Teil I: Kapitel II / II – (vi)

Dharna oder Samyam – Absorption oder Konzentration

Hat der Yogaschüler durch Pranayam die Pranas und durch Pratyahara die Sinne unter Kontrolle gebracht, muss er nunmehr sein Gemüt auf etwas konzentrieren. Man kann die Aufmerksamkeit auf etwas Äußeres wie zum Beispiel auf ein Bild, ein Idol oder ähnliches heften; oder sie kann auf etwas im Inneren, wie auf eines der Körperzentren in Pind, auf eine Vorstellung oder auf eines der astralen Zentren in And gerichtet werden. Dharna wiederum besteht darin, das Gemüt nach Belieben auf eine bestimmte Stelle, einen Gegenstand, eine Vorstellung oder ein Zentrum zu konzentrieren. Dharna hilft, das Gemüt stetig zu machen, und ist somit auf seine Weise nutzvoll.

  1. Dharna auf eine jede dieser Sinneswahrnehmungen verhilft zur Stetigkeit des Gemüts, indem die wandernden Gedanken an einem Brennpunkt gesammelt werden:

    1. auf die Nasenspitze – gibt eine Erfahrung von Divya Gandh oder göttlichem Wohlgeruch. Es wird Varta Sidhi genannt.

    2. auf die Zungenspitze – gibt eine Kenntnis vom Geschmack des Göttlichen Stoffes (Divya-Essenz): Manna und Nektar. Diese Erfahrung ist bekannt als Asdavan.

    3. auf die Zungenmitte – man erfährt die Berührung mit dem Göttlichen, die Divya-Berührung oder der Nähe der erhabenen Gegenwart. Die ist als Vidana bekannt.

    4. auf die Zungenwurzel – gibt die Erfahrung der Divya-Töne oder der Göttlichen Harmonie. Man nennt es Sravana.

    5. auf den Gaumen – gibt die Erfahrung der Divya-Farben oder des elementaren Glanzes. Diese göttliche Gesicht wird Adarsha genannt.

  2. Dharna auf den leuchtenden mentalen Zustand am Sitz des Gemüts. Erst wird der Atem eingezogen und dann ausgestoßen, mit dem Gedanken an die aufrechte Position des achtblättrigen Lotos unterhalb des Herzens, der gegenwärtig in umgekehrter Stellung liegt. Dann wird die Aufmerksamkeit auf das glänzende Licht in dem Lotos geheftet, durch den Sukhmana oder Brahm Nadi läuft.

  3. Dharna auf Meister-Seelen, die von allen Wünschen befreit sind, wie Buddha, Christus oder vorzugsweise auf einen noch lebenden Meister, befreit auch den Übenden von allen Wünschen und mentalen Bindungen sowie von der Knechtschaft des Gemüts und der Materie.

  4. Dharna oder Samyam auf äußere Gegenstände: auf Himmelskörper wie die Sonne, den Mond und die Sterne usw. bringt übernatürliche Erfahrungen ein.

    1. Wenn zum Beispiel auf die Sonne, bringt es Wissen von Brahmand, das aus vierzehn Bhavans oder Sphären besteht, nämlich sieben oberen oder höheren Welten oder Lokas (Bhur, Bhuva, Swah, Maha, Janah, Tapah und Satyam) und sieben unteren oder niederen Welten oder Lokas (Sutala, Vitala, Talatala, Mahatala, Rasatala, Atala und Patala).

    2. Wenn auf den Mond, bringt es Wissen von den Sternen ein.

    3. Wenn auf den Polarstern, bringt es Wissen um die Bewegung der Sterne ein.

    4. Wenn auf den Elefanten oder Hanuman, erwachsen Kraft und Tapferkeit.

    5. Wenn auf die Körperform, verursacht es das Verschwinden des Körpers, weil die Kraft des Begreifens gehemmt wird und die Verbindung zwischen dem Licht und den Augen getrennt ist.

  5. Dharna oder Samyam auf innere Zentren, auf das Selbst und die Indriyas: Man kann diese Übung auf alles ausführen, wie auf Tugenden, auf die inneren Zentren, Chakras oder Nadis:

    1. Wenn auf Nabhi oder den Nabel (Manipura Chakra), erlangt man Wissen über die Zusammensetzung des Körpers.

    2. Wenn auf die Vertiefung in der Kehle (Vishudha Chakra), wird man frei von Hunger und Durst.

    3. Wenn auf Sahasrar, erlangt man himmlische Visionen und den Darshan von Siddhas.

    Die Methode des Letzteren geschieht durch Konzentration auf Brahmarendra oder die Höhlung von Brahma; es ist eine Öffnung im Körper (Mundhu), durch welche das Göttliche Licht nach unten fließt. Nirgun Upasakas führen die abstrakte Meditation auf dieses Zentrum – den Sahasrar – aus.

    1. Wenn auf das Anhat Chakra am Herzen, erlangt man Wissen über das Gemüt.

    2. Wenn auf die Kurma Nadi (den Astralkanal in der Brust unterhalb der Kehle, durch den Kurma oder das höhere Prana die Augenlider bewegt), gibt es dem Körper Festigkeit.

    3. Wenn auf das Innere Licht des Herzens, bringt es Wissen über das Feinstoffliche (Hellsichtigkeit), das Verborgene (vergrabene Schätze) und das Entfernte (Ferne und Weite).

  6. Man kann Samyam über sich selbst üben. Es verleiht Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit und andere übernatürliche Kräfte – höheren Tastsinn, höheren Geschmack, höheren Geruch usw., die alle durch Intuition oder Pratibha wahrgenommen werden, ohne einen anderen spezialisierten Samyam.

    Durch Samyam über seine eigene wesentliche Natur (die Erkenntnisfähigkeit) erlangt man die Kraft reinen Erkennens ohne die äußere Hilfe der Sinne und der Sinnesorgane. Durch die Indriyas, die in ihren jeweiligen Zentren ruhen, erfreut man sich eines Zustandes unaussprechlicher Wonne (Anand), der Sanand Samadhi genannt wird.

  1. Durch Dharna oder Samyam auf gewisse Besonderheiten des Körpers, wie die Gesichtsfarbe, die Stimme oder ähnliches, lernt man den Zustand und die Gemütsart anderer verstehen.

  2. Durch Samyam:

    1. auf das Gemüt (oder Gedanken) erfährt man über dessen Inhalt;

    2. auf die Zeit erlangt man Wissen über alles;

    3. auf Luft und Äther, oder auf die Beziehung zwischen diesen beiden, wird man mit dem Göttlichen Hören (Shabd) ausgestattet und nimmt durch den reinen Willensakt jeden subtilen Ton in der Ferne wahr. Auf gleiche Weise entfaltet man durch die Verbindung mit Adhistana Bhutas (vayu, tejas und prithvi usw.) die Kräfte der anderen Organe in vollstem Umfang.

    4. Durch Samyam auf die Verbindung zwischen Äther und Körper oder auf die Leichtigkeit der Baumwolle erwirbt man die Kraft des Fliegens durch den Äther oder die Luft, denn der Körper wird außerordentlich leicht, und man kann sich gleich einem Vogel überall im Raum bewegen und sich sogar von den Strahlen der Sonne tragen lassen.

    Ein Yogi, der Sidhi im Kechari Mudra hat, kann auch in der Luft fliegen. (Einer, der Shammohan Vidya oder Indra Jala kennt, kann sich gleichfalls durch den Raum bewegen, aber das ist nur Jala oder ein Trick und nichts Echtes, denn in Wirklichkeit bleibt er auf der Erde stehen, und wenn man ihn dabei fotografieren würde, erhielte man nicht das Bild eines Menschen, der durch die Luft fliegt.)

    1. Wenn auf die Veränderungen des Gemüts, bringt es Wissen um die Vergangenheit und die Zukunft.

    2. Wenn auf Videha, kann man den Körper nach Belieben verlassen und ohne ihn wirken. Man kann die alles durchdringende Natur in ihrer ganzen Allgegenwart empfinden und Kaya Parvesh zustande bringen, das heißt in den Körper eines anderen eindringen und durch dessen Körper und Gemüt wirken.

    3. Wenn auf die Sanskaras (Gemütseindrücke), erlangt man Wissen um frühere Geburten.

  3. Durch Meisterschaft über:

    1. Udana Vaya endet jedwede Beziehung zu Wasser, Schmutz und Dornen, und man kann seine Existenz nach Belieben beenden, denn durch Udana kann man den Astralkörper vom physischen trennen und sich durch den Raum bewegen.

    2. Samana Vaya ergibt Strahlkraft, und man kann Feuer und Lichtblitze vom Körper ausgehen lassen.

  4. Durch Samyam auf Tugenden:

    1. auf Freundlichkeit oder andere Vorzüge erlangt man die Kraft, dies auf andere zu übertragen;

    2. auf Unterscheidungskraft (der besonderen Beziehung zwischen Satva oder Reinheit und Purush oder der Seele) erlangt man die Fähigkeit der Allgegenwart und Allwissenheit;

    3. auf Shabd erlangt man Wissen von den Tönen aller lebenden Wesen (einschließlich Tiere und Vögel);

    4. auf die Karmas erlangt man Wissen über die Zeit des Todes.

Wenn das Gemüt gänzlich rein und bis zu den Wurzeln von Satva durchdrungen ist, dämmert ganz plötzlich Erleuchtung auf. Das Gemüt hat fünf Zustände:

  1. Kshipta oder das wandernde Gemüt, wo sich der Gemütsstoff in einem Zustand beständiger Zerstreuung befindet.

  2. Mudha oder das träge und vergessliche Gemüt in einem Zustand der Verwirrung und Dummheit.

  3. Vikshipta oder das Gemüt, das sich vorübergehend sammelt und konzentriert, um sich dann wieder zu verzetteln. Diesem Zustand fehlt noch die Beständigkeit.

  4. Ekagrata oder das Gemüt, das mit zielbewusster Aufmerksamkeit und Beständigkeit der Absicht begabt ist.

  5. Nirodha oder das Gemüt, das geschult, beherrscht und in Schranken gehalten wird.

Unter den ersten drei Umständen ist kein Yoga möglich. Er ist nur dann ausführbar, wenn sich das Gemüt in dem vierten und fünften aufgeführten Zustand befindet.

Es ist notwendig, hier ein paar Worte der Warnung zu geben hinsichtlich der Riddhis und Siddhis oder der übernatürlichen Kräfte, welche man sehr oft erhält in der Praktizierung der Yoga-Sadhans oder der yogischen Disziplinen. Außer den Vorhergenannten gibt es acht Arten von Siddhis oder Kräften, die gewöhnlich von Siddhas oder höheren Wesen ausgeübt werden:

  1. Anima – die Fähigkeit, alle Dinge, selbst ein Atom (anu) zu durchdringen und seine innere Struktur zu erkennen.

  2. Laghima – die Fähigkeit, Schwerelosigkeit zu erlangen, so dass man sogar auf den Sonnenstrahlen sitzen kann. Hiervon wird oftmals bei Levitationen und Translevitationen Gebrauch gemacht, trotz der Gesetze der Schwerkraft.

  3. Garima – die Fähigkeit, so schwer wie Stahl zu werden und jeden Gegenstand unbeweglich zu machen. Es ist das Gegenteil von Laghima.

  4. Mahima – die Fähigkeit, ausgedehnte und alles durchdringende Größe gleich der des Raumes zu erlangen und das Wirken weit entfernter Dinge zu sehen, wie die Sonnensysteme und das Weltengesetz.

  5. Prapti – die Fähigkeit, an jeden beliebigen Ort und selbst auf den Mond zu gelangen. Man wird mit einem alles durchdringenden Sinn ausgestattet.

  6. Prakamyam – die Fähigkeit, jeden Wunsch erfüllt zu bekommen.

  7. Vasitvam – die Fähigkeit, allen Geschöpfen und elementaren Kräften gebieten und sie beherrschen zu können, wie dem Wind, dem Regen usw.

  8. Ishitva – die Fähigkeit, den Schöpfer, Erhalter und Zerstörer spielen zu können.

Darüber hinaus gibt es viele untergeordnete Ziele, die man durch den einfachen Prozess der Selbstbeherrschung und Konzentration, genannt Samyam, erwirbt. Zum Beispiel:

  1. die Sprache der Vögel und Tiere zu verstehen;

  2. um die vorhergehenden Geburten zu wissen und Vorkenntnis des Todes zu haben;

  3. die innersten Gedanken anderer zu lesen;

  4. von ferne Wissen über geheime und subtile Dinge zu haben, wie über Himmelskörper und Sterne;

  5. zukünftige Dinge vorauszusehen;

  6. sich an jeden beliebigen Ort der Welt begeben zu können;

  7. durch Berührung zu heilen;

  8. körperliche Vollkommenheit in Form (rupa), Aussehen (ranga), Kraft und Stärke (bala), Stetigkeit (sanhanan) und körperlichen Reiz (lavanya) usw. zu erwerben.

All diese übernatürlichen Kräfte oder Siddhis müssen peinlichst vermieden werden, da sie tatsächliche Hindernisse auf dem Weg des Wahren Spirituellen Fortschrittes und der Erreichung der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis sind, welche der Zweck und das Ende des Yoga-Systems sind. Die Devtas werden oft eifersüchtig auf die menschliche Seele, welche auf dem Spirituellen Pfad reist. Sie kommen lächelnd, den Yogi zu begrüßen, sobald er Zugang zu höheren Regionen erworben hat; laden ihn ein mit süßen und listigen Worten und versuchen, ihn zu Fall zu bringen. Selbst der große Yogin Vishvamitra war verlockt durch die Schönheit eines himmlischen Wesens, einer Jungfrau, die durch Indra gesandt wurde, um ihn zu versuchen. Er ging unwissentlich in den Fallstrick und kam vom Weg ab. Diese Versuchungen greifen einen im zweiten Stadium der Reise an, aber sie haben keinen Nutzen bei jemandem, der an dem Pfad festhält, und der fest und standhaft in den Sadhans ist.

Gib die 'Siddhis'  auf und vernichte die Saaten der Gebundenheit; erlange 'Kaivalya', den Zustand völliger Ruhe und Unabhängigkeit.

Wieder:

Lass dich nicht verführen durch das gewinnende Lächeln der himmlischen Wesen, und meide den Umgang mit allem, was nicht wünschenswert ist.

Sutra III:51-52