Teil I: Kapitel III / IV

Raja Yoga

Wie der Name schon sagt, bedeutet es der königliche Weg zur Reintegration der Reintegration der Seele, die sich gegenwärtig in einem Zustand der Desintegration befindet, denn sie hat durch den zerstreuenden Einfluss des Gemüts, das durch so viele nach außen gehende Kanäle fließt, ihren Inneren Halt verloren. Dieser Weg bietet eine wissenschaftliche Annäherung an Gott und ist bestens geeignet für wissenschaftlich denkende Menschen, die sowohl in der äußeren Welt wie auf dem Inneren Weg wissenschaftlich vorgehen. Der Raja Yoga beruht auf der Annahme, dass das Wahre Selbst im Menschen ganz anders und viel wunderbarer ist, als man gewöhnlich annimmt und als es im alltäglichen Leben erscheint, nämlich Begrenzungen unterworfen, die es von allen Seiten bedrücken und belasten, so dass es unter den Anforderungen praktischer Zwecke ein begrenztes Element zu sein scheint und nicht, was es tatsächlich ist, die unbegrenzte Wirklichkeit.

Wiederum muss man die Experimente, die der Raja Yoga einschließt, an sich selbst ausführen, ungleich jenen anderen Wissenschaften, bei denen der ganze Vorgang ein Experiment mit der äußeren Natur ist. Von einem Raja Yogi wird nicht erwartet, dass er etwas für selbstverständlich hält oder blindlings eine Autorität annimmt, seien es die Schriften oder eine andere. Er verfolgt im Wesentlichen einen Pfad der Selbsterfahrung im Laboratorium des Gemüts, und er kommt langsam, aber Schritt für Schritt vorwärts und hält nicht an, bis das Ziel erreicht ist.

Nach dem Raja Yoga ist der Mensch ein 'überdecktes Wesen', das in viele übereinanderliegende Hüllen gekleidet ist, in den Körper, körperliche Gewohnheiten, angeborene und erworbene Lebensformen, Sinne und Sinneshörigkeit, Lebensenergien, in ein ruheloses Gemüt mit unzähligen mentalen Vibrationen, den immer aktiven Willen, Ich-Bezogenheit usw., die alle Umhüllungen und Schleier bilden und den Atman bedecken. In ihrem Innern liegt unter der Erscheinungsform der Persönlichkeit das Kronjuwel des Selbst, das Ewige im Menschen. So besteht die vollkommene Befreiung (Mukti) in der gänzlichen Loslösung von all den zahllosen begrenzenden Vorgängen, die das unbegrenzte Meer des schöpferischen Lebensprinzips umgeben, um alle Macht, alles Leben, alle Weisheit, alle Freude, alle Glückseligkeit und alles andere in Fülle zu erlangen. Mit anderen Worten bedeutet es die Entpersönlichung der Seele, indem man die Persönlichkeit oder die Maske, die der Schauspieler trägt, wenn er auf die Bühne kommt, um seine Rolle zu spielen, buchstäblich herunterreißt.

Die Arbeit des Raja Yogi ist es, die Wirklichkeit, die in ihm liegt, zu demaskieren, indem die unzähligen Masken oder falschen Indentifikationen entfernt werden. Dadurch wird das große Selbst von den Hüllen, die es umgeben und behindern, befreit.

*Der Ashtang Yoga oder der achtfältige Pfad des Patanjali führt zu dem, was gemeinhin als Raja Yoga bekannt ist. Er ist die Leiter, über die man Nirbij Samadhi, Unmani, Sehaj-awastha oder Turiya Pad erreicht, was die Krone aller Yogasysteme und die Blüte der yogischen Kunst ist. Er befasst sich mit der Schulung des Gemüts und seiner übersinnlichen Kräfte in einem Maße, welches zur Erleuchtung führen mag, wobei die wahre Sichtweise erlangt wird und man ein Gleichgewicht, einen Zustand der wachen Trance, erreicht. Seine Seele ist unerschütterlich an ihrem Zentrum, Sam, verankert, wenn er auch anscheinend mit den weltlichen Aktivitäten beschäftigt ist, so wie der Rest der Menschheit. Dieser Zustand ist der Gipfel aller yogischen Bemühungen und Übungen, und wenn er einmal erreicht ist, ist der Yogi, während er in der Welt lebt, nicht länger von der Welt.

Auf diese Weise kam es, dass Raj Rishi Janaka und Lord Krishna, der Prinz der Yogis, in der Welt lebten, stets mit weltlichen Aktivitäten und Handlungen beschäftigt waren, das Rad der Welt in ihren Händen in beständiger Bewegung hielten, doch mit einem stillen Zentrum, das in der Göttlichen Ebene verankert war. Alle ihre Handlungen waren durch Tätigsein im Nichttätigsein gekennzeichnet. Derart ist der Höhepunkt im Yogasystem, ein Zustand, in dem die Sinne, das Gemüt und der Intellekt zum Stillstand kommen. Und in der Katha Upanishad steht:

Wenn alle Sinne beruhigt sind, wenn das Gemüt ruhig ist, wenn der Intellekt nicht schwankt – das, sagen die Weisen, ist der höchste Zustand – der Kaivalya Pad (der Zustand höchster Verwirklichung).

Das Ziel ist Samadhi – die letzte Stufe in Patanjalis Yogasystem –, wobei das Individuum entindividualisiert wird und in sich die unbegrenzte und unverkörperte, grenzenlose und freie Gesamtheit erkennt, alles durchdringend wie der Äther. Das heißt, alle Dinge unter dem Aspekt der Ewigkeit zu sehen.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Erstedition von 1961 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Ein paar Worte über Samadhi sollen hier nicht fehlen. Der Samadhi kann sowohl bewusst wie auch überbewusst sein. In dem einen bleibt sich das Gemüt der Dinge bewusst, während sich im anderen eine Innere Ruhe zeigt, in der man die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, und blitzartig Wahre Einsicht in sie bekommt. Es ist ein Schauen mit der Seele (oder dem Inneren Geistigen Auge), wenn unsere körperlichen Augen geschlossen sind. Dies ist unmittelbares und direktes Wissen, zum Unterschied vom mittelbaren Wissen, welches durch das Medium der rauchgeschwärzten Gläser der Sinne, des Gemüts und des Verstandes gewonnen wird. Es ist ein Zustand völligen Schweigens der weit über dem betäubenden Gewühl der äußeren Welt liegt. Es ist ein mystischer Zustand, in welchem Chit, Manas, Buddhi und Ahankar ihre Funktionen eingestellt haben und das losgelöste und entpersönlichte 'Selbst' allein in seinem eigenen Glanz erstrahlt.

Über diesen Zustand sagt uns Vyasa:

Yoga kann am besten durch Yoga erkannt werden, denn Yoga wird durch Yoga offenbar.

Yoga Bhasya iii-6

Die heiligste Silbe bei den Raja Yogis ist Aum. Die Mandukya Upanishad enthält einen ausführlichen Bericht über dieses Wort. Es ist dasselbe wie das Heilige Wort des Johannes-Evangeliums. Es ist das Kalma oder Bang-i-Quadim der Moslems, Akash Bani oder Vak Devi der alten Rishis, Udgit oder Nad der Upanishaden, Sraosha des Zoroaster und Naam oder Shabd der Meister.

Die Welt und die Veden stammen von dieser Silbe Aum ab. In der Bhagavad Gita heißt es:

Der Brahmane, der 'Aum' wiederholt und darüber sinnt, wandelt, den Körper verlassend, auf der höchsten Bahn.

*Krishna, indem er von sich selbst spricht, sagt:

Ich bin 'Omkar', ich bin 'Pranva' in all den Veden; in der Rede bin ich 'Ek-Akhshra' – die eine Silbe.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Erstedition von 1961 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

In den Upanishaden lesen wir:

Aum ist der Bogen, das Gemüt ist der Pfeil; Brahman ist das Ziel. Erkennet das Brahman mit Konzentration, treffet das Ziel mit einfältiger Sicht (Ekagrata) und werdet dann wie der Pfeil eins mit dem Ziel – die individuelle Seele wird identifiziert werden dem Brahman.

Eine einzige Vibration in Brahman Eko Aham Bahusiam verursachte alle Lokas und schuf alle Ebenen, die Spirituellen, kausalen, astralen und physischen mit ihren zahllosen Aufteilungen und Unterteilungen. Die physischen Vibrationen im Menschen stehen im Einklang mit der Urvibration, die zur Projektion der Shrishti führte oder dem Universum samt seinen Trinitäten wie Brahma, Vishnu und Shiva; Satva, Rajas und Tamas; Jagrat, Swapan und Sushupti, die alle in Aum, dem Herrn der drei Welten, enthalten sind.

Lord Yama, der Herr des Todes, sagte Nachiketa ermahnend:

Das übereinstimmende Ziel, welches alle Veden rühmen, das zu erreichen, sich die Menschen Bußen und Opferdienste auferlegen und ein Leben der Enthaltsamkeit (Tapas), ist kurzgefasst 'Aum'.

So bedeutet auch der Begriff Pranva etwas, das ewig, immer neu, unwandelbar und beständig ist (Kutastha Nitya) wie das Verhältnis zwischen Shabd und seiner Bedeutung im Gegensatz zu Parinama Nitya, das sich immer wandelt.

Durch obiges ersehen wir, dass jede der vier klassischen Yoga-Formen nur ein Bestandteil des Yogasystems in seiner Ganzheit ist, wie es von Patanjali kundgetan wurde, doch mit besonderer Betonung des einen oder anderen Aspekts, und wir sehen, dass diese eine fortschreitende Entwicklung zeigen, vom Mantra Siddhi zum Raja Yoga, wobei jeder Schritt den Weg zur nächsthöheren Stufe auf dem Yogapfad bahnt.

Um den Yoga gangbarer zu machen, wurden in späteren Zeiten für verschiedene Menschentypen, dem individuellen Temperament und der beruflichen Tätigkeit entsprechend, unterschiedliche Formen geschaffen.

Während sich Personen, die sehr intellektuell waren und alles durchdachten, häufig dem Jnana Yoga oder dem Yoga des Wissens zuwandten, wurden mehr gefühlsbetonte Menschen von Bhakti Yoga oder dem Yoga der Hingabe angezogen, der in ergebungsvollen Übungen wie dem Singen von Hymnen und Psalmen (so wie es Prinzessin Mira und Chaitanya Mahaprabhu taten) besteht. Wiederum waren jene, die sich hauptsächlich mit äußeren weltlichen Tätigkeiten befassten, am besten für Karma Yoga oder Yoga des Handelns geeignet, der aus Härten und Bußen, Fasten und Nachtwachen, Ableisten von Yajnas und anderen wohltätigen Werken besteht, und aus verdienstvollen Taten, wie Wallfahrten zu heiligen Orten, Lesen der Schriften usw., und vor allem dem Pfad des selbstlosen Dienstes.

Auf diese Weise entstanden drei Arten des volkstümlichen Yoga, nämlich der des Kopfes, der des Herzens und der der Hand – Jnana Yoga, Bhakti Yoga und Karma Yoga. Diese Yogas finden ihre erste klare und unzweideutige Darlegung in der Bhagavad Gita; und Lord Krishna steht mit ihnen auf gleiche Weise in Verbindung wie Patanjali mit den vier traditionellen Arten.

Es muss jedoch gesagt werden, dass man diese drei Yoga-Arten nicht in enge und abgegrenzte Klassen aufteilen kann. Keine von ihnen kann nur für sich selbst und unter völliger Ausschließung der anderen ausgeübt werden. Sie weisen lediglich auf die vorherrschenden und angeborenen Charakterzüge im Wesen eines Strebenden hin.

Bloßes theoretisches Wissen über Yoga, ohne Hingabe und Handeln, gleicht einem Baum, der des Laubes und der Früchte beraubt und somit gerade gut genug für des Holzfällers Axt ist. Wiederum ist Hingabe an sich bedeutungslos, wenn man die Sache nicht verstandesmäßig begriffen und eine tatsächliche Erfahrung von ihr hat und tätig danach strebt. Die Handlungen an sich, seien sie gut oder schlecht, ohne Hingabe und Kenntnis, halten einen in beständiger Gebundenheit gleich Fesseln aus Gold oder aus Eisen, wie der Fall gerade liegt, denn beiden wohnt dieselbe bindende Kraft und Wirkung inne.

Diese Welt ist ein Karma Kshetra oder ein Bereich des Handelns, und alles Tun auf der Sinnesebene, ohne das unterscheidende Wissen und die liebevolle Hingabe, trägt Frucht, die der Handelnde, ob er will oder nicht, notgedrungen ernten muss. Nur solche Handlungen, denen man nicht verhaftet ist und die ohne den Wunsch nach den Früchten ausgeführt werden, können Befreiung bringen.

Darum muss man in diesem Karma Bhoomi ein Neh Karma werden, damit man dem Rad der karmischen Knechtschaft entgeht. Das karmische Gesetz ist hart und unerbittlich, und deswegen sollte man nicht unnötig endlose Karmas anhäufen, weil man dadurch ständig gebunden bleibt.

Nur der ist frei von der bindenden Wirkung der Karmas, der sich mit dem Heiligen Wort verbindet.

Guru Amar Das, Majh  M3

So ist das Yogasystem seinem Wesen nach ein vollständiges Ganzes und kann nicht in künstliche Sparten aufgeteilt werden.

In der Bhagavad Gita oder dem Hohen Lied, das im überragenden Maße ein Yoga Sutra ist, gibt Lord Krishna, der Herr der Yogis, dem Kshatriya-Prinzen Arjuna eine klare Darstellung der verschiedenen Yoga-Arten, um ihm die Bedeutung des Swadharm oder des Pfades vom Dienen klarzumachen, und dies von verschiedenen Standpunkten aus gesehen; denn Arbeit ist im wahren Sinne des Wortes nichts anderes als Gottesdienst, wenn man sie als solchen verrichtet und frei ist von der Bindung an den Lohn dafür.