände im Segen auf das Paar zu legen, um sie miteinander zu verbinden, damit man dem Sittenverfall entgegentrete. Es spiele überhaupt keine Rolle, ob dies auf die eine oder andere religiöse Art und Weise ausgeführt werde.

Ich stand auf und sagte:

Bruder, ist es nicht so, dass eine neue Gemeinschaft oder Glaubensrichtung gebildet werden müsste, wenn zehn-oder zwanzigtausend Menschen so dächten wie du? In der Gemeinschaft müssten einige Regeln und Gesetze aufgestellt werden. Du möchtest dich vor Organisationen bewahren, schaffst aber, ohne es zu wollen, eine andere. Wenn jeder in seiner eigenen Glaubensgemeinschaft bliebe und lernen würde, sein Wahres Selbst oder die Seele und die Kraft, die alle Dinge unter Kontrolle hat, zu erkennen, wäre das nicht besser?

Er war ein Atheist, aber er antwortete:

Was Sie gesagt haben, ist richtig.

Und solange ich in Lahore lebte, pflegten wir uns in sehr liebevoller Weise zu begegnen.

Es gibt eine Menge Missverständnisse, was dieses Thema betrifft. An heiligen Orten sollte nur die Wahrheit besprochen – und erkannt – werden; denn Wahrheit ist Wahrheit. Haltet Verbindung mit Jemandem, Der die Wahrheit erkannt hat, und erlangt rechtes Verstehen. Wir sagen: 'Gott ist Einer', und selbst das ist nicht wahr, aber wir sind begrenzte Wesen und müssen darum begrenzte Begriffe verwenden.

Lasst uns nun an diesem Feiertag eine Hymne von Guru Gobind Singh vornehmen:

„O Gemüt, nimm solche Sanyas1 auf dich:“

Es ist eine Lektion für das Gemüt, eine solche Entsagung auf sich zu nehmen, die alle Wünsche stillt. Heim und Herd zu verlassen ist kein Wahrer Sanyas. Man muss wunschlos werden, dann wird diese Stille wahrlich zu Licht und ertönt.

„Betrachte jeden Ort als einen einsamen Wald; nur im Gemüt wird völlige Stille eintreten.“

Ihr könnt euer Zuhause zu einem einsamen Wald machen. Ist nicht die Nacht ein einsamer Wald? Denkt nur einen Augenblick nach. Jene, die den besten Nutzen aus ihren Nächten zogen, indem sie sich und das Überselbst erkannten, haben etwas aus sich gemacht. Jene, die ihre Nächte mit leichtfertigen Dingen verbrachten, richteten sich selbst zugrunde. Auch ein Student weltlichen Wissens entwickelt Verstandeskräfte, wenn er von der Nacht als auch vom Tag den besten Gebrauch macht. Wer den physischen Körper in kalten Nächten trainiert, wird ein Riese an Muskeln und Kraft; es ist unverkennbar, wie stark er ist. Und Schüler, die ihre Nächte in liebevollem Gedenken des Herrn verbringen, werden Gott Selbst. Wenn man die Nachtstunden von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang unter Kontrolle hat, wird man ein Wahrer Mensch. Aber stattdessen essen, trinken und genießen wir die weltlichen Freuden bis Mitternacht und bringen dann den Rest der Nacht mit trägem Schlaf dahin.

Ein Meister hat gesagt, dass in der Nacht der Wohlgeruch des Herrn ausgegeben wird – wer wach bleibt, erhält diese kostbare Gabe. Verrichtet die weltlichen Pflichten zur Tageszeit, und in der Nacht denkt euch mitten im Land ganz allein. Den Pflichten und gesellschaftlichen Verbindlichkeiten Familie und Freunden gegenüber sollte man mit Freude nachkommen, da euch Gott zum Zweck des Gebens und Nehmens verbunden hat. Aber in der Nacht könnt ihr euch von all dem frei fühlen und in Seinem Schoß ruhen. Es ist ganz und gar nicht nötig, euer Heim und eure Familie wegen der Meditation zu verlassen, da ihr die langen, einsamen Nächte habt. Wenn ihr in eine Sache gänzlich vertieft seid, ist dies ein Wahrer Sanyas, indem ihr euch von allen anderen Dingen freimacht; und wenn wir von heute an beginnen, wird sich unser Leben ganz bestimmt ändern.

Diese unschätzbare Führung ist den Heiligen Büchern zu entnehmen, aber bedauerlicherweise bleibt sie dort oder dringt nur bis zur Verstandesebene ein. Wir müssen uns das Wissen aneignen und praktizieren; nur in dem Fall wird es zu einem Teil unseres Lebens. Die Nacht ist ein Dschungel – tut eure Arbeit zur Tageszeit, und nutzt dann die Nächte.

Der wirkliche Zweck, die menschliche Gestalt zu haben, ist, täglich auf das Große Ziel zuzuschreiten. So setzt euch jeden Tag hin, und seht wo ihr steht. Die Tagebuchführung ist von größter Bedeutung und Wichtigkeit, aber nur sehr wenige verstehen sie in vollem Maße. Legt die Dinge ab, die euren Fortschritt behindern – merzt die Unvollkommenheiten eine nach der anderen aus. Ein starker Mensch schwelgt in seiner Kraft, und der Schwächere fragt sich, wie er sie bekommen hat. Wenn ein Ringer vorbeigeht, drehen sich die Leute um, ihm nachzuschauen und Bemerkungen über seine Stärke zu machen. Er hat sie nicht über Nacht erreicht, sondern in vielen Nächten harten Übens. Wie der Entsagende alles verlässt und in die Wälder geht, könnt ihr euch nachts zu Hause hinsetzen, die Welt vergessen und euch von allen Verwicklungen befreien.

„Kommt dem Jatta der Keuschheit und Reinheit nach, und nehmt ein Bad in 'Yog'; lasst die Nägel der Regelmäßigkeit wachsen.“ 2

Man sollte seinem Jatta in Form von reiner Lebensweise nachkommen und sorgfältig über Brahmacharya, Keuschheit, wachen. Keuschheit ist Leben, und Sexualität ist Tod. Unser ganzes Haus muss auf diesem Fundament stehen; baut es nicht auf Sand. Dann werdet ihr richtig leben können; euer Gemüt und euer Verstand werden gesund sein. Dies ist in sich selbst etwas äußerst Wertvolles, denn auch wenn ihr nur trocken Brot zu essen habt, werdet ihr dennoch volle Kraft haben. Ihr werdet keinerlei Stärkungsmittel brauchen.

Was das häusliche Leben anbelangt, so ist die Ehe kein Hindernis für die Spiritualität, wenn man in Einklang mit den Schriften lebt. Eine Pflicht mag es sein, Kinder zu zeugen, aber das ist nicht das ein und alles des Ehelebens. Diese Sache wird in hohem Maße falsch verstanden. Macht die menschliche Form nicht zu einer bloßen Maschine des Lasters. Führt stattdessen ein reines und kontrolliertes Leben.

Wenn ihr ein oder zwei Kinder haben wollt, recht und gut, aber kümmert euch sorgsam um sie, und helft ihnen, etwas Tüchtiges zu werden. Gebt ihnen ein würdiges Beispiel, und bleibt euch eurer Verantwortung als Eltern bewusst. Weiterhin sollte die ganze Familie zusammensitzen und den Herrn rühmen.

Der Guru Granth Sahib weist uns an, ein Bad in Yog zu nehmen. Wenn ihr mit Gott Eins werden wollt, müsst ihr von allen weltlichen Gedanken ablassen. Ein Bad in Yog zu nehmen bedeutet ein tägliches Bad der Verbindung mit Ihm – bedeutet, Eins mit Ihm zu werden. Wenn ihr eure Hände nicht von den weltlichen Dingen reinwaschen könnt, solltet ihr nicht in Erinnerung an Gott sitzen. Die Moslems machen Vazu – Waschen der Hände, des Gesichts und der Füße –, bevor sie sich zum Namaz niedersetzen, denn sie glauben, dass das Gebet nicht eher angenommen wird. So sollten wir die weltliche Umgebung aus unseren Gedanken vertreiben, bevor wir uns zur Meditation setzen. Die Hindus sagen, dass man die Puja erst ausführen solle, wenn man ein Bad genommen hat. Das wirkungsvollste Bad besteht darin, die Aufmerksamkeit von äußeren Dingen zurückzuziehen.

Lasst die Nägel der Regelmäßigkeit wachsen. Eine Armee ohne Befehlshaber wird im Chaos enden, und so müssen auch wir unser Leben durch Regelmäßigkeit beherrschen. Wenn ihr irgendwo angestellt seid, geht ihr täglich zur rechten Zeit und ohne eine Schwierigkeit dorthin. Für die Meditation sollten wir uns dieselbe Einstellung angewöhnen und uns täglich zu einer bestimmter Zeit hinsetzen. Bedauerlicherweise lassen wir uns treiben; manchmal setzen wir uns hin, manchmal nicht. Wenn wir wirklich regelmäßig wären, würde uns bewusst, dass wir uns unbehaglich fühlen, wenn einmal ein Tag ohne Meditation gewesen ist – so, als hätten wir etwas versäumt. Wenn möglich, sollte ein Raum im Haus nur der Erinnerung an Gott vorbehalten sein. Ihr würdet feststellen, dass euch die bloße Atmosphäre dieses Raumes an Ihn erinnert.

In der letzten Strophe des Jap Ji heißt es:

Mache die Reinheit zu deinem Schmelzofen und Geduld zu deiner Schmiede […]

Um Gold zu etwas Schönem zu formen, muss ein Goldschmied das Metall zuerst mit Hilfe eines Ofens schmelzen. Nehmt diese beiden Dinge an: Geduld und Keuschheit, und strebt weiter eurem Ziel zu. Mit Geduld bleibt man beharrlich, auch wenn der Fortschritt langsam zu sein scheint.

Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Matthäus 5:8

Es ist ein Versprechen, das Christus gab. So nehmt folgende Dinge in euer Leben auf: Geduld, Beharrlichkeit, enthaltsame und reine Lebensweise und Regelmäßigkeit. Und dann? Macht die Nächte zu eurem Dschungel, und seht, was für ein wunderbarer Tagesablauf sich daraus ergibt.

In der Vergangenheit verbrachte ein Wahrer Brahmacharya seine ersten 25 Jahre in einem Dschungel-Ashram, um die Veden und Shastras zu studieren. Dann trat er in den Grehastya-Ashrama ein – um die Pflichten eines Familienvaters zu übernehmen. Nachdem er seine ein oder zwei Kinder gewissenhaft erzogen hatte, bis sie erwachsen waren, kehrte er in die Wälder zurück, in den Vanaprastha-Ashrama, wo er sich um Selbsterkenntnis bemühte. Nachdem er die Wahrheit erkannt hatte, verließ er diese Lebensstufe und reiste um die Welt, um den Menschen zu helfen, dass sie erwachen. Heutzutage wird nur für den Magen gepredigt. Ein Teil der Menschen verdient seinen Lebensunterhalt auf die eine oder andere Weise durch harte Arbeit, andere durch die Religion oder religiöse Bücher.

So macht euer Heim zu einem Dschungel. Wer im eigenen Haus lebt, sich allen verderblichen Einflüssen entzieht und sich im Innern nach dem Herrn sehnt, wird daraus weit mehr Nutzen ziehen als von einem Bad in den klaren Wassern des heiligen Ganges. Verbindet euch so innig mit dem Herrn, dass entweder Er oder ihr übrig bleibt – nicht zwei.

Durch des Gurus Kenntnis von der Seele verbindet euch mit dem reinen Naam.

Diese Kenntnis des Gurus ist eine praktische Erfahrung; es geht nicht um bloße Theorien.

Dieses Wissen ist das Wissen von der Aufmerksamkeit (Surat) und vom Ton (Shabd); es kann nicht in Worten ausgedrückt werden.

Das Wort Wissen bezieht sich hier auf die Sphärenmusik, die in unserem Wesen erklingt. Man kann sie nur erfahren.

Der den Ton, welcher aus dem Gaggan (Astralhimmel) kommt, hörbar macht, ist mein Guru Dev.

Wer gibt diese Erfahrung?

Durch des Gurus Wissen habe ich das Wahre Auge bekommen, mit dem der Schleier der Unwissenheit durchdrungen und das Innere Licht enthüllt wurde.

Was ist also der Wert von Gurubhakti – Hingabe an den Guru?

Alle lebenden Seelen sollten Gurubhakti üben und mit dem Licht im Innern Eins werden.

Kommt mit diesem Licht in Verbindung und entwickelt eure Ergebenheit, die so groß sein sollte, dass jede Pore vom Naam des Gurus vibriert. Wenn in einem Menschen ein wenig Liebe erwacht, steigt sie dann nicht auf und fließt über? Sie sollte stetig und bis zur vollen Erkenntnis entwickelt werden, so dass Friede und Heiterkeit euer Wesen bestimmen.

„Esst weniger, schlaft weniger; habt Erbarmen, Vergebung und Liebe.“

Der Prophet Mohammed sagte, dass man bei jeder Mahlzeit einen Bissen weniger essen sollte. Sheikh Saadi empfahl, die Hälfte des Magens mit Nahrung, ein Viertel mit Wasser zu füllen und ein Viertel freizulassen. Soami Ji Maharaj sagte, dass jene, die den Nektar von Shabd kosten möchten, nur eine Mahlzeit am Tag nehmen sollten. Wir essen zu viel – natürlich kommt dann der Schlaf in unser Haus. Wenn eure Nahrung geregelt ist, werdet ihr euch morgens pünktlich erheben. Der Körper des erwachten Menschen mag schlafen, Er Selbst aber tut es nicht. Denkt daran, die Seele ist ein bewusstes Wesen, und wenn der Mensch schläft, zieht sich die Seele im Allgemeinen zum Kehlkopf zurück, wo er Träume erlebt. Zieht sie sich dann zum Nabel zurück, setzt der Tiefschlaf ein. Die Meister bleiben wach. Ungleich anderen sind Sie während des Schlafes wach. Das ist ein sehr edles, erstrebenswertes Ziel. Diese drei Dinge werden euch helfen; weniger essen, weniger schlafen und Erbarmen, Vergebung und Liebe zu haben.

„Erbarmen ist der Gewinn, den man aus der rechten Lebensweise erhält; der Gewinn des Stolzes ist Sünde. O Tulsi, lasse nicht ab vom Erbarmen, solange dieser Körper atmet.“

Der Mensch hat mehr Mitgefühl für seine Familie und Freunde als für Fremde. Ist das Barmherzigkeit? Welch eine Art von Mitgefühl ist es, wenn die Nachbarn Hungers sterben, während man sich selbst satt isst? Wenn euer eigenes Kind krank sein sollte, ihr aber von einem anderen hört, das Hilfe braucht, werdet ihr, wenn ihr Wahres Erbarmen habt, dem fremden Kind mehr Aufmerksamkeit schenken.

Als Guru Gobind Singhs Kinder in einer Schlacht getötet wurden, kam seine Frau weinend zu Ihm und sagte:

Wo sind meine vier Söhne?

Seine Worte sind bemerkenswert:

Für die Köpfe all dieser Söhne (der Anhänger) habe ich die vier geopfert.

Dies könnt ihr Barmherzigkeit nennen. Er opferte alles, was Sein war, für die Söhne anderer. Erwarb Er für Sich Selbst irgendein Reich oder Eigentum? Wahre Meister haben wirkliches Erbarmen für die Menschen.

Als Jesus Christus mit einigen zusammensaß, wurde Ihm gesagt, dass Seine Mutter und Verwandten draußen seien, um mit Ihm zu sprechen. Was war Seine Antwort?

Er erwiderte:

Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?

Und auf Seine Jünger und Anhänger weisend, sagte Er:

Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder!

Wenn jemand einen Fehler macht, vergebt ihm. Aber die Menschen ziehen die Gerechtigkeit der Vergebung vor. Bedenkt, dass durch Gerechtigkeit das Herz niemals gereinigt wird.

Ich will euch ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung geben.

Meine Frau reiste einmal mit dem Zug nach Hause, und ich holte sie an der Bahnstation ab. Kaum dass sie aus dem Zug gestiegen war und noch ehe ich sie erreicht hatte, stahl ihr ein Taschendieb die Geldbörse und lief davon. Ein sehr wacher Polizist hatte den Vorfall bemerkt, nahm den Mann sogleich fest und gab meiner Frau die Geldbörse zurück. Den Dieb fest im Griff, wandte sich der Polizist an mich und bemerkte: Sie müssen auch zur Wache mitkommen. Ich machte ihm klar, dass wir nun, da wir die Geldbörse wiederbekommen hätten, ganz zufrieden seien, er widersprach jedoch und sagte: Derlei Dinge geschehen häufig. Sie müssen mitkommen und Anzeige erstatten.

So ging ich mit zur Polizeiwache und saß dort länger als eine Stunde, ohne dass irgendetwas geschah. Ich sagte dem Inspektor: Mir liegt nichts daran – auch können Sie die Börse behalten – ich gehe jetzt. Er nahm meine Aussage sofort zu Protokoll, und schließlich wurde ich als Zeuge vor Gericht geladen. Es war das erste Mal, dass ich einen Gerichtssaal betrat. Während ich auf den Prozessbeginn wartete, meinte der Inspektor zu mir: Gerechtigkeit muss Gerechtigkeit bleiben. Ich sagte zu ihm: Bruder, außer Gerechtigkeit sollte es auch Barmherzigkeit geben; beides sollte Hand in Hand gehen. Durch Gerechtigkeit bleibt das Herz erregt, aber Barmherzigkeit wäscht alle Unreinheiten aus.

Als der Richter sich den Fall angehört hatte, sagte ich: Euer Gnaden, wenn Sie eine Möglichkeit fänden, diesen Mann freizugeben, hätte ich keine Einwände. Der Richter war überrascht, aber er befragte den Polizisten über die sonstige Führung des Mannes, und es wurde ihm berichtet, dass nichts gegen ihn vorläge. Der Richter willigte ein, ihn mit einer strengen Verwarnung laufen zu lassen, und er wurde auf freien Fuß gesetzt. Der Mann kehrte frohen Herzens zu seiner Familie zurück; er ging herum und sagte den Leuten: Wenn Er mich nicht gerettet hätte, wäre ich nun im Gefängnis.

Äußerlich mag ein Mensch vielleicht betonen, dass er vergibt; aber in seinem Herzen möchte er nach dem Missetäter ausholen und ihn zunichte machen. Wenn ihr kein Mitgefühl verspürt, wie könnt ihr dann ehrlich sagen, dass ihr vergebt? Gott ist Liebe, und als ein Teil von Ihm ist auch die der Seele innewohnende Natur Liebe.

Guru Gobind Singh Ji hat verkündet:

Hört ihr alle, ich sage euch die Wahrheit; Gott wird von dem erkannt, der liebt.

Kabir Sahib sagt:

Liebe den Herrn, o Gemüt, liebe den Herrn.

Und in der Bibel steht:

Wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht: denn Gott ist Liebe.

1. Johannes 4:8

Wir beten und führen Riten aus, damit die Liebe Gottes in uns geboren werde – welchem anderen Zweck sollte es dienen? Aber was für Ergebnisse rufen Gebete hervor, die mit Geschwätz untermischt sind? Was wird es uns nützen, die Andachtsstätte zu verlassen, ohne im Herzen eine Spur von Liebe für unsere Mitmenschen zu haben?

„Übt Keuschheit, Zufriedenheit und Festigkeit; dann werdet ihr über die drei Gunas3 hinausgehen.“

Nehmt eine rechtschaffene Lebensweise an und seid zufrieden. Ihr mögt gewisse Wünsche haben, aber haltet dort ein; vermehrt sie nicht. Betrachtet dann die Wünsche und bedenkt, wohin sie euch führen werden. Was liegt vor euch, und was werdet ihr mit euch nehmen? Wir eilen, hasten durch das Leben, wir sind uns meistens nicht einmal dessen bewusst, was wir tun. So rät uns der Guru, all unsere Angelegenheiten mit ruhiger Heiterkeit zu handhaben; dann besteht Aussicht, Trigunatit zu erreichen und dann darüber hinausgehen.

In der berühmten Bhagavad Gita sagte Lord Krishna zu Arjuna:

O Arjuna, erhebe dich über die drei Gunas.

Solange ihr nicht darüber hinausgelangt, werdet ihr weiterhin nach Pind, And und Brahmand kommen und gehen.

„Wunsch, Begierde, Ärger, Stolz, Habgier, Eigensinn und Verhaftetsein; duldet sie nicht in euch.“

Um tiefer in die Materie einzudringen: Was bringt den Wunsch hervor?

Alle Vorstellungen des Gemüts sind Wünsche.

Seid also wunschlos. Ihr werdet bemerkt haben, dass Ärger aufsteigt, wenn ein Hindernis der Erfüllung des Wunsches im Weg steht. Dann kommt der Stolz: 'Ich muss dies haben – oder jenes tun –, sonst bin ich in den Augen anderer weniger angesehen.' Man kann den Stolz als Ursache aller Sünden betrachten, denn er geht in die Ichhaftigkeit über. Er empfiehlt uns, vom Eigensinn abzulassen oder aufzuhören, halsstarrig zu sein. Seid immer sicher und hört euch den Standpunkt des anderen an – ihr mögt finden, dass das, was er sagt, richtig ist. Eigensinn bindet den Menschen nur noch mehr; es gibt keinen Raum für Entwicklung. Dogmatisches Wissen aus Büchern beispielsweise, das richtig oder falsch sein kann, sollte man beiseite lassen. Es versteht sich von selbst, alle Bindungen abzubrechen – ihr müsst das Geben und Nehmen beenden –, ihr müsst den Körper und seine ganze Umwelt verlassen. Wenn sich ein Hindernis zwischen euch und euren Wunsch stellt, wird er sogar noch stärker. Setzt einmal einen großen Felsen in die Mitte eines schnell fließenden Flusses, und ihr werdet zwei Dinge erzeugen, Schaum und Getöse. Wenn ein Mensch ärgerlich ist, kann er nicht ruhig sprechen, und schließlich schäumt er. Wenn ihr bekommt, was ihr wünscht, verwandelt es sich in Verhaftetsein.

Für all das gibt es nur ein Heilmittel:

Erst nachdem ihr euer Wahres Selbst gesehen habt, könnt ihr den Herrn erkennen.

Und nun wollen wir etwas anlässlich des Basakhi-Festes nehmen:4

„Wie kann Basakh jemandem Zufriedenheit bringen, der von seiner Liebe getrennt ist?“

Die natürliche Neigung der Seele ist, zu Gott zurückzukehren. Wenn sie sich nur von den äußeren Attraktionen zurückziehen könnte, würde sie ganz von selbst direkt zu Gott gehen. Ist es möglich, sich zurückzuziehen?

Der Guru hat dein Haus unter Kontrolle gebracht und dich zur Gebieterin gemacht.

Ferner:

Zehn Diener gab mir mein Herr.

Nämlich fünf grobstoffliche und fünf feinstoffliche Sinne, die mit der Gnade des Gurus gezähmt werden müssen. Bis jetzt hat die Seele unter der Herrschaft des Gemüts und der Sinne gestanden und niemals ihren Geliebten gesehen – wie kann sie da zufrieden sein und sich freuen? Der größte Wunsch eines Liebenden ist, bei seinem Geliebten zu sein. Wie kann man getrennt von Ihm durchs Leben gehen? Wie haben wir Ihn vergessen?

„Als die Trennung von Gott kam, überwältigte die Täuschung alles.“

Es scheint, als ob die Illusion alle andere Arbeit verlassen hat, um sich an uns zu klammern. Ein anderer Name dafür ist Vergessen.

Die ganze Welt schläft in Verhaftetsein und Vergessen; sage mir, wann wird diese Täuschung enden?

Würde nicht die uns angeborene Liebe erwachen, wenn der Eine, Den wir vergessen haben, vor unsere Augen träte? Es ist eine herzzerreißende Geschichte, denn die ganze Ernte ist reif. Nach langem Kampf habt ihr die physische Gestalt erhalten – aber ihr seid von dem Geliebten abgeschnitten und könnt nicht die Früchte der Ernte genießen.

„Söhne, Familie, Reichtum, nichts bleibt bei euch; nur der Unsterbliche Gott.“

Wir sind durch Gottes Willen und das Pralabdh Karma mit Familie und Verwandten zusammengebracht worden, und wir sollten die Umstände freudig hinnehmen. Nur wer wirklich weiß, zahlt während seiner Lebenszeit bereitwillig seine Schuld. Wer weiß, wie viele Schwierigkeiten von unseren unbezahlten Schulden herrühren?

Wie kann ich sagen, wer mein Freund ist in dieser Welt? Alle Liebe ist Lüge, und alle suchen ihr eigenes Glück – Freunde und Feinde.

Nur Gott wird am Ende bei euch bleiben – Er, der Wahre Gefährte unserer Seele. Wer sich auch immer Ihm zugewandt hat, wird in Seinen Schoß zurückkehren. Wer die Welt liebt, wird zur Welt zurückkehren. Es mag Liebe für diese Welt oder das Jenseits sein, aber er wird weiter durch die physischen, astralen und kausalen Ebenen wandern.

„All diese trügerische, sinnlose Beschäftigung nimmt meine ganze Zeit in Anspruch.“

Es ist gut zu arbeiten; man sollte es mit ganzem Herzen tun und sie dann vergessen. Sich darüber hinaus mit zahllosen, unbedeutenden Kleinigkeiten zu befassen, wird die Aufmerksamkeit zerstreuen. Dies führt nur zu weiteren Verwicklungen, und wo immer eure Gedanken sind, dort werdet ihr euren Wohnsitz haben. Verbindet euch mit dem Unsterblichen Herrn; alles andere ist vergänglich und unbeständig. Wenn wir noch nicht mit Ihm verbunden wurden, doch ein Wahrer Suchender sind, sollten wir bitten: O Herr, meine Aufmerksamkeit ist an diese vergängliche Materie gefesselt, wie kann ich mit Dir, Der Du unsterblich bist, Verbindung erlangen?

„Ohne das Naam des Herrn ist die Zukunft verloren.“

Ohne eine Verbindung mit dem Alles-Erhaltenden ist unser Leben vergeudet; es bleibt nichts übrig als die Vorbereitung zur Rückkehr in den Bereich des Handelns.

Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Matthäus 16:26

Ein kluger Mensch ist, wer in Voraussicht handelt; aber unglückseligerweise schenken die meisten den bleibenden Dingen nie einen Gedanken; das, was vergänglich ist, wird zu ihrem Gott und Inhalt ihres Lebens.

„Da ihr Gott vergessen habt, wurde euer Leben vergeudet; ohne Ihn ist niemand für euch da.“

Schützt diesen Reichtum, der euch mit eurem Leben gegeben wurde.

Wenn ihr dem Heiligen begegnet, nehmt das Wahre Naam und hütet Es.

Es ist eine Gabe, die in beiden Welten Bestand hat – hier und im Jenseits.

„Auch die Gemeinschaft derer ist rein, die zu Füßen des Geliebten weilen.“

Jene, die in der Welt leben, aber ihr Heim zu einem Dschungel machten, sind mit dem Herrn Eins geworden – auch nur etwas über Sie zu hören wird Glück bringen. Geht und sucht, bis ihr eine solche Persönlichkeit gefunden habt. Nur durch Ihre Führung können wir Gott erkennen; das ist eine natürliche Tatsache.

„Nanak bittet Dich inständig, o Herr: mögen auch wir Dir begegnen.“

Aufrichtige Gebete werden immer angenommen, denn alles, was tief aus dem Herzen kommt, wird vom Herrn gewährt.

Im Gurbani steht:

Der Vater Kirpal (der Barmherzige) hat diese Weisung gegeben: ,Was das Kind auch immer erbittet, wird ihm gegeben.’

Im Koran steht: Was auch immer der Mensch wünscht, werde Ich ihm geben.

„Basakh wird wunderbar sein, wenn wir nur dem Heiligen begegnen können.“

Dem Monat Basakh, dem Beginn neuen Lebens, kann nur Genüge getan werden, wenn wir Dem begegnen, Der den Herrn erkannt hat. Aber es gibt zwei Arten der Begegnung: die eine ist äußerlich, und die andere erfolgt durch das Herz, indem man empfänglich wird.

Durch einen Wahren Darshan (Anblick) sind alle Sünden vergeben.

Die ganze Arbeit eines Menschen kann vollendet werden, wenn er dem Heiligen begegnet.

„Jene, die über Naam meditieren, deren Arbeit wird erfolgreich sein; jene, die den Vollendeten Meister haben, werden in Gottes Haus gerühmt; jene, die zu Seinen Füßen sitzen, werden ewige Glückseligkeit finden und das Meer des Lebens überqueren. Kein Gift kann denen schaden, die Liebe und Verehrung entwickeln. Alles Vergängliche schwand dahin, alle Zweiheit verging, als die Wahrheit empfangen wurde. Die Ihn jenseits von Brahm verehren, werden Eins in Seiner Seligkeit. Der Monat ist gesegnet, in dem der Herr Seine Gnade ausschüttet. Nanak erwünscht nur eine Gabe: dass ich durch Deine Gnade Deinen Darshan erhalten werde.“

Nachdem wir die menschliche Form bekommen haben, sollten wir nur um eines bitten: dass wir einen Schimmer von Ihm erlangen. Das sollte unser Ideal und Lebensziel sein. Heute ist Basakhi; aber begreift ihr, was ihr tut? Verehrt das Lebendige Licht – werdet sein Sklave. Hängt euch nicht an irgendetwas anderes, denn alles ist wandelbar. Er, in Dem dieses Licht offenbar ist, gibt Es der ganzen Welt. Die Wahrheit ist Eine, und obwohl die Wahrheit über allem ist, steht doch die Wahre Lebensweise über der Wahrheit. Guru Arjan hat uns ein wundervolles Programm aufgestellt, und zum Abschluss sagt Er, dass der Monat, in dem wir den Herrn erkennen, wahrlich gesegnet sein wird.

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Erklärung: 1) Sanyas bedeutet Entsagung oder asketische Schulung. Dies ist die erste Zeile der Hymne und bezieht sich auf die folgenden, die sie erklären. Der Meister hat hier einen Kommentar eingefügt. 2) Entsagende lassen ihr Haar wachsen, bedecken es mit Asche und wickeln es auf ihren Köpfen zusammen. Dies wird 'Jatta' genannt. Sie hören auch auf, ihre Nägel zu schneiden. 3) Eigenschaften: satva (rein), rajas (tätig) und tamas (träge). 4) Der Meister bespricht nun eine andere Hymne, diesmal eine von Guru Arjan.