XI

Individuelle und allgemeine Gebete

Bei einem individuellen Gebet ist es natürlich nicht nötig, die Worte laut auszusprechen. Man braucht lediglich den Lauf der Gedanken von einem Kanal zum anderen umlenken. Dabei ist ein mentaler Simran1 völlig ausreichend.

Was ist zu tun in der Suche nach Gott? Verpflanze das Gemüt und schaue Ihn überall.

Shah Inayat

Bei gemeinsamen Gebeten verlieren wir gewöhnlich die Sicht für die wirklichen persönlichen Empfindungen und lassen uns unwillkürlich zur Übertreibung hinreißen. Bei einem solchen Gebet besteht keine Harmonie zwischen dem Herzen und der Zunge. Getrennt von den persönlichen Gefühlen gleiten wir unversehens in den öffentlichen Beifall des Augenblicks hinein. Die ganze Zeit über suchen wir auf die Empfindungen der Zuhörerschaft einzuwirken, um mehr Gaben aus ihren Taschen und Tränen aus ihren Augen herauszulocken oder eben Worte des Lobes für das, was wir tun. Dies sind mehr oder weniger zeremonielle Gebete, die im Allgemeinen anlässlich des Geburts- oder Todestages eines Heiligen verrichtet werden. Auch die Qawwalis der Moslems und Kirtans der Hindus fallen hierunter.

Diese festgelegten Gebete sind Ergüsse von Ergebenen früherer Zeiten, nicht aber spontane Gefühlsausbrüche derer, die sie vortragen, und sie sind als solche wenig geeignet, angenommen zu werden; sie tragen auch keine merkbare Frucht und hinterlassen keinen bleibenden Eindruck bei den Beteiligten, ob es sich nun um Sprecher oder Zuhörer handelt. Ein Pfeil, der seinen Flug nicht direkt von der Bogensehne nimmt, die bis zur Brust des Schützen gespannt ist, wird kaum sein Ziel treffen. Auf gleiche Weise werden bloß gesprochene Gebete, die nicht aus den Tiefen der Seele kommen, den Gottmenschen nicht erreichen, Der wahrlich auch die Seele unserer Seele ist und unsere Nöte besser kennt als wir selbst. In den Veden, dem Koran und anderen Schriften lesen wir von gemeinschaftlichen Gebeten, die an Gott für den Nutzen einer Gemeinschaft, einer Nation oder der Menschheit im Allgemeinen gerichtet werden.

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Anmerkung: 1) Für eine vollständige Erklärung über Simran, siehe den englischen Text ‚Simran: the Sweet Remembrance of God‘ (diese Anmerkung wurde in einer späteren Ausgabe hinzugefügt, sie ist nicht Teil der englischen Originalversion von 1959; Anmerkung der Redaktion, 2010).