Buch II / XXIII

Musikalische Melodien im Äußeren

Wir sehen in unserer täglichen Erfahrung, dass die Musik, instrumentale oder vokale, in den religiösen Gemeinschaften eine bedeutende Rolle spielt, welcher Art sie auch immer sei, ob die der Yogis, Hindus, Christen oder Sikhs. Wir sehen die Praxis des Qawwali bei den Moslems, die Fülle der Musik in den Vierzeilern des Omar y Kayyam, und die poetischen Kompositionen des Shah Niaz, Khawaja Hafiz, Shamas-i-Tabrez und Maulana Rumi. Alle Lehren der Sikh-Meister in dem umfangreichen Granth Sahib sind in Rag-(Vers) Form gehalten. 

Es ist eine Tatsache, dass die Ergüsse aus den Tiefen einer Seele in unvorbereiteter Anzahl herausfließen. Die Poesie ist wirklich die Sprache der Seele, so wie die Prosa die des Verstandes ist. All diese äußeren musikalischen Hilfen haben, wie auch immer eine berauschende Wirkung, die eine Person in einen Zustand der Trunkenheit wiegt; doch können sie in ihm nicht das Überbewusstsein wecken, das sich allmählich zum Aufblühen Universalen Bewusstseins und kosmischer Bewusstheit ausdehnt.

Alle die wilden ekstatischen Tänze in Begleitung mit der äußeren Musik sind nutzlos für das Gemüt, das sowohl blind als auch taub ist.

Guru Amar Das, Asa M3

Es gibt verschiedene Gründe für diese Wirkungslosigkeit. An erster Stelle ist die Musik, die man sehr häufig hört, nicht ein Erguss der Seele. Sie ist billige Ware und dient lediglich als Mittel für den Lebensunterhalt.

Der Musiker macht von seinen Tönen gebrauch, um seinen Unterhalt zu verdienen und macht allerlei Gebärden und wiegt sich hin und her. Mit klirrenden Reifen an den Fussknöcheln, nennt man sich einen Verehrer von Ram Das und verdient dadurch einen Lebensunterhalt; ein anderer zeigt sich bei der Befolgung des Fasten, Nachtwachen und Ausüben bestimmter Rituale und noch ein anderer singt Hymnen und Verse, die seinem Gemüt gänzlich fremd sind.

Guru Arjan, Maru M5

Mit dem Hund des Hungers, der an der Lebensschnur im Innern nagt, kann man unmöglich über seinen Sinn für Zweifel und Skeptizismus hinwegkommen, mit der Folge, dass man im Dunkel bleibt, weit entfernt von der Wirklichkeit.

Zum Zweiten verwenden die meisten Musiker ihre ganze Zeit und Energie dafür, die Töne und Weisen auf den Instrumenten, Stimmen oder Anderweitigem richtig zu setzen. Eine eingehende Untersuchung über einige Ragis (Berufssänger) brachte ans Licht, dass sie in beständiger Angst leben, ihr Geschenk populärer Melodien zu verlieren und somit immerzu zu zeigen versuchen, was sie eigentlich besitzen oder nicht besitzen mögen. Da sie die Aufmerksamkeit stets auf die Töne allein geheftet halten, singen sie einfach den Ton (Bani) ab, ungeachtet des wirklichen Sinnes, und dabei verlieren sie nicht nur die Innere Bedeutung, die sie vermitteln, aus den Augen, sondern machen meistens solche phonetischen Fehler, dass der Sinn selbst verzerrt ist und verloren geht.

Der Yogi spielt das Stück mit seinen Händen, aber die Töne klingen nicht echt.

Guru Ram Das, Asa M4

Auch können die Hörer die Verse nicht genau verstehen, wenn sie nicht vorher gut mit dem Text vertraut sind, sie verlieren ihn in Weisen und Wendungen der begleitenden Musik. Die Heiligen haben daher der äußeren Musik keine spezielle Bedeutung zugemessen, da sie es verfehlt, echte Konzentration zu entwickeln, und folglich kann man nicht die Innere Wirklichkeit berühren, das Gefühl der Ich-heit verlieren und über das Körperbewusstsein hinausgelangen, noch wird dadurch Innerer Frieden und Ekstase erreicht.

O Yogi, durch die Zithermusik kannst du keine Konzentration entwickeln noch die Wahrheit finden. O Yogi, deine Zither wird dir keinen Inneren Frieden geben noch wird sie dich von der Selbstsucht befreien.

Guru Amar Das, Ramkali M3

Die Zeit, die dafür aufgebracht wird, Lieder und Weisen vorzubereiten, ist ein totaler Verlust, ohne irgendeinen Gewinn, wie auch immer. Wenn diese Zeit dafür genutzt werden würde, die Seele nach den Weisungen des Meisters mit dem Inneren Wort in Einklang zu bringen, könnte man viele unsagbare Schätze der Göttlichkeit sammeln.

Wie lange wirst du es regeln, mit den Reifen zu klirren und Gitarre zu spielen? Warum nicht die Zeit für das Wort aufwenden, statt Lieder vorzubereiten? Wie lange wirst du tanzen und deine Hände ausstrecken?

Guru Ram Das, Asa M4

Es ist nutzlos, sich selbst in einen emotionalen Zustand zu bringen und zur begleitenden Musik wild herumzutanzen und zu singen, sich zu ermüden, bis man außer Atem ist und dann in Ohnmacht zu fallen, in Vergessenheit zu geraten das führt den Geist nirgendwo hin. *Die äußeren musikalischen Mittel helfen zweifellos vorübergehend beim Sammeln der verstreuten nach außen gehenden Fähigkeiten und wandernden Sinne, aber können einen nicht zu höherem Bewusstsein führen. Auf der anderen Seite bringen sie einen in einen Zustand der Vergessenheit sowohl von dem eigenen Selbst als auch von Gott. Beethoven sagt uns, dass die Musik der Mittler zwischen dem spirituellen und dem sinnlichen Leben ist. Wir scheinen in eine neue mentale Welt von uns einzutreten, welche uns natürlich aufgesetzt wird durch die Musikanten. Aber ihr misslingt es, das Gemüt vom inneren Verlangen nach der Welt und allem, das weltlich ist, zu entwöhnen. Kurz dargestellt, die Lehren der Meister über dieses Thema sind kristallklar. Wir mögen uns zu der äußeren Musik hingezogen fühlen und in sie vertieft sein und alle von uns genießen sie völlig, dennoch können wir mit all diesem nicht aus den drei Gunas ausbrechen und ins Jenseits überschreiten. Ohne die Hilfe der Wahren Musik der Seele, die überall und allezeit anhält, bleibt man eine ständige Beute für Sorge und Leiden im Bereich des Gemüts und der Materie.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Vierte Edition von 1981 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Mit nutzlosem Streben beschäftigt, halten die Musikanten die Menschen im Raga verzaubert. Er bleibt in den Schlingen der drei Gunas und dreht sich in der Seelenwanderung; Denn ohne die Verbindung mit dem Alles- durchdringenden Wort verbleibt man in Leid und Sünde.

Guru Nanak, Ramkali M1

Es ist nur das Wort, das einen aus der täuschenden Materie herausnehmen kann.

Guru Amar Das, Maru M3

Aus diesem Grunde haben die Heiligen niemals einen Lehrgang empfohlen, weder für Musik noch für Yoga-Praktiken noch irgendeinen anderen. Sie haben immer nur die Wichtigkeit der Liebe zu Naam oder dem Wort, dem ursprünglichen Tonprinzip der Gottheit betont.

Einige beschäftigen sich mit der Musik der Glocke, einige mit Fasten, Nachtwachen, Rosenkränzen und dergleichen; manche reiben ihren Körper mit Sandelpaste ein – doch ich habe nur den Herrn für meine Hingabe.

Guru Arjan, Ramkali M5

Auch die Moslem-Gläubigen zogen die Praxis des Kalam-i-qadim, dem ältesten Inneren Gottesruf, allen Arten der äußeren Melodien vor.

Nimm den Stopfen des Zweifels und des Unglaubens aus deinen Ohren und höre auf die Melodie, die von oben herabfließt. O mutige Seele, erhebe dich über die Ebene der Sinne und lausche der himmlischen Musik. Welch ein Jammer, im Gefängnis des Körpers zu verharren und nicht auf die Stimme des All-barmherzigen zu hören.

Bhai Gurdas sagt uns in seinem Kabit Sawais, dass man durch Nad-Bad (die äußeren Ragas und Raginis – Töne und Melodien) keinen Zugang zu den Wahren und Unendlichen Melodien erlangt.

Solange sich einer der Ragas und Raginis erfreut, bleibt er weit von Anhad entfernt.

Bhai Gurdas, Kabit 12

Die Ragas und Raginis haben lediglich einen sinnlichen Reiz, und einer, der mit ihnen beschäftigt ist, verbleibt sein ganzes Leben verwickelt, unversehens gefangen, wie der schnellfüßige Hirsch oder ein mächtiger Elefant, von denen beide in ihrer Unwissenheit den Listen der Jäger eine leichte Beute werden.

Wie der Hirsch durch den Trommelschlag von Unwissenheit durchdrungen wird, so bleibt der Mensch ohne Shabd ohne Frieden und Glückseligkeit.

Bhai Gudas, Kabit 412

Weit über Nad-Bad (äußerer Musik) liegt Anahat oder die unerreichte, sich selbst tragende Musik.

Man muss weit über die musikalischen Töne hinausgehen, wenn man sich mit Anhad verbinden will.

Bhai Gurdas, Kabit 11

Nur durch die Verbindung mit Anhad kann man sich über die physische Ebene der drei Gunas erheben. Diese Göttliche Musik hilft uns, die Bande der Welt zu durchbrechen, und wir hören auf, von der Welt zu sein, während wir noch in ihr verweilen. Von nun an bleiben wir wie die Lotosblume über dem schlammigen Wasser, welches unser natürlicher Lebensraum ist, oder wie der Wasservogel, der stets trocken bleibt, unbeeinflusst von dem natürlichen Element in welchem wir leben.

In den Sikh-Schriften ist das Nad-Bad oftmals als Bikh-Bani oder Bikh-Nad beschrieben worden, meinend Bani oder Nad mit einem tödlichen Stachel in ihnen; da es ein tödliches Gift injiziert, von welchem man keine Rettung findet.

Durch Gaumen und Augen sind wir ganz verwickelt, und wir erhalten tödliches Gift durch die Ohren; ohne Shabd sind wir allzeit verloren.

Guru Nanak, Gauri M1

Die Ohren werden so sehr auf die falsche Musik abgestimmt, dass die Musik von Gott keinen Reiz für uns hat.

Guru Arjan, Suhi M5

Nur durch das Ersetzen von Nad-Bad mit der Göttlichen Melodie gelingt es uns, dass wir in Seiner Gegenwart irgendeine Ehre haben können:

Lass‘ die Ragas (äußere Musik) und verbinde dich mit dem Wort, dann wirst du an Seinem Hof geehrt. O Nanak! Durch Meditation über Ihn nach den Weisungen des Meisters befreit man sich von allen Eitelkeiten.

Guru Ram Das, Bilawal War M4

Der Weltkluge ist immer von Nad Bad in Anspruch genommen, das nichts weiter ist als der Ton, der sich aus der Materie erhebt:

O Mensch! Wie soll ich all das beschreiben? Alles ist nur falsches Geklirre der Materie.

Guru Arjan, Gauri M5

Der Pfad der Meister beginnt dort, wo alle diese Ragas und Raginis enden und man die Sinnesebene übersteigt, über der sich die unübertreffliche Musik erhebt, die ohne Unterlass aus sich selbst ertönt. Einer, der mit diesem Dhun Atmak (Gesang der Seele) im Einklang ist, kann singen, so viel er will, und es steht ihm an, das zu tun.

Er, der die Wirklichkeit gesehen hat, Seine Lieder sind annehmbar, und Er wird geehrt an Seinem Hof.

Guru Ram Das, Suhi M4

Nur durch die Verbindung mit dem Wort gelingt es einem, aus dem Meer der täuschenden Materie herauszukommen; äußere musikalische Töne, egal welcher Art, sind ohne Nutzen.

Das Gemüt vibriert weiter, wenn in Andacht sitzend, doch durch das Hören auf des Meisters Wort, wird es beruhigt. Der Wahre Ton vertreibt alle weltliche Verhaftung; Shabd öffnet das Auge für die Wirklichkeit.

Guru Amar Das, Majh M3

Vertieft in sündhaftem Streben singt man Ragas (Lieder) und bezeugt die Wahrheit, von der sie sprechen; wenig wissend, dass ohne das Wort alles eine Farce ist.

Guru Nanak, Asa M1

Die Innere Musik der Seele ist der wirkliche Gesang. Ihre Töne bestehen aus sich selbst und erhalten sich selbst und sie brauchen nicht die äußere Hilfe der Hände, Füße, Zunge und dergleichen und leiten doch zur Quelle, von woher sie ausgehen, dem Göttlichen Spielmann:

Die süßen Symphonien der Inneren Musik fließen ohne die Hilfe der Hände und Füße; wer immer sich mit ihr verbindet, schaut die Wahrheit.

Guru Nanak, Asa M1

Die Weisen der himmlischen Musik werden nur einem offenbar, der ein Wahrer Ergebener des Meisters ist, durch eine Meister-Seele werden viele begünstigt:

Ein Verehrer des Herrn sieht und singt von Seiner Herrlichkeit, er hört das Spiel von Zimbeln, Glocken, Zither, Gitarre und Flöte. Er übergibt Ihm alles und dringt zur Wahrheit vor. Wer immer an Ihn glaubt, wird auf den Pfad gestellt und beendet die Runden der Geburten und Tode. Er entgeht den Höllenfeuern, o Nanak, und gelangt wahrlich zu seinem Eigen.

Guru Arjan, Asa M5

Yogis und Derwische, wie auch immer, machen Gebrauch von der äußeren Musik als ein Hilfsmittel, das transzendente Gehör zu entfalten.

Die Sufis im Besonderen nennen die Musik eine Göttliche und himmlische Kunst, und dies nicht nur wegen ihrer Verwendung in Religion und Hingabe und weil sie in sich selbst eine universale Religion ist, sondern wegen ihrer Feinheit im Vergleich mit anderen Künsten und Wissenschaften. Jede Heilige Schrift, jedes Bild oder gesprochene Wort erzeugt den Eindruck seiner Identität und hinterlässt sein eigenes Bild auf dem Spiegel der Seele, aber die Musik steht vor der Seele, ohne einen Eindruck hervorzurufen, welcher Art auch immer, weder der eines Namens noch einer Form der objektiven Welt, und so bereitet sie die Seele vor, das Unendliche zu erkennen […]

Der Sufi nennt die Musik, ihre Bedeutung anerkennend, Ghiza-i-Ruh, die Speise der Seele, und nutzt sie als eine Quelle geistiger Vollkommenheit; denn Musik entfacht das Feuer im Herzen und die Flamme, die sich daraus erhebt, erleuchtet die Seele. Die Yogis und Asketen blasen Narsinghas (große Horninstrumente), oder Shankha (ein Muschelhorn), um den Inneren Ton in sich zu erwecken. Der Derwisch bläst die Nai oder Algeza (eine Doppelflöte) in derselben Absicht. Die Glocken und Gongs in den Kirchen und Tempeln sind dafür gedacht, um den Nachdenkenden auf den gleichen Heiligen Ton hinzuweisen und ihn somit dem Inneren Leben zuzuführen. 

Übersetzung aus:
Hazrat Inayat Khan, The Mysticism of Sound

Die Musik, als die Kunst der Künste und die Wissenschaft aller Wissenschaften zu gebrauchen, birgt die Quelle allen Wissens, ist hilfreich bei der Entfaltung des feineren Gehörsinnes, wenn sie jedoch lediglich zur Vorführung und Aufführung oder als Mittel, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ausgeübt wird, verliert sie den ihr innewohnenden Zauber und ihren Wahren Nutzen.

Zuzeiten bringen die Heiligen die Musik in ihren Dienst als praktische Hilfe, um Zuhörer zusammenzurufen; da Menschen allgemein von der Musik mehr angezogen werden, als von irgendetwas anderem.

Wiederum ist es aus der Fülle des Herzens, dass ein Mann sprechet. Da die Wahren Heiligen inspiriert sind von der Berauschtheit durch die Innere unübertreffliche Göttliche Musik (Anahat), bringen die spontanen Lieder, die aus der Tiefe ihrer Seele hervorquellen, einen gewaltigen Eindruck bei den Zuhörern zustande und führen sie unverzüglich zur vollen Spirituellen Blüte.

Durch das Studium der uralten Überlieferung wissen wir, dass die ersten Göttlichen Botschaften in Gesängen wiedergegeben wurden; die Lieder Salomos, die Psalme Davids und die Gathas der Anhänger von Zoroaster. Die Veden, die Puranas, Ramayana und Mahabharata, wie der Zend Avesta, die Kabbala und die Sikh-Schriften, sind alle in Versen geschrieben. Heilige wie Kabir, Nanak, Baba Farid, Hazrat Bahu, Surdas, Dharam Das, Sadna und andere nutzen meistenteils Verse, um ihre Ideen zu verbreiten. Allein die Atmosphäre in den Versammlungen der Heiligen ist von Spiritueller Vibration geladen, und oft gelangen die andächtigen Zuhörer bei ihrem bloßen Anblick in Wajd oder einen Zustand der Trunkenheit. Die zwei einfachen Wörter Hari Bole, die von Chaitanya Mahaprabhu, dem bengalischen Weisen, an einen Waschmann gerichtet wurden, verwandelte die ganze Wäschergruppe in einen wahrhaften Kreis von Tänzern mit dem Gesang Hari Bole auf ihren Lippen. Das ist alsdann die Macht wirklicher Musik, die aus dem Inneren, der geheimen Kammer des Herzens kommt.