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Das Licht des Lebens

Um das höhere Leben, das Leben des Geistes, besser zu verstehen, muss man die Grenzen des irdischen Lebens tatsächlich überschreiten, durch die Pforte des sogenannten Todes gehen und in die geistige, unirdische Welt jenseits davon wiedergeboren werden.

Was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Lass dich’s nicht wundern, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden.

Johannes 3:6-7

Diese Verbindung mit dem Licht des Lebens, das im Innern durch einen Gottmenschen offenbart wird, setzt den Wanderungen der Seele in dem sich ewig drehenden Rad der Geburten und Wiedergeburten ein Ende.

Es heißt, dass die gesamte Schöpfung in acht Millionen vierhunderttausend Schöpfungsarten (84 lakhs) eingeteilt ist:

  1. 900.000 (9 lakhs) Geschöpfe des Wassers,

  2. 1.400.000 (14 lakhs) Geschöpfe der Luft,

  3. 2.700.000 (27 lakhs) Insekten, Nagetiere, Reptilien usw.,

  4. 3.000.000 (30 lakhs) Bäume, Sträucher, Kräuter und andere Pflanzen sowie Schlinggewächse usw.,

  5. 400.000 (4 lakhs) aller Arten von Vierfüßlern und anderen Tieren, dann die Menschen, einschließlich der Götter und Göttinnen, der Halbgötter und göttlichen Kräfte, der Dämonen und umherziehenden Geistwesen usw.

Ein Jiva-atman oder eine individuelle Seele bleibt durch die zwingende Kraft der Karmas und der Eindrücke, die von einem Leben zum anderen gesammelt worden sind, so lange an den einen oder anderen stofflichen Körper gebunden, bis er befreit oder ein Atman wird.

Dies ist dann der Anfang zum wirklichen und ewigen Leben, das aus der Verbindung mit der Stimme des Sohnes Gottes kommt (das heißt mit der inneren Musik, die durch Ihn offenbart wird); und die sie hören werden (wenn sie auch gegenwärtig taub dafür sind), die werden leben (und durch sie ewig leben) – Johannes 5:25 – denn es heißt:

Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und der Stummen Zunge wird Lob sagen. Denn es werden Wasser (des Lebens) in der Wüste (des menschlichen Herzens) hin und wieder fließen und Ströme im dürren Lande.

Jesaja 35:5-6

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.

1. Korinther 13:12

Wenn der Geist auf den Tonstrom abgestimmt ist,

sagt Nanak gleichermaßen:

beginnt er (das Licht Gottes) ohne Augen (des Fleisches) zu sehen, (die Stimme Gottes) ohne Ohren zu hören, hält sich (an der göttlichen Musik) ohne Hände fest und geht (gottwärts) ohne Füße.

Und der große Lehrer fährt fort:

Die sehenden Augen sehen nicht (die Wirklichkeit), aber durch die Gnade des Gurus beginnt man, (die Gotteskraft) von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Darum kann ein würdiger und ehrfurchtsvoller Schüler Gott überall sehen.

Unsere Sinnesorgane sind so beschaffen, dass sie uns allein in der physischen Welt helfen, und auch das nur unvollkommen; sie versagen, wenn wir auf die überirdischen Ebenen kommen.

Denn sehenden Auges sehen sie nicht und hörenden Ohres hören sie nicht, denn sie verstehen es nicht und haben ein Herz, das weder Gefühl noch Verstand hat.

Jesaja 6:9-10; Matthäus 11:15;
Markus 4:12; Römer 11:8

Eine vollständige und wunderbare Wandlung kommt nur zu Stande, wenn man lernt, sich nach innen zu wenden und sich dem Prozess des freiwilligen Todes praktisch zu unterziehen, solange man lebt. Darum die Mahnung: Lerne zu sterben (stirb für das Erdenleben), so dass du zu leben beginnen kannst (frei und furchtlos im lebendigen Geist und frei von dem begrenzenden Beiwerk der Körperhüllen).

Man muss deswegen dem

Fleisch um des Geistes willen entsagen.

Johannes 6:63

Liebt das Fleisch nicht mehr als den Geist, ist der uralte Rat des Propheten von Galiläa.

Solange wir im Körper zu Hause sind, sind wir Gott fern. Und je mehr man sich von sich selbst zurückzieht, desto näher kommt man Gott. Nichts in der Schöpfung ist mit dem Schöpfer vergleichbar, denn was nicht Gott ist, ist nicht. Wenn man durch die Verbindung mit der Meisterkraft, die den Körper durchströmt, das Bewusstsein von der irdischen Ebene (allgemein als Tod bekannt) auf die spirituelle Ebene verlegt (Wiedergeburt oder zweite Geburt – die Geburt des Geistes, wie es heißt), stirbt man nie.

Wenn alle anderen euch zuletzt verlassen, werde ich euch nicht verlassen noch dulden, dass ihr zu Grunde geht.

Johannes 10:28

Wer überwindet (das Physische übersteigt, indem er vom Menschen zum Übermenschen wird), dem soll kein Leid geschehen von dem andern Tod.

Offenbarung 2:11

Denn:

Regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz (von Säen und Ernten oder Ursache und Wirkung, das zu wiederholten Verkörperungen führt).

Galater 5:18

Dies alles ist keine bloße Theorie, sondern eine Tatsache – die Tatsache des Lebens, denn die Flamme des Lebens kommt mit jedem Menschen vom Augenblick der Geburt an (Johannes 1:9); und jedem ist es gegeben, das Geheimnis des flammenden Tones und die Geheimnisse des Himmelreiches zu vernehmen. (Matthäus 13:11).

In dieser Wissenschaft des Jenseits haben Logik und Schlussfolgerungen keinen Platz. Nur wirkliches Sehen führt zu Glauben und Vertrauen. Das Licht des Lichts, der Vater des Lichts swayom jyoti swaroop Parmatma (der selbstleuchtende Gott), nooran-ala-noor (das große himmlische Licht) und der Geist im Menschen (ein Funken vom göttlichen Licht des universalen Geistes, ein Tropfen des Bewusstseins vom Meer der Bewusstheit, der als individualisierter, in verschiedene Hüllen gekleideter Geist erscheint) sind alle im menschlichen Körper (nar-naraini deh); aber so seltsam es auch scheinen mag, obwohl sie einander so nahe sind, hat der eine das Antlitz des Anderen nicht gesehen, da wir die öde Wildnis der Welt für unsere wahre Heimat halten.

Die Meister-Seelen unterrichten uns nicht nur über die Wirklichkeit und das reiche Erbe, auf das wir Anspruch haben, sondern verkünden wie Christus:

Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben.

Matthäus 16:19

Ebenso sagt Nanak:

Der Meister hat den Schlüssel zum beweglichen Haus der Seele, die an Körper und Gemüt gekettet ist. O Nanak, ohne einen Vollendeten Meister gibt es kein Entkommen aus dem Gefängnis!

Aber wie viele von uns haben Ihren heiligen Versprechen Glauben geschenkt? Und wie viele von uns sind bereit, die Schlüssel des Himmels zu erhalten und anzunehmen, und mehr noch, die stählernen Pforten hinter den Augen aufzuschließen?

Noch viel weniger sind es, die das Wort (das heilige Wort) hören, von dem Christus sagt:

Wer mein Wort hört […] ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen

Johannes 5:24

Und dies trotz unserer inbrünstigen täglichen Gebete, vom Wahn zur Wirklichkeit, aus dem Dunkel zum Licht und vom Tod zur Unsterblichkeit geführt zu werden. Es ist in der Tat ein seltsames Paradox, seltsamer als alle Rätsel, die die Sphinx, das Ungeheuer von Theben, den Thebanern aufgegeben hat, oder als die Rätsel des Lebens, die Yaksha, der dämonische Hüter des Teiches mit dem erfrischenden Wasser, den Pandava-Prinzen stellt, die einer nach dem anderen hingingen, um ihren Durst zu löschen, es aber (mit Ausnahme von Yudishtra, dem Prinzen des dharma) nicht vermochten und wegen ihrer Unfähigkeit, sie zu lösen, in Steine verwandelt wurden.

Führen wir nicht tatsächlich ein ödes und starres Leben, gleichsam zu Tode erstarrt wie viele empfindungslose Dinge, und warten auf das Kommen des Friedensfürsten, damit Er uns wieder zum Leben erwecke (zum ewigen Leben), indem wir die Sphinx und den Yaksha von ehedem besiegen, die drachengleich mit strengem Auge über uns wachen, damit wir nicht, angelockt durch das legendäre Goldene Vlies, wie Jason mit dem vielbegehrten Preis ihrem allgewaltigen Machtbereich entkommen? Dies ist nun das große Rätsel des Lebens, das es zu lösen gilt: denn wenn es uns nicht gelingt, ist unser kurzes Dasein hier in seiner Entwicklung behindert.

Die meisten von uns fristen nur ein animalisches Dasein; wie die Tiere führen wir ein Leben ohne jede Vernunft. Wir haben uns niemals über die Welt der Gefühle und Gedanken erhoben, die wir selbst um uns herum geschaffen haben und die uns nun in ihrem eisernen Griff gefangen hält.

Das Licht des Himmels ist für die meisten von uns die Erfindung menschlicher Fantasie und keine Wirklichkeit.

Obwohl Er bei uns im Körper ist, sehen wir Ihn nicht. Schande über ein lebloses Leben wie dieses! O Tulsi, ein jeder ist stockblind.

Kabir sagt uns:

Die ganze Welt tappt im Dunkeln; wäre es nur die Sache von einem oder zweien, könnten sie auf die rechte Bahn gebracht werden.

Nanak erklärt ebenso:

Für den Erleuchteten sind alle blind, denn keiner kennt das innere Geheimnis.

Nanak erklärt dann, was Blindheit ist:

Nicht die sind blind, die keine Augen haben, blind sind jene, die den Herrn nicht sehen. Und die Augen, die den Herrn schauen, sind ganz anders.

Und wiederum heißt es:

Die Augen des Fleisches sehen Ihn nicht, doch wenn der Meister die Augen im Innern erleuchtet, beginnt ein würdiger Schüler, in sich die Kraft und Herrlichkeit Gottes zu schauen.

Wie kommt es, dass wir Ihn trotz all unseren ernsthaften und wohlgemeinten Bemühungen nicht sehen?

In Finsternis gehüllt, streben wir dunkel nach Gott durch Taten, die nicht weniger dunkel sind; ohne einen Vollendeten Meister hat noch niemand den Weg gefunden, noch kann man Ihn finden; aber wenn man einem Vollendeten Meister begegnet, beginnt man, Ihn mit dem geöffneten Auge im Gemach des Herzens zu sehen.

Nur durch eine direkte Verbindung mit dem Namen (dem Heiligen Wort) erkennt man, dass außer diesem nichts zu erkennen übrig bleibt.

Im Jap Ji führt der große Lehrer die zahllosen Segnungen auf, die einem von selbst zufließen, so dass man zur Wohnstatt aller Tugenden wird:

Durch die Verbindung mit dem Wort kann man ein Siddha1, ein Pir2, ein Sura3 oder ein Nath4 werden. Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Mysterien der Erde, des tragenden Bullen5 und der Himmel verstehen. Durch die Verbindung mit dem Wort werden die irdischen Regionen, die himmlischen Ebenen und die niederen Welten enthüllt. Durch die Verbindung mit dem Wort können wir unversehrt durch die Pforten des Todes entkommen. O Nanak, seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung, denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Jap Ji, Strophe 8

Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Kräfte von Shiva, Brahma und Indra erlangen; durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Achtung aller gewinnen, ungeachtet seiner Vergangenheit; durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Einsicht eines Yogi in die enthüllten Geheimnisse des Lebens und des Selbst gewinnen; durch die Verbindung mit dem Wort kann man den wahren Sinn der Shastras6, Smritis7 und der Veden8 erkennen. O Nanak, seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung, denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Jap Ji, Strophe 9

Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur Wohnstatt von Wahrheit, Zufriedenheit und wirklichem Wissen; durch die Verbindung mit dem Wort erwirbt man die Früchte des Badens an den achtundsechzig Pilgerorten9; durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man die Achtung der Gelehrten; durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man Sehaj10; o Nanak, Seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung, denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Jap Ji, Strophe 10

Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur Wohnstatt aller Tugenden; durch die Verbindung mit dem Wort wird man ein Sheikh, ein Pir und ein wahrer König der Spiritualität; durch die Verbindung mit dem Wort finden die spirituell Blinden ihren Weg zur Verwirklichung; durch die Verbindung mit dem Wort durchquert man das grenzenlose Meer der täuschenden Materie. O Nanak, seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung, denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Jap Ji, Strophe 11

Wir sehen also, dass sowohl hier als auch im Jenseits das Geheimnis des Erfolges darin liegt, das „Selbst“ im Innern mit dem Überselbst oder dem Tonstrom in Einklang zu bringen, was das höchste Ziel aller Existenz ist.

Nanak mahnt uns daher:

Durch großes Glück bekommt man eine menschliche Geburt, und man muss das Beste aus ihr machen. Aber man steigt auf der Stufenleiter der Schöpfung hinunter, wenn man sich bewusst von der Lebensschnur im Innern trennt.

Wer die ganze Welt gewinnt und doch Schaden an seiner Seele nimmt, befindet sich wahrlich in einer traurigen Lage. Weit davon entfernt, irgendeinen Gewinn zu haben, hat er im Gegenteil einen vollständigen, nicht wieder gut zu machenden Verlust und muss für lange Zeit leiden, ehe er wieder die Stufe des Menschen erreicht. Hat man sich erst die günstige Gelegenheit aus der Hand gleiten lassen, geht das bisher Erworbene über Bord, und man strandet hilflos auf den Riffen und Sandbänken im Strom des Lebens. Der Sturz von der höchsten Sprosse der Lebensleiter ist in der Tat ein schrecklicher Sturz.

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Erläuterungen: 1) Siddha: ein Mensch, der mit übernatürlichen Kräften begabt ist. 2) Pir: ein Moslem-Heiliger oder spiritueller Lehrer. 3) Sura: eine Gottheit. 4) Naht: Yogi –  ein Adept in Yoga. 5) Dhaul: ein erdichteter Bulle, der angeblich Himmel und Erde trägt. 6) Shastras: philosophische Abhandlung der Hindus. 7) Smritis: die alten Hindu-Schriften. 8) Veden: Die ersten Bücher der Menschheit und des Göttlichen. Hier bezieht sich Nanak auf den Hindu-Glauben, wonach ein Bad an achtundsechzig Pilgerorten von allen sündhaften Handlungen reinigt. 9) Ath-Sath: Hier bezieht Sich Nanak auf den Hinduglauben, wonach ein Bad an achtundsechzig (die buchstäbliche Bedeutung) Pilgerorten, Reinigung von allem sündhaften Tun bringt. 10) Sehaj: dieses Wort bezieht sich auf den Zustand, in dem die Wirren der physischen, astralen und kausalen Welt mitsamt ihrem zauberhaften Panorama überschritten sind und das große Lebensprinzip im Innern geschaut wird.