XIX

Erhörung der Gebete

Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass die meisten unserer Gebete ohne Erwiderung bleiben. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden. Wir haben den Willen Gottes noch nicht erfahren und wie dieser Wille ausnahmslos zu unserem Guten wirkt. Wir beten in unserer Unwissenheit oftmals um Dinge, die uns auf die Dauer mehr schaden als nutzen würden, und so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn der liebende Vater in Seiner grenzenlosen Barmherzigkeit solche Gebete nicht erhört und diese keine Frucht tragen; wir würden sonst niemals imstande sein, den sinnlichen Freuden zu entkommen.

Ihr bittet und empfanget nicht, weil ihr verkehrt bittet, damit ihr es nach euren Gelüsten vergeuden könnt.

Und wieder:

Wir Blinden erbitten oft unser eignes Leid, das weise Mächte zu unserm Wohl versagen; so sind wir reicher durch des Gebets Verlust.

William Shakespeare

Und George Meredith ruft uns ins Gedächtnis:

Der, welcher sich vom Gebet als besserer Mensch erhebt, dessen Gebet allein wurde erhört.

Gewöhnlich bitten wir Gott um Wunder, und man braucht nicht überrascht zu sein, wenn solche Gebete nicht erhört werden.

Worum der Mensch auch immer bittet, er bittet um ein Wunder. Jedes Gebet würdigt sich selbst zu dem herab: Großer Gott, gib, dass zweimal zwei nicht vier ist.

Iwan S. Turgenjew

Die ganze Zeit über führen wir ein Leben, das den Sinnen unterworfen ist, und haben nicht erkannt, dass es auch eine andere Seite gibt, nämlich ein Leben jenseits der Sinne. Die meisten unserer Gebete sind darum weltlicher Art, und wenn sie ohne Ausnahme gewährt würden, würden wir naturgemäß immer weiter auf der Skala der moralischen Werte absinken. Unsere Sünden würden Tag für Tag immer mehr anwachsen, und es gäbe kaum eine Chance, je aus den Gefängnissen der Welt, des Körpers und der körperlichen Freuden herauszukommen, mit dem Ergebnis, dass wir für immer vom Reich Gottes – einem verlorenen Gebiet – verbannt blieben, ohne jede Hoffnung auf Wiedervereinigung.

Wenn sich ein Schüler des Meisters erinnert, erfährt er in sich eine beruhigende Einwirkung und eine Art Göttlicher Trunkenheit. Dies ist bekannt als Telepathie oder sympathisierende Verbindung von Herz zu Herz aus einer Entfernung. Genauso können wir, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Unendlichen abstimmen, das große Reservoir der Gotteskraft in Anspruch nehmen und zum Wohl anderer nutzbar machen.

Für diesen Zweck muss man sich selbst mit dem Göttlichen Urgrund vereinen, in Dem alle verankert sind, und von da aus den Himmlischen Einfluss an den Menschen oder die Gemeinschaft weitergeben, der man helfen will. Bei dieser Einstellung braucht man dem Schöpfer nicht die Wünsche anderer darzulegen, sondern muss einfach Sein liebevolles Wohlgefallen anrufen und Seine Gnade erwarten, die das gewünschte Resultat bewirkt.

Wenn des Radios schlanke Finger eine Melodie der Nacht ertönen lassen und sie über einen Kontinent oder ein Meer ausstrahlen, warum sollen sich dann die Sterblichen wundern, wenn Gott Gebete hört?

Ethil Roming Fuller

Doch der Mensch ist nur ein Teil der Schöpfung und jedes Individuum nur ein unendlich kleines Pünktchen darin. Da wir nur mit einer begrenzten Sicht ausgestattet sind, kennen und verstehen wir nicht den großen Plan, das gewaltige Labyrinth, wie Alexander Pope, der lorbeerbekränzte Dichter des Friedens, es darstellt: Es ist wirklich zu viel für den anmaßenden Menschen […], der so schwach, so klein und so blind ist, ein winziger Teil nur in der gewaltigen Maschinerie Seiner Schöpfung.

Und nochmals sagt uns der große Dichter:

Der Himmel verbirgt vor allen Geschöpfen das Buch des Schicksals, ganz, bis auf die vorgeschriebene Seite, ihren jetzigen Stand […] Die gesamte Natur ist ein Kunstwerk, dir unbekannt; jeder Zufall: Führung, die du nicht sehen kannst; jeder Missklang: unverstandene Harmonie; im Teil alles Übles – im Ganzen ein Gutes und, trotz des Stolzes, des irrenden Verstands, ist die Wahrheit klar: „Was immer ist, ist recht.“ […] Erkenne denn dich selbst, maß' dir nicht an, Gott nachzurechnen. Das rechte Studium für die Menschheit ist der Mensch. Chaos herrscht in seinem Denken, die Leidenschaften ganz verwirrt […] Der große Herr aller Dinge und doch aller Beute, der alleinige Richter der Wahrheit, in endlosen Irrtum gestürzt.

So bittet jeder Einzelne von seinem begrenzten Blickfeld aus um irgendetwas und weiß nicht, ob dies in die kosmische Ordnung hineinpasst oder nicht. In den heißen und schwülen Monaten beten die Stadtmenschen um einen erfrischenden Regenschauer, während der Bauer in den ländlichen Gebieten zur gleichen Zeit um mehr Sonnenschein und Wärme bittet, damit sein Korn reifen kann.

Der Mensch hat einen beschränkten Horizont. Er weiß nicht einmal, was für ihn gut ist. Oft bittet er um Dinge, die, wenn sie ihm gewährt würden, wahrhaftig eine Quelle des Ärgers für ihn wären, und dann möchte er mit großem Bedauern das Geschehene ungeschehen machen.

In diesem Zusammenhang ist die Geschichte von der Goldenen Berührung bedeutsam.

Nach großem Verlangen und Gebet wurde König Midas die Gunst zuteil, dass sich alles, was er berührte, in Gold verwandelte. Doch nach einigen glücklichen Augenblicken erkannte er seinen Fehler. Die Nahrung, die er zu sich nahm, verwandelte sich in einen Klumpen Gold. Das Wasser verdichtete sich in Gold, als seine Lippen es berührten. Als seine einzige Tochter herbeikam, um ihn zu umarmen, wurde sie zu einer Statue aus Gold. Und als er in sein weiches Bett ging, fand er sich mit einem Male auf harten metallenen Kissen.

Gott oder der Gottmensch weiß es am besten. Unsere Vergangenheit und unsere Zukunft sind für ihn wie ein offenes Buch. Er würde nie solche Gebete erhören, die letzten Endes schädlich für uns sind. Wie kann der liebende Vater seinem Kind etwas geben, das sich als Gift erweisen würde?

Ein persischer Dichter sagt:

Mein Gott ist mehr besorgt meine Bedürfnisse zu erfüllen, als ich selbst. All mein Streben in dieser Hinsicht ist nur gewundenes Tun.

Man sollte Gott um solche Gaben bitten, die Er für nützlich hält.

O Gott! Ich weiß nicht, was gut für mich ist, denn ich bin voll und ganz im Irrgarten der Welt gefangen.

Jaitsari Ravi Das

Und Khawaja Nizami betet:

O Gott! Du allein wünschst mir alles Gute. Zeige mir den Weg, auf dem ich Deine Gnade gewinnen und Erlösung erlangen kann.

Im heiligen Koran ist ebenfalls gesagt, dass die Menschen um das bitten sollten, was in dieser und in der anderen Welt von Nutzen ist.