IV / I

Der natürlichste Weg

Ich nehme meinen Vortrag vom gestrigen Abend wieder auf. Es wurde gesagt, dass wir hier sind, um die Lehren Christi und anderer Meister, Die in der Vergangenheit gekommen waren, zu verstehen und eine umfassendere und angemessenere Kenntnis über sie zu erlangen. Sie lehrten die Wahrheit in einfacher, ungeschminkter Weise, die jeder verstehen kann.

Dieses Thema bezieht sich auf die praktische Wissenschaft der Seele, die alle ausüben und erfahren sollen. Auch wenn ein Kind auf den Weg gestellt wird, kann es die Dinge selbst sehen. Es ist kein Gegenstand verstandesmäßiger Erörterungen, es erfordert eine Ersthand-Erfahrung; denn Sehen heißt glauben, und selig sind, die da sehen. Wahre Religion beginnt mit dem Öffnen des Inneren Auges, um das Licht Gottes zu sehen, und des Inneren Ohres, um die Stimme Gottes zu hören. Zu diesem Ergebnis kamen wir am gestrigen Abend. Darüber, wie das Innere Auge und das Innere Ohr geöffnet werden können, wurden Stellen aus der Bibel und anderen Heiligen Schriften angeführt. Die Wahrheit ist Eine, und der Weg zu ihr ist auch Einer. Ihr werdet diese übereinstimmenden Gedanken in fast allen Schriften finden, die uns heute zugänglich sind.

Zum Öffnen des Inneren Auges und Inneren Ohres ist eine moralische Veredelung von höchster Bedeutung. Ethisches Leben ist ein Sprungbrett zur Spiritualität. Die rechte Lebensführung ermöglicht erst den Spirituellen Fortschritt.

Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Reinheit des Herzens ist für einen Pilger auf dem Pfad sehr notwendig, denn ohne sie kann man nicht das Licht Gottes sehen und die Stimme Gottes hören. Davon sprechen alle Schriften. Die Bergpredigt ist sehr deutlich in diesem Punkt. In ihr befasst Sich Jesus mit den Lebenswahrheiten. Hinweise auf das Einfältige Auge, das inwendige Reich Gottes usw. beziehen sich auf das Innere Leben. Das Innere und das Äußere hängen eng zusammen. Jesus hat Sich mit beiden Aspekten des Lebens befasst: mit dem äußeren wie mit dem Inneren. Wir müssen darum Schritt für Schritt vorgehen.

Auch Buddha legte großen Nachdruck auf die rechte Lebensweise und verkündete Seinen Anhängern den Achtfältigen Pfad der Rechtschaffenheit. In der Tat äußerte Er niemals ein Wort über Gott, da Er wusste, dass die Gotterfahrung unausbleiblich ist, wenn einmal der Boden bereitet war. Dasselbe tun auch die Hinduschriften kund.

Kürzlich kam mir ein Buch in die Hände, das mir ein buddhistischer Gelehrter brachte. Der Autor suchte aufzuzeigen, dass Jesus Christus die Lehren Buddhas nicht unbekannt waren. Dies ist eine Sache für die Forschung, nicht zur Diskussion. Jedenfalls stimmen die christlichen Lehren mit denen Buddhas weitgehend überein, und dies so sehr, dass sie gewissermaßen gleich zu sein scheinen.

Wie vorher gesagt, geht ein ethisches Leben dem Spirituellen voraus. Es besteht in einer rechtschaffenen Lebensweise, die den höchsten Idealen geweiht ist, nämlich:

  1. Keuschheit oder Reinheit in Gedanken, Worten und Taten, denn Keuschheit ist Leben, und Sich-gehen-lassen der Tod;

  2. Universale Liebe oder Liebe für alle lebenden Geschöpfe, wodurch sich das Selbst ausdehnt und die Gesamtheit des Seins voll und ganz zu umfassen sucht.

  3. Selbstloser Dienst oder Dienen vor Eigennutz, das aus dem großen Reservoir der Gottesliebe kommt, die fürwahr die Quelle und der Ursprung des Lebens ist;

  4. Liebe und Dienen führen natürlich zu Ahimsa oder Nichtschädigen, auch in Gedanken und Worten, von Taten ganz zu schweigen;

  5. Wahrhaftigkeit, die sich als ein natürlicher Höhepunkt aus dem bereits Gesagten ergibt, denn dann beginnt man, zu sich selbst wahr zu sein. Über die Wahrhaftigkeit oder Wahre Lebensweise sagt Guru Nanak: Die Wahrheit ist höher als alles andere, aber noch höher ist die Wahre Lebensweise.

Dies sind also die fünf Haupttugenden oder fünf Aspekte ethischen Lebens, und sie bahnen vor allem anderen den Weg zu Gott. In Seinen Seligpreisungen spricht Christus nachdrücklich von ihnen, denn Er Selbst war eine Verkörperung der Reinheit, Liebe und Wahrheit.

Nehmen wir an, ihr würdet sagen, dass ihr die höheren Spirituellen Ebenen erreicht habt, dass ihr das Sprachrohr Gottes seid, besitzt aber die Eigenschaften eines gewöhnlichen Menschen – wie könnte euch dann irgendjemand glauben?

Darum erklärt Nanak:

Die Wahre Lebensweise steht noch höher.

Wahre Lebensweise ist die Grundlage, um Spirituelle Erfahrungen zu haben, wie sie in den Schriften aufgezeichnet sind.

Alle früheren Meister waren die Kinder des Lichts. Wenn immer Sie kamen, brachten Sie das Licht der ganzen Welt. Sie waren nicht für eine Nation, für ein Land, für die eine oder andere Religionsgemeinschaft gekommen, sondern für die ganze Menschheit, um sie in die Heimat Ihres Vaters zurückzuführen. Alles, was Sie auf dem Gottesweg als hilfreich erkannten, zeichneten Sie in Ihren Schriften auf.

Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben,

sagte Jesus.

Wir haben all diese Schriften. Sie sind wahr und enthalten die Erfahrungen von der Wahrheit, die diese Meister in Ihrem Leben hatten. Wenn ihr sie genau untersucht, werdet ihr feststellen, dass sich Ihre Gedanken gleichen und stellenweise sogar die Worte ähnlich sind. Natürlich gebrauchten Sie verschiedene Sprachen, aber der Sinn war derselbe.

Wir müssen diese Schriften oder Heiligen Bücher verstehen. Aber wie? Das können wir nur zu den Füßen Derer, Die dieselben Erfahrungen hatten, wie sie in den Schriften beschrieben werden. Nehmt an, einige Leute kommen aus dem Ausland, um Philadelphia zu besuchen. In ihre verschiedenen Länder zurückgekehrt, berichten sie in ihrer jeweiligen Sprache, was sie gesehen haben. Wenn ihr nun die Berichte lest, wird euch auffallen, dass sie in den Grundzügen übereinstimmen; aber in gewissen Dingen können hinsichtlich der Einzelheiten Unterschiede bestehen – der eine gibt die vollständige Beschreibung einer bestimmten Sache, der andere lässt die Einzelheiten völlig weg. Wenn ihr Philadelphia selbst gesehen habt, werdet ihr in den verschiedenen Angaben keinerlei Widersprüche finden. Ist das nicht der Fall, werdet ihr vielleicht verwirrt, bestürzt und außer Stande sein, die Abweichungen der verschiedenen Berichte miteinander in Einklang zu bringen.

Ähnlich sind die uns verfügbaren Schriften Schilderungen der Reisen Jener, Welche den Inneren Weg gegangen sind, und Die berichten, wie Sie Sich über das Körperbewusstsein erhoben haben, was Sie auf dem Weg erfuhren, was Ihnen dabei half und was Ihren Fortschritt verzögerte. Die Beschreibung all dessen findet sich in den Heiligen Schriften. So weiß der Mensch, Der Selbst den Gottespfad beschritten hat, wovon diese sprechen, und Er kann sie uns erklären, indem Er in logische Übereinstimmung bringt, was den Neulingen auf dem Weg, die noch nicht gelernt haben, tiefer in den Sinn der Dinge einzudringen, als widersprüchlich erscheinen mag.

Zuletzt sprach ich zu euch über das Licht und die Stimme Gottes, die sich beide im Tempel Gottes befinden, der wir sind. Das würde ein Mensch der Erkenntnis sagen, denn Er hat es tatsächlich in Sich Selbst erfahren. Ganz anders wäre es bei einem Verstandesmenschen, der keine direkte Erfahrung von der Wirklichkeit hat. Trotz all seines Wissens und seiner Kenntnis der lediglich äußeren Formen und Bräuche, Riten und Rituale weiß er so gut wie nichts von Spirituellen Dingen und redet darüber entsprechend Seinen Erfahrungen auf menschlicher Ebene. Einer mit Innerer Erkenntnis jedoch beseitigt scheinbare Schwierigkeiten, gibt uns eine Erfahrung von der Wirklichkeit und vertreibt alle Zweifel; denn wenn man die Dinge wirklich selbst sieht, bekommt man eine tief wurzelnde Überzeugung, die sich aus der praktischen Erfahrung ergibt.

Christus sagt uns:

Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein.

Das Licht Gottes ist in jedem von uns und darum auch das Einfältige Auge. Aber wie man dieses entwickelt und wie wir das Licht Gottes bezeugen können, ist das Problem, welches wir in uns lösen müssen, und niemand außer einem Lebenden, Kompetenten Meister kann es für uns tun, Der wie Christus tatsächlich Selber eine lebendige Erfahrung davon hatte und sie uns durch eine untrügliche Erfahrung gleichfalls offenbart.

Alle Schriften berichten uns im günstigsten Fall von den Spirituellen Erlebnissen der Meister: was Sie im Inneren schauten und auf welche Weise. Jene, die nicht dieselben Erfahrungen gemacht haben, können uns die Schriften nicht einmal richtig erklären. Sie würden nur vom Hundertsten ins Tausendste kommen und den wichtigsten Teil nicht verstehen, denn es ist keine Sache intellektuellen Begreifens. Die Intellektuellen sammeln sich oft um die Meister und stellen Ihnen törichte Fragen. Und was sagt ihnen der Meister?

Einmal kamen einige studierte Leute zu Shamas-i-Tabrez, einem persischen Heiligen. Er sagte ihnen offen:

Meine Freunde, wenn ihr die Mitternachtssonne seht, seid ihr sehr willkommen. Wenn nicht, dann vergeudet weder eure noch meine Zeit.

Sie waren verwirrt. Was konnte Er mit der Mitternachtssonne meinen? Sie wandten ein:

Die Sonne ist nur tagsüber zu sehen, nicht bei Nacht!

Der Weise erwiderte:

Die Sonne, von der ich spreche, geht niemals unter; und nur diejenigen sehen ihre Pracht, deren Herzen rein sind.

Eine sehr ähnliche Begebenheit ist aus dem Leben Guru Nanaks, des indischen Mystikers, bekannt.

Eines Nachts erklärte Er, dass die Sonne am Himmel strahle. Seine Familie dachte, Er sei irrsinnig geworden. Als Sein geliebter Schüler Bhai Lena – Der als Guru Angad Seine Nachfolge antrat – zu Ihm kam, wiederholte Guru Nanak, was Er vorher bemerkt hatte:

Die Sonne strahlt am Firmament.

Und Bhai Lena sagte ohne Zögern:

Ja, mein Meister, so ist es.

– Wie hoch steht sie?,

war die nächste Frage, und Er antwortete sogleich:

So hoch, wie es Euch beliebt.

Diese Beispiele habe ich aus den Heiligen Büchern angeführt. Nun will ich euch einen ähnlichen Vorfall nennen, von dem ich selbst Zeuge wurde.

Mein Meister Baba Sawan Singh Ji fragte einmal während Seiner letzten Krankheit jene, die bei Ihm waren, ob die Leute in den Nachbarstädten die Sonne sehen könnten, die Er erblicke. Jedermann dachte, Er habe Seinen Verstand verloren, und der behandelnde Arzt, ein bekannter Schweizer Homöopath, erklärte, dass der Meister an Urämie leide, das heißt, Harngift Sein Gehirn angreife.

Als ich Ihn am Abend besuchte, lachte Er herzlich und stellte mir die gleiche Frage.

Sieh, die Sonne steht am Himmel. Sehen das auch die Leute, die an anderen Orten leben?

Ich antwortete:

Meister, die Entfernung ist unwesentlich. Ein Mensch mag in Amerika oder Europa sein; wenn er sich nach innen kehrte, würde er das Licht Gottes sehen.

– Das ist richtig,

sagte mein geliebter Meister.

Hinweise auf dasselbe Licht finden sich in der heiligsten Hymne der Veden, dem Gayatri Mantra. Sie spricht von Savitar oder der im Innern scheinenden Sonne und ermahnt die Frommen, sich dem alles in sich aufnehmenden Einfluss dieses strahlenden Himmelskörpers zuzuwenden. Aber wie viele von uns, die täglich dieses Mantra aufsagen, kennen seine Bedeutung und praktizieren jemals das, wovon die Veden sprechen?

Gott ist Licht, strahlender als das Licht unzähliger Sonnen zusammengenommen, ein Licht, das zugleich unerschaffen und schattenlos ist, sehr liebreich, sehr beruhigend, ein Licht, das nie auf Meer oder Land zu finden war. Es ist immer da. Doch weil wir auf der Sinnesebene den äußeren Dingen zugewandt sind, können wir Es nicht sehen. Um es wahrzunehmen, müssen wir uns nach Innen wenden und über das Körperbewusstsein erheben. Es muss somit praktiziert werden.

Eine Begebenheit im Leben Kabirs macht den Unterschied zwischen einem rein intellektuellen Menschen und einem solchen der Praxis sehr deutlich. Einmal kam ein gelehrter Pandit zu Ihm, um eine sinnlose Diskussion zu führen.

Der Weise wehrte ab und erklärte:

Mein kluger Freund, warum diskutieren, wenn wir niemals hoffen können, einer Meinung zu sein? Du sprichst von etwas, das du nicht gesehen, sondern worüber du nur gelesen hast; während ich von dem spreche, was ich gesehen habe.

Jesus Christus sagte einmal:

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: wir reden, was wir wissen, und zeugen, was wir gesehen haben.

Einer der Sikh-Meister sagte auch dasselbe:

Hört auf das Wahre Zeugnis der Heiligen, denn Sie sprechen von dem, was Sie gesehen haben.

Natürlich wird der Mensch, der die Wirklichkeit geschaut hat, sagen:

Ich habe sie gesehen und weiß, was sie ist!

Er spricht mit fester Überzeugung und Gewissheit. Es ist Kraft und Gewicht in dem, was er sagt. Wenn man erfahren hat, was er beschreibt, kommen die Worte aus der Überfülle des Herzens und haben dadurch ihre eigene Beweiskraft. Eine Atmosphäre der Sicherheit und Bestimmtheit geht von ihnen aus, die keinerlei Zweifel und Argwohn zulässt.

Kabir sagt weiter:

Ich sage den Menschen, dass sie von ihrem Schlummer aufwachen sollen.

Es bedeutet, dass wir schlafen. Aber wie? Tatsache ist, dass wir, was die Wirklichkeit im Innern anbelangt, schlafen, denn unser Inneres Auge ist noch nicht geöffnet, und wir haben das Licht Gottes nicht gesehen. Wir haben uns noch nie über das Körperbewusstsein erhoben, niemals das Einfältige Auge entwickelt, welches allein ins Jenseits dringt. Wir schlafen sozusagen innerlich und sind mit unserem Körper und den körperlichen Eindrücken identifiziert. Wir führen ein oberflächliches Leben auf der Sinnesebene. Aus diesem Grunde fordert uns Kabir auf, aus dem unheilvollen Bann der Sinne zu erwachen.

Auch die Veden sagen das:

Erwacht, erhebt euch und ruht nicht, bis das Ziel erreicht ist.

Dies heißt, dass sich unser Ziel woanders befindet und wir uns dessen nicht einmal bewusst sind; und dass es für uns hohe Zeit ist, davon zu erfahren und uns darum zu bemühen.

So sehen wir, dass auch die Rishis der alten Zeit die gleichen Worte wie Kabir gebrauchten.

Der fünfte Meister der Sikhs betont dasselbe:

Erwache, o Reisender, und eile deinem Ziel entgegen, das weit entfernt liegt!

Was für eine lange Reise haben wir vor uns! Und doch wissen wir nichts davon.

Wir beschränken uns die ganze Zeit über auf den physischen Körper und befassen uns nur mit ihm. Aber wir müssen die Wahre Heimat erreichen, die Heimat unseres Vaters. Wir müssen zuerst über das physische Bewusstsein gelangen. Von dort aus beginnt die lange Heimreise.

Der Weg ist schmal,

aber wenn ihr einmal auf ihn gestellt seid, müsst ihr ihn immer weiter gehen.

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Es gibt viele Ebenen und Unterebenen im Reich Gottes, die ihr eine nach der anderen zu durchqueren habt, ehe ihr eure Heimat erreicht. Das ist in der Tat das Letzte Ziel des menschlichen Lebens, und all unser Streben muss auf dieses gerichtet sein. Es bedeutet nicht, dass wir unsere Alltagspflichten vernachlässigen sollten. Es heißt nur, dass wir aus unserer Selbstgefälligkeit erwachen und nach und nach versuchen müssen, uns zur Wirklichkeit der Dinge zu erheben und dem Erkennen des Selbst in uns Zeit zu widmen. Dies kann unabhängig davon getan werden, wo wir sind, was wir sind, zu welcher Religion wir uns bekennen; vorausgesetzt natürlich, dass wir von einem Wirklichen Adepten auf diesem Gebiet die rechte Anleitung und geeignete Führung bekommen.

Das ist der Punkt, den Kabir in Seinem Gespräch mit den Pandits aufgriff:

Meine Freunde, ihr denkt, dass ihr Gott erreichen werdet, nur weil ihr Hindus seid. Aber das ist nicht genug.

Zweifellos ist Treue zu einer bestimmten Religion kein Hindernis, um ins Reich Gottes zu kommen. Alle Religionsgemeinschaften sind an und für sich gut und dienen auf ihre Weise einem sinnvollen Zweck. Doch jeder muss seine Erlösung selbst erarbeiten, kein anderer kann dies stellvertretend für ihn tun. Das Höchste Ziel, das alle Religionen anstreben, ist die Erlösung; aber die Mittel zur Erlösung liegen im Innern. Wir müssen den Weg zurück zu Gott beschreiten, und dieser Weg ist ein und derselbe für die ganze Menschheit – der Weg des Todes im Leben.

Alle Meister der Vergangenheit sprachen von diesem Weg, dem Weg sich einwärts zu wenden und nach Innen zu gehen. Wenn wir auf ihm fortschreiten und lernen, willentlich zu sterben – hundertmal am Tag wie es Kabir ausdrückt, oder mit den Worten eines christlichen Heiligen: Ich sterbe täglich, kann uns der Tod nicht schrecken, und wir werden nicht überrascht, wenn er kommt, und nicht im letzten Augenblick verloren gehen, sondern lächelnd die sterbliche Hülle ablegen und wie gewohnt weitergehen.

Sant Kabir erklärte dem Pandit außerdem:

Ich sage den Leuten, dass sie in der Welt bleiben und sich in die Einöde begeben sollen. Ich sage ihnen nur, dass sie dem Leben mutig ins Auge sehen und den Kampf auf sich nehmen müssen. Darum rate ich: Erhaltet euren Körper gesund, denn er ist der Wahre Tempel Gottes. Sorgt für eure Familie, denn sie ist euch durch Gottes Gnade gegeben worden. Kümmert euch um sie. Gott wohnt in jedem Herzen. Liebt eure Familie, alle Religionsgemeinschaften, ja die ganze Menschheit. Dies meine ich, wenn ich sage: ,Bleibt in der Welt, und seid doch nicht von ihr.‘

Von wo gehen unsere Bindungen aus? Sie haben ihren Ursprung im Körper. Wir sind so sehr an ihn gefesselt, dass wir unser Wahres Selbst nicht unterscheiden können. Wenn wir ihn ganz plötzlich verlassen müssen, fühlen wir uns verloren.

Daher sagt Kabir:

Bleibt in der Welt; aber geht ein ins Reich Gottes, seht das Licht Gottes, indem ihr das Dritte Auge oder Einzelauge im Innern öffnet. Wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt, erkennt ihr, dass dieser physische Körper nichts als Erde ist, ein Klumpen Lehm.

Denn du bist Staub und sollst wieder zu Staub werden. Ihr seid dann Innen vom Körper abgeschnitten und folglich von der äußeren Umwelt. Ihr werdet in der Welt und doch nicht von ihr sein.

Der Heilige Kabir vergleicht ein solches Leben mit dem des majestätischen Schwans, der im Wasser lebt, zum Flug ansetzt und sich völlig trocken in die Lüfte erhebt.

Nanak spricht davon wie folgt:

So sollten wir in der Welt leben und doch außerhalb von ihr.

Aber wir sind ganz und gar an den Körper gebunden. Wir kennen nichts, was über dieses Leben hinausgeht. Wir sagen: 'Jetzt und fortan, esst, trinkt und seid fröhlich, denn dieses Leben ist alles in allem.'

Manchmal müssen die Meister die Wahrheit, so bitter sie auch klingen mag, in einer sehr deutlichen Sprache sagen, denn Sie haben Liebe für die Menschheit und möchten, dass alle das Ziel erreichen.

Erinnert ihr euch, was Christus zu den Geldwechslern sagte, als Er den Tempel betrat?

Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.

Ähnlich sagte Kabir zu dem Pandit:

O gelehrter Mann! Du bist wie ein Mädchen, das keinen Ehegemahl hat und dennoch umherläuft und anderen Leuten erzählt, dass sie ihnen etwas mitteilen kann, was sie jedoch ihr ganzes Leben lang nicht kennengelernt hat. Du versuchst nur, durch hochtönende Worte und Heuchelei auf ihre Gefühle einzuwirken. Aber wie kannst du ihnen die Wirklichkeit zeigen, wenn du sie nicht selbst gesehen hast? Wenn du Gott sehen willst, dann komm und folge mir.

Tatsache ist, dass jene, die Gott nicht selbst gesehen haben, andere nicht sehend machen können. Wenn ihr eigenes Inneres Auge noch nicht geöffnet ist und sie das Licht Gottes nicht im Innern wahrnehmen, wie können sie die Augen anderer öffnen oder das Licht Gottes offenbaren?

Kabir sagte dem gelehrten Mann weiter:

Du hast dein Leben vergeudet und den Zweck des Lebens verfehlt. Der menschliche Körper nimmt den höchsten Rang in der ganzen Schöpfung ein. Er wurde dir gegeben, um dich selbst zu erkennen und Gott zu erkennen. Diese günstige Gelegenheit hast du versäumt. Du täuscht nicht nur dich selber, sondern auch all jene, die zu dir kommen. Hättest du dich auf dich selbst beschränkt, wäre es viel besser gewesen; denn dann hättest nur du das Spiel des Lebens verloren und nicht andere dahin gebracht, das ihre gleichfalls zu verlieren. Du hast niemals geheiratet – wie kannst du anderen sagen, was Ehe ist? Du hast deine Möglichkeiten verspielt; warum sie auch den anderen nehmen? Weshalb lässt du sie ihre goldene Gelegenheit vertun?

In den Upanishaden wird von König Janaka, einem Wahrheitssucher, Folgendes erzählt.

Er ließ alle Weisen seiner Zeit zusammenkommen und sagte: Meine lieben Freunde, ich möchte den Weg zurück zu Gott kennenlernen. Könnt ihr mich seine Theorie lehren, da die Theorie der Praxis vorausgeht?

Es wird berichtet, dass ein gewisser Yagyavalkya, ein Rishi, den König in dieser Hinsicht zufrieden stellte. Er erhielt den Preis, der für diesen Zweck ausgesetzt worden war. Aber dann fragte ein anderer Weiser, Gargi, der die Wahrheit erkannt hatte, Yagyavalkya: Höre, o Rishi hast du die Wahrheit, von der du gesprochen und die du so trefflich erläutert hast, mit eigenen Augen gesehen, genauso, wie du das Vieh auf der Weide grasen siehst? Und was antwortete dieser? Yagyavalkya, wahr zu sich selbst, gab ohne Zögern zu: Nein, ich habe nur die Theorie verstanden; ich selbst bin kein Mensch der Verwirklichung. Natürlich musste Janaka woanders nach der praktischen Lösung der Frage suchen.

Wir müssen aufrichtig sein. Nur wenn ihr die Wahrheit selbst gesehen habt, fordert die Menschen auf, euch zu folgen.

Lieber Freund, komm, sieh und nimm sie!

Aber wenn ihr die Wahrheit nicht selber gesehen habt, warum dann wie der sprichwörtliche Blinde andere mit euch in die Grube stürzen? Wir müssen zu uns selbst wahr sein und auch zu unseren Mitmenschen. Wenn ihr die Schriften nur theoretisch kennt, dann sagt es. Wenn ihr das Licht gesehen habt, euch über das Körperbewusstsein erheben könnt und auch kompetent seid, anderen eine Erfahrung davon zu geben, schön und gut. Geht und sagt es den Menschen.

Seht, das ist die Schwierigkeit. Die Leute machen so viele Worte über die Schriften. Ihr werdet gar manchen Redner über dieses Thema gehört haben. Aber wie viele sind unter ihnen, welche die Ersthand-Erfahrung der Wahrheit hatten und fähig sind, sie auch anderen zu geben? Von der Spiritualität zu reden, ist, als hielte man einen Vortrag über Geschäftsgrundlagen, ohne Kapital zu haben oder die praktischen Möglichkeiten, ein Geschäft zu eröffnen.

Während ihr hier seid, sitzen die Menschen jeden Morgen zur Meditation und erhalten eine Erfahrung von der Inneren Wahrheit. Wenn ihr im Innern eine Erfahrung bekommt, wie bescheiden sie auch sein mag, seid ihr von der Wirklichkeit überzeugt und könnt sie durch regelmäßige Übung in jedem gewünschten Ausmaß entwickeln.

Predigen war nur für jene gedacht, die die Ersthand-Erfahrung der Wahrheit hatten. Aber es ist heute zu einer Einnahmequelle geworden; und der bezahlte Gottesdienst hat die Dinge in allen Religionsgemeinschaften verschlimmert. Ich spreche nicht von irgendeiner bestimmten Religion, sondern was ich sage, trifft für alle Religionen zu. Die Menschen haben aus der Religion ein Geschäft gemacht, und so viele haben sich ihr lediglich als einem Mittel zum Lebensunterhalt verschrieben.

Aber alle Gaben Gottes sind frei. Jene geben vor, Ihm zu dienen, doch im Grunde ist alles auf Vorteil bedacht. Die Welt ist voll von ihnen, und deshalb können wir das Wort 'Meister' schon nicht mehr hören. Ein Wahrer Meister ist nicht auf weltlichen Gewinn aus. Er gibt Gottes Gabe – die Spiritualität – frei und kostenlos. Er hat Gott erkannt. Er ist der vollendete Mensch, Der das physische Bewusstsein überschritten und das Licht im Innern gesehen hat.

Was sagte Kabir dem Pandit?

O gelehrter Pandit, wenn du eine Erfahrung der Wirklichkeit willst, gehe zu einem Kompetenten, Lebenden Meister.

'Zu einem Meister welcher Art?', fragte der Pandit. Daraufhin bezeichnete Kabir Den als einen Meister, durch Welchen Gott spricht. Dies verkündeten alle Heiligen, einschließlich Kabir.

So steht in der Bibel:

[…] die Heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist.

2. Petrus 1:21

Guru Nanak sagt:

Der geringe Nanak spricht nur das, was ihm geheißen wird.

und:

O Lalo! Ich sage nur das, was mein Herr durch mich spricht.

Ein Moslem-Heiliger bestätigt:

Die Worte des Propheten sind die Worte Gottes, wenn sie auch von einer menschlichen Zunge zu kommen scheinen.

Ihr habt ebenfalls diese Möglichkeit in euch. Aber ihr seid noch nicht in Verbindung mit der in euch wirkenden Kraft, weil ihr nach wie vor an den physischen Körper gebunden seid. Solange ihr nicht dieses Körperbewusstsein verliert, könnt ihr nicht ins Jenseits gelangen.

Die Bibel sagt,

[…] das Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben.

Ihr müsst Einen finden, Der Sich in das Kosmische Bewusstsein erhoben hat und ein Bewusster Mitarbeiter des Göttlichen Plans ist. Zweifellos wird Er ein Mensch wie jeder von euch sein. Aber Er hat Sich Selbst verwirklicht und Gott im Innern erfahren. In Seiner Gegenwart werdet ihr feststellen, dass Er ein ganz anderes Wesen ist, voller Liebe und Barmherzigkeit für alle: ein strahlender Mittelpunkt der Gottheit in Ihm. Die bloße Atmosphäre um Ihn herum ist mit den radioaktive Strahlen Spiritueller Glückseligkeit geladen.

Ein Mensch, der den höchsten Grad der Meisterschaft in irgendeinem Tätigkeitsbereich erlangt hat, wird zunächst wie ein gewöhnlicher Mensch erscheinen. Er ist wesensmäßig zuerst und zuletzt ein Mensch. Aber er hat sich auf seine eigene, besondere Weise entwickelt. Wenn ihr bei ihm seid, werdet ihr finden, dass er auf seinem Gebiet ein Riese ist. Genauso verhält es sich mit einem Meister. Wenn ihr Ihm begegnet, werdet ihr Ihn auf den ersten Blick für einen Menschen wie jeden anderen halten.

Er Selbst wird euch sagen:

Ich komme zu euch als ein Mensch zum Menschen, ich bin ein Mensch wie ihr. Ich hatte das Glück zu den Füßen meines Meisters zu sitzen und auf dem Spirituellen Weg fortzuschreiten. Jene, die nach dem Gottesweg suchen, sind sehr willkommen.

Ein Arzt ist zuerst Mensch und dann Arzt, ein Ingenieur an erster Stelle ein Mensch, an zweiter ein Ingenieur. Ähnlich ist ein Spiritueller Mensch, ein Meister, zuerst ein Mensch und dann ein geistiger Führer.