Buch II / VI

Alle Religionen lehren von Shabd

In allen religiösen Büchern finden wir Hinweise auf Shabd. Die Hindu-Schriften sprechen davon als Shabd Brahm und Ashabd Brahm oder Nad, das für die Erschaffung der Welt verantwortlich ist. Die alten Weisen und Seher rühmten Es in ihren Gesängen und nannten Es Sruti, was bedeutet, das, was gehört wird. Die esoterischen Lehren gingen vom Meister auf den Schüler weiter und das Wort wurde nach Jahren Spiritueller Schulung individuell offenbart.

Zur Zeit der Upanishaden wurde Es ]als Udgit oder der Gesang des Jenseits bekannt, was besagt, dass Es etwas aus der anderen Welt ist, aus der Spirituellen, die jenseits der Sinne liegt; denn die Sinne könnten Es nicht umschließen; man hat sie zu überschreiten, um Seine Weisen zu fassen. (Chandogya Upanishad, 1; Maitreya Upanishad, Kapitel 6)

Andere Begriffe, die ebenfalls dafür gebraucht wurden, sind Pranav und Aum, denn Es kann nur im geistigen Ohr gehört und mit den Prana-Vibrationen besungen werden, ohne die äußere Hilfe der Zunge oder der Lippen. Im 6. Abschnitt der Maitreya Upanishad heißt es, dass es zwei Brahms gibt, ein Shabd Brahm und ein Ashabd Brahm und dass man, um Ashabd Brahm zu erreichen, in erster Linie über Shabd Brahm meditieren muss, das verschiedene Tonarten umfasst, die im Innern gehört werden können, wenn man die Ohren mit den Daumen verschließt. So kann man zu Ashabd und Gupat Brahm gelangen, einem Zustand, der über den drei Gunas und den drei geistigen Eigenschaften (Qualitäten) liegt und Turiya Pad oder die übersinnliche Ebene genannt wird.

Im Yoga Sandhya (Seite 117) wird empfohlen, dass ein Yogi, der die Yoga-Übungen ausführt, seine Ohren mit den Daumen verschließen und in sich den melodischen Weisen des Chid Akash oder des geistigen Bereichs lauschen sollte, um dadurch sein Gemüt zu beruhigen und den Turya-Zustand zu erlangen, wodurch er dann in Avyakat aufgehen kann.

In der Chandogya Upanishad (III:17-6 und 9-3) ist erwähnt, dass Nad (die himmlische Musik) aus der Universalen Sonne (von Brahmand) hervorgeht und dass dieses Geheimnis von Angris Rishi an Krishna (den Liebling von Devki) weitergegeben worden sei.

Guru Amar Das berichtet uns im Rag Bhairon, dass Bhagat Prehlad durch Shabd erlöst wurde.

Shabd ist die rettende Lebensschnur in allen Zeitaltern. Prehlad, der Sohn des Dämonenkönigs, kannte weder Gayatri noch ein Ritual; durch die Verbindung mit Shabd wurde er Eins mit Gott.

Guru Amar Das, Bhairon M3

In der Gita ist gesagt:

Wenngleich noch unter der Herrschaft der Sinne, fühlt man sich gottwärts gezogen kraft der Gewohnheit, die man in früheren Geburten erwarb. Selbst der Sucher nach Erleuchtung überschreitet Shabd Brahm.

Der Yogi aber, der sich fleißig seiner Übung widmet, erlangt Vollkommenheit in diesem Leben mithilfe des Verborgenen aus mancherlei Geburten; gänzlich frei von Sünden, erreicht er so das höchste Ziel.

Bhagavad Gita 6:44-45

In der Nad Bind Upanishad finden wir:

Möge der Yogi im Sidh-Asan sitzen und während er Vaisnavi Mudra übt, soll er den Ton durch sein rechtes Ohr hören.

Shalok 31

Im Yog Sandya ist ein sorgfältig ausgearbeiteter Bericht über die Praxis des Hörens auf Shabd gegeben.

Im Rig Veda (Vak-Ambrani Sukat) und Athrav Veda (Sukat 30) sind Hymnen zum Ruhme von Shabd zu finden. In der Hans Upanishad der Letzteren wird erklärt, dass einer, der Japa mit dem Hans Mantra 10 Millionen mal übt, zur Verwirklichung von Naad gelangt. Ferner heißt es, dass Naad zehn verschiedene Melodie-Arten umfasst, von denen man neun übergehen muss; über die zehnte, die dem Ton eines entfernten Donners gleicht, hat man zu meditieren und sie zu praktizieren, denn sie führt zu Par Brahm.

Im Hatha Yoga Pradipka (Shalokas 80,81,83-84, 92, 95-98, 101, 105) sind viele Verse zum Ruhme von Shabd zu finden. In den Veden wird davon als Nad und Akash Bani (die Stimme vom Himmel) gesprochen. In der buddhistischen Literatur wird darauf als Vollklingendes Licht oder Flammender Ton Bezug genommen.

Auch die alten Griechen sprachen von Shabd. Den Schriften von Sokrates entnehmen wir, dass Er einen eigenen Ton in sich hörte, welcher Ihn unwiderstehlich in höhere Bereiche zog. Phytagoras hat ebenso von Shabd gesprochen. Plato erwähnte die Sphärenmusik. In der griechischen Sprache gibt es den Begriff Logos, der von 'logo' (ich spreche) kommt und soviel bedeutet wie 'Wort' oder die Zweite Wesenheit der Trinität. Diesen Begriff Logos gibt es sowohl in der hebräischen wie in der christlichen Philosophie und Theologie und er findet in seinem mystischen Sinn in der hellenistischen und neuplatonischen Philosophie Verwendung. Genauso gebrauchte der Apostel Johannes den Begriff Wort. Es ist ein Tonprinzip (Shabd), das von der Großen Stille (Ashabd) herrührt. Im chinesischen Schrifttum wird Es Tao genannt. Lao Tse (4. Jahrhundert vor Christus) verwandte das Wort Tao, um damit das verborgene Prinzip des Universums zu benennen; es besagt soviel wie 'Straße' oder 'Weg'.

In den Avesta-Schriften von Zoroaster, dem Lebens-Propheten, begegnen wir dem Wort Sraosha, das den Engel der Inspiration bezeichnet, welcher das Universum belebt. Es ist eine Kraft, die von den sechs Spirituellen Kräften, von denen Zoroaster spricht, getrennt ist. Es ist der Kult des Ewigen Lebens und stammt von der Sanskrit-Wurzel Shru (hören), das heißt, die Kraft Gottes, die gehört werden kann. Im Zend-Avesta gibt es eine Anrufung an Mazda, in der die Gabe Sraosha für jene erfleht wird, die er liebt. Es ist dasselbe wie Shabd in der Terminologie der Heiligen.

In unserer Zeit predigten alle zehn Gurus (der Sikhs) angefangen bei Sant Kabir und Guru Gobind Singh, wie auch Dadu, Jagjiwan, Tulsi, Darya Sahib, Lal Das, Paltu und viele andere über Shabd.

Viele der Hinweise zu diesem Thema in der jüdisch-christlichen Tradition wurden bereits in Buch I gegeben.

Madame Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, beschrieb Es als die Stimme der Stille. Bei den Freimaurern hören wir von Ihm als dem Verlorenen Wort, für dessen Suche die Freimaurer-Meister ihren Orden gründeten. Im Koran findet man eine Ayat: Gott befahl und es wurde getan; kun-feu-kun. Es ist wahrlich das Kalma der Moslems.

Die Sufis, ein Orden der mohammedanischen Mystiker, nennen Es Vadan.

Und es heißt:

Wenn Anaam (das Namenlose) sich nicht selbst offenbart hätte und Naam geworden wäre, gäbe es keinen Ton und kein Universum.

Hazrat Inayat Khan, ein Moslem-Heiliger des Mystiker-Ordens der Sufi, erläutert, dass diese Schöpfung nichts weiter als die Musik Gottes sei, denn sie ist das Ergebnis oder die Offenbarung Seiner Kraft. Er nennt sie Saute Sarmad oder den berauschenden Wein aus dem Garten Allahs (Gott) und gab eine ausführliche Beschreibung davon, wie aus dem nachfolgenden Bericht ersichtlich ist.

Der ganze Raum ist voll des Saute Sarmad oder des abstrakten Tones. Die Vibrationen dieses Tones sind zu fein, als dass sie von materiellen Ohren oder Augen gehört oder gesehen würden; denn es ist für die Augen schon schwierig, Form und Farbe von geistigen Vibrationen auf der äußeren Ebene wahrzunehmen. Es war der Saute Sarmad, der Ton des Abstrakten, den Mohammed in der Höhle von Ghara-Hira vernahm, als Er sich ganz in Sein Ideal verlor.

Der Koran bezieht sich auf diesen Ton mit den Worten:

Sei, und alles wurde (Kun-feu-Kun).

Moses hörte diesen Ton auf dem Berg Sinai (Kooh-i-Toor), als Er mit Gott sprach. Das gleiche Wort ward Christus hörbar, als Er in der Wüste in Seinen himmlischen Vater versunken war. Shiva nahm während seines Samadhi in den Himalayas denselben Anhad Naad wahr. Krishnas Flöte symbolisiert diesen Ton, bildlich dargestellt. Dieser Ton ist die Quelle aller Offenbarungen an die Meister, zu welchen Er von innen her enthüllt wird und aus diesem Grunde kennen und lehren sie alle ein und dieselbe Wahrheit.

Wer das Geheimnis des Tones kennt, weiß um das Mysterium des ganzen Universums. Wer immer den Weisen dieses Tones folgte, vergaß alle irdischen Unterschiede und Verschiedenheiten und gelangte zum gleichen Ziel der Wahrheit, in dem alle Gesegneten Gottes vereint sind. Der Raum befindet sich innerhalb des Körpers wie auch darum herum; mit anderen Worten, der Körper ist im Raum und der Raum ist im Körper.

Da es sich so verhält, klingt der Ton des Abstrakten allezeit im Menschen, um ihn herum und über ihm. In der Regel hört Ihn der Mensch nicht, weil sein Bewusstsein ganz und gar auf seine physische Existenz ausgerichtet ist. Er wird durch seine Erfahrungen in der äußeren Welt durch den physischen Körper so in Anspruch genommen, dass ihm der Raum mit all seinen Wundern an Licht und Ton leer erscheint […] Der begrenzte Umfang des irdischen Tones ist so konkret, dass es die Wirkung des Tones des Abstrakten auf den Gehörsinn schwächt, obschon die irdischen Töne im Vergleich dazu wie die einer Pfeife zu einer Trommel sind. Wenn der Abstrakte Ton hörbar wird, werden dem Mystiker alle anderen Töne undeutlich.

Der Ton des Abstrakten wird in den Veden Anhad genannt, was soviel wie unbegrenzter Ton bedeutet. Die Sufis sagen Sarmad, was die Vorstellung von Trunkenheit gibt. Das Wort Trunkenheit wird hier gebraucht, um eine Erhebung zu bezeichnen; das Freisein der Seele von der irdischen Gebundenheit. Diejenigen, welche den Saute Sarmad hören und über Ihn meditieren können, sind allen Ängsten, allen Sorgen, Krankheiten und aller Furcht enthoben, und die Seele ist von der Knechtschaft durch die Sinne und den physischen Körper befreit. Die Seele desjenigen, der diesen Ton vernimmt, wird alles durchdringende Bewusstheit und sein Geist zur Batterie, die das ganze Universum in Bewegung hält […]

Dieser Ton entfaltet sich aufgrund Seiner Offenbarung durch die verschiedenen Körperkanäle (Nadis) durch zehn unterschiedliche Aspekte; Er klingt wie Donner, Meeresrauschen, Schellengeläut, fließendes Wasser, Bienensummen, Spatzengezwitscher, eine Veena, eine Flöte oder der Ton einer Shankha (Muschelhorn), bis Er schließlich zu “Hu”, dem Heiligsten aller Töne wird. Dieser Ton “Hu” ist der Anfang oder das Ende aller Töne, seien sie von Mensch, Tier, Vogel oder irgendeinem Gegenstand.

Die Mystik des Klanges

In den Moslem-Schriften wird Er beschrieben als Kalam-i-Ilahi (die Stimme Gottes), Nada-i-Azmani (der Ton vom Himmel), Ism-i-Azam (der große Name), Saut-i-Sarmad (der berauschende Ton), Saut-i-Nasira (der melodische Ton), Kalam-i-Majid (das Große Gesetz) und Kalam-i-Haq (die Stimme der Wahrheit), die im Inneren gehört werden kann, und Er wurde als Sultan-ul-Zikar oder der König der Gebete gelehrt.

In den Lehren der mohammedanischen Heiligen gibt es unzählige Hinweise darauf:

Erhebe dich über deinen geistigen Horizont, o tapfere Seele, und lausche dem Klang der Musik, die von oben herunterkommt.

Maulana Rumi

Die ganze Welt ist voll des Tones; Ihn zu hören, musst du das Innere Ohr entsiegeln. Dann hörst du eine unendliche Musik; sie wird dich über die Grenzen des Todes hinausführen.

Shah Niaz

Der anhaltende Ton flutet herab vom Himmel, ich frage mich, wie du Dingen nachjagst, die ohne Nutzen sind.

Hafiz

Verbanne alle Skepsis aus deinem Herzen und höre auf die Weisen der himmlischen Musik. Empfange in dir die Botschaft von Gott, denn sie kommt nur durch die Heilige Verbindung mit dem Selbst.

Der Prophet tat kund, dass Er die Stimme Gottes hörte, und Sie traf Sein Ohr so deutlich wie jeder andere Laut. Doch deine Ohren hat Gott versiegelt, und so hörst du Seine Stimme nicht.

Maulana Rumi

Über den Propheten Mohammed wird gesagt (Al-Anwar von Maulana Sheikh Mohd, Akram Sabri), dass Er im Alter von vierzig Jahren Botschaften von Gott empfing, nachdem Er fünfzehn Jahre lang die Verbindung mit Awaz-i-Mustqim (Anhad Shabd oder dem endlosen Wort) praktiziert hat und sieben Jahre lang Schimmer der Wahrheit (Blitze himmlischen Lichts) gesehen hatte. Einmal blieb Er zwei Jahre lang in der Höhle von Hira in Meditation.

Auf Seite 106 derselben Schrift heißt es, dass der Prophet in der Höhle von Hira sechs Jahre Sultan-ul-Azkar (Surat Shabd Yoga) geübt habe, und dass sich Hazrat Abdul Quadir Jillani in jener Heiligen Höhle zwölf Jahre lang dem gleichen hingab.

Alle Sikh-Gurus und andere Heilige lehrten dies immer wieder in sehr klaren und deutlichen Worten.

So sprach Guru Nanak:

Durch stocktaube Ohren hast du deinen ganzen Verstand verloren, denn du hast keine Verbindung mit Shabd; du warst dem Verstand sklavisch ergeben und hast so deine menschliche Geburt verwirkt. Ohne die Meister-Seele bleibt man der Wirklichkeit gegenüber blind.

Guru Nanak, Bhairon M1

Hunderte von Monden und tausende von Sonnen mögen die Welt erhellen; doch ohne eine Meister-Seele können sie die Finsternis des menschlichen Geistes nicht zerstreuen. Ohne die Verbindung mit Shabd bleibt man blind und taub; welchen Nutzen hat dann deren Leben in der Welt? Sie erlangen nicht das Wasser des Lebens und entgehen nicht dem endlosen Zyklus der Geburten.

Guru Amar Das, Sorath M3 

Praktiziere das Wort des Meisters, denn durch das Wort erkennt man die Wahrheit.

Guru Ram Das, Bihagra War M4

Ohne den Meister gibt es keine Heilige Gemeinschaft; und ohne das Wort kann man die Wahrheit nicht erkennen (erreichen).

Guru Amar Das, Maru M3

Aus dem oben Gesagten wird hinreichend klar, dass alle Meister-Seelen, seien sie Hindus, Moslems, Christen oder zahllose andere, mit der Wissenschaft des Wortes vertraut waren, wenn sie sie auch nicht als eine reguläre Wissenschaft erklärten. Die meisten von Ihnen berichten nur von Anhad Shabd, welches zu And und Brahmand, den subtilen und kosmischen Regionen, führt. Doch vollendete Heilige, ganz gleich, ob Sie der einen oder anderen Religion angehörten, sind noch darüber hinaus gegangen und haben von Sar Shabd und Sat Shabd und von Regionen gesprochen, die jenseits von Brahmand liegen (Par Brahmand, d.h. Sach Khand, Alakh und Agam Deshas).