II / I

Das Licht des Lebens

Wie so viele verlorene Kinder Gottes sind wir alle in das ferne Land, genannt Erde, herabgekommen und haben die Kraft des Vaters mitgebracht, die wir Tag für Tag und jeden Augenblick vergeuden, indem wir die vergängliche Schönheit und Pracht dieses irdischen Bereichs erforschen. Darüber büßen wir jede Erinnerung an unsere göttliche Heimat ein, die glückselige Heimat des Vaters, an unsere Abstammung und unser großes Erbe. 'Aus dem Fleisch geboren', leben wir im Fleisch und haben unsere Verbindung mit der rettenden Lebensschnur im Innern verloren; somit sind wir spirituell tot – tot trotz des hektischen Lebens auf der physischen und mentalen Ebene und der erstaunlichen Errungenschaften auf den Gebieten der Kunst, Wissenschaft und Technik. Bei allen Bequemlichkeiten des Lebens, mit denen Mutter Natur ihr Pflegekind, den Menschen, versehen hat, leben wir dennoch in einem Zustand ständiger Furcht und dauernden Misstrauens – nicht nur anderen, sondern auch uns selbst gegenüber. Denn hilflos und ohne Hoffnung treiben wir auf dem Meer des Lebens dahin, ohne irgendeine Verankerung, die uns Halt bietet und dafür sorgt, dass unser Schiff in den stürmischen Wogen fest und stetig auf Kiel bleibt.

Der Mensch ist ein Mikrokosmos, ein Abbild des Makrokosmos (Universums). Beide, das Individuelle und das Universale, sind in allen Teilen miteinander verbunden. Alles, was außen ist, findet sich auch innen, und der Geist im Menschen hat ungeachtet der schweren Last seiner physischen und mentalen Fesseln die Möglichkeit, die ihn umgebenden dichten Schleier zu durchbrechen. Er kann einen Blick in das Jenseits tun, in den immer währenden Bereich des höchsten Gottes, die ewig durch sich selbst seiende Wahrheit, die seit Anbeginn der Zeit immer dieselbe ist.

Wir haben hierfür das Zeugnis einer Reihe von Mystikern:

Obgleich du im Raum lebst, hast du deine Wurzeln außerhalb des Raumes. Lerne, dich nach dieser Seite abzuschließen, und erhebe dich in unbegrenzte Weiten. Denn solange man sich nicht über die Welt der Sinne erhebt, bleibt man der Welt Gottes völlig fremd. Bemühe dich unablässig, bis du dem Käfig ganz entronnen bist, dann wirst du die Nichtigkeit der unteren Bereiche erkennen. Wenn du dich erst über den Körper und was zu ihm gehört erhoben hast, wird dein Geist die Herrlichkeit Gottes schauen. Dein Sitz ist fürwahr Gottes Thron; schäme dich, dass du es vorziehst, in einer elenden Hütte zu leben. Du hast auch dann einen Körper, wenn du außerhalb des Körpers bist, warum hast du dann Angst, den Körper zu verlassen?

O Freund, entsage dem Leben des Fleisches, damit du das Licht des Lebens erfährst. Du bist wahrlich das Leben von allem, was hier existiert; ja, beide Welten, die hier und die danach, sind in dir.

Von dir ging alle Weisheit aus, du bist es, dem Gott Seine Geheimnisse enthüllt. Kurz: obwohl du so unbedeutend erscheinst, ist doch das ganze Universum in dir. Ausgestattet mit einem menschlichen Körper und einem engelgleichen Geist, kannst du nach Belieben durch die Welt streifen oder dich in den Himmel erheben. Welch große Freude wäre es, den Körper hier unten zu lassen und zum höchsten Himmel empor zu fliegen. Verlasse dein stoffliches Haus aus Fleisch und Blut und nimm Gemüt und Geist weit mit hinauf.

Könntest du nur dem Tabernakel des Fleisches entrinnen, dann wäre es dir möglich, zu dem Ort zu gelangen, wo es keinen Körper gibt. Das Leben des Körpers kommt von Wasser und Nahrung allein; denn auf Erden bist du in ein Gewand desselben Stoffes gehüllt. Warum verlässt du nicht nachts das Leichenhaus? Hast du doch Hände und Füße, nicht von dieser Erde geformt. Es mag dir genügen zu wissen, dass in dir ein Zugang ist, der zum Geliebten führt. Wenn du einmal dem Gefängnis des Körpers entkommst, wirst du ohne Mühe in eine neue Welt gelangen.

Immer wieder spricht der Vollendete Meister von unserem verlorenen Reich, das im Innern liegt, aber seit langem vernachlässigt und in dem gewaltigen Wirbel der Welt des Gemüts und der Materie, in der wir uns die ganze Zeit über treiben ließen, völlig vergessen wurde. Dies ist nun die uns von Gott gegebene Gelegenheit, den unbetretenen Pfad zu beschreiten, das Unerforschte zu erforschen und in uns wiederzuentdecken, was uns bereits gehört: das wirkliche innere Sein.

Die menschliche Geburt ist wahrlich ein seltenes Vorrecht. Sie erfolgt am Ende eines langen Entwicklungsprozesses, der beim Gestein und den Mineralien beginnt, sich im Pflanzenreich fortsetzt und dann durch die Welt der Insekten, Reptilien und Nagetiere führt. Als nächstes kommt die Bruderschaft der Vögel und des Federviehs, danach die anderen Tiere, bis hin zu den Vierfüßlern. Der Mensch schließlich hat ein weiteres Element in sich, das allen anderen Geschöpfen fehlt oder das sie nur in ganz geringem Maße haben, das luftige oder ätherische Element. Dieses stattet ihn mit der Vernunft und Unterscheidungskraft aus, die ihn befähigt, Recht von Unrecht, Tugend von Laster zu unterscheiden, die höheren, edleren Werte des Lebens zu verstehen und sie – durch die ihm eigene Willens- und Wahlfreiheit – in die Tat umzusetzen. So kann er sie für den weiteren Fortschritt nutzen, damit er aus dem Geiste geboren wird. Es befähigt ihn, seiner Bewusstheit neue Dimensionen hinzuzufügen, indem er sich ins supramentale Bewusstsein erhebt, erst ins kosmische und dann in das des Jenseits. Das alles ist eine sichere Möglichkeit, wenn wir auch gegenwärtig noch nichts von ihr wissen.

Unser Selbst,

sagt der Philosoph Carl Gustav Jung,

schließt unser ganzes Lebenssystem in sich ein und umfasst daher nicht nur alle Ablagerungen und die Summe all dessen, was in der Vergangenheit erlebt wurde, sondern ist zugleich der Ausgangspunkt, der fruchtbare Mutterboden, der alles zukünftige Leben hervorbringt. Die Vorahnung kommender Dinge ist unserem inneren Gefühl ebenso klar wie die historische Vergangenheit. Der Gedanke der Unsterblichkeit, der diesen psychologischen Grundlagen erwächst, besteht völlig zu Recht.

Gefangen in der irdenen Form und durch das Gemüt beherrscht, ist der Mensch in der gewaltigen Schöpfung doch nur ein schwaches Kind aus Staub, unbedeutend an Wuchs und Kraft. Aber als Seele ist er grenzenlos und durchdringt alles. Der scheinbar individualisierte Geist in ihm ist ein kostbares Kronjuwel von unschätzbarem Wert.

So sagt Bheek, ein Weiser der Mystik:

*O Bheek! Keiner in der Welt ist arm, denn jeder trägt in seinem Gürtel einen kostbaren Rubin; aber ach! er weiß nicht, wie er den Knoten aufbinden muss, um an den Rubin zu kommen, und so geht er betteln.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Erstedition von 1968 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Gott, sagt der Weise von Dakshineshwar (Ramakrishna Paramhansa), ist in allen, aber nicht alle sind in Ihm.

Guru Nanak nennt uns den Ausweg, die Möglichkeit, das große Geheimnis zu ergründen und die Meisterschaft über alles andere zu erlangen:

Sieg über das Gemüt ist Sieg über die Welt,

heißt Seine einfache Lösung.

Gegenwärtig wird das Gemüt durch zahllose Wünsche aller Art hin- und hergerissen, und jeder drängt in eine andere Richtung. Es muss nach und nach wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden – zu einem ungeteilten Ganzen – dessen Sein bis in jede Faser von der Liebe Gottes durchdrungen ist, denn nur dann wird es zu einem willigen Werkzeug, das dem Geist dient, anstatt ihn, wie es jetzt der Fall ist, ständig nach unten und außen, in die engen, beklemmenden Winkel, hierhin, dorthin und überallhin zu ziehen.

Ehe dieses hydraköpfige Ungeheuer nicht gebändigt und gezähmt ist, wird es weiter wie der Meeresgott Proteus unter verschiedenen Masken und allerlei Formen wilde Possen treiben und wie ein Chamäleon nach Belieben die Farben wechseln. Solange es weiterhin an der Erde und allem, was irdisch ist, festhält, nimmt es an Kraft und Stärke zu, die es von Mutter Erde empfängt. Es muss daher hoch in die Luft gehoben und dort gehalten werden, wie es Herkules mit Antäus tat, um sich von dem Riesen zu befreien, der unbesiegbar war, solange er die Verbindung mit Mutter Erde hatte, von der er seine Kraft nahm.

Wenn das Gemüt einmal mit der göttlichen Musik von oben in Verbindung kommt, wird es empor getragen und verliert für immer alles Interesse an den herabziehenden Sinnesfreuden der Welt. Dies führt allmählich zu einem todesähnlichen Zustand des Körpers, welcher nun weit unten gelassen wird, wie auch des Gemüts, das höher steigt, um in seine ursprüngliche Heimat chit-akash, das große Lagerhaus von Erinnerungen aus undenklichen Zeiten, einzugehen. Von hier gelangte es weiter hinab, indem die Lebensenergien (pranas) sich auf das reine Bewusstsein senkten und es mit einer zweifachen Hülle (mano-mai und pran-mai kosh) umgaben. Diese bildet das mentale Werkzeug für die Seele, um auf der irdischen Ebene durch eine weitere Hülle, die physische des Körpers (anna-mai kosh), wirken zu können, ausgestattet mit groben Sinnesorganen, wie sie in der Welt der Sinneswahrnehmungen so sehr notwendig sind.

Während wir in der magischen Kiste des Körpers eingeschlossen, an ihn gefesselt und eingezwängt sind, sind wir doch nicht an ihn gekettet, wenn wir auch fortwährend denken und handeln wie gefesselte Gefangene. Denn wir wissen nicht, wie wir den im Körper wohnenden Geist von seinen Fesseln befreien und uns darüber erheben sollen. Alle Meister der früheren Zeiten haben uns einstimmig aufgefordert, nach innen zu gehen und nach innen zu schauen, nach dem Leitstern, dem Licht des Lebens, das unerschaffen und schattenlos ist und in seinem eigenen vollen Glanz erstrahlt. Es ist der einzige Hoffnungsschimmer, der uns Befreiung aus der Finsternis verheißt, die uns in diesem dunklen Gefängnis umgibt.

Darüber ist gesagt:

Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht begriffen.

Johannes 1:5

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Lukas 11:35

Dieses Licht wird als der Morgenstern (2. Petrus 1:19) begrüßt und dient den Gläubigen als des Fußes Leuchte (Die Psalmen 119:105). Es beglückt Gemüt und Geist, die beide, wenn auch unwissentlich, gleicher weise davon angezogen werden. Sie beginnen, sich mit dem leuchtenden Strom des Lebens, dem hörbaren Lebensstrom (Shabd), gleichsam von den Schwingen der göttlichen Musik getragen, die von dem heiligen Licht ausgeht, in die Bereiche höheren Bewusstseins – des Überbewusstseins – zu erheben. Dieses Licht wird bildhaft beschrieben als Pegasus, das weißgeflügelte Ross der Götter, oder barq (der Blitz), von dem es heißt, er habe den Propheten in den Himmel (almiraj) gebracht.

Die großen Meister aller Zeiten und aller Himmelsgegenden sprechen von diesem einzigartigen und wundervollen Haus, dem menschlichen Körper, dem wahren Tempel Gottes, in dem der Vater, der Sohn und der Heilige Geist wohnen. Solange nicht der Sohn (der menschliche Geist) durch die Gnade eines Gottmenschen mit dem Heiligen Geist (der Gotteskraft, die durch einen Gottmenschen im Fleisch offenbart wird) getauft ist, kann der verlorene Sohn, der zwischen den Wundern der wunderbaren äußeren Welt umherwandert, nicht selbst den Weg aus diesem Labyrinth zur Heimat des Vaters (Gott) finden; denn das ewige und fundamentale Gesetz lautet:

Im Fleisch (der irdenen Form) und durch das Fleisch (das Fleisch gewordene Wort) kommen wir zu Ihm, der jenseits des Fleisches ist.

Augustinus

In uns ist das Licht des Lebens. Diese himmlische Lampe brennt ewig Tag und Nacht in der Kuppel des Körpertempels.

Wer immer durch dieses Licht der Lichter in höhere Bereiche gelangt, erhebt sich ungebunden.

Dies ist die Wahrheit und führt zur Wahrheit.

Wer die Wahrheit kennt, weiß, wo dieses Licht ist, und wer dieses Licht kennt, der kennt die Ewigkeit, (Augustinus) und indem ihr sie (die Wahrheit) erkennt, werdet ihr frei werden.

Johannes 8:32

– Frei von aller unbezwinglichen Knechtschaft, dem Bedauern über die Vergangenheit, den Ängsten der Gegenwart und den Schrecken des Todes, mit denen wir ständig leben.

Das Wort oder der Heilige Geist ist die große Wahrheit, die der ganzen Schöpfung zu Grunde liegt.

Alle Dinge sind durch dasselbe (das Wort) gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist,

Johannes 1:1-3

Die ganze Welt ist aus Shabd hervorgegangen,

verkündet Guru Nanak.

Und weiter:

Nur mit einem einzigen Wort brachte Er diese gewaltige Schöpfung ins Sein, und tausend Lebensströme sind ihr entsprungen.

In den Upanishaden finden wir:

Eko-aham, Bahu syaam,

Ich bin Einer und will Vieles werden.

Die Mohammedaner nennen das Wort Kun-fia-kun – Er wollte es, und siehe, das ganze Universum entstand. Es ist somit die wirkende Gotteskraft (Licht und Leben – die Melodie Gottes), die alles durchdringt und allmächtig ist, die allem Sichtbaren und Unsichtbaren innewohnt und zahllose Schöpfungen ins Leben ruft und erhält.

Indem Er über die Schöpfung spricht, sagt uns Guru Nanak:

Ohne Zahl sind Deine Stätten; fern und unzugänglich Deine unzähligen himmlischen Ebenen.

Selbst durch das Wort zahllos können wir Ihn nicht beschreiben. Die Wörter Zahl und zahllos sind in der Tat von geringer Bedeutung für den Allmächtigen. Er, Der allem innewohnt und das Leben der Schöpfung selbst ist, kennt jedes ihrer kleinsten Teilchen.