Buch II / XVIII

Shabd: Was Es vollbringt

Shabd ist All-Bewusstheit. Es ist eine Woge im Meer des Bewusstseins. Der Mensch ist ein Tropfen vom Meer Gottes und beide sind vom selben Geist. Während der Eine das Meer ist, ist das andere die Woge, und der dritte ist ein Tropfen des Allbewussten Gottes. Die Woge des bewussten Shabd kann nicht anders, als gleich einem kraftvollen Magneten den bewussten Tropfen des Geistes an sich zu ziehen. Der Geist findet keine Ruhe, solange er nicht, vom Tonstrom getragen, die himmlische Heimat des Vaters erreicht und Erlösung erlangt. Der Ton wogt in Seiner Fülle und der Geist braucht sich Ihm nur zu verbinden, um aufzusteigen über alle Begrenzungen in die grenzenlose Ewigkeit.

Surat und Shabd sind natürlich miteinander verwandt. Shabd ist durch das Licht- und Tonprinzip gekennzeichnet, durch welches das Gemüt ruhig wird und der Geist, befreit von den Griffen des Gemütes, wird unaufhaltsam von Shabd angezogen und in seine ursprüngliche Heimstatt gebracht, von welcher der Tonstrom ausgeht. Auf der anderen Seite können diejenigen, welche Übungen aufnehmen, die Pranas einschließen, nicht über die Grenzen der Pranas hinausgelangen, die sich bis zum mentalen oder astralen Himmel (Chidakash) erstrecken. Aber ein Shabd-Yogi kann frei, offen und ehrenvoll gehen, wohin immer er will, weil Shabd alles durchdringt, ohne irgendwelche Begrenzungen, und kann die Wahre Heimat seines Vaters erreichen.

Mein Gott ist zu jeder Zeit überall, und offenbart sich durch die Praxis von Shabd.

Guru Amar Das, Gujri War M3

Shabd ist das Mittel, Gott zu finden. Eine Verbindung mit Shabd bedeutet eine Verbindung mit Gott.

Eine Verbindung mit dem Wort ist Einheit mit Gott; und alle Bestrebungen werden dann von Erfolg gekrönt.

Guru Amar Das, Sri Rag M3

Shabd ist der einzige Weg, der zum Wahren König führt:

In der lebendigen Seele ist das Leben des Lebens (Shabd), welches zum Türhüter des großen Königs wird.

Guru Ram Das, Sarang War M4

Shabd ist der Weg, der zur Wirklichkeit führt. Es ist die Barke, welches die Jiva (Seele) heil durch das Meer der Materie zum Wohnsitz des Herrn bringen kann.

Der Absolute Gott und der Geist zusammen mit Shabd, dem Bindeglied zwischen beiden, bilden die Heilige Dreieinigkeit; denn dieselbe Kraft Gottes wirkt gleichzeitig in allen dreien. Der Geist im Menschen hat keine getrennte, von Gott unabhängige Existenz.

O Kabir! Der Geist ist vom Wesen Gottes.

Kabir, Gond Kabir

Obgleich alle Geisteswesen von einer Wirklichkeit sind, empfindet dennoch jedes einzelne, dass es eine gesonderte Existenz hat.

Sach Khand oder das Königreich Gottes ist in uns, aber niemand kann darin eintreten ohne die rechte Führung. Um dazu Einlass zu bekommen, müssen wir umkehren und zu einem Kind voller Unschuld und Reinheit werden, denn dann können wir die rettende Lebensschnur von Shabd ergreifen, die gottwärts leitet. Durch die Verbindung mit Shabd werden wir frei von Freude und Leid, Gemüt und Materie und erheben uns über die Gegensätzlichkeit, und erlangen Befreiung vom Zyklus der Geburten und Tode.

Shabd ist der lebendige und bewusste Lebensstrom Gottes, der die Welt geschaffen hat und sie auch erhält. Es ist die eingelegte Saat, die sich zu einem mächtigen Baum entwickelt hat, beladen mit vielen farbigen Blüten und Früchten. Was auch immer existiert, existiert in Ewigkeit, und was auch immer aus dem Dasein scheidet, geht in die Ewigkeit ein. Alles ist in der großen Tiefe, erhebt sich vorübergehend an die Oberfläche in Form von Flut, Wogen, Wellengekräusel, Strudel und dergleichen, erscheint und verschwindet vor unseren Augen; der Unoffenbarte offenbart Sich Selbst in so vielen Formen und Mustern.

Shabd ist die Grundursache der Schöpfung, und die Schöpfung ist die resultierende Auswirkung davon. Alles, was den Wurzeln entsprießt und von ihnen kommt, ist bereits in verdichteter Form in ihnen, wächst in der Fülle der Zeit und wird befruchtet. Wenn ein Sonnenstrahl auf einen polierten Spiegel fällt, beginnt er die Sonne selbst zu reflektieren. Ebenso beginnt das Gemüt, wenn es gereinigt und in ihm keine Spur von Ich-heit hinterlassen wurde, das Licht Gottes aus dem Inneren zu reflektieren. Genau wie sich der Sonnenstrahl von der Sonne selbst nicht unterscheidet, ist auch ein Geist, der nichts als ein Strahl Gottes ist, nicht verschieden von Gott und beginnt die verborgene Kraft Gottes zu offenbaren, durch angemessene Schulung und Führung in der Wissenschaft von Shabd oder dem Wort.

Shabd (Dhun Atmak) ist das Wahre, Uranfängliche Wort, wie es Johannes in Seinem Evangelium lehrt. Es ist verantwortlich für die verschiedenen großen Aufteilungen, Einteilungen und Unterteilungen des Universums, von der Höchsten Spirituellen Region bis hinunter zur physischen Welt, in der wir leben. Von Gott ausgehend, bewirkt der Geistesstrom die Wunder der Schöpfung und erhält und überwacht sie bis ins kleinste. Die Praxis des Tonstromes, wie sie durch die Meister zu allen Zeiten und in allen Ländern gelehrt wurde, ist die Höchste Religion und überträgt den Höchsten Segen - nämlich die Befreiung von der Knechtschaft des Gemüts und der Materie während der Lebenszeit. Doch die Verbindung mit Shabd kann nur durch die Gnade eines Meisters des Tonstroms hergestellt werden und nicht anders.

Shamaz-i-Tabrez, ein Moslem-Heiliger, spricht von Shabd wie folgt:

Es kommt ein Ton (Nida), weder von innen noch von außen, weder von rechts, noch von links; nicht von hinten und nicht von vorne; Er kommt weder von unten, noch von oben, nicht von Osten und nicht von Westen; Er besteht auch nicht aus Elementen, wie Wasser, Luft, Feuer, Erde und dergleichen. Woher kommt Er dann? Er kommt von dem Ort, nach dem du suchst. Wende dich dem Ort zu, von wo der Herr in Erscheinung tritt. Von wo ein ruheloser Fisch, der nicht im Wasser ist, Wasser erhält, um darin zu leben; von dem Ort, an dem Prophet Moses das Göttliche Licht gesehen hat; von dort, woher die Früchte die sie zur Reife bringende Einwirkung erhalten; von dem Ort, an dem Steine in Juwelen verwandelt werden; von dem Ort, dem sich selbst der Ungläubige in der Not zuwendet; von dem Ort, nach dem alle Menschen Ausschau halten, wenn sie diese Welt als ein Jammertal erkennen. Es ist uns nicht gegeben, diesen gesegneten Ort zu beschreiben. Er ist ein Ort, an dem Selbst die Ketzer ihre Ketzerei lassen.

Wahrlich, Shabd kommt aus der Richtung, in welche die Seele zu gehen hat. Ohne Shabd bleibt sie völlig hilflos im Dunkel.

Ohne die Hilfe von Shabd wandert die Seele in blinder Unwissenheit umher und findet keinen Ausweg.

Kabir

Alle Weisen und Seher haben sich immer auf Shabd als das einzige Mittel zur Erlösung berufen. Aber man kann keinen Halt bekommen an der Lebensschnur des Tonstromes, ohne die Initiation in die esoterischen Lehren der Meister durch eine Kompetente, Lebende Meister-Seele zu erhalten und ohne den Prozess des Zurückziehens der Seele zu dem stillen Punkt im Körper, zwischen und hinter den Augenbrauen zu üben. Dieser reicht von der Peripherie des Lebens bis zum Zentrum des Lebens, und von hier aus schreitet die Seele, indem sie der Führung des Tonprinzips folgt, weiter in ihre gebürtige Heimat, die Wohnstatt Gottes, zu der Quelle und dem Ursprung der Göttlichen Melodie selbst.

Somit leitet uns Shabd zu einem vollkommen neuen Leben - dem Leben des Geistes, als verschieden vom Leben des Fleisches. Auch Christus lehrte von diesem neuen Leben, das unsere christlichen Brüder im Verlaufe der Zeit vergessen haben.

Johannes sagt in Seinem Evangelium:

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Lass dich’s nicht wundern, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden.

Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fähret. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.

Johannes 3:3,5-8

Im Buch von Hesekiel lesen wir:

Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben, und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen, und euch ein fleischern Herz geben.

Hesekiel 36:26-27

Dieses neue Leben des Geistes beginnt am Tag der Initiation in die Mysterien des Geistes, man mag es nennen, wie man will: Deekshit, wie die Hindus; Baet, wie die Moslems; Taufe, wie die Christen, und Pahul wie die Sikhs. Die vedischen Seher nannten es Duey Janama, was buchstäblich die zweite Geburt bedeutet. Das Leben des Geistes beginnt nicht durch theoretische Erklärungen der Spirituellen Wissenschaft, sondern mit einem praktischen Beweis auf der Spirituellen Ebene des offenbarten Geistesstromes. Hier wird der unsichtbare und unhörbare Lebensstrom dem Geist im Innern sichtbar und hörbar und verwandelt den Atheisten in einen Theisten im wahren Sinne des Wortes. Er überträgt den Lebensimpuls und lässt ihn in jeder Pore des Körpers pulsieren. Diese Rückkehr der Seele zur Verwirklichung ihrer Wahren Natur und das Aufsteigen ins Universale oder Kosmische Bewusstsein jenseits der Schranken der Endlichkeit, ist die Wahre Auferstehung oder die Erfahrung einer neuen Geburt und eines neuen Lebens. Im Körper zu sterben während des Lebens heißt zu leben im Geiste.

Der Heilige Paulus sagt:

Ich bin mit Christo gekreuziget. Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.

Galater 2:20

Das Leben des Fleisches und das Leben des Geistes sind zwei gänzlich verschiedene und getrennte Dinge, von denen eines das andere ausschließt.

Darum heißt es:

Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Matthäus 10:39

Guru Nanak sagt darüber:

Die Geburt im Meister befreit einen vom Zyklus der Seelenwanderung.

Guru Nanak, Ramkali M1

Die Moslems nennen dies Fana-fil-Sheikh oder Tod im Meister, was das Gleiche ist wie Geburt im Meister, denn dieser Tod ist der Beginn eines neuen Lebens.

So nimmt uns Shabd aus der Unwissenheit heraus, welche sowohl Gemüt als auch Materie kennzeichnet; reinigt uns durch und durch und erweckt uns zu neuem Leben – dem Leben des Geistes, welches unwandelbar und ewig ist, da man dann ein für allemal vom Körper und den körperlichen Bindungen losgelöst ist und die neue Welt ohne die Hilfe der äußeren Augen sieht.

Die Verbindung mit dem Alles-durchdringenden Wort des Meisters ist die Höchste Tugend, und bringt einen in seine gebürtige Heimat, um das Elixier des Lebens zu trinken und die neue Welt ohne Hilfe der äußeren Augen zu sehen.

Guru Ram Das, Nut M4

Die frühen Morgenstunden sind die beste Zeit für die Praxis des Tonstromes, denn dann ist man frisch durch die nächtliche Ruhe, und die Gedanken sind noch nicht bei der täglichen Routine des physischen Lebens.

In den frühen Morgenstunden, verbinde dich mit dem Wort, alle Bindungen beiseite lassend. Nanak würde es mögen der Sklave Seines Sklaven zu sein, welcher sich auf das Wort eingelassen und gewonnen hat, was in der Welt verloren ist.

Guru Nanak, Parbhati M1

Zur ambrosischen Stunde der frühen Dämmerung verbinde dich mit dem Göttlichen Wort und meditiere über Seine Herrlichkeit.

Jap Ji, Strophe 4