Herz zu Herz Gespräche – XXVIII

17. Dezember 1970

Morgen-Darshan / Rajpur

Frage: Meditierst du immer noch?

Kirpal Singh: Angenommen ich sage ja oder nein, was hilft es dir? Ein Schauspieler spielt seine Rolle, ob auf der Bühne oder sonstwo – überall, sein ganzes Leben lang. Seine Rolle ist ihm zur Natur geworden. Wenn du dich entwickelst, würdest du dann nicht gerne ins Meer der Unsterblichkeit eintauchen? Selbst im Äußeren ist die innere Vision des Meisters hellwach. Selbst während seiner alltäglichen Beschäftigungen erfreut er sich dessen. Das kommt, wenn die Zeit reif ist.

Ramakrishna Paramhansa, der Meister von Swami Vivekananda, nahm einst einen Teller Honig und sagte: Sieh, Vivekananda, wenn du eine Biene wärest, von welcher Seite würdest du von diesem Honig nippen? Er antwortete: Vom Rande aus. – Warum? fragte Ramakrishna. Ich hätte Angst, meine Flügel könnten sich verkleben und ich würde ertrinken, antwortete ihm Vivekananda. Ramakrishna meinte daraufhin: Es ist ein Meer der Unsterblichkeit. Stürze dich kopfüber hinein, du wirst nicht ertrinken. Ihr müsst diese Betrachtungsweise entwickeln. Der Mensch ist im Werden, doch das ist das letztendliche Ziel. Auch ich würde mich gerne von außen abschließen und mich nur daran erfreuen, doch ich bin nur eine Marionette, durch die Gottes Hand wirkt. Seine Gnade wirkt. Ich freue mich also daran, und gleichzeitig macht es mir Freude, euch zu lehren.

Versteht ihr, was ich sagen will? Auch wenn ihr nur wenige Minuten habt, taucht ein. Alles ist ein Meer der Berauschung. Gibt es irgendeinen Ort, an dem Gott nicht ist? Ihr sagt vielleicht, alles ist Seine Erscheinung. Alles kam durch Sein Wort ”Ich bin Einer und möchte viele werden” ins Sein. Deshalb ist alles Sein Ausdruck. Wenn das innere Auge offen ist, bringt euch das natürlich Freude.

Ein Fisch ist im Wasser und fragt: Wo ist Wasser? Es wird ihm bewusst, dass er im Wasser ist. Seine Existenzgrundlage ist das Wasser. Darf ich euch ein Beispiel geben? In der Luft gibt es so viele Insekten, die ihr nicht sehen könnt, weil sie winzig klein und fast durchsichtig sind. Wenn ihr jedoch durch ein Mikroskop schaut, das 700fach vergrößert, könnt ihr die winzigen Wesen, die so für uns nicht sichtbar sind, als Insekten erkennen.

Wenn euer inneres Auge offen ist, seht ihr Ihn außen und innen. Das ist bei jedem so, dessen innere Schau geöffnet ist. Ihr seht das Licht innen und außen – alles ist der Ausdruck Gottes. Alles ist ein beständiges klingendes Strahlen. Strahlung, die ein Klingen hervorbringt – tönende Strahlung. Ihr werdet leben wie ein Fisch im Wasser und euch selbst an den äußeren Dingen erfreuen. Das ist natürlich das letzte Ziel. Aber es erwartet jeden von euch. Ihr müsst nur ein wenig dafür tun, das ist alles.

Sogar wenn ihr arbeitet, erfreut ihr euch dessen – so wie ihr mit einem Mikroskop winzige Formen erkennt. Wenn euer Einzelauge geöffnet ist, seht ihr innen und außen. Wir sind alle Kinder des Lichts. Wir haben uns nur so sehr mit den äußeren Dingen identifiziert, dass wir uns selbst vergessen haben. Seit undenklichen Zeiten identifizieren wir uns mit den äußeren Dingen. Jetzt ist es an der Zeit, sich darüber zu erheben, selbst wenn es nur der erste Schritt ist. Wir sind Licht, und das Äußere ist ebenfalls Licht, doch verdichtetes Licht, könnte man sagen – falls ihr das verstehen könnt. Ihr werdet es herausfinden. Seltsam genug, Er ist in uns, aber wir wissen es nicht.

Jemand fragte einst einen Meister: Gibt es Gott und wenn ja, wo ist Er? Er entgegnete: Gibt es einen Ort, an dem Er nicht ist? Alles ist Sein Ausdruck. Der vollendete Mensch sieht Ihn in allem und alles in Ihm. Er erfreut sich an dem Leuchten, dem Klingen und Strahlen.

Das Ideal ist also, ein vollendeter Mensch zu werden. Wir sind eigentlich schon Menschen, aber wir haben es vergessen. Wir haben uns mit dem Äußeren so identifiziert, dass wir uns selbst darüber vergessen haben. Ihr seid Prinzen, ihr seid Söhne Gottes, ihr seid Mikro-Götter, ohne Zweifel. Solange ihr jedoch keine verwirklichte Seele seid, sollt ihr andere nicht beeinflussen. Ihr würdet sie sonst in die Irre führen. Gott offenbart sich im Meister, aber dieser sagt nie: 'Ich bin Gott.' Er sieht und er hilft den anderen, das zu erkennen. Er gibt uns etwas, mit dem wir beginnen können. Wir müssen es tagtäglich weiterentwickeln.

Diese Kraft verlässt uns nie. Wir schwimmen in Ihr. Das ist das wahre Leben, ebenso wie Wasser das wahre Leben des Fisches ist. Wenn ein Kind zu lesen beginnt, lernt es anfänglich nur A-B-C, dann erst lernt es, die Buchstaben zu verbinden und Worte zu lesen, schließlich lernt es ganze Zeilen, jeden Tag mehr. An manchen Tagen erinnert es sich daran, am nächsten Tag vergisst es wieder, dann erinnert es sich erneut. Wenn das Kind die Sache beherrscht, dann spricht es. Als ich noch sehr klein war, hielt einmal ein Mann einen Vortrag. Ich sah ihm ins Gesicht und dachte, woraus liest er das? Heute weiß ich, dass das ganz normal war. Doch ein kleines Kind wundert sich, wie das sein kann. Der Meister ist am Werk, er bringt das eine ans Tageslicht und bereinigt das andere. Er ist da. So ähnlich ist es, versteht ihr. Das kann man nur in der Gemeinschaft eines Meisters lernen.

Über wie viele Dinge kann man etwas schreiben? Die wesentlichen Dinge, die Kernpunkte werden durch Bücher vermittelt. Doch die physische Gegenwart des Meisters bringt zu unserer Freude hundertmal mehr, als ein Buch geben kann.

Wie könnt ihr es aufnehmen? – Sitzt schweigend bei ihm. Habt Stille im Herzen und im Gemüt. Lasst keine komplizierten Überlegungen, keine Gedanken in euch aufkommen. Seid still. Dann bekommt ihr es und lernt vieles durch die Ausstrahlung. Es ist eine Frage der Empfänglichkeit. Ihr seid ebenso gut wie ich, es ist dieselbe Kraft in euch, nur habt ihr eure Aufmerksamkeit noch nicht auf sie gerichtet. Ein Heiliger sagte: Wie lange noch wollt ihr im Müll und Schutt spielen? – Ihr seid Prinzen. Es geziemt sich nicht, dass ihr euch in den Straßen herumtreibt und euch nur am Abfall erfreut. Jetzt ist die Zeit gekommen. Das Leben im menschlichen Körper bietet die Möglichkeit, Gott zu erkennen.

Frage: Wenn ich in den letzten paar Tagen mein Tagebuch ausfüllte, kam es mir vor, als hätte ich nicht viel einzutragen. Doch ich spüre, dass das nicht möglich sein kann. Wahrscheinlich forsche ich nicht streng genug nach.

Kirpal Singh: Ich denke, es ist gut wenn du nichts mehr findest. Was willst du mehr? Wenn es nichts einzutragen gibt, dann ist das gut. Fahre dennoch fort, dich selbst zu prüfen. Später brauchst du es nicht mehr. Solange wir auf dem Weg sind, ist es noch notwendig, denn hin und wieder schleicht sich etwas ein.

Frage: Wenn du 'Selbstüberprüfung' sagst, dann meinst du, den Tag über alles zu überprüfen, was wir tun, und dabei zu erkennen, was wir tun.

Kirpal Singh: Achte darauf, ob du Liebe für alle empfindest, nicht verhaftet bist, niemandem übel willst. Wenn eure Worte nicht hart sind, werdet ihr niemanden verleumden, niemanden beschimpfen, niemanden schlagen, niemanden täuschen. Ihr werdet Gott in jedem Menschen fühlen und sehen. Alle sind rein, ihr werdet Ihn in jedem sehen, ihr werdet jeden lieben, es wird keinen Hass geben. Wenn ihr dem Menschen dient, dient ihr Gott. Das müsst ihr erreichen.

Das Tagebuch ist ein Segen für alle. Zuerst wächst die Zahl der Fehler. Lasst euch davon nicht abschrecken. Sie werden nicht mehr, sondern ihr werdet euch eurer Fehler mehr bewusst. Macht euch darüber keine Gedanken. Vielleicht findet ihr hunderte. Merzt sie aus. Wenn alle Fehler ausgerottet sind werdet ihr euch glücklich und rein fühlen. Ihr werdet euren eigenen Körper küssen. Er ist der Tempel Gottes. Gesegnet sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Reinheit heißt, nur an Gott zu denken. Dies ist die wahre Reinheit. Was ist Reinheit? Nicht nur Keuschheit, sondern auch, niemandem übel wollen, niemanden hassen. Betrügt niemanden, nehmt anderen nicht ihre Rechte. Wenn ihr liebt, kommt das alles von selbst. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Liebe und Nächstenliebe. Liebe erzeugt manchmal Verhaftung. Ihr seid gebunden, ihr seid gefangen. Wie ist es dagegen mit der Nächstenliebe? Das ist der Unterschied zwischen beiden. Versteht ihr jetzt, was Reinheit bedeutet? Wenn einer ein reines Herz hat, wird er keinen anderen Gedanken haben als Gott. Beim Essen, Trinken, Schlafen, wo er auch ist. Das ist der letzte Schritt. Dann werdet ihr die klingende Strahlung wahrnehmen. Sie ist bereits vorhanden, aber solange die Wellen sich im Gemüt kräuseln – im Sammelbecken des Gemüts – könnt ihr euer Gesicht nicht sehen. Seid ihr still, dann erkennt ihr in Ihm euer Gesicht. Das solltet ihr euch merken. In Büchern findet ihr das nicht so deutlich.

In den Worten der Meister liegt große Schönheit: Gesegnet sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Reinheit bedeutet, dass innen kein anderer Gedanke als der an Gott aufkommt. Das ist Reinheit, wahre Reinheit. Solange es noch etwas anderes gibt, ist das unzureichend, ist es Dualität.

Frage: Meister, ich habe von verschiedenen Aspekten deines Lebens von deiner Kindheit an gehört. Alles scheint vollkommen zu sein, als ob es nötig wäre, das ganze Leben über vollkommen zu sein, um Gott zu erreichen.

Kirpal Singh: Liebe verschönt alles. Wenn du mit den Augen der Liebe schaust, wird alles schön. Sogar das Dunkel wird dir schön erscheinen. Doch der Mensch ist im Werden. Einige kommen vollendet, einige werden hier vollendet. Dieses Los erwartet jeden. Jeder Heilige hat seine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft.

Wenn ihr ausschließlich an Gott denkt – sagen wir ein paar Tage lang – werdet ihr den Segen spüren. Wenn ihr esst, dankt Gott dass ihr euch Seiner erinnert. Wenn ihr schlafen geht, denkt: Ich lege mich in Deinen Schoß. Ihr braucht die Welt nicht zu verlassen oder in die Wüste zu gehen. Aus der Ferne und mit zynischer Einstellung werdet ihr es nicht lernen. Das ist der Grund, weshalb es selbst im Leben sehr großer Rishis Fehlschläge gab. Eine Kobra oder eine Schlange ist harmlos, doch was geschieht, wenn ihr sie ärgert?

Frage: Du erwähntest gerade eine Kobra. Ich lebe nahe an einem Fluss und oft kommen Ratten ins Haus. Ich würde sie gerne loswerden, ohne sie zu töten, aber ich weiß nicht wie. Muss ich sie töten?

Kirpal Singh: Ihr habt das physische Leben erhalten. Halte dich an die Vorschriften der Gesundheitsbehörde. Wenn zum Beispiel Ratten kommen, fressen sie eure Ernte, oder? Hast du viel, dann gib ihnen etwas davon. Ratten hamstern nicht, sie wollen nur wenig. Sie haben kein Lager, wo sie Nahrung sammeln. Versuch es ein paar Tage lang. Streue draußen einige Körner an einen bestimmten Platz. Dann kommen die Ratten nicht mehr in deine Wohnung, sondern dorthin. Sie müssen fressen. Kaufen, borgen oder stehlen, was soll man da tun? Nicht wahr? Du teilst nicht mit ihnen. Sie sind unsere jüngeren Brüder, Ratten und Reptilien, alle. Wir müssen entsprechend leben. Gebt ihnen etwas, sie werden euch nichts tun. Doch wir haben Vorbehalte, wir mögen sie nicht, wir töten sie, das ist der Grund. Trotzdem werden sie kaufen, borgen oder stehlen, das ist alles.

Frage: Wir haben Feuerameisen, kleine Ameisen, die sehr schlimm beißen. Sie sind über den ganzen Garten verbreitet. Ich muss sie vergiften.

Kirpal Singh: Halte dich an die Vorschriften der Gesundheitsbehörde. Sie ist dafür zuständig. Um des Höheren willen muss man kleine Dinge opfern. Selbst zu atmen ist eine Sünde. Wir töten dabei viele Insekten aus der Luft. Ihr zertretet so viele mit euren Füßen. Wie könntet ihr je aufgrund eurer Taten gerettet werden? Das kann nur die Gnade. Tut euer Bestes und lasst das Übrige. Schadet niemandem absichtlich, das ist alles.

Wenn ihr Gott finden wollt, ist die erste Bedingung, dass ihr niemandem ein Leid zufügt. Leid entsteht durch Gedanken, Worte und physisches Handeln. Das ist sehr einfach. Wir haben es nur so schwer verständlich gemacht.

Was Hornissen betrifft: Wenn ihr für sie gesonderte Nahrung im Freien bereithaltet, fliegen sie dorthin und kommen nicht in eure Wohnung. Weil wir nicht teilen, wirkt das gleiche Prinzip. Sie tun ihr Bestes. Wie können sie ohne Nahrung leben? Es ist ein Jammer. Diese Geschöpfe sind alle Mitglieder der Familie Gottes, einige stehen tiefer, andere höher. Wenn ihr sie liebt, werden sie euch auch lieben.

Jemand erzählte mir gerade, letzte Nacht ging ein Mann aus dem Dorf nach Manav Kendra. Unterwegs bellte ihn ein Hund an und biss nach ihm. Er schrie, aber in der Wildnis dort hörte ihn niemand. Da rief er meinen Namen: O Meister, rette mich. Der Hund ließ von ihm ab. Selbst Hunde haben einen Sinn für das Höhere. Warum nicht der Mensch? Dies berichtete ein Mann, der eine halbe Stunde lang um Hilfe schrie. Wegen der großen Entfernung konnte ihn niemand hören. Ich habe darum gebeten, von heute an dort nachts eine Wache aufzustellen. Er rief jedoch laut nach dem Meister, und der Hund ließ von ihm ab. Hunde empfinden auch etwas. Wir sind alle Brüder und Schwestern, von den Reptilien bis zum Menschen. Sie sind die jüngeren Brüder in der Familie. Schließlich sagen wir: Friede sei auf der ganzen Welt, nach Deinem Willen, o Herr.

Im Jahre 1948 lebte ich auf der anderen Seite des Ganges, im Dschungel. Dort gab es sehr große Skorpione. Sie kamen in Scharen, doch sie taten mir nie etwas. Auch sie empfinden etwas. Warum sollte dann ein Mensch nichts empfinden?

Versteht ihr, was ich sage? Es ist sehr einfach. Es sind keine Philosophien, keine Schlussfolgerungen, sondern harte Tatsachen. Um die Wahrheit zu sagen: Gesegnet sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Sie werden Gott schauen. Doch wo? – innen und außen. Er ist bereits da, ihr braucht Ihn nicht erst zu erschaffen. Wir müssen nur das innere Auge öffnen, um Ihn zu sehen, um Ihm zu begegnen. Er ist da, doch wir haben Ihn vergessen. Ihr könnt eure Göttlichkeit täglich wiedergewinnen.

Der Faktor der Zeit ist notwendig. Jeder Mensch ist im Werden. Einige kommen schon vollendet. Auch sie werden zu Heiligen. Andere werden hier vollendet. Wenn jemand den Doktortitel hat, kann er als Doktor in eine andere Abteilung versetzt werden, unabhängig davon, ob er den Titel nun hier oder früher an einem anderen Ort erhalten hat. Das spielt keine Rolle, er ist ein Doktor.

Vorträge bringen uns nicht so viel. Diese Herz zu Herz Gespräche bringen euch mehr. Nehmt sie in euch auf.

Erfreut euch eurer Meditationen während des Tages. Es ist schon 9:30 Uhr Die Zeit fliegt davon. Gott segne euch alle.