Mailand

VI

Die zweitletzte Station des Meisters innerhalb Mitteleuropas war Mailand. Der Meister verließ das Hotel „Nova-Park“ in Zürich um 09:00 Uhr, um zum Flughafen zu fahren. Er wurde von etwa 20 Satsangis begleitet. Im Flughafengebäude setzte Er sich dann wie gewöhnlich in den Aufenthaltsraum, so dass wir alle die Gelegenheit hatten, uns im Kreis um Ihn zu versammeln und schweigend Seinen Darshan zu haben. Der Flug über die Alpen war herrlich, obwohl die höchsten Berge leider von einer dichten Wolkendecke verhüllt waren.

Während des Fluges kam auf einmal ein Steward zu uns und fragte einen Satsangi, der in der Nähe des Meisters saß, sehr interessiert nach Ihm. Er stellte so viele Fragen, dass die Zeit viel zu knapp war, um sie alle zu beantworten. Wir sagten ihm, dass in Mailand ein öffentlicher Vortrag des Meisters stattfinden würde, und er versicherte, er werde dorthin gehen, wenn es ihm nur irgendwie möglich sein werde. In diesem Moment schaute sich Gyani Ji um, der zusammen mit dem Meister vor uns saß, und gab dem Steward ein Exemplar des „Man, know thyself – Mensch, erkenne dich selbst“, das dieser dankbar annahm. Der Meister kam diesmal in Begleitung von nur sechs Satsangis. Die meisten, die noch Gelegenheit hatten, sich einige Zeit freizunehmen, waren von Zürich aus direkt nach Paris gefahren. Einige kamen jedoch noch im Laufe des Nachmittags im Hotel Bristol, in dem der Meister in Mailand wohnte, an.

Um 16:00 Uhr sollte der erste Satsang stattfinden. Wegen eines persönlichen Gesprächs, um das Er kurzfristig gebeten wurde, kam der Meister eine halbe Stunde später herunter, so dass wir während dieser Zeit noch in Seinem Gedenken zusammensitzen konnten.

Während dieses ersten Satsangs, zu dem teils Initiierte, teils Interessenten kamen, war die Atmosphäre um den Meister heiter und voller Frieden. Ähnlich wie in Berlin saßen wir wie Seine Kinder um Ihn herum zu Seinen Füßen auf dem Boden und Er sprach zu uns auf so einfache und natürliche Weise und unaussprechlich liebevoll. – Jedes Mal, wenn wir an einen neuen Ort kamen, wo Satsangis warteten, die den Meister während dieser Reise zum ersten Mal sahen, schaute Er diese erst einmal liebevoll an und sagte, dass Er sich freue, sie nach einer so langen Zeit zu sehen.

Der Meister sprach über den großen Segen, den menschlichen Körper erhalten zu haben. Weiterhin sagte Er:

Wir sind von Gott dazu auserwählt, den Lebenden Meister zu treffen, Der uns mit der Gotteskraft in uns verbindet.

Nach diesem Gespräch baten Ihn viele der Lieben, persönliche Fragen stellen zu dürfen. Sie wurden freundlich gebeten, am nächsten Tag wieder ins Hotel zu kommen.

Inzwischen waren auch etwa 15 Satsangis aus Zürich eingetroffen und noch viele Initiierte und Interessenten aus Mailand.

Am Abend fuhren wir zum Yoga-Zentrum von Mailand, um dort die öffentliche Ansprache zu hören. Wir kamen dort um 21:15 Uhr an und waren zunächst etwas betroffen: Wir mussten eine schmale Treppe hinuntersteigen, dann kamen wir in einen wenig beleuchteten Kellerraum, in dem die Menschen sehr eng zusammensaßen, die meisten von ihnen auf dem Boden. Man sah hauptsächlich junge Leute, insgesamt etwa 250. Überall wurde laut gesprochen, selbst als der Meister schon im Raum war. Die Atmosphäre unterschied sich völlig von dem bisher Erlebten.

Aber der Meister achtete nicht auf diese äußeren Dinge. Er sprach hier genauso lange wie gewöhnlich, und Seine Ausführungen hatten das gleiche Thema: Der Zweck des menschlichen Lebens ist es, sich über das Körperbewusstsein zu erheben in die Welt des Jenseits. Wir haben diesen Körper erhalten, um darin Gott zu erkennen.

Im weiteren Verlauf ging der Meister kurz auf die verschiedenen Yoga-Systeme ein. Er sagte, dass jeder Yoga seine eigene begrenzte Reichweite habe und dass allein der Surat Shabd Yoga die Seele zurück zu Gott führen könne. – Während die Yogis oft hundert Jahre benötigen, um sich über das Körperbewusstsein zu erheben, geben die Meister schon bei der ersten Sitzung eine Ersthand-Erfahrung. Bei regelmäßiger Übung kann dieses Kapital schnell entwickelt werden, so dass wir nicht so lange zu warten brauchen wie bei anderen Systemen.

Liebt Gott – das ist der Weg zurück zu Gott.

Nachdem der Meister Seinen Vortrag beendet hatte, wurden noch einige Fragen gestellt. Eine davon bezog sich nochmals auf den Unterschied zwischen dem Surat Shabd Yoga und dem klassischen Yoga, wie er von Patanjali gelehrt wurde.

Die Antwort des Meisters war: Der Surat Shabd Yoga beginnt schon am sechsten Chakra, das hinter und zwischen den Augen liegt. Man muss nicht erst die fünf unteren – eines nach dem anderen übersteigen. Der Weg der Meister ist der natürliche Weg, den jeder gehen kann.

Ein Herr stellte sehr aufgeregt Fragen und ließ den Meister kaum noch zu Wort kommen. Doch Er antwortete ihm mit gleich bleibender Geduld, während die meisten im Raum sehr nervös wurden. Einer der Satsangis konnte nicht länger an sich halten und versuchte, den Mann zu unterbrechen und ihn daran zu hindern, weiter auf diese Weise auf den Meister einzureden. Aber der Meister wies den Satsangi zurecht, indem Er sagte: „Nein, lass ihn, er ist willkommen.“ – Es stellte sich übrigens heraus, dass dieser Herr am nächsten Tag zur Initiation kam und angenommen wurde. – So gab uns der Meister an diesem Abend wieder ein Beispiel Wahrer Toleranz.

Bevor Er gehen konnte, kamen noch viele der jungen Leute mit Fragen zum Meister, die sich hauptsächlich auf die Initiation bezogen, welche für den nächsten Morgen geplant war.

Das Programm des nächsten Tages begann um 10:00 Uhr mit der Initiation, die bis 13:00 Uhr dauerte. Es wurden etwa 60 Menschen initiiert.

Am Nachmittag hatten die Satsangis Gelegenheit, dem Meister Fragen zu stellen.

Die erste Frage lautete:

„Wenn man überzeugt ist, dass ein anderer im Irrtum ist, sollte man ihn korrigieren?“

Antwort:

Man sollte in einem Gespräch von Herz zu Herz seine eigene Meinung mit Geduld darlegen, aber man sollte nicht versuchen, sie jemandem aufzuzwingen. Es sollte immer in einer bescheidenen Weise geschehen, ohne irgendwelchen Nachdruck.

„Bedeutet der Körper des Meisters mehr als der anderer Menschen?“

Nein, die Meister sind auf genau die gleiche Weise geboren wie alle anderen. Sie haben keine langen Zähne, nicht wahr? – Auf der äußeren Ebene sind Sie Menschen. Die Größe eines Meisters kann nur der erkennen, der sich genauso weit entwickelt hat wie Er. Je mehr man wächst, desto bescheidener wird man.

„Wenn wir handeln, ist es dann der Meister, Der durch uns handelt, oder sind wir es?“

Wenn ihr eine Marionette in den Händen des Meisters geworden seid, dann ist es natürlich der Meister, Der durch euch handelt, andernfalls? …

Anschließend erklärte der Meister, dass Ehrlichkeit der beste Weg sei, um fortzuschreiten. Der Meister wünscht, dass wir so werden, wie Er selbst. Nicht weniger.

Er sagt diese Worte sehr leise, und wenn man sich für Seine Liebe öffnet, wird man merken, wie sehr Er das wünscht:

Geht auf dem Weg ehrlich, ernsthaft und ergeben. Andernfalls könnt ihr keinen Fortschritt machen, ihr könnt dann nicht den vollen Nutzen aus dem ziehen, was ihr bekommen habt.

Wir sollten auf jeden Fall zwei Stunden täglich meditieren. Dies ist das Minimum und unsere Pflicht. Alles, was wir darüber hinaus tun, wird zur Freude Gottes sein. Ich bitte euch dringend, in Verbindung mit mir zu bleiben. Ihr solltet eure Tagebücher regelmäßig einschicken, so dass ihr Führung bekommen könnt. Wenn ihr glaubt, einen besseren Weg gefunden zu haben – ich glaube nicht, dass ihr einen besseren findet – aber wenn ihr es glaubt, dann geht ihn. Aber geht nicht allein, nehmt mich mit, weil wir alle Wahrheitssucher sind.

Und nochmals betonte der Meister, dass wir in Verbindung mit Ihm bleiben sollen. Die äußere Entfernung zwischen dem Meister und dem Schüler zählt nicht, sondern allein die Empfänglichkeit. Sie ist der einzige Maßstab. Der Schüler mag jenseits der sieben Meere leben und der Meister auf der anderen Seite. Wenn er Empfänglichkeit entwickelt hat, wird er Gott näher sein als einer, der jahrelang in der physischen Gegenwart des Meisters lebt, aber keine Empfänglichkeit hat.

Besucht den Satsang! Gott ist dort. Versäumt lieber tausend Pflichten, aber geht zum Satsang! Meditiert regelmäßig! Vergesst die ganze Welt – wo werdet ihr das Wasser und das Brot des Lebens bekommen. Setzt regelmäßige Zeit für eure Meditation ein. Bleibt in Verbindung! – Wenn es ihre Zeit erlaubt, mag Frau Fitting zu den einzelnen Satsanggruppen kommen, um ihnen einen Auftrieb zu geben. Gott segne euch alle!

Die letzten Worte hatte der Meister sehr eindringlich gesagt, wahrscheinlich, weil so viele neu initiiert worden waren, die vorher noch wenig von den Lehren gehört hatten. Welche Verantwortung nahm der Meister für so viele Seelen auf Sich!