Anhang II

Das Leben der Selbsthingabe

Das Problem von Achar, dem persönlichen Verhalten des Menschen als Einzelwesen, ist von höchster Bedeutung für den Fortschritt auf dem Spirituellen Pfad. Liebender Glaube und vollständige Hingabe an den Willen Gottes oder den Seines Auserwählten, des Gottmenschen, stellen die Grundprinzipien für das Leben des Wahrheitssuchers dar.

Die Weisen wie auch die Heiligen Schriften sagen alle gleichermaßen, dass wir, während wir in der Welt leben, uns nicht so verhalten sollten, als ob wir von der Welt seien, sondern eine Haltung der Selbstverleugnung und völligen Loslösung von der Welt und von allem, was zu ihr gehört, zeigen müssen. So sollten wir leben wie eine Lotosblume, deren Wurzeln unten im Schlamm stecken, deren Kopf sich aber weit nach oben ins Licht der strahlenden Sonne erhebt, die auf das trübe Wasser scheint, oder wie der königliche Schwan, der majestätisch auf der Oberfläche des Wassers schwimmt, das seine natürliche Heimat ist, und der doch, ohne nass zu werden, in die Höhe fliegen kann, wenn er es will oder es für nötig hält.

Diese Art selbstloser Unberührtheit oder Absonderung von der Umwelt und besonders von seinem niederen Selbst, dem Körper, Gemüt und der Gedankenwelt – ist nur möglich, wenn man sein Ego oder den eigenen Willen im Willen Gottes oder dem Willen seines Meisters, des Gottmenschen, auflöst. Denn dann handelt man wie eine Marionette in einem stummen Spiel, die nach dem Willen des Drahtziehers tanzt und sich bewegt.

Dies wird vollständige Unterwerfung genannt, die still darum bittet:

Nicht mein Wille geschehe, o Herr, sondern der Deine.

Eine solche Haltung trägt viel dazu bei, einen Menschen Neh Karma zu machen.

Während er anscheinend das eine oder andere tut, handelt er jetzt nicht mehr aus sich selbst, sondern führt den Willen seines Vaters, Gottes, oder seines Göttlichen Lehrers aus, denn er sieht nun in der Tat den Göttlichen Plan. So wandelt er im großen Strom des Lebens und sieht sich selbst als ein bewusstes Werkzeug in den unsichtbaren Händen, die alle seine Bewegungen lenken.

Selbsthingabe heißt folglich, dass einer alles Gott oder Seinem Auserwählten, dem Lehrer (Gott im Menschen), übergibt, seinen Körper, Besitz und fürwahr sich selbst, das denkende Gemüt. Dies bedeutet jedoch nicht den völligen Bankrott des Menschen, wie manche es auffassen mögen. Der Große Gott und Sein Auserwählter gewähren all diese Dinge und bedürfen der Gaben nicht, die Sie Ihren Kindern frei und in Fülle zu ihrem besten und rechtmäßigen Gebrauch gegeben haben. In unserer Unwissenheit aber betrachten wir sie als unser eigen, nehmen eine Haltung aggressiven Besitzanspruchs ein und suchen sie durch alle redlichen und unredlichen Mittel an uns zu reißen, um sie dann eifersüchtig und mit aller Kraft zu hüten.

Gebunden an diese Gaben, halten wir sie fest und vergessen darüber den Großen Spender, und hier schleicht sich unmerklich die gewaltige Täuschung ein, die Grundursache all unserer Leiden. Zweifellos sind uns diese Dinge zugekommen und gehören uns, aber sie sind uns nur vorübergehend als ein uns anvertrautes, Heiliges Gut gegeben, auf dass wir sie nach dem Willen des Gönners benutzen, Der in Sich vollkommen, makellos rein und unbefleckt ist. Doch da wir im Bereich der Materie leben, können wir bei all unserer weltlichen Klugheit nicht vermeiden, dass wir die groben Eindrücke anziehen und ihnen erlauben, sich von Tag zu Tag ungehindert zu vermehren, bis sie einen granitartigen Wall um uns herum bilden, und wir dadurch die klare Wahrnehmung verlieren, der Wirklichkeit gegenüber blind werden und das Selbst in uns mit Pinda und den Pindi-manas (dem Körper und das dem Körper verhaftete Gemüt) identifizieren.

Solche mit Scheuklappen versehenen rauchgeschwärzten Gläser behindern unsere Sicht, und wir sehen nicht die weiße Strahlung der Wirklichkeit, die nun durch einen Dom aus vielfarbigem Glas verdeckt ist.

Die Heiligen künden uns von der Wirklichkeit und helfen uns, diese täuschenden Gläser zu zerbrechen, die Scheuklappen herunterzureißen, welche unsere Sicht begrenzen, und die offenbarte Welt als ein wunderbares Werk Gottes zu sehen. Sie sagen uns, dass die Welt, die sich uns zeigt, eine Widerspiegelung Gottes ist und Gott in ihr wohnt. Darum müssen wir Gottes Gaben – Körper, Gemüt und Besitz – so sauber und rein halten, wie sie uns gegeben wurden, und sie weise, nach Seinem Göttlichen Willen, der bereits in die Urform unseres Seins eingewirkt ist – wie sonst könnten wir existieren? – in Seinem Dienst und dem Dienst an Seiner Schöpfung gebrauchen. Wir haben Seinen Willen durch das ständige Getrenntsein von der Wirklichkeit in diesem mächtigen Wirbel der Welt vergessen und auch unseren Halt an der lebendigen Rettungsschnur im Innern, dem Licht und dem Ton Gottes, verloren. Die Heiligen heißen uns, den Prozess der Projektion in die Außenwelt umzukehren und auf die Wirklichkeit im Innern zu richten, wodurch wir die Wahren Werte des Lebens verstehen; denn das Leben ist mehr denn das Fleisch (der Leib) und der Leib mehr als die Kleidung (weltlicher Besitz), in die wir unser kleines Ich in Form von Körper und Gemüt hüllen und die wir fälschlich als unser eigen betrachten und dabei leichtfertig und egoistisch für unsere Sinnesfreuden und weltliche Zurschaustellung benutzen.

Wenn wir uns einmal über das Körperbewusstsein erheben, wissen wir, was wir sind, wie unsere Gaben am besten im Dienste Gottes und des Göttlichen Plans eingesetzt werden und verschleudern sie nicht in sündhaftem Tun, hervorgerufen durch fleischliche Begierde und Überheblichkeit, oder als Mittel, um weltliche Macht oder persönlichen Vorteil und Gewinn zu erlangen.

Dies war die große Lektion, die der Weise Ashtavakra König Janaka gab, nachdem er ihm eine praktische Erfahrung der Wirklichkeit gewährt hatte. Wir haben tatsächlich nichts anderes aufzugeben als die egoistische Bindung an das Schatzhaus des Herzens, und das macht uns nicht ärmer, sondern zieht mehr der liebevollen Gaben des Höchsten Vaters an, wenn Er die Klugheit Seines Kindes, des verlorenen Sohnes, sieht, der nun weiser geworden ist. Das wird Unterwerfung des kleinen Ich genannt, samt all seinem Beiwerk wie Körper, Gemüt und Besitz, um des Höheren Selbst willen (der Seele). Sie entspricht dem Göttlichen Willen, Neh Karma zu werden und damit das Ziel des Lebens zu erreichen.

Zum besseren Verständnis wollen wir dies an einem Beispiel verdeutlichen.

Aus der Zeit Guru Arjans, des fünften in der Reihe der Nachfolger Guru Nanaks, haben wir den Bericht über einen vorbildlichen Sikh namens Bhai Bhikari.

Ein Schüler bat den Guru einmal, ihn mit einem Gurbhakta oder ergebenen Schüler bekannt zu machen. So sandte ihn der Guru mit einem Brief zu Bhai Bhikari und bat ihn, für ein paar Tage mit dem Bhai Sahib zusammenzubleiben. Bhikari empfing seinen Glaubensbruder sehr herzlich und bewirtete ihn nach bestem Vermögen. Am Tage seiner Ankunft nähte der Gastgeber ruhig an einem Stück Stoff, das wie ein Sargdecke aussah.

Nachdem nun der Schüler ein paar glückliche Tage in seiner Gesellschaft verbracht hatte, beabsichtigte er, zurückzukehren, aber Bhikari bat ihn, noch etwas länger zu bleiben und seines Sohnes Hochzeit beizuwohnen, die bald stattfinden würde. Auf das liebevolle Drängen des Gastgebers hin willigte er ein.

Der Hochzeitstag kam. Es gab Festlichkeiten im Hause, doch Bhikari blieb ruhig wie immer. Der Schüler nahm wie alle anderen an dem Hochzeitszug teil, erlebte die glücklichen Brautleute und begleitete den Brautzug zurück in Bhikaris Haus.

Aber wie es das Unglück wollte, wurde am folgenden Tag Bhikaris einziger Sohn, der neuvermählte junge Mann, plötzlich krank und starb. Bhikari nahm still das Tuch heraus, das er ein paar Tage zuvor für diesen Zweck vorbereitet hatte, hüllte den toten Körper seines Sohnes darin ein und brachte ihn zum Verbrennungsplatz, wo er die letzten Riten mit seinem gewohnten Gleichmut vollzog. Bhikaris unbeirrte und gefasste Haltung in diesem ganzen wechselvollen Geschehen des Lebens machte den Schüler stumm vor Staunen, denn er gewahrte in Bhikari keine Spur von Freude oder Leid, sondern vollkommene Ergebenheit in den Willen des Herrn, den er von Anfang an kannte; und er hatte danach gehandelt, ohne die geringsten persönlichen Gefühle oder Empfindungen zu zeigen.

Guru Nanak pflegte zu beten:

O Herr, nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine.

Ähnlich nannte Sant Kabir Sich Selbst einen Hund namens Moti und beschrieb all Sein Tun als das Seines Herrn, Der die Leine in den Händen hielt und Ihn dorthin zog, wo Er Ihn haben wollte.

Christus betete immer:

Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden.

‚Dein Wille geschehe‘, war immer der Abschluss in den täglichen Gebeten der Hindumönche, Moslem-Darveshs und christlichen Priester, denen die Worte Tatha Astu oder Amen folgten, die alle bedeuten: Möge es so sein.

Es sollte hier deutlich werden, wie wirklich aufrichtige Schüler der Meister und die Meister Selbst es immer so sehen, dass sie keine eigene oder individuelle Existenz, getrennt von der des Gottmenschen oder Gottes, haben. Solche Menschen kennen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie ein offenes Buch und tun alles in Übereinstimmung mit dem Göttlichen Plan. Dies führt unweigerlich zu dem Schluss, dass Gott den Seelen hilft, die Seinen Willen tun. Aber das ist nur für Menschen mit starkem Glauben und sollte nicht von gewöhnlichen Menschen, die immer auf der Sinnesebene leben, als eine Möglichkeit zu entkommen verstanden werden; denn sie werden durch das Gesetz regiert, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen. Die Art der Selbsthingabe, mit welchem Grad des Glaubens sie auch immer verbunden ist, trägt ihre eigene Frucht, und dies rasch, entsprechend der Stufe, auf der sie ausgeführt wird. Durch allmähliche Erfahrung lernt man ihren vollen Wert kennen, indem man auf dem Pfad vorwärtskommt, bis der Grad erreicht ist, wo man das Ich gänzlich in den Göttlichen Willen verliert und somit selbst Neh Karma wird, die Krone und Glorie aller menschlichen Existenz.

Liebender Glaube in die Gott innewohnende Güte und vollständige Selbsthingabe an den Göttlichen Willen führen auf den hohen Weg zur Spiritualität, ohne jede fortgesetzte Anstrengung vonseiten des Strebenden.

Diese beiden Dinge bilden das Geheimnis des Sesam öffne dich und des magischen Schlüssels, der die Pforten des Gottesreichs weit öffnet, das im Tempel des menschlichen Körpers liegt, der wir alle sind:

Wisset ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?

sagen alle Heiligen Schriften.