XXXVI

Liebe versus Lust – I

30. Januar 1968

Liebe – viele Leute sagen, dass sie wissen, was Liebe ist. Auch wir sagen dann und wann immer wieder, dass Gott ist Liebe und unsere Seele vom gleichen Wesen wie Gott ist, dass die Liebe unserer Seele eingeboren ist und sie uns auch den Weg zurück zu Gott weist. Die Liebe ist unserer Seele eingeboren und sie braucht jemanden, den sie lieben kann und von dem sie geliebt wird. Das ist das natürliche Bedürfnis jedes Menschen. Unsere Seele ist eine bewusste Wesenheit und sie sollte die Allbewusstheit oder Gott lieben. Stattdessen hat sie sich an weltliche oder materielle Dinge gehängt. Und deshalb werdet ihr dorthin gehen, wo eure Liebe gebunden ist. Die Seele sollte Gott lieben, Der die kontrollierende Kraft im Tempel des menschlichen Körpers ist. Sie hängt aber am Körper und seiner Umwelt, an den nach außen fließenden Energien und den Freuden äußerer Lust. Deshalb wurden wir zu Sklaven. Wir kehren immer wieder dorthin zurück, wo wir gebunden sind. Wenn unsere Seele an Gott gebunden ist, Der die Kontrollierende Kraft in diesem menschlichen Körper ist – Der ewig ist und Selbst jenseits der Ewigkeit besteht – dann wird sie frei und jeder Bindung ledig.

Der Unterschied zwischen Wahrer Liebe und Lust ist daher, dass Wahre Liebe nicht endet – auch nicht nach dem Verlassen des Körpers. Diese Liebe entwickelt sich zwar im Körper, aber sie geht ganz in der Seele auf, nicht im Körper und seiner Umgebung. Das also nennt man Wahre Liebe und Nächstenliebe. Die andere heißt Lust oder Verhaftetsein, und es besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden. Die Liebe zu Gott macht uns frei und gibt uns alle Freude, Glück und Seligkeit. Während uns Lust oder Verhaftetsein versklavt und sehr engherzig macht. Wenn ihr jemanden auf weltliche Weise liebt, seid ihr voll Neid, sobald ein anderer an dieser Liebe teilhat – aber jene, die Gott lieben, werdet ihr auch lieben – eben, weil sie Gott lieben. So lässt euch die Liebe zu Gott die ganze Welt lieben. Die Liebe zu äußeren Dingen macht euch nur engherzig und geizig; und daher lebt der eine für Gott, der andere für die Welt.

Seit wir das Haus unseres Vaters verließen, haben wir uns an äußere Dinge gehängt, weil sich unsere Liebe fälschlicherweise auf weltliche Dinge, den physischen Körper und die äußere Umgebung gerichtet hat. Woran also erkennt man Wahre Liebe oder Nächstenliebe? Sie fängt im Körper an, lässt aber dann die Aufmerksamkeit in unserer Seele und im höheren Selbst aufgehen. Lust dagegen hält euch am physischen Körper und der äußeren Umgebung fest. Den eigenen Wünschen zu folgen, ist keine Liebe im wahren Sinne des Wortes. Diese Liebe bindet und versklavt euch.

Seit wir das Haus unseres Vaters verließen, sind wir immer wieder im Kreis gegangen und haben unseren Weg zurück noch nicht gefunden.

Da ist die Geschichte von Majnu, der in Laila verliebt war. Laila war eine Prinzessin und sie bedeutete ihm alles. Unter den Mohammedaner gibt es einen Ehrentitel, der dem Gottergebensten verliehen wird. Einmal fragte man auch Majnu, wem dieser Titel gebühre. Er sagte, dass seine geliebte Laila die Würdigste sei. Er war ihr so ergeben, dass er einmal dabei beobachtet wurde, wie er die Pfoten eines Hundes küsste, der in der Straße herumlief, wo seine Laila wohnte.

Daraus können wir die Lehre ziehen, dass wir einander lieben müssen, wenn wir Gott oder dem Gott im Menschen ergeben sind. Das ist nur natürlich. Aber jede Liebe, die von persönlichen Interessen oder selbstischen Motiven bestimmt wird, macht euch engherzig. Ihr wollt dann, dass der Mensch, den ihr liebt, nur von euch und von niemand sonst geliebt wird. Wenn ihr aber Gott wirklich liebt, dann liebt ihr natürlich alle, die Ihn lieben. Das ist der große Unterschied zwischen den beiden Arten von Liebe.

Als Majnu erfuhr, dass Laila gestorben war, sagte er:

Nein, sie kann nicht sterben – wie kann sie sterben?

Als man ihm sagte, dass sie wirklich tot sei, sagte er:

Ist es also wahr? Das ist das Schicksal eines jeden lebenden Menschen. Aber warum soll ich etwas lieben, das vergänglich ist?

Seht ihr, so schlug er den richtigen Weg ein.

Liebe ist also Liebe, wenn sie Gott, der Allbewusstheit, gehört. Auch wenn ihr den Körper verlasst, wird euch diese Liebe nicht verlassen. Liebe zur Welt, äußere Bindungen und den eigenen Wünschen und Zielen zu folgen, ist Lust oder Verhaftetsein, nicht Liebe. Ein Prophet hat gesagt, dass die Liebe wie eine Brücke ist, auf der ihr den Fluss darunter überqueren könnt. Das ist ihr eigentlicher Sinn – sie dient nicht als Aufenthaltsort. So dient eure Liebe zum Gott im Menschen dem Überschreiten der Brücke, damit ihr durch Seine Gemeinschaft, in der die Liebe zu Gott natürlich ausstrahlt, auf diese eingestimmt werdet. Wenn ihr dafür empfänglich seid, ist eure Liebe echt. Wenn ihr am Körper und den äußeren Bindungen hängt, dann ist das keine Liebe. Die Liebe ist gesegnet, die auf Gott, die Allbewusstheit, gerichtet ist. Ist sie auf den physischen Körper und seine Bindungen gerichtet, ist sie eine Fessel, Sklaverei und Verhaftetsein. Ihr kommt immer wieder in die Welt, wo ihr gebunden seid. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Arten von Liebe.

Guru Amar Das sagte:

Lasst uns den Gott im Menschen lieben, denn Er fließt über von Gottes Liebe und Berauschung. In der Gemeinschaft mit Ihm nehmt ihr die Ausstrahlung von Gottes Liebe auf.

Sie wird eurer Seele Auftrieb geben und sie zu Gott hinwenden. Das ist der wahre Prüfstein, der euch herausfinden lässt, ob ihr den Körper des Gott-im-Menschen wirklich nur um Gottes willen liebt, Der in Ihm ist. Wenn ihr Gott in Ihm liebt (Sein Körper ist natürlich gesegnet), dann ist das die Brücke, auf der ihr das Meer der Welt überschreiten und zu unserem Geliebten gelangen könnt.

Die Liebe ist also unserer Seele eingeboren; und wir sind bewusste Wesen. Wenn sie auf die Allbewusstheit gerichtet wird, ist es Wahre Liebe. Sie schenkt euch Freiheit, vollkommene Glückseligkeit und Freude. Hängt sie an weltlichen Dingen, am physischen Körper, an seiner Umgebung und an Sinnesfreuden, dann ist sie Bindung und ein sicherer Weg, immer wieder in die Welt zu kommen, an die ihr gebunden seid. Liebe ist also gut. Selbst Gift ist sehr gut, wenn man es als Hilfe in kleinen Dosen nimmt. Wenn man es aber missbraucht, dann stirbt man. Die Wahre Liebe, die euch hilft, sollte auf Gott oder den Gott im Menschen gerichtet sein, weil Gott in Ihm ist – und nicht um Seines physischen Körpers willen. Dann seid ihr gerettet, andernfalls seid ihr verdammt, würde ich sagen. Das ist ein sehr schwieriges Thema. Wir sollten sehen, wo wir stehen und wohin wir gehen. Das steht zwar auch in Büchern, aber nicht sehr klar. Doch euch sollte nun klar sein, was Liebe ist.

Die Liebe ist unserem Selbst eingeboren, aber weil sie fehlgeleitet wurde, sind wir trotzdem an die Welt gebunden. Statt sie an Gott zu binden, Der alle Bewusstheit ist, haben wir sie an den physischen Körper und die Welt gehängt. Die Liebe ist eine Brücke, um das Meer des Lebens zu überqueren – von dieser physischen Welt zur Allbewusstheit. Wenn sich diese Liebe auf weltliche Dinge richtet, werdet ihr an der Welt hängen. Sie sollte auf Gott oder den Gott im Menschen gerichtet sein, auf den menschlichen Pol, in Dem Sich Gott offenbart. Er fließt über von Liebe zu Gott und der Trunkenheit dieser Liebe. Wenn ihr bei Ihm seid, nehmt ihr die Ausstrahlung dieser Liebe auf und beginnt natürlich Gott zu lieben. Wenn ihr zu einem geht, der Parfüm verkauft, und er euch nichts gibt, werdet ihr dennoch ganz umsonst den Duft des Parfüms erhalten. Und wenn er euch ein Fläschchen davon gibt, dann…?

So wird euch durch die Gemeinschaft mit Gott im Menschen durch Seine Ausstrahlung der Wohlgeruch der Liebe Gottes zuteil. Er gibt euch eine Verbindung in eurem Innern, indem Er eure Aufmerksamkeit von außen abwendet und auf Gott in euch richtet. Er gibt euch eine Verbindung und was braucht ihr mehr? Liebe zum Gott im Menschen, wegen Gott in Ihm, ist Liebe zu Gott. Wenn ihr den Gottmenschen wegen Seines physischen Körpers liebt, so ist das noch Verhaftetsein. Die Liebe zum Gottmenschen ist eine Brücke, um ins Jenseits zu gelangen, bedenkt das! Das ist ein schwieriges Thema – wie ich schon sagte. Wir müssen prüfen, wie wir fortschreiten. Wenn unsere Liebe zu Gott jeden Tag stärker wird und uns mehr als alles andere auf der Welt bedeutet, dann ist sie wirklich Liebe zu Gott. Selbst wenn ihr Gott liebt, eure weltlichen Dingen euch aber mit Gott verglichen teurer sind, dann ist das noch keine Liebe zu Gott. Das eine ist Verhaftetsein, Bindung, Sklaverei – das andere Freiheit, alle Freude und alle Glückseligkeit.

Es ist besser, in der Gesellschaft von Einem zu sein, Der von Liebe zu Gott erfüllt ist, als mit denen zusammen zu sein, die von Liebe zu weltlichen Dingen erfüllt sind. Wenn ihr so eine Gemeinschaft nicht haben könnt, dann sucht die Gesellschaft jener, die nach Liebe zu Gott verlangen und nicht nach Liebe zu weltlichen Dingen. Wenn ihr auch das nicht haben könnt, dann lebt mit eurem Meister, Der durch Bücher zu euch spricht – das ist alles. Lebt für euch allein, in der Gemeinschaft mit den früheren Meistern, Die durch Bücher zu euch sprechen. Das wird euch helfen, in eure Wahre Heimat zurückzukehren. Doch ich würde sagen, so wie Gott unbeschreiblich ist, kann man auch die Liebe nicht in Worte kleiden. Je mehr ihr euch in sie vertieft, desto weiter wird sie – wie Gott, Der grenzenlos ist.

Ein Dichter hat gesagt:

Die Liebe ist ein Meer, ein grenzenloses Meer ohne Ufer.

Ihm – Seiner Gnade – könnt ihr euer Leben widmen. Die Initiation, das Wort Gottes, Shabd oder die Naam-Kraft, ist in euch und das ist die wahre Gemeinschaft mit den Heiligen. Ein Heiliger ist das Fleisch gewordene Wort. Ihr liebt Ihn um des Wortes willen. Wen ihr euch auf diese Weise im menschlichen Körper entwickelt habt, seid ihr begünstigt – ihr habt dann den vollen Nutzen aus eurem menschlichen Körper gezogen. Andernfalls habt ihr alles vorbereitet, um immer wieder zurückzukehren.