Kapitel I

Was Simran ist

Jedermann auf der Welt übt Simran auf die eine oder andere Weise. In der Tat kann niemand ohne Simran etwas tun. So denkt zum Beispiel eine Hausfrau immer an die Bedürfnisse ihrer Küche, wie Mehl, Hülsenfrüchte, Gewürze usw., damit nichts von diesen Dingen ausgeht. Und sie denkt an Rezepte für neue Gerichte und Delikatessen. Ebenso denkt ein Bauer immer an das Pflügen des Ackers, das Durchfurchen desselben, das Aussäen der Saat, an Ernten und dergleichen mehr; außerdem an das Vieh und das Futter. Ein Ladenbesitzer ist in seinen Gedanken bei seinem Warenbestand und eifrig darauf bedacht, die Preise der Waren, mit denen er handelt, zu erhöhen oder zu senken, und er denkt daran, wie er den größten Profit aus seinem Geschäft ziehen kann. Ein Schulmeister wiederum träumt von seiner Schule, seinen Klassen, Schülern und Lektionen, von all dem, auf das seine Aufmerksamkeit gerichtet ist. Ein Bauunternehmer ist andererseits von den Problemen der Arbeit, des Materials und der verschiedenen Bauvorhaben ganz in Anspruch genommen.

So verweilt jeder von uns dauernd bei der einen oder anderen Sache. Diese enge Verbindung hinterlässt einen Eindruck im menschlichen Geist, der im Laufe der Zeit unauslöschlich wird und zur vollständigen Identifizierung von Subjekt und Objekt führt – und darum heißt es: Wie du denkst, so wirst du oder Wo der Geist ist, dort bist auch du, und es hat dabei nichts zu sagen, wo das physische Ich ist. Da dies tatsächlich der Fall ist, nehmen Sich die Heiligen auf dem Wege des geringsten Widerstandes des Menschen an.

Da keiner ohne Simran auskommen kann, versuchen die Heiligen, eine Art des Simran durch eine andere zu ersetzen. Sie setzen an die Stelle des Simran der Welt, der weltlichen Beziehungen und Belange, einen Simran der Namen Gottes oder das Wort. Wie Ersterer zur Zerstreuung des Gemüts führt, führt der Letztere himmelwärts, führt zum Frieden des Gemüts und zur Befreiung der Seele. Drei bis vier Stunden täglich waren als Minimum für Simran anempfohlen, doch es soll allmählich erhöht werden.

Die Meister sind niemals auch nur für einen einzigen Augenblick ohne Simran. Da er ein ausgesprochen mentaler Vorgang ist, denn er muss mit der Zunge des Gedankens geübt werden, kann keine auch noch so große körperliche Arbeit oder Handarbeit störend einwirken. Im Laufe der Zeit wird es dann automatisch wie das Ticken einer Uhr und hört die ganzen 24 Stunden nicht mehr auf. Während die Hände mit der Arbeit beschäftigt sind, ruht der Geist in Gott.

Ich gebe nun einige Einzelheiten über die vorgeschriebene Anwendung von Simran oder der Wiederholung des Namen Gottes bekannt:

  • Alle Menschen sind auf die eine oder andere Art mit Simran beschäftigt. Einige üben Simran mittels einer Perlenschnur, genannt Rosenkranz. Bei dieser Art des Simran kann man keine ungeteilte Aufmerksamkeit haben, denn während man Simran übt hat man die Perlen mit den Fingern abzurollen und zur Vervollständigung jeder Runde des Rosenkranzes die Hauptperle umzudrehen. Auf diese Weise erzielt man keine rechte Hingabe, ohne die jedoch nichts gewonnen werden kann. Bei dauerndem Üben rollen die Finger die Perlen automatisch weiter, während das ungezügelte Gemüt herumstreift. 

    Dies ist der Grund, dass die Meister-Seelen immer auf den mentalen Simran Nachdruck legen, oder auf einen, der mit der Zunge des Gedankens ausgeübt wird. Denn nur der Simran ist von Nutzen, der mit konzentrierter Aufmerksamkeit ausgeführt wird.

  • Weiter gibt es Menschen, die Simran mit der Zunge üben. Diese Art von Simran ist auch nicht besser als die vorher genannte, die mit Hilfe des Rosenkranzes geübt wird. Hier bewegt sich die Zunge im Mund, indes der Geist die ganze Zeit umherschweift.

Wenn der Pfad zur Wahrheit oder zum Höchsten Geist im menschlichen Körper liegt, können alle Handlungen und Taten, die die Aufmerksamkeit auf sich lenken und nach außen ziehen, nichts Gutes bewirken. Es ist ein Innerer Prozess und man hat sich infolgedessen nach Innen zu wenden. Man muss das Gemüt zur Ruhe bringen, bevor das Licht Gottes – das Schattenlose Licht, das unerschaffen ist und dergleichen es niemals auf Land oder Meer gibt – darin widergespiegelt werden kann.

  • Eine andere Art Simran ist die, welche mit der Atmung, beim Aus- und Einatmen der lebenswichtigen Luft, geübt wird. Dies bringt nur vorübergehende Ruhe und ist nicht von großem Wert.

Jede der oben genannten Praktiken hat der Reihenfolge nach mehr Wirksamkeit als die vorhergehende, aber keine von ihnen ist in sich wirksam genug, wenn sie nicht mit ungeteilter Aufmerksamkeit ausgeführt wird. Der Mensch kann für eine Weile etwas Ruhe erlangen, aber keine von ihnen kann dem Geist helfen, sich zurückzuziehen und sich auf den Sitz der Seele hinter dem Zentrum der beiden Augenbrauen zu konzentrieren.

Die Meister-Seelen aller Zeiten und aller Himmelsgegenden sind deshalb der Sache auf den Grund gegangen – der Entdeckung des Selbst, genannt Atma-Sidhi, der Erfahrung des Unwandelbaren, jenseits von Zeit, Raum und Kausalität – etwas Feinerem, Höherem, Edlerem, Reinerem und Mächtigerem in der ganzen Schöpfung, und haben einen Simran der Höheren Ordnung anempfohlen. Einer, der geistig, auf Göttlichem Boden, an der Schwelle von Gottes Tür geübt wird, von dem Christus sagt:

Klopfet an und es wird euch aufgetan.

In Hinsicht auf eine zielbewusste Aufmerksamkeit sagt das Evangelium:

Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein.

Dieses Auge wird im Sanskrit Shiv-Netra genannt, oder Dev-drishti. Die Mohammedaner nennen es Nukta-i-Sweda. William Wordsworth, ein großer Dichter der Romantik und Hofdichter seiner Zeit, nennt es Inneres Auge.

Die Moslem-Heiligen teilen Simran oder Zikr in fünf Kategorien ein:

  1. Zikr-i-Lassani oder Zikr mit der Zunge ausgeführt. Dieser wird auch Kalma-e-Shariet oder Nasut genannt.

  2. Zikr-i-Qalbi, durch Pranayama oder Atemkontrolle am Sitz des Herzen geübt. Sie nennen dies Habas-i-dam und auch Kalma-i-Tariqat oder Malqut.

  3. Zikr-i-Ruhi wird mit voller Aufmerksamkeit geübt und ist bekannt als Kalma-i-Marefat oder Jabrut.

  4. Zikr-i-Siri leitet zum Sitz oder dem Geheimnis der Wirklichkeit. Er wird Kalma-i-Haqiqat oder Lahut genannt.

  5. Zuletzt Zikr-i-Khaffi, der die geheime Tür aufschließt. Er wird auch Hahut genannt.

Maulana Rumi – ein Moslem-Heiliger, betrachtete, wenn Er von Zikr oder Simran sprach, allein den Zikr der Höchsten Art, der bei der Inneren Offenbarung der Wahrheit hilft, nämlich Zikr-i-Ruhi, im Gegensatz zu Zikr-i-Lassani.

Der Rishi Sandilya sagt uns in Seiner Upanishad, dass Bekhri Simran, der mit der Zunge geübt wird ganz gut sei, dass aber Upasu, mit ruhigem Atem geübt besser wäre; doch der beste sei Manski, im Geiste mit der Zunge des Gedankens geübt, er übertrifft sie alle.