Zürich

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Stuttgart war die letzte Station des Meisters in Deutschland. Am nächsten Morgen ging es weiter nach Zürich. Für einige der Lieben bedeutete dies das Ende ihres Zusammenseins mit dem Meister, und so kamen sie noch einmal mit zum Flughafen, um sich von Ihm zu verabschieden. Doch – wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! – Und so sahen wir einige von denen, die uns in Stuttgart mit so traurigem Gesicht nachgesehen hatten, in Zürich nach ein paar Stunden wieder – diesmal strahlend! „Der Meister hat geholfen, dass wir doch noch kommen konnten!“, war ihre Erklärung.

Der Flug nach Zürich dauerte nur eine halbe Stunde. Nach der Ankunft fuhren der Meister und Seine Party direkt zum Hotel „Nova-Park“.

Der „Nova-Park“ ist ein sehr großes, hypermodernes Hotel, in dem man sich zunächst vorkam, als wäre man auf einen anderen Planeten versetzt. Viele von uns waren von der „sterilen Atmosphäre“ der mit grell-farbigen Kunststoffmöbeln eingerichteten Räume unangenehm berührt oder sogar bedrückt bei dem Gedanken, dass der Meister sich hier aufhalten sollte. Auf Seinem Weg zum Vortragsraum musste der Meister immer eine Art Bar- und Dinerraum passieren, der mit popfarbenen Clubsesseln und Fernsehmonitor an jedem Tisch ausgestattet war, und wo die Menschen sich bei Barbeleuchtung und Jazz-Berieselung unterhielten. – Als der Meister das erste Mal durch diesen Raum ging, sah Er sich das alles, wie es schien, interessiert,  aber natürlich völlig unberührt an. Wir dagegen hatten uns zunächst einmal mit dieser „weltlichen“ Atmosphäre identifiziert.

In Seinem ersten Gespräch behandelte der Meister die beiden wesentlichen Aspekte des Pfades:

  1. Wir müssen uns auf das Verlassen des Körpers, den Tod, vorbereiten und

  2. wir müssen Gott lieben. Er sagte, dass wir wieder wie die Kinder werden müssten.

Wir haben uns im Laufe unseres Lebens immer weiter vom ursprünglichen Bewusstsein des Kindes entfernt, indem wir uns mehr und mehr mit den äußeren Eindrücken identifiziert haben. Wir müssen den Körper und alles, was damit zusammenhängt, verlassen. Der letzte Feind, den wir zu besiegen haben, ist der Tod. Der Todeskampf ist eine schreckliche Agonie. So sollten wir lernen, freiwillig im Leben zu sterben, uns willentlich vom Körper zurückzuziehen. Hat man diese Fähigkeit erlangt, ist der Tod kein Schreckgespenst mehr, sondern eine Freude. Seht einen Schüler des Meisters sterben! Er freut sich auf den Tod, den Moment, wo er das Gefängnis des physischen Körpers verlassen darf, um in die höheren spirituellen Bereiche aufzusteigen.

Der Meister erzählte dann eine Begebenheit aus dem Leben Buddhas. Als Prinz Gautama war dieser bei einer Fahrt durch die Stadt nacheinander mit dem Problem des Alters, der Krankheit und des Todes in Gestalt eines alten, gebrechlichen Mannes, eines im Todeskampfe liegenden Kranken und einer Verbrennungs-Prozession begegnet. Dieses Erlebnis hatte den Prinzen im Innersten aufgewühlt und er wandte sich noch am selben Tage von allem weltlichen Reichtum ab und ging in die Einsamkeit, um das Mysterium des Todes zu lösen.

Unser Gemüt ist ständig mit der Frage beschäftigt, wie es glücklich werden kann, aber bei aller Suche ist es nicht glücklich.

Alles, was wir haben, auch unser erster Begleiter, der Körper, muss zum Zeitpunkt des Todes verlassen werden. Wir sollten mit Gott in Berührung kommen, aber stattdessen haben wir uns mit der Materie verbunden. Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von ganzer Seele. Gott ist Liebe, die Seele ist auch Liebe, da sie von der gleichen Substanz ist wie Gott. Der Weg zurück zu Gott führt auch über die Liebe.

Wenn ihr euch der beiden Aspekte von Naam – dem Licht und dem Ton im Innern – erfreut, werdet ihr mehr Liebe zu Gott entwickeln.

Somit ist die wichtigste Aufgabe, auf den Tod, das Verlassen des Körpers, vorbereitet zu sein, und die andere Aufgabe ist, Gott zu lieben.

Der Meister sprach manchmal sehr leise und sehr sanft, aber Seine Worte waren dadurch umso eindringlicher.

Er sagte, wir sollten unsere Lebensspanne für etwas Wesentliches nutzen und forderte uns auf, darüber nachzudenken, ob wir bisher in unserem Leben etwas Wesentliches getan hätten.

Habt ihr gelernt, euch über das Körperbewusstsein zu erheben?

Am nächsten Morgen gab uns der Meister erneut eine Meditation. Anschließend beantwortete Er Fragen, die dem Übersetzer, Herrn Lettow, schriftlich gegeben worden waren und die er dem Meister vortrug.

Eine Frage ging dahin, ob wir die Lehre des Meisters nicht verbreiten sollten, worauf der Meister antwortete:

Wir sollten nur solchen Menschen einen Hinweis geben, die ernsthaft interessiert sind. Wir können einiges erklären, aber wir sollten „keine Perlen vor die Säue werfen“. Der Weg ist ein verborgener Weg, es ist eine verborgene Wissenschaft, und wir sollten mit niemandem über die Inneren Erfahrungen sprechen. Wir sollten sorgfältig auswählen, mit wem wir über den Weg der Meister sprechen.

Eine andere Empfehlung, die ich immer gebe, ist die, immer nur eine Sache auf einmal zu tun. Zieht eine Schublade heraus und richtet eure ganze Aufmerksamkeit darauf. Dann schließt diese Schublade und zieht die nächste heraus, um wiederum eure volle Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Ich empfehle euch, Biografien bedeutender Persönlichkeiten zu lesen. Ich habe, als ich jung war, etwa 300 Biografien gelesen. – Wir können viel lernen von dem Beispiel großer Menschen.

Napoleon war ein Muster für das, was ich euch eben geraten habe: Es gibt eine Anekdote, wonach er am Morgen der Schlacht von Waterloo in seinem Park spazieren ging und über Erziehungsprobleme nachdachte. Er war voll darauf konzentriert, als einer seiner Generäle eine Stunde vor Beginn der Schlacht zu ihm gestürzt kam und fragte:

„Sire, was tut Ihr? In einer Stunde soll die Schlacht beginnen, und Ihr seid in Erziehungsprobleme vertieft!“

„Nun, die Schlacht beginnt um 09:00 Uhr, und jetzt ist es 08:00 Uhr.“, war die Antwort Napoleons.

Die nächste Frage lautete:

„Wenn man Meinungsverschiedenheiten hat und überzeugt ist, dass der andere im Irrtum ist, sollte man dann versuchen, ihn umzustimmen?“

Antwort:

Wenn Meinungsverschiedenheiten auftauchen, habt Kultur. Kultur bedeutet Selbstdisziplin. Versucht nicht, anderen eure Meinung aufzuzwingen. Wissen bedeutet Dienen und Mitgefühl für den anderen, dies macht wahre Kultur des Herzens aus. Gebt ein Beispiel dafür. Habt Achtung für alle, die euch unterstellt sind und für alle, die über und neben euch stehen.

Jemand bat den Meister, etwas über den Stand der Arbeit am Manav Kendra-Projekt und seinen Zweck zu sagen.

Der Meister antwortete, dass in Manav Kendra ein Zentrum für den Menschen entstehe. – Dieses Zentrum soll in erster Linie seiner spirituellen Entwicklung dienen. Da wir Kinder Gottes sind, bewusste Wesen, ist das erste Ziel „man making“, die Heranbildung zum Menschen. Der zweite Aspekt ist der Dienst am Menschen. So wurden zwei Krankenhäuser gebaut, Altersheime sind geplant bzw. im Bau, und Schulen werden errichtet. Weiterhin wird in Manav Kendra auf ein gesundes Leben Wert gelegt. Zu diesem Zweck werden Gemüsepflanzungen angelegt und Kühe für den Eigenbedarf an Milch gehalten. So dient dieses Projekt drei Zielen:

  1. der spirituellen Entwicklung,
  2. dem Dienst am Menschen und
  3. dem Dienst am Land.

Der Meister wurde gefragt, ob die Menschen im Westen nicht zuerst eine andere, eine wissenschaftliche Vorbereitung bräuchten, bevor sie den Weg des Meisters gehen könnten.

Er antwortete, dass der Weg für alle geeignet sei, ob sie an Gott glaubten oder nicht.

Es ist ein wissenschaftlicher Weg, der sich an den gesunden Menschenverstand richtet. Die Wissenschaft hat schon vieles erkannt und sie ist mit ihren Erkenntnissen auf dem Wege zur Religion.

Gefühle, Schlussfolgerungen usw. sind dem Irrtum unterworfen. Der Weg der Meister ist ein Weg der praktischen Erfahrung; die Seele, die sich von außen zurückzieht und sich über den Körper erhebt, macht die gleiche Erfahrung wie beim Tod. Wenn wir Innere Erfahrung haben, werden mit der Zeit alle Fragen von selbst gelöst.

Auf dem letzten Zettel stand:

„Ich habe keine Frage. Ich habe nur das Bedürfnis, dem Meister für Seine Liebe zu danken und dafür, dass Er eine so große Last auf Sich genommen hat.“

Die Antwort des Meisters war:

Es besteht kein Grund, mir zu danken. Dafür bin ich ja hier. Gott tut alles. Ich nehme die Gelegenheit wahr, euch darzulegen, was ich selbst erfahren habe. Gott sorgt für alles.

In Seinem öffentlichen Vortrag, der am Abend im Saal „Kaufleuten“, Zürich, stattfand, sprach der Meister ausführlich über den praktischen Weg der Selbstanalyse, den die Meister lehren, und der uns durch Ihre Führung zurück zu Gott bringt. Er sprach von dem Zauber des Inneren Lichts und der Inneren Musik, der tausend Mal größer ist als der der äußeren. Um äußere Musik hervorzubringen, braucht man ein Instrument, das die Schwingungen erzeugt, während die Innere Musik ewig aus sich selbst ertönt. Wir müssen während des Lebens mit ihr in Verbindung kommen, indem wir lernen, im Leben zu sterben. Dies wird der „Tod im Leben“ genannt. Gott ist Licht und das Innere Licht ist tausend Mal schöner als das Licht der Welt.