Teil I: Kapitel II / II – (vi)
a) Dharna als eine Form des Yoga – Mansik Yoga

Stetige Aufmerksamkeit ist der erste und grundlegende Faktor der inneren Yoga-Übung, und ihre Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Wenn alle Sinne ruhig sind, wird das Gemüt stetig und der Verstand wankt nicht – dies ist der höchste Zustand, sagen die Weisen.

Katha Upanishade II:iii-10

Zufolge dieser Tatsache nimmt sie eine wesentliche Stellung im System ein und wird von manchen als Form eines bestimmten Yoga betrachtet, dem sie den Namen Mansik oder Mentaler Yoga (Yoga der Selbstversenkung) geben.

Die meisten Schüler weihen sich völlig und einzig der strikten Beachtung der Yamas und Niyamas kommen dadurch auf dem Yogapfad, der nach Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis strebt, kaum vorwärts; und solche, die ein wenig weiterkommen, bleiben dann in den Yoga-Stellungen (Asanas, Mudras und Bhandas) stecken und sind beständig damit beschäftigt, ihren Körper zu entwickeln und die Muskeln zu stärken, und machen dies zum einzigen Ziel ihrer Bemühungen. Sie beschränken sich somit selbst auf den Aspekt der Körperentwicklung, um dadurch Krankheit, Altern und frühem Tod zu trotzen.

Ein paar begünstigte Seelen, die durch Pranayam vorwärts kommen, machen dies zum Inbegriff aller Yoga-Übung; und wie eine Schildkröte (sie haben Freude daran, wenn sie ihre Pranas in Brahmarendra zusammenziehen) bringen sie die meiste Zeit in ihrem Gehäuse, im Yog Nidra, zu und betrachten Trägheit als die höchste Form des Samadhi. Dies alles sind einzig Mittel zu den höheren Zielen des Yoga und sollten nur als solche praktiziert werden. Ziel des Yoga ist Selbsterkenntnis durch einen regelrechten Prozess der Selbstanalyse und der Zurückziehung, was einen instand setzt, sich über das Körperbewusstsein ins höhere kosmische und schließlich ins überkosmische Bewusstsein zu erheben.

Wahrer Yoga ist ein ganz natürlicher Prozess, der nichts Gekünsteltes an sich hat. So sollte er leicht verständlich und einfach zu üben sein. Aber durch den Mangel an richtigen Lehrern, die sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis des Yoga wohlerfahren sind, ist er zu einer beschwerlichen und verwickelten Angelegenheit geworden; zu schwer, um verstanden zu werden, und noch schwieriger, ihn auszuüben. Das Leben ist heutzutage viel zu kompliziert, um dem Menschen genug Muße zu lassen und Gelegenheit zu geben, alle Zweige des Yoga zu meistern (jeder Einzelne hat sich im Laufe der Zeit noch mehr spezialisiert), um dann dem letzten Ziel entgegenzuschreiten. Die Folge davon ist, dass die Suchenden die eine oder andere Yoga-Art irrigerweise als das letzte Ziel betrachten. Sie verzetteln ihre Kräfte in diesem Streben und geben sich mit dem Erwerb psychischer oder magischer Fähigkeiten zufrieden.

Bei der wirklichen Erfahrung befindet sich das Gemüt in einem Zustand tiefen Schlummers (sushupti) und kommt gewissermaßen mit der niedrigeren Ebene der Glückseligkeit (anand) und der niedrigeren Erkenntnis-Ebene (vigyan) in Berührung. Denn wenn man erwacht, nimmt man den Eindruck der ungestörten und reinen Wonne dieses glückseligen Schlafes in sein Bewusstsein auf. Aber all das ist eine unwillkürliche Erfahrung in Pind oder der Sinnesebene; sie ist nicht bewusst und willentlich erworben. Wenn man den wirklichen Sadhan genau versteht und ausübt, kann man den Schleier heben und in die Quelle der Glückseligkeit auf einer Spirituellen Ebene eintauchen, wie und wann es einem gefällt. Und man kann innen mit dem Lebensstrom, dem Ursprung Wahren Glücks und Wahrer Seligkeit, verbunden bleiben. So wie man durch Pranayam die Pranas mit dem Gemüt berühren kann, ist es auch möglich, durch Pratyahara und Dharna, die Ebene des Gemüts mit der der Erkenntnis zu verbinden, die in den höheren Spirituellen Zentren darüber liegt.

Das Wort Pratyahara bedeutet beschränken. Gemeint ist damit, dass man den Gemütsstoff und die Sinne davon abbringt, in die Welt hinauszufließen und umherzuirren auf der Suche nach sinnlichen Freuden an den Sinnesgegenständen. Aber das ist schwer zu erreichen, solange nicht die Sinne und das Gemüt mit etwas Gleichartigem versorgt werden oder besser, mit etwas Erfreulicherem, als es die weltlichen Dinge darstellen, und das zugleich als Anker dient, um sie im Innern festzuhalten. Man nennt dies dharna, was soviel besagt wie 'annehmen' (es stammt von der Wurzel 'dharn'), 'von etwas angezogen' und 'in etwas vertieft zu sein'. Pratyahara und Dharna gehören zusammen, denn das Gemüt muss einerseits von den äußeren weltlichen Freuden entwöhnt werden, andererseits muss es im Innern etwas Anziehendes bekommen.

Indem die Yogis unbeweglich in einem Asana sitzen, bringen sie zuerst das Nabelzentrum unter ihre Kontrolle und ziehen dann die Pranas zum Herzzentrum, um es mit der Gemütsebene zusammenzubringen. Danach versuchen sie durch verschiedene Übungen, wie Tratak, das Gemüt in ein höheres Zentrum zu leiten, damit es sich dort zurückzieht. Der erste Teil wird Pratyahara und der zweite, das Zurückgezogen- und Vertieftsein in dem höheren Zentrum, wird Dharna genannt.

*Das Gemüt hat durch die bloße Macht der Gewohnheit, die sich Jahre über Jahre hin erstreckt, die Neigung erworben, Freuden hinterherzulaufen. Die Freuden der Welt können in fünf Klassen kategorisiert werden wie untenstehend:

  1. Rup und rang – oder schöne Formen, Muster und Farben, welche das Auge anziehen.

  2. Shabd – oder Melodien, klangvoll und bezaubernd, die das Ohr gefangen nehmen.

  3. Ras – oder köstliche Verpflegungen und Lebensmittel, die den Gaumen fesseln.

  4. Gandh – oder wohlriechende Düfte, die den Geruchssinn unmittelbar ansprechen.

  5. Sparsh – oder physisch angenehme Empfindungen, wie sie durch Berührung hervorgerufen werden.

In einem Wachzustand mit aufmerksamen Sinnen und sehr gespannt, erfreut man sich den physischen Aspekten der Freuden wie hier oben aufgezählt. Im Traumzustand, der mehr oder weniger eine Reflexion des Astralen oder Feinstofflichen ist, freut man sich am meisten des Klangs, denn in diesem Zustand spricht er das Gemüt direkt an. Im traumlosen und tiefen Schlafzustand, der eine Reflexion des kausalen oder Keim-Zustandes ist, erlangt man Kenntnis von tiefer Versunkenheit.

Man muss sich daher nach Innen zum Herzzentrum mittels Tratak auf verschiedene Grundfarben, die mit Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde verbunden sind, zurückziehen, und dieselben werden an bezauberndem Glanz zunehmen. Durch regelmäßige Praxis erwerben die Yogis übernatürliche Kräfte und Fähigkeiten, um all die oben aufgezählten fünf Freuden in ihrer feinstofflichen Form aus einer weiten Entfernung zu kosten. Diese Kräfte kommen auf natürliche Weise mit der Übereinstimmung der Pranas mit dem Gemüt.

Die Praxis von Pratyahara und Dharna kann mit Hilfe von Tratak noch weiter entwickelt werden, bis man sich bewegen und schwinden kann, einwärts und aufwärts, vom Herzzentrum zur Schilddrüse oder dem Kehlzentrum, Kanth Chakra, und dadurch mit der Ebene der Erkenntnis in Berührung kommt. Diese Bewegung von einem niedrigeren Zentrum zum anderen höheren resultiert sowohl aus der Praxis von Pratyahara, womit man das untere Zentrum verlässt, als auch von Dharna, wodurch man das nächst höhere Zentrum ergreift und darin aufgenommen wird, bis man zum Aggya Chakra gelangt, hinter und zwischen den beiden Augenbrauen, dem Hauptsitz der Seele, wenn sie in der physischen Welt im Wachzustand wirkt.

Wenn sich die Sinnesströme in diesem Zentrum sammeln und einer, indem er alles über sich selbst vergisst, sich über das Körperbewusstsein erhebt, dämmert in ihm nach und nach das Innere Spirituelle Licht auf und mit großer Versunkenheit oder Dharna in diesem Zentrum nimmt es an Glanz zu; und mit der Perfektion in Dharna oder vollkommener Versunkenheit auf dieser Stufe werden all die unteren Zentren bis zum Mul Chakra oder Guda Chakra am Rektum erleuchtet.

In diesem Zusammenhang können wir hier auf die Psychologie des Yogasystems zu sprechen kommen. Das zerebral-spinale System ist die Hauptstütze des Körpers. Die Wirbelsäule wird in der Yoga-Terminologie Meru oder Brahm Danda genannt. Nach dem Shiva Samhita gibt es im menschlichen System nicht weniger als 350 000 Nadis und von diesen spielen die nachfolgenden zehn eine wesentliche Rolle:

  1. Ida – beginnend am untersten Plexus, Guda Chakra, auf der rechten Seite der Wirbelsäule, erstreckt er sich spiralenförmig um Sushmana und geht bis zum linken Nasenloch.

  2. Pingala – beginnend am selben Chakra auf der linken Seite der Wirbelsäule, erstreckt er sich spiralenförmig bis zum rechten Nasenloch.

  3. Sushmana oder Sukhmana – der zentrale Nadi zwischen dem Ida und Pingala läuft durch die Wirbelsäule von Ende zu Ende, vom Guda Chakra zur großen Öffnung – Brahmarendra, hinter und zwischen den Augenbrauen.

  4. Gandhari – erreicht das linke Auge, nachdem er sich von der Vorderseite des zentralen Nadis aus erhoben hat.

  5. Hastijivha – erreicht das rechte Auge, nachdem er sich von der Rückseite des zentralen Nadis aus erhoben hat.

  6. Pushpa – erreicht das rechte Ohr vom selben Nadi aus.

  7. Yashvini – erreicht das linke Ohr vom zentralen Nadi aus.

  8. Alambhush – erstreckt sich zur Wurzel der Arme.

  9. Kuhu oder Shubha – reicht hinunter bis zur Spitze des Zeugungsorgans.

  10. Shankhini – reicht hinunter bis zum Rektum.

Die ersten drei, IdaPingala und Sushmana, sind die wichtigsten. Ida und Pingala kreuzen sich, bevor sie in die Nasenwurzel gelangen, und sind als Ganglienstränge bekannt.

Der Dritte, Sushmana oder Sukhmana, oder der zentrale Nadi, läuft durch die Wirbelsäule und durchquert sechs Plexus oder Zentren wie untenstehend:

  1. Muladhara, basaler Plexus – mit einem vier-blättrigen Lotos, der sich nach vier Seiten hin erstreckt. In ihm öffnet sich das untere Ende des Sushmana.

  2. Svadhishtana, hypogastrischer Plexus – mit einem sechs-blättrigen Lotos, der sich nach vier Seiten erstreckt; außerdem nach unten und nach oben.

  3. Manipuraka, Solarplexus – mit einem acht-blättrigen Lotos, mit vier weiteren Seiten zwischen den ursprünglichen vier Seiten.

  4. Anahata, kardialer Plexus – mit einem zwölf-blättrigen Lotos. Es ist ein Lotos des unübertrefflichen Tones, wie der Name besagt.

  5. Vishuddha, pharyngealer Plexus – mit einem sechzehn-blättrigen Lotos, ein alles durchdringender ätherischer Lotos. Es ist ein Zentrum von großer Reinheit, wie der Name andeutet.

  6. Aggya, Stirnplexus – mit einem zwei-blättrigen Lotos. Es wird auch Ajna Chakra genannt, was Befehlszentrum bedeutet.

Außer den oben angeführten Plexus gibt es noch Antehkaran – das aus Chit, Manas, Buddhi und Ahankar besteht – mit einem Lotos von vier Blättern. Das macht zusammen zweiundfünfzig Blätter, die den zweiundfünfzig Buchstaben des Sanskrit-Alphabets, der Mutter aller Sprachen, entsprechen.

Wir müssen uns jedoch über alle Akhshras in einen Zustand jenseits der Akhshras erheben, welcher Neh-akhshra para genannt wird, welcher ewig und immer andauernd ist und von dem Kabir sagt:

Die drei Lokas und die zweiundfünfzig Buchstaben sind alle miteinander dem Verfall unterworfen, aber das Ewige und immerwährende Heilige Wort ist völlig verschieden von ihnen.

Kabir

Je zwei Plexus zusammen bilden ein Granthi oder Band und diese sind: Brahm GranthiVishnu Granthi und Shiva Granthi.

Der Pfad der Yogis, wie er oben beschrieben wird, befasst sich mit der Meditation auf diese sechs Zentren, beginnend am untersten und allmählich aufsteigend von einem zum nächst höheren darüber mittels Pratyahara und Dharna, wie bereits erklärt. Bei diesem Vorgang ruft man sich auch durch Hatha Yoga die Kundalini Shakti oder die große Schlangenkraft, die schlummernd und wie eine Schlange in 3 ½ Windungen zusammengerollt im Vagus-Nerv liegt, zur Hilfe. Diese latente Energie oder Kraft wird mit Hilfe von Pranayam erweckt.

Ein Yogi versucht alle Lebensenergien im Körper am Zentrum des Nabel-Plexus zu sammeln, und bei diesem Vorgang erwacht auch die latente Kraft. Von Ajna aus ergreift er den Anahat-Tonund erreicht Sahasrar, den höchsten Himmel der Yogis. Es ist ein sehr langer, mühsamer und schwieriger Pfad.

An jedem der Zentren hat man jahrelang schwer zu arbeiten, bevor man es erfolgreich unter Kontrolle bringen und es durchdringen kann und zum nächst höheren Zentrum aufsteigen kann. Man kann sich diese verworrene Disziplin nicht angewöhnen ohne einen starken und robusten Körperbau, der imstande ist, einer anhaltenden und mühsamen Anstrengung für eine lange Zeit standzuhalten.

Als vorbereitenden Schritt muss ein Yogi den Augiasstall mit herkulischer Kraft reinigen, und zu diesem Zweck muss er Zuflucht zu Hatha Yoga Kriyas oder Übungen wie DhotiBastiNeoliGaj Karam und Vajroli usw. nehmen mit einer strikten und unnachgiebigen Diäts-Kontrolle. Außerdem muss er sich für die Kontrolle des Gemüts Pranayam oder wohlgeordneter Atmungsübung unterziehen: PurakaKumbhakaRechaka undSunyaka, die alle eine große Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit unter der Anleitung eines Adepten erfordern.

Der Yoga-Prozess, wie er oben dargelegt wurde, ist voller ungezählter Schwierigkeiten. Es ist ein Vorgang ähnlich dem eines kontrollierten Todes, ein gewaltsames Herausziehen nicht nur des Geistesstromes von einem Zentrum zum anderen, sondern auch aller Pranas, was ihn noch schwieriger macht. Und es entspricht in der Tat dem Sterbeprozess, welcher die Umkehrung des Lebensstromes darstellt, der beim Schöpfungsvorgang von Zentrum zu Zentrum heruntersteigt.

Beim Todesprozess entweicht das Erdelement aus dem Guda Chakra zum Indri Chakra und wird dort in Wasser aufgelöst; und macht Hände und Füße leblos. Wenn das Wasserelement zum Nabhi Chakra hoch gleitet, wird es in einen dampfförmigen Zustand verwandelt durch das Feuer in der Nabel-Region, und das Zeugungsorgan wird lahmgelegt; und als nächstes wird das Feuerelement selbst im Luftelement am Herz-Plexus ausgelöscht, und lässt die Region unterhalb des Herzens völlig kalt. Wenn das Luftelement in Kanth, dem Sitz des Äthers, ätherisiert wird, macht es das Herz und den Puls reglos. – Es möge darauf hingewiesen werden, dass bei diesem System das Versagen des Herzens nicht das Ende des Lebens kennzeichnet: sondern ihm nur vorausgeht.

Auch bei der Ausübung des Sehaj Yogasystems muss man genau denselben Prozess durchlaufen und zurückverfolgen, außer, dass die eine Methode natürlich ist, während die andere Methode bedacht und kontrolliert ist und darum äußerst schwierig durchzuführen ist. Jedes der tatvas eines nach dem anderen wird mit seiner Quelle vereinigt: Anna mit den Pranas, die Pranas mit den Manas, die Manas mit dem Vigyan, und Vigyan mit dem Kanth Plexus. – Es soll erwähnt sein, dass die Vishnuiten und Kabir-Panthies Tulsiblätter tragen und die Shivaiten sich ‚shiv-ling‘ um den Nacken legen, um sich an das Kanth Chakra zu erinnern, das sie sich zu ihrem Ziel gesetzt haben.

Anstelle dieses schwierigen Umkehrungsprozesses des Yoga, vom grundlegenden Plexus zurück und aufwärts zu reisen bis zu Sahasrar, der Region der tausend-blättrigen Lichter; wie sehr viel leichter wäre es, die Pranas in Ruhe zulassem – wie wir es in unserem alltäglichen Leben machen –, den Sinnesstrom am Sitz der Seele im Ajna Chakra zu sammeln, wo wir uns immer in unserem Wachzustand befinden, und uns schnurstracks aufwärts zu bewegen mit der Hilfe des Tonstroms – zu welchem die Yogis nach einer schwer erkämpften Schlacht über die sechs ganglionischen Zentren in Pind oder dem Körper Zugang erhalten, um Sahasrar zu erreichen –, der einen magnetischen Zug hat, zu schwierig um zu widerstehen, wenn sich die Seele einst über das Körperbewusstsein erhebt, unter der Führung eines fähigen und völlig Kompetenten Meisters, Der fähig ist, den Lebensimpuls in uns zu erwecken.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Erstedition von 1961 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2014.)