XIV / (v)

Spontaneität

Ein Gebet, als der peinvolle Schrei der Seele, ist sehr schön und sehr natürlich, wenn es ganz spontan, wie eine Quelle frischen Wassers aus dem Innern der Erde, hervorbricht. Es bedarf da keiner Ausschmückungen durch bestimmte Worte oder besondere Wendungen. Im Gegenteil, solche Verzierungen beeinträchtigen die wirkliche Schönheit des freien Ausdrucks, und häufig genug wird der Betende unmerklich in das Netz eines Wortschwalls hineingezogen und verfängt sich darin. Dadurch wird das Gebet gekünstelt – zu einem Produkt wohlbedachter Mache ohne jede Empfindung. Solche Gebete lassen uns falsch werden gegen uns selbst und sind nicht von geringstem Nutzen. Gott liebt aufrichtige Gefühle, die in einfachste Worte gekleidet sind, und nicht wohlgesetzte Reden, eitle Wiederholungen, prahlerische Phrasen und gelehrte Ausführungen.

Maulana Rumi hat ein schönes Beispiel eines liebevollen Gebets gegeben, das ein einfacher und unverbildeter Hirtenjunge in seiner bescheidenen Art murmelte, als der Prophet Moses des Weges kam.

Er sagte:

O Gott, wo bist Du? Ich möchte Dir dienen. Ich möchte Dir wollene Kleider stricken und Dein Haar kämmen. Ich möchte Dir Milch und Quark, Käse und geklärte Butter geben, Dich pflegen, wenn Du krank bist, Deine Hände küssen und Deine Füße massieren. Ich würde Dir alle meine Schafe und Ziegen opfern.

Diese Worte des Hirtenjungen klangen dem Propheten wie Ketzerei, er geriet in Zorn und wies den Jungen zurecht, indem er sagte:

Halte deinen Mund, du Ungläubiger. Was sprichst du wie ein Narr? Nimm deine vermessenen Worte zurück, sonst wird uns Gott für deine Lästerungen mit dem Höllenfeuer strafen. Gott ist kein menschliches Wesen und braucht nichts von den Dingen, die du Ihm anbietest. Er ist Geist, ohne Hände und Füße; du hast Ihn beleidigt mit deinem eitlen Geschwätz.

Im Innersten getroffen, zerriss der arglose Junge seine Kleider, lief in die Wildnis und weinte bitterlich, weil er sich das Missfallen Gottes zugezogen hatte. Durch die Heftigkeit seiner Qual verlor er das Bewusstsein, und siehe da – er sah in sich das Licht Gottes und hörte eine liebevolle und gütige Stimme, die ihm versicherte, dass alle seine Gebete, aufrichtig wie sie waren, für Gott annehmbar seien und Er an seinem Opfer großen Gefallen habe.

Doch als Moses in seine gewohnte Meditation ging, spürte er, dass Gott sehr ärgerlich auf ihn war, da er eine liebende Seele von Ihm weggetrieben hatte.

Gott wies ihn zurecht:

Du kamst in die Welt, um die Menschen mit Mir zu vereinen und nicht, um solche, die Eins mit Mir sind, von Mir zu trennen.

Er sprach:

Jeder gedenkt Meiner in seinen eigenen Worten und gemäß seinem eigenen inneren Empfinden. Ich habe alles angenommen, was Mir der Hirtenjunge in seinen unschuldigen und unbeholfenen Worten, wie sie dir erscheinen mögen, so unvermittelt anbot. Doch Ich bin sehr ungehalten über dich, weil du ihn von seiner Verbindung mit Mir abgebracht hast. Ich werde nicht allein durch Worte bewegt, denn wie sie auch immer lauten, heiligen sie Mich in keiner Weise, aber sie reinigen das Herz dessen, der sie äußert. Ich schaue nicht auf glänzende Worte, sondern auf das Herz und die innere Aufrichtigkeit, die hinter den Worten liegt, denn aus der Überfülle eines Herzens spricht der Mensch, und es hat nichts zu sagen, in welch ungelenker und einfältiger Sprache einer seinen Gefühlen Ausdruck verleiht.

O Moses! Es ist eine verschiedene Welt zwischen dem Gelehrten, der in die Etikette einer geschliffenen Sprache verstrickt ist, und den von Liebe gerührten Herzen, die dem, was in ihnen ist, Luft machen, – die ausgedörrten Seelen im öden Land des Herzens, allen Schicklichkeitsgefühls und Anstands bar, wie du es ausdrücken würdest. Weißt du nicht, dass selbst die Regierung einem verwüsteten Land keine Zölle auferlegt? Ein Märtyrer in Gott braucht deine Sorge und Aufmerksamkeit. Die Religion der Liebe ist ganz anders als die der festgesetzten Formen und Rituale, und für die Liebenden ist keine Religion höher als Gott selbst. Ein Kleinod bleibt ein Kleinod, auch wenn es keinen Echtheitsstempel trägt.

Als Moses diese Worte hörte, erschrak er, suchte den Hirtenjungen im Dschungel und sagte zu ihm:

Ich bringe dir erfreuliche Nachrichten. Gott hat all deine Gebete angenommen, und deine scheinbar ketzerischen Worte sind so gut wie die eines Frommen; deine Hingabe ist das Licht deines Körpers. Was immer von innen her zu dir kommt, das äußere ohne Furcht.

Und der Junge entgegnete lächelnd:

O Moses, ich habe nun alle Schranken des Fleisches weit überschritten. Deine Rüge genügte, um in mir einen großen Wandel zu bewirken. Jetzt kenne ich den Großen Einen und mein Zustand ist nicht mit Worten zu schildern.