Nürnberg

III

Am nächsten Morgen, Mittwoch, dem 30. August, fuhren der Meister und Seine Party um 09:00 Uhr zum Flughafen. Die Maschine startete um 10:15 Uhr. Nach einem wie immer ruhigen Flug bei gutem Wetter kamen wir um 11:00 Uhr in Nürnberg an. Am Ausgang warteten schon viele Satsangis, die nicht in Berlin gewesen waren. Der Meister begrüßte sie so liebevoll, als hätte Er sie sehr lange nicht mehr gesehen. Einer von ihnen fuhr Ihn dann zum „Grand Hotel“. Dort fand um 16:00 Uhr, wie es sich inzwischen eingespielt hatte, der erste Satsang statt, zu dem sich etwa 200 Menschen einfanden.

Nach einigen Begrüßungsworten beantwortete der Meister Fragen.

Jemand leitete seine Frage mit den Worten ein:

Meister, ich habe eine Frage, aber sie ist so unmöglich, dass ich sie kaum zu stellen wage.

Darauf antwortete der Meister lachend:

Stellen Sie Ihre Frage! Es gibt keine unmöglichen Fragen. Das Wort „unmöglich“ steht nur in den Wörterbüchern der Narren.

Eine der Fragen hieß:

Wenn man auf den Pfad gestellt ist, gibt es Zeiten, in denen man wegen eines Mangels an Empfänglichkeit keinen Fortschritt macht. – Wie kann man Empfänglichkeit entwickeln?

Der Meister antwortete darauf, dass kein fremder Gedanke zwischen uns und dem Meister stehen sollte. Wer Empfänglichkeit für den Meister entwickelt habe, werde nur das von sich geben, was auch der Meister sagen würde. Er fuhr fort:

Notwendige Voraussetzung, um Empfänglichkeit für die Meisterkraft zu entwickeln, sind: Wahrhaftigkeit, Ehrenhaftigkeit und Ahimsa – Nicht-Angreifen.

Aufgeregte Worte bleiben nicht ohne Antwort, aber schon die Gedanken bringen eine entsprechende Wirkung hervor. So können kleine Kinder mit Schlangen umgehen, ohne dass die Tiere sie beißen. Sie können sie sogar in den Mund nehmen, und die Schlange tut ihnen nichts. Das liegt daran, dass die Kinder keine Furcht haben. Sie denken nicht: „Die Schlange wird mich beißen.“ – Und das spüren die Tiere und sie beißen nicht. – oft kamen wilde Tiere zu den Heiligen und sie waren von Deren liebevollen Gedanken wie verzaubert, so dass sie ihnen nichts taten. – Wenn man dagegen die Schlange töten will, nimmt das Tier diese Gedankenschwingung auf und sie wird den Menschen töten. Daran sehen wir also, welche Kraft die Gedanken haben. Wir müssen der ganzen Welt Frieden und Liebe wünschen. Die Liebe verzehrt alles außer dem Gegenstand, auf den sie gerichtet ist.

Am Abend hatten wir noch einen zweiten Satsang mit dem Meister. Im Mittelpunkt dieses Gesprächs stand das Thema: „Ihr müsst euch über den Körper erheben.“ Hier sind einige Kernsätze daraus:

Das ABC beginnt, wenn ihr euch über den Körper erhebt. Preist den Herrn nicht, solange ihr Ihn nicht selbst gesehen habt, andernfalls ist es nicht mehr wert als die Worte eines Blinden, der die Sonne rühmt. Für jene, deren Inneres Auge geöffnet ist, ist der Körper der Tempel Gottes.

Gott hat den menschlichen Körper geschaffen, Er hat den Körper abgeschlossen und den Schlüssel dem Meister übergeben. Der Meister möchte, dass ihr alle Heilige werdet. So wie ein König wünscht, dass sein Sohn nicht nur Minister wird, sondern auch König, so will der Meister für Seine Kinder nichts Geringeres als das, was Er selbst erreicht hat.

Dieses Thema nahm der Meister am nächsten Morgen, nachdem Er uns eine Meditation gewährt hatte, noch einmal auf: Er sagte, dass wir im Innern keinen Frieden hätten, weil wir von den Sinnen nach außen gezogen würden.

Christus sagte: „Klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Das Leben ist kurz. Wir müssen den besten Gebrauch davon machen.

Am nächsten Morgen hielt der Meister eine weitere Meditation ab und führte danach Gespräche mit einzelnen Satsangis. Am Nachmittag trafen wir uns wieder zur gewohnten Stunde und der Meister beantwortete Fragen. Jemand stellte eine Frage zum Gebet.

Die Antwort des Meisters lautete:

Das Gebet ist eine sehr starke Kraft. Was zählt, ist die Aufmerksamkeit und die Intensität des Gebets.

Meister Sawan Singh hatte einmal gesagt:

Das bloße Leben eines Schülers hängt vom Gebet ab. Da er schwach und hilflos ist, ist das Gebet die einzige Waffe in seinem Arsenal. Einer, der hilflos ist, sucht immer den Schutz einer mächtigen und kompetenten Person. Eine Frau erklärte, sie habe immer Angst, wenn sie allein sei, worauf ihr der Meister antwortete: Der Mensch ist niemals allein. Gott ist immer bei ihm.

Jemand sah einen Widerspruch zwischen dem Gesetz des Karmas und der Möglichkeit, unseren verstorbenen Angehörigen durch das Gebet helfen zu können.

Die Antwort des Meisters ist wieder ein wunderbares Beispiel dafür, dass Er immer von einer höheren Warte aus spricht, wo sich die scheinbaren Widersprüche, die aus unserem Intellekt kommen, aufheben. Wie einfach sind daher Seine Antworten auf unsere oft so komplizierten Fragen!

Er sagte:

Seid regelmäßig in euren Übungen, dann wird alles andere durch Ausstrahlung und Empfänglichkeit gelöst. Eine Lampe wird zunächst einen kleinen Umkreis erhellen, dann einen größeren – in dem Maße wie man sie von den vielen Schleiern, die sie umhüllen und verdunkeln, nach und nach befreit.

Alle unsere Fragen kommen aus dem Gemüt. Wir müssen das Gemüt überwinden. In früherer Zeit war es Brauch, dass jemand erst jahrelang zu den Füßen des Meisters saß, bevor er eine Ersthanderfahrung erhielt. – Wer kann heute noch so lange warten?

Wir müssen unsere Fehler analysieren. Wir sollten uns nicht scheuen, dem Meister gegenüber offen zu sein. Wir müssen uns dem Arzt öffnen, damit er uns helfen kann.

Oft spricht der Meister so sanft und heiter, dass Er alle Traurigkeit, die manchmal aufkommt, weil Er uns so nah ist und wir so weit entfernt von Ihm, mit einigen liebevollen Worten einfach vertreibt. Er hat so viel Mitleid mit uns, dass wir uns nur an Ihn wenden müssen, um die richtige Medizin zu bekommen. – In diesen Tagen der physischen Gegenwart des Meisters konnte man merken, dass in Seiner Nähe die Traurigkeit einfach nicht lange anhält.

Der öffentliche Vortrag fand in der „Meistersingerhalle“ statt. Einige von uns gingen schon etwas früher dorthin, um für die Party des Meisters noch Plätze in der ersten Reihe zu reservieren. Als wir ankamen, sahen wir jedoch, dass vorn schon fast alles besetzt war. So fragten wir eine Dame, ob sie so freundlich sein wolle, sich in die zweite Reihe zu setzen. Sie war dazu bereit, obwohl sie, wie sie sagte, extra über eine Stunde vor Beginn des Vortrags gekommen war, „um Sant Kirpal Singh so nah wie möglich zu sehen“.

An diesem Abend kam der Meister direkt auf den spirituellen Kern der Lehre zu sprechen, ohne vorher auf soziale Fragen einzugehen, wie Er es sonst oft tat. Der ganze Vortrag behandelte nur ein Thema, nämlich die Notwendigkeit, sich von der Identifizierung mit dem Körper und der Welt zu lösen und sich über das Körperbewusstsein zu erheben.

Die Atmosphäre war sehr stark durch die Meisterkraft geladen. Ein Bild, das Er gebrauchte, um uns die Mission des Meisters zu veranschaulichen, blieb besonders in Erinnerung:

Der Meister hilft uns aus dem Gefängnis des Körpers, wie eine Henne ihrem Küken aus dem Ei heraushilft, indem sie die harte Schale von außen mühsam aufpickt, bis die Öffnung groß genug ist, dass das Kleine herausschlüpfen kann und die Sonne erblickt.

Immer wieder ruft Er an diesem Abend mit besonderer Eindringlichkeit auf, uns aus der Vergessenheit und der Bindung an das Gemüt zu erheben und uns auf den Weg zu unserem Himmlischen Vater zu begeben.

Und besonders klar und laut fügt Er hinzu:

Gott ruft nach euch: Kommt heim, meine Kinder! Ihr seid in der Welt, geht aus ihr heraus und kommt zurück in die Heimat eures Vaters!

Diese Worte waren so geladen, dass man auf einmal begreifen konnte, sie sind eine direkte Botschaft von Gott, nicht nur an die Anwesenden, sondern an die ganze Welt. Wie wenig Ahnung haben wir doch von der Größe des Meisters!

Als wir wieder im Hotel waren, hatten wir Gelegenheit, Gyani Ji, der immer nur das sagen wird, was auch der Meister gesagt hätte, nach der Bedeutung einer etwas verschlüsselten Antwort zu fragen, die der Meister einer Dame am Nachmittag gegeben hatte. (Verschlüsselt erschien die Antwort natürlich nur uns, weil wir sie alle wenig verschieden und nicht ganz verstanden hatten.)

Die junge Frau hatte den Meister gefragt, ob sie Ihm am nächsten Morgen ihr kleines Kind bringen dürfe, um Ihn um Seinen Segen für das Kind zu bitten. Darauf hatte Er ihr geantwortet:

Werden wir zu einem Juwelier gehen und ihn um Eisen bitten? – Ganz sicher nicht! Der Juwelier hat Juwelen und Gold, und so werden wir nicht nach einem geringeren Metall wie Eisen fragen.

Gyani Ji sagte:

Der Meister gibt uns spirituelle Schätze, spirituelle Juwelen und Gold, doch unsere Fragen gehen oft auf ein niedrigeres Niveau, indem wir Ihn nach äußeren Dingen fragen – nach Eisen. Der Segen des Meisters ist da, er muss nicht erst durch die äußere Geste gegeben werden. Dies alles ist schon vorher karmisch festgelegt.

Es ist ein großer Segen, einem Schüler zuhören zu dürfen, der von Liebe zum Meister erfüllt ist! Er ist wirklich „eine Lampe, die in einem weiten Umkreis leuchtet“, wenn er sich dessen auch nie bewusst sein wird, sondern sich vollkommen von der Gnade des Meisters abhängig weiß.

Wir wissen alle nicht, welche Bürde der Meister auf Sich genommen hat, um uns vom Rad der Geburten und Tode zu befreien,

sagte Gyani Ji nach einer Weile.

Was kann einen Meister an diese Welt binden, Ihn, Dessen Wohnsitz die höchsten spirituellen Regionen sind? – Er hat diesen armseligen grobstofflichen Körper angenommen, allein aus Liebe und Mitleid mit Seinen Kindern. Der Meister hat so viel Barmherzigkeit, dass Er das Leid Seiner Kinder anzieht und einen Teil davon Selbst auf Sich nimmt und Seinen Körper leiden lässt.

Dann erzählte Gyani Ji, wie der Meister, nachdem Baba Sawan Singh Ji gegangen war, Selbst auch nicht wiederkommen wollte.

Er hatte sich lange Zeit in den Dschungel zurückgezogen, bis Er eines Tages im Auftrag Seines Meisters zurückkam. Bei dem ersten Satsang, den Er hielt, waren alle Anwesenden so von Liebe zu Hazur erfüllt, dass sie weinten. Der Meister verwandelte sich mehrmals physisch in Hazur. – Er war wirklich Eins mit Seinem Meister.

Gyani Ji erzählte dann weiter von Hazur, Dessen Schüler er war. – Als er zum ersten Mal einem Satsang beiwohnte, hatte er noch nie etwas von Naam gehört. Der Meister sprach so wundervoll von Naam, dass Gyani Ji nachher sagte: „Wenn Naam etwas so Wundervolles ist, dann gebt es mir bitte, Meister.“ – Aber es hatte dann noch etwa vier Jahre gedauert, bis er wirklich wagte, den Meister um die Initiation zu bitten. Wie eilig haben wir es dagegen oft!